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Französische Deutschlandpolitik und Kalter Krieg

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Dass die Amerikaner gegenüber den Deutschen zu nachsichtig sein könnten, gehörte nach der Stuttgarter Rede von US-Außenminister James F. Byrnes am 6. September 1946 zu den Angstvorstellungen der französischen Öffentlichkeit. Dieser hatte nicht nur die Gründung der Bizone für den 1. Januar 1947 angekündigt und sich für die „baldige Bildung einer vorläufigen deutschen Regierung“ ausgesprochen, sondern den Deutschen auch versprochen, ihnen zu „einem ehrenvollen Platz unter den freien und friedliebenden Nationen der Welt“ zu verhelfen43. Obwohl er den französischen Anspruch auf das Saarland anerkannt hatte und dem französischen Sicherheitsbedürfnis durch die Zusicherung einer militärischen Präsenz der USA in Europa entgegengekommen war, waren die Zugeständnisse sowohl für die französische Öffentlichkeit als auch für die Regierung in Paris schwer zu akzeptieren.

Die Regierungsverantwortlichen in Paris konnten ihre Augen jedoch auch nicht vor dem Scheitern der Moskauer Außenministerkonferenz (10. März bis 24. April 1947) verschließen. Von nun an war an eine gemeinsame Verwaltung Deutschlands und eine Vermittlungsrolle Frankreichs zwischen den entstehenden Blöcken im Frühjahr 1947 nicht mehr zu denken. Dabei drängt sich bei näherem Hinsehen der Eindruck auf, dass Frankreich das Scheitern der Konferenz bereits vorhergesehen hatte und diesen „Misserfolg“ nutzen wollte, um nach dem sich abzeichnenden Auseinanderbrechen der alliierten Koalition progressiv auf die amerikanisch-britische Linie einzuschwenken. Immer stärker gewannen nun in Paris jene Kräfte die Oberhand, die auf eine langfristige politische und wirtschaftliche kooperative Kontrolle Deutschlands setzten. Vor der französischen Öffentlichkeit war eine solche Politik jedoch vorerst noch nicht vertretbar, so dass die wenig konzilianten Äußerungen der Pariser Regierung weniger an die Alliierten oder die Deutschen gerichtet waren als vielmehr an die französische Bevölkerung selber.

Die zunehmende Bipolarisierung der Welt hatte Frankreichs Außenpolitik nicht unbedingt in eine Sackgasse geführt44, doch erforderten die neuen weltpolitischen Konstellationen einen Anpassungsprozess der französischen Deutschlandpolitik. Dieser Wandel lässt sich als ein seit 1946 nachweisbarer Entscheidungsfindungsprozess interpretieren, der durch die Bildung der Bizone und die Einigung von Amerikanern und Briten Ende Juni zur Konstituierung eines Wirtschaftsrates als Parlament des Vereinigten Wirtschaftsgebietes beschleunigt wurde. Nachdem der amerikanische Präsident am 12. März 1947 die nach ihm benannte „Truman-Doktrin“ verkündet hatte, in der er die Völker aufrief, sich zwischen Freiheit und Sklaverei zu entscheiden, und die Eindämmung (containment) des Kommunismus zum Ziel der amerikanischen Politik erklärte, konnte Frankreich die Rolle des troublemaker im westlichen Lager immer schwerer aufrechterhalten. Im Rahmen der „doppelten Deutschlandpolitik“ demonstrierte Paris aber weiterhin Hartnäckigkeit bei der Frage nach den föderalen Strukturen für das sich herausbildende Westdeutschland.

Mit der Verkündung des Marshall-Plans am 5. Juni 1947 verstärkten die Amerikaner ihre integrierte Containment-Liberation-Strategie und damit ihre Bemühungen um die politische und wirtschaftliche Stabilisierung Westeuropas. Zwei Jahre nach Kriegsende standen verschiedene europäische Länder vor dem wirtschaftlichen und damit auch politischen Chaos. Soziale Instabilität barg in den Augen der Amerikaner jedoch das Risiko, zu einem fruchtbaren Nährboden für kommunistische Umsturzabsichten zu werden. Nach der Absage der Sowjetunion und dem von Moskau mit Adresse an die osteuropäischen Satellitenstaaten verkündeten Verbot, sich an dem multilateralen Wiederaufbauprogramm (European Recovery Program) zu beteiligen, konnte Washington nun daran gehen, die westeuropäischen Handelsschranken abzubauen und den Zahlungsverkehr zu vereinfachen, um auf diese Weise die Grundvoraussetzungen für einen einheitlichen Binnenmarkt zu schaffen. Der Anreiz zu breiterer wirtschaftlicher Zusammenarbeit im westlichen Lager war somit immer mit dem Ziel verbunden, die drei westlichen Besatzungszonen in Deutschland zu integrieren und die politischen Bindungen in Westeuropa allgemein zu festigen. Der als Hilfe zur Selbsthilfe konzipierte Marshall-Plan eröffnete damit zum einen den Weg zur Integration der beteiligten Länder, machte er doch ein transnationales Vorgehen zur Bedingung, zum anderen ermöglichte er es Paris aber auch, eine neue Form der Kontrolle des deutschen Nachbarn zu praktizieren45.

Nachdem die Pariser Regierung mittlerweile die ursprünglichen Pläne einer Abtrennung der linksrheinischen Gebiete aufgegeben hatte und das Rheinland nur noch als taktisches Spielmaterial benutzt wurde, konzentrierte sie sich nunmehr auf die symbolträchtige Region des Ruhrgebiets, die Waffenschmiede des deutschen Militarismus, die Paris unter internationale Kontrolle bringen wollte46. In der hochwertigen Ruhrgebiets-Kohle sah Paris eine wichtige Grundlage für den wirtschaftlichen Wiederaufbau des eigenen Landes und zur Sicherung einer dauerhaften ökonomischen Überlegenheit in Europa. Ausgestattet mit einem Rekonstruktionsvorsprung und einer gestärkten Position auf dem internationalen Parkett wollte Paris eine erfolgreiche Sicherheits-, Friedens- und integrationsorientierte Deutschlandpolitik führen. Nicht mehr Dominanz und Desillusion wie nach dem Ersten Weltkrieg, sondern Dominanz und Integration bestimmten zunehmend das Problem- und Machtbewusstsein eines Großteils der neuen politischen und administrativen Eliten47.

Diese beiden Ziele galt es auch in den folgenden Jahren mit dem Wechselwirkungsmechanismus zwischen den Meinungsströmungen in der französischen Öffentlichkeit und dem Handlungsrahmen der politischen Entscheidungsträger in Einklang zu bringen. Das Einschwenken auf eine kooperative Politik gegenüber Deutschland wurde Paris durch den sich zuspitzenden Ost-West-Konflikt erleichtert, der auch in der französischen Gesellschaft am „Stalingrad-Effekt“ zu nagen begann48. Die Furcht vor einem gewaltsamen sowjetischen Übergreifen auf Westeuropa nährte parallel zum „Feindbild Deutschland“ ein „Feindbild Sowjetunion“, das die Antagonismen zwischen Frankreich und Westdeutschland zu verwischen begann. Diese Perzeptionsverschiebungen gingen auch auf eine innere Entwicklung in Frankreich zurück, wo eine von Moskau gesteuerte und von der PCF losgetretene Streikwelle im November 1947 bisweilen den Charakter eines allgemeinen Aufruhrs annahm und den Kalten Krieg „zu einer innenpolitischen Realität“49 werden ließ.

Die Amerikaner konnten nun mit Genugtuung verfolgen, dass viele bisherige Gegner ihrer Integrationspläne das Ruder herumlegten und fortan die politische und wirtschaftliche Integration Westeuropas unterstützten. Dass innerhalb der französischen Führungskreise nun die moderaten Kräfte eine dominantere Rolle einnehmen konnten, lag nicht zuletzt auch am Bruch der Koalition des Tripartisme, den die Entlassung der kommunistischen Minister durch den sozialistischen Ministerpräsidenten Paul Ramadier im Mai 1947 herbeigeführt hatte. Mit den Gaullisten und Kommunisten befanden sich nun die beiden stärksten Verfechter der Maximalforderungen gemeinsam in der Opposition.

Der sich im Laufe des Jahres 1947 nicht mehr nur in internen Konzepten, sondern auch öffentlich vollziehende Wandel der französischen Deutschlandpolitik war jedoch nicht allein eine Anpassung an amerikanische Positionen, sondern erhielt eine spürbare französische Note, die von den Experten schon länger als Alternative zur Separierung der Ruhr und des Rheinlandes angedacht worden war. Der Kreis um den seit Juli 1947 amtierenden Außenminister Robert Schuman setzte dabei auf die mit starken supranationalen Elementen versehene wirtschaftliche und politische Westintegration der sich herausbildenden Bundesrepublik, die zugleich als Gegenmodell zu einem möglichen ostdeutschen Zentralstaat unter Führung Moskaus konzipiert war (vgl. Kap. II.1).Während solche Integrationskonzepte in der unmittelbaren Nachkriegszeit eher als flankierende Maßnahme zur Absicherung der französischen Umstrukturierungspläne gedacht waren, gerieten sie nun in den Mittelpunkt der französischen Außenpolitik. Die Sicherheit vor Deutschland sollte nun durch seine Integration in einen europäischen Rahmen erreicht werden.

WBG Deutsch-französische Geschichte Bd. X

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