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Eine Tee-Geschichte

Das Wasser brodelt im Heißkocher − gleich den Tee in die weißblaue Kanne mit Zwiebelmuster gehäufelt − first flush darjeeling, auf den Nachbars Ilse einen jeden Meineid schwört als Allheilmittel, mit der Katerstimmung ihres Hans-Ottos nach einer durchzechten Nacht rechnend oder einkalkulierend die verquollenen Augen, den schlechten Atem, sein müdes bemühte Grinsen der eigenen Schuldzuweisung im Gesicht, um die Ecke in die Küchenzeile schlurfend, blinzelnd Verzeihung erheischend und Ermunterung durch ein gnädig gewährtes Lächeln, ebenso wie Erfrischung durch die morgendliche, kochend heiße Tasse Tee, zerknautscht in der Hosentasche bereits die Morgenzeitung, ohne die der Tag nicht beginnen kann. All dies vorausschauend und Sorge tragend, dass der Büßer im Hemd alles so vorfindet wie gewohnt, ihr Griff nach der Teedose und das darauf folgende Entsetzen:

Die Dose ist leer! Von den fruchtigen Teeblättern aus dem Land des bengalischen Feuers war nur ein geringfügig kleines staubiges Häuflein zurückgeblieben, und sie hatte versäumt, sich um Nachschub zu kümmern. Nun ist Not am Mann, der erwartungsvoll, die Beine übereinanderschlagend, die Zeitung öffnend, über den Rand sie anblickt und: „Na, Ilse“, sagt.

Der Schreck sitzt in den Gliedern. Ilse muss sich setzen.

„Ist dir nicht gut?“, fragt er ... „doch, doch“, beschwichtigend der Ton, erhebt sich Ilse geistesgewärtig, macht ihren schmalen Rücken so breit wie möglich, als sie die Küchenschranktür öffnet und aus dem heimlichen Vorrat an Tütentee eine Tüte Darjeeling, Marke Bünting, fingert und unbemerkt in die Kanne fallen lässt. Sie gießt das kochende Wasser auf und schiebt die butterbeschmierten Brötchen mit Weichkäse, Erdbeermarme-lade und einer Scheibe Bierwurst in seine Richtung, der trotz seiner Bewusstseinseintrübung etwas Beunruhigendes an seiner zuverlässigen und unerschütterlichen Ilse zu bemerken glaubt, dann aber kopfschüttelnd: „Hirngespinste“, murmelnd den Kopf wieder zwischen die Seiten des Morgenblattes steckt und behauptet:

„Einen richtigen Hunger hab ich ja nicht“, und, „ist der Tee bald fertig?“ Ilse gießt herzklopfend den Darjeeling in die Tasse, immerhin h „first flush“, so steht es auf der Verpackung.

„Nur aus der Tasse, bitte keinen Becher, das ist so eine Unsitte“, lautet eine seiner Devisen, „und immer nur schwarz.“ „Vorsicht, ist noch heiß“, warnt sie ihn.

„Au, verdammt, hättste ja auch eher sagen können“, sagt er, beißt vom wurstbelegten Brötchen ein ordentliches Stück ab und schlürft nun vorsichtiger den Tee hinterher.

„Ach, Ilse“, seufzt Hans-Otto, „wenn ich dich nicht hätte, mein Goldstück“, sagt er, zufrieden und behäbig wie ein Ehemann nur sein kann, dem, obwohl nach durchzechter Nacht, von seiner Gattin ein liebevoll zubereitetes Frühstück serviert wird, und Ilse wundert sich, warum bisher um den „Darjeeling-first-flush-Blatttee“ so ein Aufhebens gemacht wurde.

Diese kleine Morgengeschichte am Abend, wenn der Tag verdunkelt, gelesen sollte allen eine Warnung sein... vor allen den fleißigen Hausfrauen, die Sache mit den Grundsätzen ihrer aushäusigen Männer nicht zu ernst zu nehmen.

Aus dem Leben kleiner Leute

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