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4. Ein Modell

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Wenn wir das Gesagte überblicken und uns die Frage nach dem Modell der Macht bei Xenophon stellen, so zeigt sich folgendes:

Zunächst wird man feststellen, dass Xenophon selbst nicht von einem Modell gesprochen hat. Gleichwohl ist man berechtigt, ein solches zu rekonstruieren. Was der Dialog „Hieron“ bietet, sind die Bausteine eines derartigen Modells.

Im Zentrum stand die Vorstellung, ein Herrscher habe in besonderem Maße soziales Verhalten an den Tag zu legen. Macht verpflichtet, große Macht verpflichtet in einem besonderen Maße. Für den Mächtigen gelten partiell andere Bedingungen als für die „normalen“ Bürger.

Ein Herrscher hat die Rolle eines Vaters zu spielen; dieser Gedanke tauchte im „Hieron“ nicht auf. Er wurde von Xenophon jedoch mehrmals in der „Kyrupädie“ ins Spiel gebracht.

Wer große Macht ausübt, hat sich jederzeit über die Konsequenzen seines Handelns im Klaren zu sein. Die Vernetzung von Macht, die durch eine Vielzahl von Beziehungen zustande kommt und die auch in einem besonderen Maße auf Hierarchien beruht, führt dazu, dass die Mächtigen in einer intensiven Art und Weise auf das Verhältnis von Macht und Moral zu reflektieren haben. Der Dialog „Hieron“ ist sozusagen der Diskurs gewordene Versuch, sich über diese Vernetzung Klarheit zu verschaffen.

Wer mächtig ist, steht in der Regel nicht in einem symmetrischen Verhältnis zu den Regierten. Daraus erwächst die Aufgabe, solche asymmetrischen Verhältnisse so zu gestalten, dass die Asymmetrie zwar nicht beseitigt, aber gemildert wird. Die gegen Ende des Dialoges entwickelte Freundschaftslehre will dazu einen Beitrag leisten. Die Griechen haben sich in einem besonderen Maße Gedanken über das Wesen von Freundschaft, über die Implikationen, die sich aus der Relation zwischen Mächtigen und weniger Mächtigen ergeben, gemacht.

Auch der „Hieron“ leistet dazu einen Beitrag. Xenophon hat es in diesem Dialog in einem bemerkenswerten Maße verstanden, die Korrelation, aber auch diese asymmetrischen Verhältnisse zwischen der politischen und persönlichen Macht und den Mitgliedern einer Polis herauszuarbeiten, bewusst zu machen und auf diesem Wege neue Lösungen anzubieten.

Zum Schluss die Frage, welche Intentionen Xenophon mit dieser Schrift verband. Wenn man akzeptiert, dass es sich hierbei um ein Modell von Macht handelt, wird man sagen können, dass der Sokratiker so etwas wie einen Leitfaden oder ein kleines Handbuch liefern wollte. Die aufgeklärten politisch Mächtigen konnten sich an einem solchen sokratischen Dialog orientieren. Sie konnten erkennen, dass der rationale Diskurs imstande sein kann, Vorurteile, Missverständnisse und unbedachte Böswilligkeiten aus dem Bereich der Politik auszuräumen. Dies klingt vielleicht idealistisch. Xenophon war zwar im wesentlichen Realist und zugleich Pragmatiker, aber er hat in seinem Werk auch idealistische Komponenten. Ein besonders einprägsames Beispiel liefern die „Kyrupädie“ und die „Memorabilien“. Aber auch den „Hieron“, einen der ersten Versuche in der griechischen Literatur, sich Klarheit zu verschaffen über ein machtpolitisches Problem, mit dem die Griechen tagtäglich konfrontiert wurden, wird man dazu rechnen können.

Xenophon hat darüber hinaus noch etwas Anderes sichtbar machen wollen: es gehöre zum Wesen der Macht, dass sie in jeder menschlichen Gemeinschaft entstehe; es gehöre auch dazu, dass die Mächtigen jederzeit an sich arbeiten müssen – eine Art Beitrag, um sozusagen zu sich selbst zu finden und um den Umgang mit den Regierten so zu gestalten, dass diese ständige Herausforderung mit Erfolg in Angriff genommen werden kann.

Schließlich zeigt dieser Dialog zwischen dem Weisen und dem Herrscher: Macht ohne Moral kann früher oder später ins Abseits fuhren; sie provoziert den Widerspruch der mündigen Bürger, und sie führt dazu, dass machtpolitische Ziele keine moralische Rechtfertigung mehr erfahren können. - Auch in dieser Beziehung beanspruchte der kleine Dialog Xenophons, richtungsweisend zu sein. An die Adresse der Mächtigen erging zumindest indirekt der Appell, sich der moralischen Grundlagen von Macht bewusst zu sein und sich in der Öffentlichkeit, aber auch im privaten Bereich so zu verhalten, dass das Amt des Herrschers als eine Art Vorbild dienen könne.

So verstanden, war dieser Dialog zwischen Simonides und Hieron auch als ein Beitrag eines Sokratikers zu drängenden Fragen der Zeit zu verstehen, als ein beachtenswertes Mittel, mit dem Xenophon vielleicht in eine in Athen laufende, also aktuelle Diskussion eingreifen wollte. Die athenische Demokratie fragte immer wieder nach ihren Grundlagen; die Diskussion zwischen einem der berühmtesten Tyrannen überhaupt und dem Weisen konnte demnach neue Argumente von einer ganz anderen Seite liefern, um athenischen Politikern in einer Demokratie die Schwierigkeiten ihres Amtes, aber auch die lohnenden Aussichten bewusst zu machen.

4 Literatur: V.Azoulay, Xénophon et les graces du pouvoir, 2004. Vgl. ferner aus der älteren Literaur: V.J.Gray, Xenophon’s Hiero and the Meeting of the wise Man and Tyrant in Greek Literature, CQ 36, 1986, 115--23. (dort S. 115, A.l ältere Literatur). S.B.Pomeroy, Xenophon, Oeconomicus, A social and historical Commentary, Oxford 1994. - Ferner die beiden Klassiker E.Barker, Greek political Theory, 1960 (11918), T.A.Sinclair, A History of Greek political Thought, 1951. L.Strauss, Über Tyrannis, 1963. - Neuerdings C.J.Tuplin (Hrsg.), The World of Xenophon, Historia Einzelschriften 172, 2004. Darin vgl.: M.Sordi, Senofonte e la Sicilia, 71-78.

5 Zu Anthropologie und Geschichtsschreibung vergleiche man besonders den Epitaphios des Perikles bei Thukydides 2,35ff.

6 Zu den Fürstenspiegeln dieser Zeit vgl. P.Hadot, Fürstenspiegel, in: RAC 8,1972, 555-632.

7 Dies war mithin ein Versuch, der eine Reihe von Parallelen in der sokratischen Philosophie aufzuweisen hat: Platons „Politeia“, Antisthenes’ „Kyros“, Xenophons „Kyrupädie“. – Zu vergleichen aber auch der Fürstenspiegel „An Nikokles“ des Isokrates, ferner seine Reden „Nikokles“ und „Euagoras“.

8 Vgl. auch Cyr.8,7,13 und unten XI. „Hellenistische Herrschertheorie.“

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