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»In Spanien wird gerade erklärt, dass ich nicht mehr bei Sinnen bin.« Johanna I. von Kastilien (und Léon), Königin

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(1479 bis 1555)

»Die Wahnsinnige aus Liebe« – »La Loca d’Amor« – wird die 1479 geborene Johanna auch heute noch im spanischen Volksmund genannt. Die Tochter Isabella von Kastiliens (1451–1504) und rechtmäßige Königin hatte, so jedenfalls verlangte es das Herrscherhaus, das große Erbe ihrer Mutter weiterzuführen – alles andere als eine wünschenswerte Aufgabe und mehr eine Bürde. Als sie am 6. November 1479 in Toledo das Licht der Welt erblickte, waren ihre Eltern, Isabella und Ferdinand II. von Aragon, bereits weltberühmte Herrscher, die schon den Grundstein für das Reich, »in dem nie die Sonne untergeht«, gelegt hatten. Von ihrer Mutter, die tiefreligiös war, wurde Johanna streng und entbehrungsreich erzogen. Wenig Zuckerbrot, dafür viel Peitsche, so könnte man wohl nennen, was die kleine Tochter in den ersten Lebensjahren erfuhr. Der Beichtvater der Mutter war der fanatische Großinquisitor Tomás de Torquemada, der sich voll und ganz der Jagd und Folter Un- oder Andersgläubiger verschrieben hatte. Wahrscheinlich war auch die kleine Johanna bei Hinrichtungen auf öffentlichen Marktplätzen anwesend, und sie war dreizehn Jahre alt, als Kolumbus im Dienste der spanischen Krone den Seeweg von Europa nach Ostasien suchte und dabei, jedes Schulkind weiß es heute, Amerika entdeckte.

All das führte auch dazu, dass Johanna der Religion zeit ihres Lebens mehr als kritisch gegenüberstand und sich nicht nur einmal, sondern vielfach geweigert hatte zu beichten. Ihre Idealvorstellung war es, irgendwann vollkommen frei von irgendwelchem klerikalen Zwang regieren zu können.

Johannas Mutter wiederum war bekannt für ihre Launen und ihre cholerischen Anfälle. Ein Hofmitarbeiter meinte, dass es Tage gäbe, da solle man am besten einen ganz weiten Bogen um die Monarchin machen. Das Verhältnis zur Mutter war demnach vor allem von Angst und beinahe ungesundem Respekt geprägt – und natürlich stellt das etwas mit der Psyche eines jungen Menschen an. Als Johanna in die Pubertät kam und sich der Blick auf das andere Geschlecht langsam veränderte, entschieden sich die Eltern, sie zu verheiraten. Eine pragmatische Hochzeit mit Philipp dem Schönen, Sohn Kaiser Maximilians I. und Marias von Burgund und Flandern. Eine machtpolitisch natürlich überaus sinnvolle Heirat, weil der habsburgische Einfluss in beiden Regionen dadurch gefestigt und der Erzfeind Frankreich weiter geschwächt wurde, allerdings wurde bald klar, dass diese Verbindung unter keinem guten Stern stand. Zu Beginn sahen sich die beiden für lange Zeit überhaupt nicht. Die Ehe wurde im spanischen Valladolid per procurationem vollzogen – das heißt nichts anderes, als dass ein Stellvertreter kam. Ein Gesandter Philipps war statt seiner anwesend und vollzog auch den Sexualakt der ersten Ehenacht nach dem damaligen Gesetz in solchen Fällen, nämlich indem er sein nacktes rechtes Knie unter die Decke steckte, unter der Johanna lag, dann überreichte der Gesandte der jungen Johanna einen Brief Philipps, den dieser mit »Euer Euch heiß liebender Philipp« unterschrieben hatte. Für unsereins wäre ja so eine Art der Heirat und die anschließende Kniegeschichte wahrscheinlich beste Voraussetzung, um gleich danach eine Gesprächstherapie aufsuchen zu müssen. Und auch Johanna stresste die Zeremonie; sie war die Tage danach, wollen wir es einmal unausgeglichen nennen: Sie sprach wenig und wirkte zerfahren.

Am 22. August 1496 stach eine riesige spanische Flotte von hundert Schiffen und über tausend Soldaten und Gefolgsleuten in Richtung Burgund in See. Man wollte, so Königin Isabellas Plan, die französische Krone damit beeindrucken und die Braut zu ihrem Gemahl bringen. Johanna, die das erste Mal eine so weite Strecke reiste, wurde schwer seekrank und die gesamte spanische Armada geriet auch noch in ein furchtbares Unwetter. Dutzende Schiffe sanken und rissen etliche Seefahrer in den Tod. Schließlich kam die von der Reise geschwächte Johanna im Hafen von Antwerpen an und bekam zu hören, dass Philipp gar nicht da sei und erst in gut einem Monat kommen würde. Johanna verstand die Welt nicht mehr. Sie wurde im Kloster von Lier untergebracht, wo sie, bei Dauerregen und kühlem Wetter, über vierzig Tage auf ihren Ehemann wartete und dabei in eine tiefe Depression verfiel. Schließlich, am 12. Oktober 1496, traf Philipp ein und das Brautpaar sah sich zum ersten Mal – und, ja, verliebte sich heftig ineinander. Sofort wurde die Hochzeit nun tatsächlich gefeiert, da Philipp nicht länger warten wollte. Die Frischvermählten zogen sich sogleich in die Klosterzelle zurück und verließen vier Tage das Bett nicht. Die Protokolle, die vorgesehen waren, wurden ignoriert, sehr zum Ärger vieler Würdenträger, die dem jungen Brautpaar animalisches Getue vorwarfen – freilich hinter vorgehaltener Hand.

Bis zum Sommer des Jahres 1498 hörten Isabella und Ferdinand in Spanien kein Sterbenswörtchen von ihrer Tochter und nun machte sich selbst die nicht unbedingt fürsorgliche Mutter Sorgen. Viele Briefe waren unbeantwortet geblieben, das Königspaar konnte nicht wissen, dass der Schwiegersohn dafür sorgte, dass Briefe aus Spanien zunächst ihm vorgelegt wurden und er erst nach eingängiger Prüfung entschied, ob sie Johanna gegeben werden sollten oder nicht. Sie war zu dieser Zeit gerade schwanger, Philipp war selten zu Hause, auch der eine oder andere Seitensprung kam vor und so fühlte sich die junge Spanierin vernachlässigt und einsam. Und was er sich bei Johanna schwangerschaftsbedingt nicht holen konnte, das holte er sich eben woanders. Ein Zeitgenosse schrieb über Philipp: »Nichts erschien ihm besser als hübsche Weibsgesichter. Sie bringen ihn von Bankett zu Bankett und von einer Dame zur nächsten.«

Bereits damals zeigten sich bei Johanna Signale einer Manie. Sie wusch sich nicht, ließ ihr Äußeres verkommen, schlich schwermütig in ihren Zimmern herum. Ihre Mutter Isabella schickte schließlich den Dominikanermönch Tomás de Matienzo nach Flandern, damit dieser nach dem Rechten sah und den Eltern in Spanien über die Ehe, über Johanna und auch über die Geschäfte Philipps Bericht erstattete. Matienzo teilte unverblümt mit, dass Johanna »schwermütig und niedergeschlagen« sei, weil Philipp so selten da und seit der Geburt des ersten Kindes, Eleonore, im November 1498 auch verärgert sei, da er sich einen Jungen, den klassischen Stammhalter, erhofft hatte. Philipp lasse den Ärger an Johanna aus, lasse sie um seine Anwesenheit regelrecht betteln, gehe regelmäßig fremd, nicht nur mit Mätressen, sondern auch mit Prostituierten, und liebe es, über Johanna »wie über eine Dienerin« zu gebieten. Dies alles hatte zur Folge, dass diese mittlerweile unter schweren Depressionen litt: Bereits im Spätsommer 1498 war Isabella, die Schwester Johannas, bei der Geburt ihres Sohnes Miguel da Paz, dem Thronfolger von Portugal, Kastilien und Aragonien verstorben. Johanna nahm ihren Tod zur Kenntnis. Mehr aber auch nicht. Die manischen Depressionen, möglicherweise also ein Indiz für eine bipolare Störung, waren bei Johanna mittlerweile unübersehbar geworden. Ein Priester bemerkte, dass sie so »furchtsam« erscheine, »dass sie nicht einmal den Kopf heben konnte«.

Am 24. Februar 1500 – es ist das Fest des heiligen Mathias in Gent, der Höhepunkt des Karnevals – erschien die erneut hochschwangere Johanna an der Seite Philipps. Sie wollte in erster Linie deshalb kommen, weil ihr Mann ernstlich überlegt hatte, mit seiner Geliebten Susanna von Limburg diesem Fest beizuwohnen. Mitten im Tanz setzten jedoch die Wehen ein, dann geschah alles ganz rasch, und keine dreißig Minuten später war der Thronfolger und als Herrscher über die Maßen einflussreiche Sohn Karl (der spätere Karl V., Kaiser des Heiligen Römischen Reiches) geboren.

Zurück in Flandern fühlte sich Johanna keineswegs wohl und das Verhalten Philipps war weiterhin sehr distanziert. Als die junge Johanna eines Tages auf die Mätresse Philipps trifft, greift sie ihre Rivalin mit einer Schere an und schneidet an ihrem Haar herum, als diese sich zu wehren versucht, sticht ihr Johanna ins Gesicht. Ein Chronist schrieb später: »So aufgebracht war die Prinzessin, dass sie wie eine rasende Löwin ihre Feindin aufs Korn nahm und, so wird erzählt, sie verletzte und misshandelte und dann befahl, dass ihr Haar bis auf die Wurzeln geschoren werden sollte.« Daraufhin überschlugen sich die Ereignisse:

Am 20. Juli 1500 starb der spanische Thronfolger, Isabellas Enkel Miguel und Johannas Neffe, nicht einmal zweijährig, wodurch Johanna plötzlich rechtmäßige Erbin des Königreiches von Kastilien und Aragon wurde, zu dem mittlerweile auch die spanischen Überseegebiete zählten. Isabella wollte ihre Tochter und ihren verbliebenen Enkel Karl also so rasch wie möglich in Spanien wissen, das aber passte Philipp wiederum gar nicht, da dieser ganz andere Pläne hatte. Er wollte Karl mit der zweijährigen Tochter Ludwigs XII. von Frankreich, Claude, vermählen lassen, um das Näheverhältnis Burgunds zur französischen Krone noch weiter zu festigen. Die Folge dieses Interessenkonflikts war ein Zerwürfnis des Ehepaars, dennoch schwängerte Philipp in einem Wolllustanfall und unter beträchtlichem Alkoholeinfluss Johanna ein drittes Mal, sodass sie erst einmal nicht nach Spanien zu ihren Eltern reiste. Am 18. Juli 1501 kam, Johannas Mutter zu Ehren, Töchterchen Isabella zur Welt. Philipp willigte schließlich ein, mit nach Spanien zu kommen, allerdings ohne die Kinder, in erster Linie aus machtpolitischem Kalkül. Über alle Geschehnisse am spanischen Hof, und seien sie auch noch so trivial, wollte er Bescheid wissen. Man könnte glatt von bedeutendem Gossip sprechen, den er zu erfahren wünschte.

Im Oktober 1501 brach man mit riesigem Aufwand und über hundert Gepäckkarren auf, machte noch einen kurzen Zwischenstopp am französischen Königshof. Im Januar 1502, nachdem man in Sänften die Pyrenäen überquert hatte, kam man in Spanien an, wo Philipp an den Masern erkrankte, weswegen das Königspaar mitsamt ganzer Gefolgschaft in einem kleinen spanischen Dörfchen Halt machen musste. Am 9. Mai 1502 erreichten sie schließlich Toledo, wo sie von Ferdinand und Isabella in Empfang genommen wurden. Rasch wurde klar, dass Philipp sich gar nicht wohlfühlte im Heimatland seiner Frau. Er lehnte die Sprache, das Essen, die Menschen ab und wollte möglichst schnell wieder weg. Johanna war zu diesem Zeitpunkt schon wieder schwanger – im März 1503 wurde Ferdinand, der später seinen Bruder Karl beerben sollte, geboren. Isabella lehnte es aufgrund der Schwangerschaft ab, dass ihre Tochter Philipp, der äußerst wichtige Staatsgeschäfte als dringenden Abreisegrund angab (also vorschob), nach Flandern zurückbegleiten würde, nicht, bevor das Kind geboren war.

Mitte Dezember verließ Philipp Spanien also ohne seine Frau. Was er in der Folge versuchte, grenzt im Nachhinein an blanken Übermut. Er reiste nicht nach Flandern, sondern nach Frankreich und weiter zu Maximilian I. nach Innsbruck, wo er vorlaut ein Bündnis zwischen Spanien und Frankreich absegnete – eine Bevollmächtigung, zu der er gar keine Befugnis hatte und die das Königspaar am spanischen Hof zur Weißglut brachte. Johanna zog sich indes wieder einmal zurück, erlitt wohl einen neuerlichen heftigen depressiven Schub. Wir wissen, dass Geisteskrankheiten und psychische Auffälligkeiten in den Herrschaftshäusern der Habsburger und spanischen Bourbonen immer wieder aufgetreten sind. Johannas Urenkel, Don Carlos etwa, wurde aufgrund seiner Geistesschwäche vom eigenen Vater »weggesperrt« – eine Parallele zu Johannas Leben, dazu weiter unten mehr.

Doch zurück nach Kastilien. Im Mai 1504 reiste Johanna schließlich, nachdem ein Brief Philipps aus Flandern kam, sie möge möglichst schnell zurückkommen, aus Spanien ab. Sie verließ ihr Geburtsland mit Skrupeln, da ihre Mutter Isabella schwer erkrankt war und der Einfluss ihres Vaters Ferdinand allmählich wuchs und sich abzeichnete, dass er seiner Tochter den Thron von Kastilien nicht kampflos überlassen würde. Als Johanna in Brüssel ankam, kam es zu einem Ereignis, das große Kreise nach sich ziehen sollte. Sie erwischte Philipp in flagranti mit einer jungen blonden, nicht unattraktiven Frau. Ohne zu zögern stürzte sich Johanna wild vor Rage auf die Rivalin, schnitt ihr die Zöpfe ab und verunstaltete ihr Gesicht durch massive und sehr heftige Schläge. Philipp, der dazwischen ging, schlug wiederum auf seine Frau so heftig ein, dass diese daraufhin mehrere Tage das Bett hüten musste. Und so machte das Gerücht um den wachsenden Wahnsinn Johannas die Runde und Philipp beauftragte Vertraute, genau über den Geisteszustand seiner Frau Buch zu führen. Die Protokolle und Aufzeichnungen sandte er auch nach Spanien. Johanna, die mittlerweile krankhaft eifersüchtig war, entließ sämtliche junge Frauen und Mädchen vom königlichen Hof, doch Philipp kompensierte seine Lust, indem er in der Stadt ausschweifende Orgien mit Prostituierten feierte.

Am 26. November 1504 verstarb Königin Isabella und das Testament machte Johanna zur rechtmäßigen Königin von Kastilien. Für den Fall der Abwesenheit oder Unfähigkeit der neuen Königin sollte ihr Vater Ferdinand als König von León, also Nordspanien, die Regierungsgeschäfte übernehmen, bis Enkel Karl, der Thronfolger, das zwanzigste Lebensjahr erreicht haben würde. Philipp wurde mit keiner Silbe im Testament erwähnt. Ein Umstand, der ihn maßlos störte, und weil eine zerrüttete Ehe nicht sinnvoll gewesen wäre, wenn er weiterhin Ambitionen auf den Thron von Aragón und Kastilien haben wollte, arrangierte er sich wieder mit Johanna und zog auch wieder in ihr Schlafzimmer ein, natürlich versprach er leutselig Besserung, was seine Treue anging.

Allerdings waren dies nichts weiter als Lippenbekenntnisse. Philipp ließ viel lieber seine Frau genau beobachten und sich regelmäßig über »Auffälligkeiten« berichten, die an ihrer Zurechnungsfähigkeit zweifeln lassen könnten. Am 3. Mai 1505 schrieb Johanna bemitleidenswert: »In Spanien wird gerade erklärt, dass ich nicht mehr bei Sinnen bin … ich weiß, dass der König, mein Herr und Gemahl, nach Spanien schrieb und sich in irgendeiner Weise über mich beklagte, um sich selbst zu rechtfertigen. Aber jene Angelegenheit sollte nicht über uns Eltern und Kinder hinausgehen … der einzige Grund war Eifersucht.« Johanna wollte ihrem Ehemann dennoch vergeben, immerhin war sie erneut schwanger. Im September 1505 wurde nun das fünfte Kind, Tochter Maria, spätere Königin von Ungarn und Böhmen und ähnlich depressiv wie ihre Mutter, geboren.

Johannas Vater Ferdinand heiratete zwischenzeitlich nur wenige Monate nach Isabellas Tod, fünfzigjährig, die achtzehnjährige Cousine Ludwigs XII. von Frankreich, Germaine de Foix. Ein Thronfolger, den er zu zeugen beabsichtigte, würde in der Erbreihenfolge Johanna und Philipp überholen, dies unterstrich einmal mehr Ferdinands Machtbesessenheit. 1509 wurde tatsächlich Juan, sein Sohn, geboren, allerdings verstarb er bereits nach wenigen Stunden, außerdem war zu diesem Zeitpunkt das Schicksal Johannas längst besiegelt.

Philipp beschloss bereits drei Jahre zuvor, nach Spanien zu reisen, um seine Ansprüche und jene seiner Gemahlin zu vertreten. Johanna war zwar dabei, überließ Philipp aber alle Entscheidungen. Als das Ehepaar ankam, herrschte akute Bürgerkriegsgefahr, so rivalisierend standen sich die zwei Lager hinter Johanna und ihrem Vater mittlerweile gegenüber. Am 27. Juni 1506 unterschrieben Philipp und Ferdinand in Villa Fafila eine nach außen hin freundschaftliche Einigung, durch die sie die erbeutete Macht, also jene, die eigentlich der Tochter, beziehungsweise Ehefrau zugestanden hätte unter sich aufteilten und auch erklärten, dass Johanna unfähig zum Regieren sei.

Johanna forderte in ihrem verwirrten Zustand jedoch weiterhin ein, über das Königreich ihrer Mutter zu herrschen. Und mehr noch. Sie meinte: »Denn ich fordere ja nicht nur eine Stadt, ein Land, eine Kolonie oder eine Insel, sondern die komplette Neuordnung des altbekannten Verhältnisses zwischen Mann und Frau. Ich fordere die halbe Welt.« Eine bemerkenswerte Äußerung, was sie genau damit meinte, bleibt jedoch leider unklar. Aber ihre Worte verhallten sowieso. Man hatte aufgehört, sie auch nur im Entferntesten ernst zu nehmen.

Indes wurde, wie schon erwähnt, Philipp zugetragen, dass Ferdinand an einem eigenen Thronfolger »bastelte«, mit dessen Geburt der Vertrag natürlich ungültig wäre. Dieser Plan von Ferdinand ließ Philipp Verbündete bei Klerus und Adel suchen, um einen militärischen Kampf gegen seinen Schwiegervater auch bestehen zu können. Bei beiden rivalisierenden Männern bestand trotz allem jedoch immer noch Einigkeit darin, dass man Johanna nicht zur Macht verhelfen wollte. Zu dieser Zeit kursierten außerdem Gerüchte, es sei ein Anschlag auf Philipps Leben geplant – Feinde hatte er ja en masse, allen voran Ferdinand – und sein Utrechter Gesandter in Rom schrieb in einem Brief an ihn: »Es gibt keinen Fürsten auf der Welt, der mehr gefährdet ist als Ihr.«

Wenige Wochen, nachdem Philipp sich für einen Bürgerkrieg rüstete, 10 000 Mann im Landesinneren Kastiliens positionierte und alle Vereinbarungen mit Ferdinand, weil er mittlerweile wusste, dass der sich um einen Thronfolger bemühte, für null und nichtig erklärt hatte, bekam er, nach einem Inspektionsbesuch in Burgos, plötzlich hohes Fieber, heftige Schweißausbrüche, Pusteln am ganzen Körper. Am 25. September 1506 verstarb er nach kurzer Krankheit an den Pocken oder den Masern – das bleibt ungeklärt – erst 28-jährig, ohne Schwiegervater und Ehefrau aus dem Weg geräumt und sich selbst als Alleinherrscher auf den kastilischen Thron gesetzt zu haben. Johanna war währenddessen gerade das sechste Mal schwanger. Tochter Katharina, geboren am 14. Januar 1507 wurde später Königin von Portugal. Ferdinand hatte sich gerade in Italien aufgehalten, als er vom Tod Philipps erfuhr und darüber alles andere als unglücklich reagierte.

Der Tod Philipps, eines Opportunisten vor dem Herrn, war die Zäsur für Johanna und ihren Geisteszustand. Sie verfiel in vollkommene Apathie, dann, einige Wochen nach dem Tod ihres Mannes, am 20. Dezember 1506, begab sie sich nach Miraflores, um das Grabgewölbe aufzusuchen, in dem ihr Mann begraben war. Sie verlangte, das Grab zu öffnen, um, wie sie sagte, sicherzugehen, dass der Leichnam nicht schon gestohlen sei. Als die anwesenden Mönche die Graböffnung verweigerten, begann sie, zu kreischen, zu toben, wild um sich zu schlagen. Der Bischof wurde gerufen, um die Königin zu beruhigen, was nicht gelang. Sie warf sich auf den Boden, schrie, wälzte sich, sodass der Bischof doch einlenkte, auch, weil er eine Frühgeburt verhindern wollte (Johanna war noch mit Katharina schwanger), und er ließ den Sarg öffnen. Johanna beruhigte sich und soll, glaubt man den Überlieferungen, den Leichnam innig geküsst haben. Sie beschloss, den Sarg mit dem Leichnam nach Torquemada, einem etwa sechzig Kilometer entfernten Örtchen, mitzunehmen, wo sie vorhatte zu entbinden. Gesagt, getan. Der Sarg wurde von vier Pferden, die sich nur im Schritttempo bewegen durften, gezogen. Den Trauerzug komplettierten, neben Johanna, einige Mönche und Adelige. In der Nacht leuchteten die Mönche mit Fackeln, untertags wurde der Sarg von Soldaten bewacht. Und weil man sich nur mit Schritttempo fortbewegte, benötigte man einige Tage, um in dem Dörfchen anzukommen, wo sie wenig später ihre Tochter gebar. Der Adel war sich unterdessen ob dieser Aktion einig: Die Königin hatte vollkommen den Verstand verloren!

Als man Torquemada allerdings erreicht hatte, waren dort gerade blutige Kämpfe rivalisierender kastilischer Adelsparteien ausgebrochen. Johanna flüchtete samt Begleitung und Sarg in eine Kirche im kleinen Dörfchen Hornillos. Mehrere Male, vor allem, als ein Brand in der Kirche ausbrach, drohte der Sarg mitsamt Inhalt, den sterblichen Überresten Philipps, vernichtet zu werden. Mitten auf dem Höhepunkt von Johannas Manie um den Sarg kam auch noch die Nachricht, dass Heinrich VII. von England sie gerne zur Frau haben wollte. Der Witwer war begeistert von der Fruchtbarkeit Johannas und hielt sie darüber hinaus für eine durchaus attraktive sowie machtpolitisch interessante Frau – sie konnte den Tudors den Anspruch auf den spanischen Thron sichern. Johannas Vater Ferdinand jedoch, das politische Kalkül durchschauend, lehnte den Antrag ab. Währenddessen traf Johanna am 29. August 1507 mit dem Leichenwagen ihres verstorbenen Ehemannes in Tordesillas ein, wo sie ihren Vater erstmals seit langer Zeit wiedertraf, und dieser war entsetzt vom Aussehen seiner Tochter. Abgemagert, wirres Haar, offensichtlich verwahrlost. In einer ausführlichen Unterredung mit Ferdinand, der sich fortlaufend über den Geisteszustand seiner Tochter hatte informieren lassen, übertrug diese ihm schließlich offiziell die Regierungsgeschäfte.

Im Sommer 1508 berichtete der Bischof von Málaga an Ferdinand, nachdem er Johanna getroffen hatte: »Der Mangel an Reinlichkeit in ihrem Gesicht und, wie man sagt, auch an anderen Stellen ihres Körpers, ist sehr groß. Sie isst mit den Tellern auf dem Fußboden, ohne Tischtuch oder Schüsseln.« Er bat in dem Schreiben weiters, aus, wie er meinte, Sorge um Johanna, ihm die Obsorge über die gefallene Königin zuzusprechen. Ihr Vater Ferdinand reagierte auf den Brief jedoch anders, wesentlich radikaler, und verbannte seine Tochter ab 1509 direkt auf die Festung Torsedillas, etwa dreißig Kilometer südlich von Valladolid, wo sie schließlich die letzten 46 Jahre ihres Lebens verbringen sollte. Er versicherte seiner Tochter, dass alles zu ihrem eigenen Schutz passiere und dass sie auf diese Art und Weise auch in unmittelbarer Nähe zum Grab Philipps sei. Es wird angenommen, dass Johanna sehr wohl wusste, was auf sie zukommen würde, und es still ertrug. Zu Beginn ihrer Gefangenschaft, später weitgehend isoliert, hatte sie noch Kontakt zu ihrer Tochter Katharina haben dürfen, die auch im Schloss lebte, allmählich aber verbrachte sie ihr Dasein gänzlich alleine, einziger menschlicher Kontakt war der Kerkermeister Mosén Luis Ferrer, der Johanna schwer misshandelte, wenn sie sich seinen Befehlen widersetzte, sicherlich in der Annahme, die Königin sei vom Teufel besessen. Zahlreiche Exorzismen wurden im Laufe ihrer Gefangenschaft an ihr vorgenommen, die sie widerstandslos über sich ergehen ließ.

Ihre Tochter Katharina lebte, wie bereits erwähnt, bis 1525 in einem separaten Zimmer bei ihr, nur kurz unterbrochen, als ihr Bruder Karl, den sie Jahre nicht gesehen hatte, sie aus der Festung entführen ließ, nachdem er seine Mutter im November 1517 besucht hatte. Er wollte Johanna nach dem Tod Ferdinands (dieser war 1516 64-jährig nach einer Überdosis Potenzmittel verstorben) zum Verzicht auf den Thron zu seinen Gunsten bewegen, sah Katharinas armselige Kleidung und das ungepflegte Äußere und beschloss zu handeln. Was er sich nun genau von dieser Aktion erhofft hatte, bleibt freilich unklar. In jedem Fall ging sie nach hinten los, denn als Johanna mitbekam, dass ihre Tochter, der letzte Halt, der ihr geblieben war, verschwunden war, verfiel sie in abwechselnd in totale Apathie und in schwere Manie, also wurde die Tochter wieder zurückgebracht, und sie verließ ihre Mutter erst, als sie mit Johann III., König von Portugal verheiratet wurde. Alle anderen Kinder sah Johanna bis zu ihrem Tod nur noch drei Mal.

1518 ließ sich Karl, trotz des Protests einiger einflussreicher Adelsvertreter, auch ohne Zustimmung seiner Mutter als alleiniger König von Kastilien bestätigen. Seine Mutter protestierte immer wieder: »Ich allein bin Königin und mein Sohn Karl nichts als der Prinz.« Unter dem Einfluss vieler falscher Berater tat Karl derweil nichts für eine Verbesserung der Lebensbedingungen seiner Mutter, auch wurde Johanna absichtlich und aus politischem Kalkül heraus falsch über die laufenden Geschehnisse informiert. Sie wurde zudem am Besuch der Heiligen Messe gehindert. Die Königin verwahrloste zunehmend. Kurz während ihrer Jahrzehnte in Gefangenschaft, schien es einen Lichtstreif zu geben, als der Widerstand gegen Karl im Land wuchs und Rebellen im Jahr 1521 Torsedillas einnahmen und Johanna auf den Thron forderten. Diese war allerdings viel zu verwirrt, sodass sie kaum mit dieser Situation umzugehen wusste. Und wenig später wurden die Rebellen bei Villalar vernichtend geschlagen.

Johanna starb schließlich, ohne jemals wirklich regiert zu haben, über drei Jahrzehnte später am 12. April 1555, einem Karfreitag, an den Folgen schwerer Verbrennungen, die im Zuge der vollkommen unangebrachten Behandlungsmethoden ihrer Krankheit durchgeführt wurden. Es war damals üblich, die geschwollenen und wundgelegenen Gliedmaßen mit brühend heißem Wasser zu behandeln.

Sie fand ihre letzte Ruhestätte in der Capilla Real, der Kathedrale von Granada, neben ihren Eltern und auch neben Philipp. Karl V. starb nur dreieinhalb Jahre später, nach vierzigjähriger Regentschaft. Johannas Schicksal rührt und fasziniert gleichermaßen bis heute. Ende 2020 veröffentlichte die Autorin Alexa Hennig von Lange den Roman Die Wahnsinnige, der Johannas Geschichte aus moderner, feministischer Sicht beleuchtet. Henning von Lange beschreibt darin, dass nicht Johanna, sondern vielmehr die Männer in ihrem Umfeld wahnsinnig, verblendet und machtgeil gewesen waren. Woran Johanna letztlich gelitten haben mag, bleibt bis heute unklar. Einige meinen, dass ihr psychischer Zustand nur eine Folge der Misshandlungen durch ihren Mann gewesen sei, viele glauben an eine Schizophrenie, andere meinen, Johanna habe an chronischen manischen Depressionen, also einer bipolaren Störung gelitten.

Wahnsinnig anders

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