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»Ein Verräter ist jeder, der nicht meiner Meinung ist.« George III., König des britischen Empires

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(1738 bis 1820)

Lange vor den Eskapaden Prinz Harrys sorgte dieses Enfant terrible auf dem Thron schon für so manche Irritation in der adeligen High-Society von anno dazumal. 59 Jahre und 96 Tage war George III. Oberhaupt Englands, nur Königin Victoria I. und Königin Elisabeth II. waren und sind länger an der Macht; doch hauptsächlich die letzten Jahre, die seiner vollkommenen geistigen Entrückung, sind heute im kollektiven Gedächtnis verankert, wie es oft scheint. Und trotz dieser eindrücklichen Zeit bis zu seinem Tod fällt das britische Volk nach der Verkündung des Ablebens von George III. in kollektive Trauer, was die Beliebtheit dieses Monarchen beweist. Doch gehen wir zurück zum Beginn der Geschichte von George III. aus dem Geschlecht der hannoverschen Welfen.

Er wurde am 4. Juni 1738 als Sohn von Frederick, Prinz von Wales, und dessen Frau Prinzessin Augusta von Sachsen-Gotha-Altenburg geboren. George wurde nach seinem Großvater, König George II., benannt, der jedoch recht wenig für seine Kinder und Enkelkinder übrighatte.

Der heranwachsende junge George wurde allgemein als recht schüchtern beschrieben – einer, der nicht gerne im Mittelpunkt stand, jedenfalls vorerst. Als 1751 sein Vater völlig überraschend, gerade einmal 44-jährig an einer Lungenembolie verstarb, ohne selbst den Thron bestiegen zu haben, war plötzlich der erst dreizehnjährige George der legitime Thronfolger. Der Großvater machte ihn sogleich zum Prinzen von Wales und an seinem achtzehnten Geburtstag, 1756, schlug er seinem Enkel vor, in den St. James’s Palace zu ziehen, was dieser aber ausschlug, auch unter Druck der Mutter, die ihren Sohn lieber bei sich haben wollte, weil sie ihrem Schwiegervater misstraute, da dieser ihren Mann vom Hof ferngehalten hatte. Für einige Zeit ging das noch gut, aber dann verstarb am 25. Oktober 1760, zwei Wochen vor seinem 77. Geburtstag, der rüstige George II. für viele doch recht überraschend. Und so war sein nun 22-jähriger Enkel, offiziell George III., plötzlich König von England.

Bereits zweimal hatte noch vor seiner Thronbesteigung eine Hochzeit im Raum gestanden (denn als Junggeselle König zu werden schickte sich nicht): Die geplante Eheschließung mit Lady Sarah Lennox wurde durch John Stuart, Earl of Bute, einem engen Vertrauten von Georges Mutter und kurzzeitig auch Premierminister unter George, verhindert. Er hatte die Heiratskandidatin aufgrund ihres Rufes, der nicht der beste war, für gänzlich ungeeignet gehalten (allerdings wurde Sarah Lennox dann bei Georges späterer Hochzeit als Brautjungfer ausgewählt). Die mögliche Verheiratung mit Prinzessin Sophie Caroline von Brunswick-Wolfenbüttel missfiel wiederum seiner Mutter. Die Wahl fiel schließlich auf die junge Sophie Charlotte von Mecklenburg-Strelitz, die er zwar erst am Hochzeitstag kennen, doch ebenso lieben lernte. Am 8. September 1761 heirateten die beiden in der Royal Chapel im St. James’s Palace. Zwei Wochen später erfolgte die feierliche Krönung beider in der Westminster Abbey. Die Ehe mit Sophie war insofern bemerkenswert, als George III. als erster König aus seinem Geschlecht auf Mätressen verzichtete, nichts davon hielt, sich in der adeligen Londoner High Society zu tummeln, und auch sonst vollkommen skandalfrei lebte, also offensichtlich glücklich verheiratet war, immerhin hatten er und seine Frau fünfzehn Kinder, neun Söhne, sechs Töchter, von denen einzig die Kinder dreizehn und vierzehn, die Söhne Prinz Octavius und Prinz Alfred, das Erwachsenenalter nicht erreichten. Erst die psychische Erkrankung des Königs sollte die Ehe schwer belasten. Dazu aber später mehr.

George III. war beim Volk außerordentlich beliebt, doch er hatte sich schwere Zeiten zum Regieren ausgesucht. In den 1770er Jahren brodelte es in den Überseekolonien gehörig. Man legte dem König nahe, den amerikanischen Dependenzen einen Besuch abzustatten, was dieser aber ablehnte. Zu weit, zu beschwerlich, zu warm, kurz: Bequemlichkeit war das Argument. Als es am 16. Dezember 1773 zur legendären Bostoner Tea Party kam – ein Handelsschiff der britischen East India Company wurde durch als Indianer verkleidete Mitglieder der Unabhängigkeitsbewegung »Sons of Liberty« gekapert und hunderte Ladungen von Tee wurden im Meer versenkt –, sprach sich George für harte Sanktionen aus. Er schickte weitere britische Soldaten zur Verstärkung nach Boston und ließ das Kriegsrecht verhängen. Die 56 Abgeordneten der dreizehn amerikanischen Kolonien tagten darauf in Philadelphia und beschlossen, sich gegen die britische Willkür zu wehren. Und so kam es im April 1775 mit ersten Gefechten in Lexington und Concord zum Krieg gegen die englische Krone – General George Washington, später der erste Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika, wurde beauftragt, eine schlagkräftige Armee zusammenzustellen. Und das tat er dann auch. Übrigens waren auch die späteren Präsidenten Thomas Jefferson und John Adams Veteranen dieses Krieges. Am 4. Juli 1776 proklamierten die USA schließlich ganz offiziell ihre Unabhängigkeit. In dem Text befanden sich auch direkte Passagen, in denen König George angegriffen wurde: »Die Geschichte des gegenwärtigen Königs von Großbritannien ist eine Geschichte von unaufhörlichen Ungerechtigkeiten und widerrechtlicher Aneignungen, die alle zum Ziel haben, in diesen Staaten eine absolute Tyrannei zu begründen. (…) Er hat unsere Meere geplündert, unsere Küsten verwüstet, unsere Städte niedergebrannt und das Leben unserer Bevölkerung zerstört.«

George war außer sich vor Wut, oder wie man im britischen Königshaus ja heute noch zu sagen pflegt: not amused. Die Erste, die diesen Ausdruck in den Mund genommen haben soll, war übrigens, der Legende nach, die britische Königin Victoria, Urenkelin von George III. Doch zurück zum eigentlichen Geschehen: Sofort sandte George weitere 55 000 Soldaten und 30 000 deutsche Söldner, viele aus Hannover, die meisten aus dem hessischen Reichsfürstentum, über den Atlantik. Er wollte die widerspenstigen Amerikaner in einem kurzen Krieg bezwingen und ihnen die Lektion erteilen, sich nicht mit dem Mutterland anzulegen. Die Kämpfe gingen jedoch mit hohen Verlusten auf beiden Seiten weiter. Als Mitte des Kriegsjahres 1779 einige Minister aus Georges Kabinett dem König nahelegen, Frieden zu schließen, lehnte der jedoch entschieden ab. Seine Angst war, dass dann weitere britische Kolonien, wie Westindien oder Irland, dem Beispiel folgen könnten und ebenfalls unabhängig werden wollten. Das wäre einer De-facto-Bankrotterklärung als König gleichgekommen.

Unterdessen verbündeten sich die USA mit dem englischen Erzfeind Frankreich und fügten den Briten in der Schlacht von Yorktown den entscheidenden und vernichtenden Schlag zu. Am 19. Oktober 1781 kapitulierte die britische Armee. Als George davon erfuhr, schrie er tief bestürzt und den Tränen nahe: »Oh Gott, nun ist alles vorbei!« Und bei den Versailler Friedensverträgen wurden nicht nur die späteren USA offiziell für unabhängig erklärt, nein, Großbritannien verlor auch Florida an Spanien und Tobago an Frankreich. Es war ein Kollateralschaden.

Diese immensen territorialen Verluste schwächten George im eigenen Land. Das Volk vertraute ihm nicht mehr. Wobei man ihm da sehr unrecht tat, denn George tat viel Gutes, inszenierte es aber, wie man heute sagen würde, nicht gerade medienwirksam, sondern tat es im Stillen. Er unterstützte etwa aus seinem Privatvermögen die Royal Academy of Arts und finanzierte weitere Entdeckungsreisen James Cooks, so auch dessen letzte. Er förderte die Astronomie auch aus eigenem Interesse durch den Bau des königlichen Observatoriums, denn er war ein begeisterter Sternengucker, sodass der Astronom William Herschel, der 1781 den Uranus entdeckte, diesen anfangs »Georgium Sidus« nannte.

Bis zu seinem fünften Lebensjahrzehnt war der an und für sich robuste König von jeglichen Wahnattacken, ja selbst von schlimmeren Krankheiten gänzlich verschont geblieben. Man konnte George auch als Rossnatur bezeichnen. Aber dann, gut ein Jahr, bevor in Frankreich die Revolution ausbrechen würde, und knappe zwei Wochen nach seinem fünfzigsten Geburtstag, erlitt der König eine schwere Gallenkolik. Sofort verordnete man ihm eine Heilbadkur in der beschaulichen Grafschaft Gloucestershire. Die ganze Familie begleitete ihn und stand ihm bei den Behandlungen, die nicht immer die angenehmsten waren, zur Seite. Als er heimkehrte, war er in gutem Zustand und hatte kräftig Appetit. Bald darauf jedoch erlitt er abendlich neuerlich eine Kolik mit schweren Muskelkrämpfen, fiel zu Boden, schrie wie am Spieß, hatte besorgniserregende Atembeschwerden. Gegen die Schmerzen verordnete ihm sein Leibarzt Sir George Baker opiumhaltiges Laudanum. Bei der Untersuchung am nächsten Morgen waren Georges Augen ganz gelb und sein Urin dunkelbraun, ja fast schwarz und immer wieder verlor der König das Bewusstsein. Ein klares Indiz dafür, dass die Leber und die Gallengänge nicht funktionierten, weswegen das Bilirubin, ein gelbliches Abbauprodukt innerhalb des roten Blutfarbstoffs, nicht rasch genug aus dem Körper abgebaut wurde. Im Delirium soll er die ordinärsten sexuellen Fantasien berichtet haben, beleidigte dabei immer und immer wieder seine Frau, meinte, sie nicht zu lieben und sie bis 1793 nicht mehr in sein Bett lassen zu wollen. Baker meinte dazu: »Der König durchlebt eine vollständige geistige Entfremdung.«

Am 5. November 1788 besuchte der älteste Sohn, der spätere George IV. und gegenwärtige Prinz von Wales, seinen Vater zum Abendessen. Plötzlich sprang George seinen Sohn an, hatte weit aufgerissene Augen, wirkte wie besessen und schlug auf ihn ein. Als Wachen dem Sohn zu Hilfe eilten, ließ der König ab und fiel abermals für einige Tage ins Koma. Als er daraus erwachte, litt er an den absurdesten Wahnvorstellungen. Er meinte etwa, Hannover durch das Teleskop im Arbeitszimmer sehen zu können, verlieh Personen in seinem Gefolge wahllos Ehrentitel, zumeist solche, die er sich gerade ausgedacht hatte, schlug auf Bedienstete ein, riss sie an den Haaren, wollte mit einem Pferd um die Wette schwimmen, und soll, Augen- und Ohrenzeugen zufolge, im Windsor Park mit einer Eiche, von der er annahm, sie sei Friedrich der Große, gesprochen haben, und er bekam immer öfter Krampfanfälle. Oberste Priorität war anfangs noch, dafür zu sorgen, dass das Volk so wenig wie möglich und am besten gar nichts über die seltsamen Anwandlungen des Königs erfuhr. In der Öffentlichkeit machte jedoch, da er seit fast sechs Monaten nicht mehr zu sehen gewesen war, das Gerücht die Runde, der König sei tot. Als die Ärzte das aber in einem hochoffiziellen Schreiben dementierten, gab es aufgrund seiner verrückten Eskapaden rasch ein neues Gerücht: »Unser König ist wahnsinnig!«

Ende 1788 bemühten sich sieben Ärzte um ihn, er erhielt die unterschiedlichsten Tinkturen wie zum Beispiel Kalomel (das ist Quecksilberchlorid – nicht gerade das gesündeste Medikament), um seinen Geisteszustand zu behandeln, was damals allerdings ohnehin kaum wirksam möglich gewesen war – heute meinen Wissenschaftler, dass George womöglich sukzessive und keineswegs vorsätzlich vergiftet wurde und dass dies seinen Zustand weiter verschlechterte. Am 5. Dezember 1788 schickte man ihn nach Kew House, wo er von Reverend Francis Willis von der Universität Oxford behandelt wurde. Der Reverend war der Meinung, dass Geisteskranke durch Einschüchterung und Angst gefügig gemacht werden könnten und so auch wieder geheilt würden. Er ließ seine Patienten harte körperliche Arbeit verrichten, und sobald sie aggressiv oder gar gewalttätig wurden, züchtigte er sie. In dieser Zeit war George naturgemäß regierungsunfähig. Sein Ministerstab und seine beiden ältesten Söhne George und Frederick hatten die Geschäfte übernommen.

Der König, der während der Behandlungen durch Willis sogar versucht haben soll, sich das Leben zu nehmen, wurde immer wieder für Stunden an einen Stuhl gefesselt und vom Reverend geschlagen. Gattin Sophie, die einige Male zufällig Zeugin dieser »Therapiemaßnahmen« wurde, entwickelte eine tiefe Abneigung gegen Willis. Während die meisten Ärzte am Hof glaubten, der König wäre nicht mehr zu retten, war Willis allerdings der Meinung, der Zustand Georges sei nur vorübergehend. Und tatsächlich ging es ihm bald wieder so gut, dass die Ärzte via Bulletin am 26. Februar 1789 »das vollständige Ende der Krankheit seiner Majestät« verlautbarten – doch man hatte sich leider zu früh gefreut.

Nur wenige Tage später brach der König in Tränen aus und vermeldete, im Begriff zu sein, seinen Verstand zu verlieren. Als er im April 1789 auf den Thron zurückkehrte, tat er das in schwarzer Trauerkleidung und meinte: »In Gedanken an George III., denn er ist ein guter Mann gewesen.« Und er hatte recht, der Verstand war verloren, ein für alle Mal. Natürlich gab es immer wieder hellere Phasen, aber man musste sich am Hof an die zumeist wirklich surrealen und langen Verrücktheitsphasen gewöhnen. Nachts wanderte George durch die Gänge, er hatte schwere Schlafstörungen entwickelt, dirigierte dabei unsichtbare Orchester, aß Unmengen von Geleepudding, redete permanent, entwickelte einen riesigen Wortschatz, bediente sich wissenschaftlicher Fachausdrücke, die er zuvor niemals in den Mund genommen hatte, und hatte den Tick, wenn er mit anderen Dame spielte, das Brett ständig hin und her zu drehen, sodass eine Partie nicht wirklich möglich war.

Die folgenden Jahre verliefen für alle Beteiligten wunderlich. Georges Verhalten wurde hingenommen, große politische Entscheidungen traf er nicht mehr, die Söhne und die späteren Premierminister seiner Regierung, allen voran William Pitt, hatten das Ruder übernommen. Und George zeigte auch keine Ambitionen, das zu ändern. Am 15. Mai 1800 kam es beispielsweise zu einem Ereignis, das wohl die meisten arg mitgenommen hätte – nicht so aber George. Während einer Vorstellung im Drury Lane Theatre im Londoner West End versuchte der ehemalige Soldat James Hadfield, den schon lange psychotische Schübe quälten, den König zu erschießen. Das Attentat konnte verhindert werden und der König, ja, der war gänzlich unbeeindruckt, schlief in seiner Loge ein und begleitete später die Theatervorstellung mit lautem Schnarchen.

Zu Beginn des Jahres 1801 stellte sich dann ein neuerlicher schwerer Krankheitsschub beim König ein, ähnlich besorgniserregend wie dreizehn Jahre zuvor. Er schrieb anzügliche und ordinäre Briefe an Lady Pembroke, eine mittlerweile über sechzigjährige Adelige, für die George immer heimlich geschwärmt hatte. Er lobte darin ihre Oberweite und teilte seine schmutzigsten Fantasien mit, sodass Pembroke völlig entrüstet schließlich schrieb, dass der König Derartiges in Zukunft unterlassen solle. Die Briefe sorgten in Adelskreisen für mittelgroße Skandale, längst galt der vormals so brave König, als Enfant terrible. Und auch die Ehe Georges belastete dieses briefliche Fremdgehen durchaus.

Man beschloss daraufhin, ihn zur Erholung zum Sonnenbaden nach Weymouth zu schicken. Monatelang blieb er dort. Am 20. Oktober des Jahres schrieb er an seinen Bekannten, den Bischof Hurd of Worcester: »Sonnenbaden hat sich wie üblich günstig auf mich ausgewirkt und war in Wahrheit niemals nötiger, denn das Fieber, das ich im letzten Winter hatte, ließ viele unangenehme Empfindungen zurück. Diese sind beinahe beseitigt.« Daraufhin ging für einige Zeit alles seine geregelten Bahnen, ja, George schien sogar wieder imstande, die Herrschaftsgeschäfte zu übernehmen oder immerhin zu überschauen.

Ende Juli 1804 erfolgte der dritte schwere Anfall, bei dem man um das Leben des Königs fürchten musste, allerdings wusste man inzwischen nur zu gut, wie zäh George war. Der Irrenarzt Samuel Simmons nahm sich des Monarchen an.

Viel trug sich weltpolitisch in dieser Zeit zu und die Briten erklärten Napoleon, der seinen Eroberungszug durch Europa immer weitertrieb, schließlich den Krieg. Der dritte Koalitionskrieg oder auch zweite Napoleonische Krieg tobte ab 1805 und als im Sommer dieses Jahres 120 000 napoleonische Elitesoldaten an der französischen Kanalküste bereitstanden, um auf 2500 Transportschiffen gleichzeitig an logistisch guten Punkten in England zu landen und London von allen Seiten anzugreifen, meinte der 72-jährige George, halbwegs wieder genesen: »Sollte die Invasion wirklich kommen, werde ich mich an die Spitze meiner Truppen stellen, um die feindlichen Streitkräfte zurückzuschlagen.« Die Invasion blieb dann allerdings aus, da Großbritannien rechtzeitig eine Koalition mit Österreich, Russland und später auch Schweden und Preußen einging, was Napoleon dann doch zu heikel wurde.

George wurde in diesen Krisenzeiten bei seinem Volk wieder stetig beliebter. Aber der König war eine tickende oder besser gesagt »austickende« Zeitbombe geworden. Auf halbwegs gute Tage folgten wieder katastrophale. Der Zustand ihres Mannes und sein Verhalten ihr gegenüber, führte zudem dazu, dass Georges einst so treue Sophie sich von ihm entfremdete. Sie wollte nicht mehr in einem Bett mit ihm schlafen, soll gemeint haben, dass sie nicht wüsste, ob sie, im wahrsten Sinne des Wortes, die Nacht neben ihrem Mann überleben würde, und schlug scherzhaft vor, dass er sich eine Mätresse suchen solle. Wesentlich ernster nahmen die Söhne und der Premierminister dagegen die Anschuldigungen der Whig-Partei im britischen Parlament. Sie beschuldigten den Premierminister, dem Volk nicht die Wahrheit über den Gesundheitszustand des Königs zu sagen. Die Regierung versuchte allerdings, die Krise – wie Regierungen das gerne tun – auszusitzen.

George verlor in den Folgejahren gänzlich sein Augenlicht und er wurde fast taub. Und ab 1810 wurde der geistige Zustand des Monarchen dann plötzlich noch wunderlicher: Er hatte grundlose Lachanfälle, sprach nun permanent mit sich selbst und hatte sich eine derbere Ausdrucksweise angeeignet. »Ein Verräter ist jeder, der nicht meiner Meinung ist«, schrie er gern und war teilweise so gewalttätig, dass man ihm eine Zwangsjacke anlegen musste. Erneut konsultierte die Familie des Königs Dr. Simmons. Lady Pembroke, mittlerweile schon 75 Jahre alt, wurde abermals mit verwirrten Briefen vom König belästigt. Er diktierte die Briefe, wobei diese gänzlich irgendeinen Zusammenhang vermissen ließen. George wusste schon lange nicht mehr, was richtig und was falsch war. Das Parlament tagte, ähnlich wie bei den schweren Anfällen 1788, 1801 und 1804, der Krieg gegen Frankreich tobte nach wie vor, doch George nahm daran keinen Anteil mehr. Und er registrierte auch alle Ereignisse in den folgenden Jahren dieses aufregenden Jahrzehnts kaum noch, ob es nun die Niederlage Napoleons in Waterloo war oder der Wiener Kongress und die damit verbundene Neuordnung in Europa, Napoleons Inhaftierung oder seine Flucht; und George begriff auch nicht mehr, dass 1818 seine Frau verstarb. Er konnte nicht mehr gehen, wurde in seine Gemächer gerollt, musste flüssig ernährt werden, sprach nicht mehr artikuliert, sondern brabbelte nur noch unverständlich vor sich hin. Sein Bart und seine Haare waren lang und verkrustet, er hatte Ekzeme und roch übel, baden wollte er sich aber nicht mehr. Er siechte nur noch dahin. Am 29. Januar 1820 starb George III. von England, vollkommen dement, gelähmt, blind und so gut wie taub. Es kam einer Erlösung gleich.

Was aber kann denn nun die Ursache für das seltsame Benehmen König Georges gewesen sein? Die beiden Psychiater Ida Malcapine und Richard Hunter legten 1966 auf Basis der bekannten Berichte ein Gutachten vor, das zeigte, dass Porphyria, eine vererbbare Stoffwechselerkrankung, der Grund für das unroyale Verhalten war. Die Symptome sind ähnlich wie bei einer Schizophrenie. Der Name »Porphyria« kommt von »Purpur«, der tiefroten Farbstoffgruppe im Blut. In Verbindung mit Eisen ist sie maßgeblich von Bedeutung für den Stoffwechsel des Sauerstoffs. Wird zu viel davon produziert, dann führt das zu Erbrechen, Krämpfen, Verstopfung, Koliken, psychischen Störungen. Die Erbanlage wurde von George III. zumindest an vier Söhne (Herzog Frederick, Herzog August, Herzog Edward und an George IV., seinen Thronfolger) und seine Tochter Charlotte weitervererbt. George IV. wurde von vielen Augenzeugen als recht »exzentrischer« Zeitgenosse beschrieben, allerdings waren alle Kinder pathologisch wesentlich »unauffälliger«, als ihr Vater gewesen. Diese »Welfenkrankheit«, wie sie auch genannt wird, soll sogar heute noch präsent sein. Vielleicht ließe sich ja sogar das zuweilen recht sonderbare Verhalten von Ernst August von Hannover damit erklären.

Bei einer 2004 vorgenommenen DNA-Untersuchung beim Leichnam Georges III. wurde darüber hinaus eine Arsenvergiftung in nicht tödlicher Menge nachgewiesen. Höchstwahrscheinlich stammen diese Mengen vom Puder, den man auf Gesicht und Perücke auftrug, von dort gelangte es dann in die Haut und entfaltete seine fatale Wirkung in Georges Organismus. Ebenso könnte eine chronische Quecksilbervergiftung vorgelegen haben. Beruflich exponierte Menschen und so einer war George als König, trugen nicht selten quecksilbergebeizte Stoffe. Der ungesunde Quecksilberdampf konnte in hoher Konzentration und über Jahre eingeatmet, zu Tremor, krankhafter Erregbarkeit, Störungen des Kurzzeitgedächtnisses und beeinträchtigter Koordinationsfähigkeit führen. Bei dokumentierten Betroffenen soll es auch zu einem merklichen Intelligenzschwund gekommen sein. Georges geistige Erkrankung war also tatsächlich nicht psychischer, nein, vielmehr physischer Natur. Sein Beiname, »The mad King«, bleibt ihm aber dennoch erhalten.

Wahnsinnig anders

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