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Die französische Besatzungszone zwischen Dezentralisierung und Zentralismus

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Wie die anderen Alliierten sah sich Frankreich von Beginn an mit dem Problem konfrontiert, die Behandlung von Deutschland als Ganzem mit den Anforderungen der Besatzungspolitik in seiner Zone in Einklang bringen zu müssen. Als wichtigste Akteure sind auf dieser Ebene die Regierungsstellen in Paris, die Militärregierung in Baden-Baden und die französische Kontrollratsgruppe in Berlin auszumachen, deren Interessen nicht immer konvergierten. Während Paris die internationale und innerfranzösische Ebene berücksichtigen musste, sahen sich die Besatzungsbehörden vor Ort mit den politischen, ökonomischen und administrativen Realitäten konfrontiert. Der interne Schriftverkehr verdeutlicht dabei, dass die offiziellen Richtlinien nur ein eingeschränktes Bild der Besatzungspolitik wiedergeben, denn gerade die Verantwortlichen in Baden-Baden wurden sich der Unhaltbarkeit von Maximalpositionen früh bewusst und fürchteten um den französischen Einfluss auf die Gestaltung Nachkriegsdeutschlands, so dass sie Regierungsverordnungen zur politischen Isolierung der Zone nicht konsequent umsetzten64. Doch auch innerhalb der Zone bestand keine einheitliche Position. Während das Oberkommando in Baden-Baden unter General Koenig an einer zentralisierten Verwaltung der Zone interessiert war, um eine straffe Kontrolle zu gewährleisten, forderte der Generalverwalter Émile Laffon angesichts des administrativen Chaos im September 1945 eine Dezentralisierung der französischen Verwaltung mit Ausnahme der Wirtschaftsverwaltung, um die eigene Politik effizienter durchführen zu können65.

Die Frage der wirtschaftlichen Einheit stellte sich dabei sowohl auf zonaler wie auf interzonaler Ebene, nachdem die USA, Großbritannien und die Sowjetunion auf der Potsdamer Konferenz hinsichtlich der Reparationen die Entnahme auf Zonenbasis vereinbart hatten. Das Ausmaß der Reparationen mag man im Vergleich zum Versailler Vertrag als maßvoll bezeichnen, doch stellte diese Entscheidung die zuvor proklamierte Wirtschaftseinheit Deutschlands in Frage. Frankreichs Ziel war von Beginn an, die Wirtschaftskraft der Zone für den Wiederaufbau des eigenen Landes zu nutzen, doch stießen sich diese Absichten schnell an der konkreten Lage vor Ort. Im Falle einer ökonomischen Ausplünderung hätte sich die ohnehin schon dramatische Versorgungslage noch weiter verschlechtert und seitens der Besatzungsmacht Maßnahmen zur Linderung erfordert. Aus Paris und aus der Zone kamen zudem vermehrt Stimmen, die vor zu großen Belastungen für die französische Wirtschaft durch die Besetzung Deutschlands warnten. Diese Mahnungen ließen es nur wenig opportun erscheinen, die ohnehin strukturschwache französische Zone durch eine Politik der Absonderung von ihren Absatzmärkten im übrigen Deutschland abzuschneiden, denn eine solche Entscheidung hätte sie zu einem permanenten Pflegefall degradiert.

Auf politischer Ebene besaß die Dezentralisierung eindeutig Priorität. Mit verstärktem Elan wurden ab Anfang 1946 der Aufbau der Länder und die Verfestigung der Länderstrukturen vorangetrieben. Nachdem die Briten am 28. Juni 1946 die Bildung des Landes Nordrhein-Westfalen verkündet hatten und mit diesem Schritt den französischen Hoffnungen auf eine Internationalisierung der Ruhr und die Abtrennung des linken Rheinufers einen schweren Dämpfer verpasst hatten, kündigte Frankreich in der Ordonnance 57 vom 30. August 1946 die Gründung des Landes Rheinland-Pfalz an66. Während Baden und Württemberg in den französischen Überlegungen immer mehr in den Hintergrund traten und sich in den Prioritäten ein West-Ost-Gefälle ergab, setzten Paris und Baden-Baden in der Folgezeit ganz darauf, dem historisch heterogenen Rheinland-Pfalz eine politische und administrative Infrastruktur zu geben. Die Militärregierung vor Ort konzentrierte sich dabei auf eine Konsolidierung des nach territorialer Kohäsion suchenden Landes Rheinland-Pfalz. Mit dieser Politik hielt sich Frankreich zwei Optionen offen: Sie ermöglichte weiterhin die Schaffung eines abgetrennten Rheinlandstaates, besaß aber zugleich genügend Entwicklungspotenzial, um die Grundlage für einen föderalen Bundesstaat zu bilden (vgl. Kap.

Das in der Tat nicht leicht zu durchschauende Spannungsverhältnis von Zentralisierungszwängen und Dezentralisierungsabsichten wurde von den Deutschen zumeist als Kompetenzwirrwarr und Besatzungswillkür wahrgenommen. Wenige Sympathien erwarben sich die Franzosen auch mit ihrer Haltung gegenüber den politischen Parteien und Gewerkschaften in der ehemaligen Reichshauptstadt. Deren Forderungen nach nationaler Einheit entsprachen nicht den Dezentralisierungsplänen der französischen Besatzer, die aus diesem Grund nur demokratische Organisationen ohne deutschlandpolitische Ambitionen zuließen, so dass Frauenausschüsse und Jugendorganisationen die Gunst der Franzosen fanden, während sie zu den großen deutschen Parteien auf Distanz blieben. Indem sie sich weigerten, diesen entscheidenden politischen Trägern Rückhalt zu gewährleisten, beraubten sie sich selber weitgehend der Möglichkeit, sich an der politischen Mitgestaltung zu beteiligen67.

Der Blick zurück in die Besatzungszone zeigt jedoch auch, dass es sich die Deutschen zu einfach machten, wenn sie für jegliche Missstände die französische Besatzungsmacht zur Rechenschaft zogen. Sie übersahen dabei, dass die deutschen Stellen in den einzelnen Ländern der französischen Zone nur ein eingeschränktes Interesse an einer stärkeren zonalen Zusammenarbeit an den Tag legten. Hier wirkten sich der inkohärente Charakter und die absonderliche geographische Struktur der Zone aus, in der sich Südbaden nur wenig für die Geschehnisse im Rheinland und Württemberg nur am Rande für die Entwicklung der Pfalz interessierte.

Die französische Besatzungspolitik zwischen 1945 und 1949 lässt sich aber nicht allein auf eine Dezentralisierungs- und Zersplitterungspolitik reduzieren. Als Folge der Besatzungspraxis und des wachsenden amerikanischen Drucks gewannen Konzeptionen nach und nach Oberhand, die länder- und zonenübergreifende Aktivitäten ermöglichten und den Thesen einer konsequenten Isolierungspolitik widersprachen. Nachdem die französische Weigerung gegen deutsche Zentralinstanzen lange Jahre als Teil einer Obstruktionspolitik im Kreise der Alliierten galt, legen Studien seit Ende der 1980er Jahre in diesem Punkt Zurückhaltung nahe. Rainer Hudemann betont, dass sich die französische Regierung nicht allgemein gegen Zentralverwaltungen gewehrt habe, sondern verhindern wollte, „die künftige politische Gestaltung Deutschlands durch Zentralverwaltungen unter deutscher Leitung ohne eingehende Prüfung bereits zu präjudizieren“68.

WBG Deutsch-französische Geschichte Bd. X

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