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3.6.2. Die Kehre zur »Seinsgeschichte«

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Ebd., § 44

Nach der von Heidegger selbst so genannten »Kehre« in seiner Philosophie, deren Keim schon früh angelegt ist und die er in der letzten in Marburg gehaltenen Vorlesung Metaphysische Anfangsgründe der Logik (freilich noch nicht in vollem Sinn) ausdrücklich machte, verschob sich der Ausgangspunkt der Fragestellung vom Dasein, also dem Menschen, zum Sein selbst – ohne dass damit die geschilderten Zusammenhänge der früheren Phase ungültig geworden wären. Vielfach wird diese Wende beim Kunstwerkaufsatz 1936 angesetzt.

Pöggeler 1984, 175

In Sein und Zeit gab Heidegger die Bedingungen dafür an, wie Seiendes in seinem Sein erfahrbar wird, und zwar immer noch im Sinne einer phänomenologischen Intentionalität auf dem Pfad einer transzendentalphilosophischen Fragestellung im weitesten Sinn, sodass die Verbergung des Seins als »leeres Nichts« erschien. Geht man jedoch vom Sein selbst aus, bedeutet das endgültig das Ende eines jeden transzendentalphilosophischen Vorgehens. Die Kehre ist im Grunde eine Radikalisierung der Tatsache, dass dem Menschen eine Welt immer schon erschlossen und jeder Intentionalität, transzendentalphilosophischen Begründung, ja jeder Metaphysik stets voraus ist.

Anwesen und Ereignis

Heidegger 1957, 31

Sartre 1968, 9, 11

Heidegger 1947, 314/316

Ebd., 321

Boehm 1969, 121

VI.5.1.ff.

Diese ursprüngliche Erschlossenheit ist – wie der Ausdruck Anwesen bereits andeutete – dynamisch zu verstehen, Heidegger spricht vom »Ereignis«: »Sein gehört mit dem Denken in eine Identität, deren Wesen aus jenem Zusammengehörenlassen stammt, das wir das Ereignis nennen. Das Wesen der Identität ist ein Eigentum des Er-eignisses.« Sein meint nichts gegenständlich Vorstellbares, sondern ein Geschehnis durch die Unverborgenheit des Seienden. Nur mit einem solchen Vollzugs- und Geschehnis-Verständnis ist ein Zugang zu Heidegger überhaupt möglich. Das Sein selbst ist es, das erscheint oder in der Vergessenheit zu bleiben beliebt. Die konsequente Verschiebung, die ein Humanismus dadurch erfährt, illustriert der berühmte Humanismusbrief, den Martin Heidegger 1946 an Jean Beaufret geschrieben hat und mit dem er – wie erwähnt – in die durch Jean Paul Sartre entfachte Humanismusdiskussion in der Nachkriegszeit eingriff. Völlig konträr zu Sartres Motto vom Vorrang der Existenz vor der Essenz und seiner Überzeugung, dass der Mensch nichts anderes ist »als wozu er sich macht«, rückte Heidegger den Menschen in eine passive Rolle. Der Mensch sei mit seinem Status eines homo faber stets falsch beschrieben worden. Ihm komme der Rang eines »Hirten des Seins« zu. Ja, er sei ein Höriger des Seins: »Das Denken ist zugleich Denken des Seins, insofern das Denken dem Sein gehörend, auf das Sein hört.« Und: »Der Mensch muß, bevor er spricht, erst vom Sein sich wieder ansprechen lassen auf die Gefahr hin, daß er unter diesem Anspruch wenig oder selten etwas zu sagen hat.« In einer der modernen Auffassung diametral entgegengesetzten Weise kommt der Mensch in sein eigentliches Wesen (das ist das neue Verständnis von Humanismus) in der Lichtung des Seins, über die der Mensch jedoch keine Verfügungsmacht hat, sondern in die er »geworfen« ist. »Das Stehen in der Lichtung des Seins nenne ich die Ek-sistenz des Menschen. […] die Eksistenz ist das, worin das Wesen des Menschen die Herkunft seiner Bestimmung wahrt.« Damit hat Heidegger auch eine Abkehr von der modernen Perspektivität durchgeführt, die mit der Selbstverfügung des Subjekts zusammenhängt: »Das Ende jeglicher Perspektivität zeichnet sich dann ab, wenn sich der Deutende in seinem Deuten auf Dies und Das nicht mehr vor sich selbst bringen kann, wenn das Selbstsein durchnichtet ist und nicht mehr aus dem Grunde währender Anwesenheit begegnende Mannigfaltigkeit in seine Einheit zurückbeziehen kann.«

Schmidinger 1985, 328–342

Veyne 2009b, 84

Solche Aussagen Heideggers lösten – wie offenbar immer, wenn der Mensch in seiner Selbstverfügung zurechtgestutzt wird – in der Mitte des vergangenen Jahrhunderts auch eine intensive theologische Rezeption aus, die allerdings (zur Ehre der Theologie sei das gesagt) in eine Sackgasse mündete. Das Seinsverständnis Heideggers hat nämlich auch mit einem Gott, gar einem personalen Gottesbegriff, dessen Gegenüber ja wieder einen freien Menschen erfordert, nichts zu tun. Treffender könnte man schon von einer »raffinierten Gnosis«, einer »Theologie ohne Gott« sprechen.

Verborgenheit des Seins

Heidegger 1928, 281 Heidegger 1976a, 87

Heidegger 1977, 81

Heidegger 1978, 11

Ebenso wie das Verhängnis der Seinsvergessenheit einem anonymen Geschick zugeschrieben wird, unterliegen auch Verbergung und Offenbarwerden des Seins einem geschicklichen Zusammenhang. Das Sein ist – so hörten wir bereits – wesenhaft verborgen. Um dies in der Philosophiegeschichte zu gründen, verwies Heidegger immer wieder auf Heraklits einschlägiges Fragment 123, das er in mehreren Varianten ins Deutsche übertragen hat: »Das an sich Seiende und sein Wesen liebt es, sich zu verbergen, in der Verborgenheit zu bleiben.« Oder: »Sein (aufgehendes Erscheinen) neigt in sich zum Sich-verbergen.« Und schließlich: »Das Sich-verbergen ist das innerste Wesen der Bewegung des Erscheinens.« Die Verborgenheit des Seins lässt sich nicht durch den Zugriff des Menschen lichten, der einer vergegenständlichenden Metaphysik entspricht. Dieser falsche Zugang zum Sein setzt sich fort in der Technik, die ein Stellen im Sinne eines Herausforderns durch den Menschen ist. Aber es gibt Rahmen, innerhalb deren diese Seinsentbergung geschehen kann. Zwar ist auch eine recht verstandene Technik (das Wesen der Technik) eine Weise des Entbergens von Wahrheit: »Her-vor-bringen ereignet sich nur, insofern Verborgenes ins Unverborgene kommt.« Die Technik rückt damit in eine enge Beziehung zur Kunst, die im Technikaufsatz eben deshalb umfangreiche Erwähnung findet.

Heidegger 1947, 311

Wichtig wurde die Kunst für Heidegger erst mit der Kehre; in den Schriften vorher spielt sie so gut wie keine Rolle. »Die Sprache ist das Haus des Seins. In ihrer Behausung wohnt der Mensch. Die Denkenden und Dichtenden sind die Wächter dieser Behausung. Ihr Wachen ist die Vollbringung der Offenbarkeit des Seins, insofern sie diese durch ihr Sagen zur Sprache bringen und in der Sprache aufbewahren. Das Denken wird nicht erst dadurch zur Aktion, daß von ihm eine Wirkung ausgeht oder daß es angewendet wird. Das Denken handelt, indem es denkt.« Dieses Ereignis verknüpft Mensch und Sein nicht im Sinne einer (z.B. erkenntnistheoretischen) Abhandlung über zwei Relate, sondern Sein gibt es nur »in jenem je-weiligen Augenblick, in dem es der Mensch – als Dichter und Denker – zur Sprache bringt.«

Leidlmair 1991, 99

Trawny 2003, 119

Ziegler 1998, 12

Die Offenbarkeit des Seins kann nicht distanziert beschrieben werden, also auch nicht in einer logischen Sprachfigur, sondern sie ereignet sich im Dichten und – so können wir ergänzen – in der Kunst. Das dichterische Wort ist eine Folge der Wende vom Dasein zum Sein in Heideggers Philosophie. Hier wird deutlich, wie sehr aus dem Zentrum der Philosophie Heideggers eine Philosophie der Kunst erwächst.

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