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Die „Zeit der schönen Not“

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Im Gegensatz zum harten Besatzungsalltag wurde die französische Kulturpolitik von den Deutschen zumeist als generöser Versuch zur Versöhnung wahrgenommen, so dass sich im Volksmund das geflügelte Wort von der „Zeit der schönen Not“ herausbildete (vgl. Kap. II.1). Hinter der französischen Kulturpolitik, die sich in Westdeutschland vor allem als „Umerziehungspolitik“ verstand (Entnazifizierung, Entmilitarisierung, Demokratisierung), standen die folgenden Hauptziele: in erster Linie Sicherheit (durch die Demokratisierung der Deutschen und die Veränderung ihrer politischen Einstellung), Rang (durch Einfluss und Prestige) und sogar Reparationen im Sinne einer Rückgabe von Kunstwerken, die die Nazis während der Besatzungszeit geraubt hatten69.

Diese Politik war bereits vor Ende des Krieges von Raymond Schmittlein und Irène Giron vorbereitet worden, den späteren Hauptverantwortlichen der Abteilungen Erziehung und Bildung in der Militärregierung, die in Algier unter René Capitant, dem Kommissar für Schul- und Hochschulwesen, an Reformprojekten für das französischen Bildungswesen70 gearbeitet hatten, die auch zur Grundlage für ihre Politik in der französischen Besatzungszone nach 1945 wurden, z.B. bei der Verwaltungshochschule in Speyer, deren Gründung zum Teil auf Pläne für die französische École nationale d’administration (ENA) zurückging. Darüber hinaus gründete das französische Außenministerium im März 1945 eine „Kommission für die Umerziehung des deutschen Volkes“ unter dem Vorsitz von Edmond Vermeil, Professor für Germanistik an der Sorbonne, der einen Plan mit folgenden Punkten vorlegte: zunächst Schließung der deutschen Schulen und Säuberung des Lehrkörpers sowie im Anschluss an die Wiedereröffnung der Schulen eine reformierte Lehrerausbildung. Sein Bericht wurde im März 1946 in der Kommission kontrovers diskutiert. Die Pessimisten (Germanisten) empfahlen eine eher harte Linie, während die Politiker und Diplomaten Deutschland schnellstmöglich eine Zukunftsoption bieten wollten. Vermeils Plan wirkte sich auf die ersten Maßnahmen Schmittleins insofern aus, als alle Angehörigen des NS-Lehrerbundes und andere NS-Sympathisanten aus der deutschen Lehrerschaft entfernt, die Ausbildung neuer Lehrer vorangetrieben, die Bildungspläne und Schulbücher von NS-Gedankengut entrümpelt werden sollten und Französisch im Stundenplan festgeschrieben wurde. Gleichwohl ging Schmittlein über Vermeils Programm hinaus und schlug eine Neuorganisation der Bildungsstrukturen im Primar- und Sekundarbereich, die „Umerziehung“ der Jugend außerhalb der Schule (deutsch-französische Jugendtreffen und breitenwirksame Kulturprogramme) und die Entwicklung eines umfassenden Bildungsplans für die künftige Führungselite sowie die Neugliederung des Hochschulwesens vor71.

Die Analyse der action culturelle française in dem künstlichen „Bindestrichland“ Rheinland-Pfalz vermittelt dabei Aufschlüsse zum Beitrag Frankreichs am Wiederaufbau des politischen und kulturellen Lebens im Westen Deutschlands (vgl. Kap.II.1)72. Bei einem Blick auf die Karte fällt auf, dass die Universität Mainz73, das Dolmetscherinstitut in Germersheim74, die Verwaltungshochschule in Speyer75, das Institut für Europäische Geschichte76 und die Akademie der Wissenschaften und der Literatur77 (beide in Mainz) alle auf dem linken Rheinufer, genauer in der Pfalz bzw. in Mainz, angesiedelt wurden, was die engen Verbindungen zwischen dem politischen und kulturellen Handeln der französischen Besatzungspolitik unterstreicht. Während aber die ersten Schritte zur Neugründung der Universität noch von dem Willen zur Abtrennung des Rheinlandes geprägt waren und den Rheinländern mit der Universität eine Institution zur Ausbildung eigener neuer Eliten zur Verfügung gestellt werden sollte, zielten die dann folgenden Einrichtungen bereits auf die Konsolidierung des Landes Rheinland-Pfalz ab, dessen Zusammenhalt gerade 1947 immer wieder in Frage gestellt war78. Mainz wurde zu einer kulturellen Mittelpunktstadt ausgebaut, schien die Gutenberg-Stadt doch der einzig mögliche Kompromiss zwischen der Pfalz und den ehemaligen südlichen Rheinprovinzen Preußens79. Mit erheblichen finanziellen Mitteln aus der Schatulle der französischen Militärregierung konnte der kulturelle Wiederaufbau angegangen werden, der dann als politisches Argument diente, um die Wahl von Mainz zur Landeshauptstadt und den Abzug der entsprechenden Funktionen aus Koblenz (Mai 1950) zu begründen.

1 Vgl. LIPGENS 1973 [219], S. 52–102. 2Vgl.

2 GÉRARD 1943 [51]; GRAPPIN 1945 [53].

3 Vgl. SOUTOU 2001 [273], S. 51–58. In Moskau hatten die drei Großen die vollständige Besetzung Deutschlands beschlossen, das lange Zeit ihrer strengen Kontrolle unterworfen bleiben sollte. In Teheran verständigten sie sich auf die von Stalin gewollte Zerstörung Deutschlands.

4 WILKENS 1996 [695], S. 81.

5 Vgl. BELOT 2003 [69], S. 465–482; LIPGENS 1968 [24].

6 Vgl. LIPGENS 1977 [25], S. 194–198.

7 Vgl. LINSEL 1998 [614].

8 Zit. nach: WILKENS 1996 [695], S. 84.

9 Vgl. HÜSER 1996 [459], S. 233; LEFÈVRE 1998 [962], S. XIII.

10 Vgl. POIDEVIN 1983 [658], S. 15f.; POIDEVIN 1986 [228], S. 73f.; GERBET 1983 [318], S. 51.

11 Vgl. POIDEVIN 1983 [659], S. 406; MASSIGLI 1978 [59], S. 39.

12 Vgl. POIDEVIN 1986 [660], S. 222f.; LOTH 1986 [620], S. 30.

13 WILKENS 1996 [695], S. 85f.

14 Vgl. SOUTOU 2002 [680].

15 Vgl. WILKENS 1996 [695], S. 89ff.

16 Vgl. DEFRANCE 1994 [762], S. 34; HUDEMANN 1997 [572], S. 33.

17 Vgl. MAILLARD 1990 [58], S. 99f.

18 Vgl. die Direktiven in: MÉNUDIER 1990 [419], S. 169–182.

19 Vgl. KRAUTKRÄMER 1993 [600], S. 66f.

20 Vgl. SOUTOU 2001 [273], S. 59f.

21 GÖRTEMAKER 2002 [402], S. 15f.

22 LOTH 1986 [619], S. 38.

23 Vgl. FRANK 2000 [197].

24 Zit. nach: ZIEBURA 1997 [503], S. 57.

25 Vgl. POIDEVIN 1991 [661]; SOUTOU 1994 [272]; VAÏSSE 2006 [279].

26 Vgl. POIDEVIN 1986 [660] S. 223.

27 Vgl. NARINSKI 1995 [267], S. 2–7; DÜLFFER 1998 [248], S. 191f.

28 Vgl. HÜSER 1997 [579], S. 67.

29 Vgl. SOUTOU 2001 [273], S. 66.

30 Zit. nach: DUROSELLE 1974 [193], S. 395.

31 WOLFRUM 1999 [702], S. 62.

32 „Nicht nochmal ein deutsches Reich unter zentraler Führung!“ schrieb er in seinen Memoiren: DE GAULLE 2000 [46], S. 632.

33 Rainer Hudemann und Armin Heinen legen Wert auf die Feststellung, dass weder während des Krieges noch nach Einstellung der Feindseligkeiten genaue Vorstellungen über die künftige französische Politik im Saarland existiert hätten, vgl. HUDEMANN, HEINEN 2007 [576], S. 37.

34 Vgl. FRITSCH-BOURNAZEL 1984 [537].

35 DE GAULLE 1984 [45],S. 96f.

36 Zit. nach: POIDEVIN 1985 [660], S. 235.

37 HÜSER 1996 [459].

38 Ministère des Affaires étrangères, Documents Diplomatiques Français, tome 1945/2, Paris 2000, Dok. 265 u. 290. Siehe auch MAELSTAF 1999 [626].

39 WILKENS 1991 [694],S.6.

40 Vgl. HÜSER 1997 [579], S. 84.

41 HÜSER 2003 [581], S. 44.

42 Vgl. HUDEMANN 1988 [564]; HUDEMANN 1990 [567], S. 227.

43 Zit. nach GÖRTEMAKER 1999 [401], S. 37.

44 Vgl. BOZO 1997 [187],S.9.

45 HERBST 1990 [321]; HARDACH 1994 [319].

46 Vgl. KNIPPING 1988 [595].

47 Vgl. HÜSER 2000 [580], S. 180f.

48 Vgl. WEISENFELD 1986 [495], S. 36.

49 LOTH 2000 [260], S. 189f.; vgl. auch SOUTOU 1993 [676], S. 264.

50 Vgl. HUDEMANN 1995 [570], S. 432f.

51 Vgl. DEFRANCE 2001 [770].

52 Vgl. ZAUNER 1994 [918], S. 59f., 183–200.

53 Vgl. HENKE 1980 [553], S. 169–191.

54 Vgl. WILLIS 1962 [500], S. 73.

55 Diese Direktiven sind veröffentlicht in: MÉNUDIER 1990 [419]; HUDEMANN 1987 [819], S. 17f.

56 DEFRANCE 2003 [1310], S.43.

57 Vgl. HUDEMANN, HEINEN 2007 [576], S. 39.

58 Vgl. HÜSER 1996 [581], S. 534.

59 Vgl. KÜPPERS 2008 [79].

60 Vgl. HARRES 1997 [548]; BERNARDI 2004 [515].

61 Vgl. HUDEMANN, HEINEN 2007 [576,], S. 42.

62 Vgl. BUFFET 1991 [521]; JULIEN 1999 [585]; FÜHRE 2001 [539].

63 Vgl. GENTON 1998 [797]; HINZ, BUFFET, GENTON, JARDIN 1999 [817]; CIESLA, LEMKE, LINDENBERGER 2000 [283]; JESCHONNEK, RIEDEL, DURIE 2002 [583].

64 Vgl. LATTARD 1988 [611].

65 Vgl. LATTARD 1989 [612]; LATTARD 1991 [613].

66 Vgl. HEYEN 1984 [558]; KÜPPERS 1990 [602]; KISSENER 2006 [594].

67 Vgl. FÜHRE 2003 [539].

68 HUDEMANN 1987 [562], S. 184.

69 DEFRANCE 1994 [761].

70 Vgl. DEFRANCE 2005 [74]; SCHUNCK 2005 [91]; DEFRANCE 2005 [73].

71 Vgl. DEFRANCE 1996 [764], S. 208f.; MARMETSCHKE 2008 [839].

72 Vgl. DEFRANCE 1994 [762].

73 Vgl. JUST, MATHY 1965 [823]; DEFRANCE 1994 [1119]; KISSENER, MATHY 2005 [826].

74 Vgl. CUER 1987 [759].

75 Vgl. RUPPERT 2007 [887]; MORSEY 1987 [852].

76 Vgl. SCHULZE, DEFRANCE 1992 [1119].

77 Vgl. DEFRANCE 2008 [781].

78 Vgl. für den Bereich der Universitäten allgemein: DEFRANCE 2000 [768]; DEFRANCE 2000 [767].

79 Vgl. DEFRANCE 1991 [761]; DEFRANCE 2003 [772].

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