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2. „Oikonomikos“

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Für Xenophon waren dies sozusagen die Koordinaten, in denen er sich als Schriftsteller und Historiker bewegte; er hat sich in den kleinen Schriften „Oikonomikos“ und „Hieron“ aus jeweils verschiedenen Perspektiven mit dem Phänomen häuslicher und öffentlicher, politischer Macht auseinander gesetzt. Er hat dabei auch seine eigenen Erfahrungen, die er im Rahmen des Feldzugs Kyros’ d.J. sammeln konnte, in seine schriftstellerische Tätigkeit eingebracht – ein Umstand, der ihn einerseits als einen ausgewiesenen Praktiker qualifizierte, der andererseits aber auch zeigt, dass dieser Athener seinen Konkurrenten und auch Vorläufern auf diesem Gebiet überlegen war. Was die Sophisten z.B. über die Macht schrieben, war eher aus der Perspektive der Theoretiker verfasst, die die Praxis nicht im gleichen Umfang wie Xenophon kennen gelernt hatten.

Dies bedeutet aber auch: Xenophon schrieb über die Macht zum Teil zumindest aus eigener Anschauung; er konnte von Sachverhalten erzählen, die er selbst erfahren hatte. Und er war imstande, diese konkreten Erfahrungen in eine allgemeine Form zu gießen, mit dem Ergebnis und der Absicht, dem Leser etwas zu vermitteln, das bei diesem den Eindruck erwecken konnte, allgemeiner Natur zu sein. Dieser Xenophon schrieb in den genannten Schriften über ein anthropologisch relevantes Phänomen.

Wir wollen nun seinem Verfahren, aber auch seinen literarischen Absichten, die er mit den beiden genannten Schriften verbunden hat, etwas nachgehen. Ich will mich auf die Analyse ausgewählter Textpartien beschränken und in einem zweiten Schritt den Versuch unternehmen, ein Modell der Macht und die Theorie, die Xenophon in diesem Zusammenhang entwickelte, zu beschreiben und zu analysieren.

Zuerst der „Oikonomikos“. Diese Schrift gehört zunächst in den weiteren Zusammenhang jener in Athen erschienenen Literatur, in der es in der Zeit von circa 400 bis 350 um ökonomische Probleme des Staates, um die Frage, wie man diese zu lösen habe und um die eher philosophische Problematik, wie sich solche Fragestellungen in einen weiteren, auch ethischen Kontext einordnen lassen, gegangen ist. Xenophons „Oikonomikos“ ist die mit Abstand umfangreichste Schrift zu diesem Thema; die Sokratiker haben sich – so Antisthenes – mit diesen realen ökonomischen Problemen eines Staates, aber auch mit den philosophischen Implikationen dieses Themas durchaus auseinander gesetzt. Das, was wir haben, bildet nur die Spitze eines Eisberges.

Der „Oikonomikos“ war, so betrachtet, nichts, was die literarische Tradition revolutionierte; aber diese Schrift machte, soweit wir dies aufgrund unseres Kenntnisstandes sagen können, ernst mit einigen Problemen, die in den weiteren Kontext des ökonomischen Denkens dieser Zeit gehörten; genauer gesagt: Xenophon versuchte, vielleicht als erster, die Ökonomie in einer philosophischen Weise zu behandeln. Zu diesem Zweck ließ er in seinem Dialog Sokrates als einen Fachmann in ökonomischen Fragen auftreten. Mit dieser Konstellation bestätigte sich zum einen eine Literaturform, die die sokratische Literatur dominierte: Sokrates, das große Vorbild der Sokratesschüler, im Gespräch mit anderen, in der Lage, die Wahrheit auch in ökonomischen Dingen zum Vorschein zu bringen, und jene Person, der es immer gelang, hinter die Fassade zu blicken, die Philosophie auch in diesem ökonomischen Bereich als Lebenshelferin, aber auch als das Gewissen einer Stadt auftreten zu lassen.

Zum anderen wurde damit dem Leser von vornherein etwas klar: Diese sokratische Schrift sollte einen Beitrag leisten zur Frage, wer denn dieser Sokrates eigentlich war, was ihn in Athen umtrieb, welche Gedanken er sich auch zur Ökonomie der Stadt Athen machte. So betrachtet, konnte diese Person auch als ein loyaler Bürger seiner Heimatstadt in Erscheinung treten – ein Motiv, das auch die „Memorabilien“ dominierte. Beide Schriften wurden auf diese Weise direkt miteinander vergleichbar.

Welchen Begriff von Macht kann man nun aus dem „Oikonomikos“ erschließen? Zunächst wird man feststellen, dass Xenophon Macht nirgends explizit definierte. Sie war in diesem sokratischen Diskurs und Dialog sozusagen immer schon da; sie war ein Phänomen, das man sprachlich eingrenzen und auf das man sich in der Sprache beziehen konnte.

Das Gespräch zwischen Sokrates und Kritobulos begann ganz „sokratisch“; Sokrates stellte die Frage, ob die Ökonomie ein Wissen darstelle, in Analogie zu anderen Technai, also Künsten und Handwerken. Damit war die Basis für den weiteren Verlauf des Gesprächs vorläufig gelegt: Die Kunst der Hausverwaltung als eine rationale Kunst, die eigenen Gesetzen gehorche und die imstande sei, sich auch auf den öffentlichen Bereich auszudehnen.

Mit dieser Ausdehnung war der Begriff „Ökonomie“ gleichzeitig erweitert. Sie repräsentierte in dieser Schrift eine Technik der Haus- und der Staatsverwaltung; dies wurde nirgends explizit gesagt, doch die Definition des guten Ökonomen, die Sokrates in 1,15 gab, machte klar, dass es sich um eine Kunst handelte, die im privaten und öffentlichen Bereich kompetent war. Dies bedeutete auch: Xenophon ließ von seinem Sokrates einen Begriff der Ökonomie entwickeln, der an die Stelle einer zu engen Definition treten sollte.

Damit war die Voraussetzung geschaffen, um an einer späteren Stelle (21,2) die Ökonomie auf die gleiche Ebene wie die Politik, den Ackerbau und die Kriegskunst zu stellen. Was bedeutete dies für den Begriff „Ökonomie“? Zum einen, dass Ökonomie in eine enge Verbindung mit der Politik gebracht wurde; Xenophons Sokrates sagte an dieser Stelle ausdrücklich, diesen Künsten sei gemeinsam, dass sie die Fähigkeit zur Herrschaft in sich trügen. Ökonomie konnte somit zu einer Kunst avancieren, die fähig zur Herrschaft sei, zu einem Bereich, in dem sich politische Macht ausüben lasse.

Wenn wir die besprochenen Stellen überblicken, zeigt sich folgendes: Der Sokratiker Xenophon intendierte im „Oikonomikos“ eine Aufwertung der Ökonomie; er wollte gleichzeitig zeigen, dass diese einen legalen Anspruch habe, den Zugang zu politischer Macht zu erlangen. Als eine Kunst, die rationalen Regeln gehorchte, war sie – so die Botschaft des Autors – imstande, in Konkurrenz zu anderen „politischen“ Künsten zu treten.

Damit war aber auch die Möglichkeit gegeben, den Begriff der Macht auszuweiten. Macht konnte durch den Hinweis in 21,2, es handle sich um ein Phänomen, das mehrere Künste und Handwerke kennzeichne, zu einem geradezu universalen Begriff werden, zu etwas, das den gesamten Lebensraum des Menschen kennzeichnet. Macht wurde zu seinem Resultat von Ökonomie, umgekehrt zu einer wichtigen Voraussetzung, um sich in politisch relevanten Künsten erfolgreich zu betätigen. - Xenophon hat, wie bereits erwähnt, diese Macht in seinem „Oikonomikos“ nirgends definiert. Er hat es dem Leser überlassen, sich ein Bild zu machen.

Er hat aber sehr wohl Anmerkungen zu diesem Phänomen gemacht, die zeigen, dass er einige Konstanten in seinem Denken zu diesem Thema hatte. Ein zentraler Gedanke war der, dass Macht nur dann gut sei, wenn sie gegenüber Freiwilligen ausgeübt werde (21,12). Dieser Gedanke spielte eine zentrale Rolle in seiner „Kyrupädie“, er findet sich ebenfalls in den „Memorabilien“ – eine der wichtigsten Konstanten im politischen Denken Xenophons. Im „Oikonomikos“ sagte sein Sokrates, dies sei Kennzeichen einer „königlichen Kunst“, nur von Wenigen realisierbar und Ausdruck einer besonderen Besonnenheit, die nur Wenigen verliehen sei. Das war durchaus sokratisch gedacht – man denke nur an Platons Versuch im „Politikos“, den wahren, guten Politiker zu definieren; man kann aber auch an Antisthenes erinnern, der zumindest einen Dialog über den persischen Reichsgründer Kyros verfasst hatte, der teilweise das Anschauungsmaterial für Xenophons „Kyrupädie“ lieferte. Die Fragen nach dem Wesen von Macht, nach der richtigen Ausübung derselben, danach, wie man sie richtig handhaben solle, welches Wissen vonnöten sei – all dies gehörte in den siebziger und sechziger Jahren des 4. Jahrhunderts in den Horizont der politischen Literatur der Griechen, wurde philosophisch reflektiert.

Die Antwort, die Platon gegeben hatte und die in gewisser Weise für die sokratische Literatur kanonisch wurde, lautete: Macht und Politik sind ein Bereich, der sich wesentlich von anderen Bereichen und Künsten unterscheidet; der, der mit moralischen Grundsätzen diese Macht ausüben will und dazu imstande ist, muss über Wissen verfügen, das nicht jedem zugänglich ist. Die „königliche Kunst“ des Regierens kann nur dann in die Tat umgesetzt werden, wenn Macht, Wissen und Moral eine Verbindung eingehen, die eine gefährliche Dichotomie von Wissen und Macht verhindert. Wertneutrales Wissen kann es unter diesen Prämissen nicht geben. Es muss gebunden werden durch ein moralisches Bewusstsein, das verhindert, dass der Träger dieses Wissens skrupellos von diesem Gebrauch macht und auf den eigenen Vorteil statt auf den der Mehrheit blickt.

Xenophon

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