Читать книгу Aus dem Leben kleiner Leute - Dagmar Herrmann - Страница 15

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Henriette hat einen Hang zum Philosophieren:

Sag mir, wo die wahren Ursachen liegen …

begraben unter trügerischem Glitzerstaub von Tand und Talmi (Henriette war gerade beim Staubwischen), der in die Augen gerieben wird und die Ohren verstopft … was kann man noch glauben … heute so und morgen so … eben noch hielt man den Mann mit der Schiebermütze und den treublauen Augen für einen Kerl von Schrot und Korn und ließ sich einfangen vom geschliffenen Wortschatz und (das sagte sie nicht laut: malte sein Bild heimlich beim Telefonieren auf den Notizblock), da entpuppt er sich als liederlicher Aufschneider und Schlitzohr, der sich mit Klimmzügen und Kratzfüßen einen Platz an der Sonne ergattert hat … ein wahrer Windbeutel, der in den Wind hängt, woher er grad weht … oder noch ein Beispiel, die nette Dame mit dem kecken Hütchen, die in der Backstube, hochtrabend Bakery geheißen, die Brötchen als ofenfrisch und aus eigener Herstellung anpreist, die mit dem dekorativen Schürzenband und mütterlichem Augenaufschlag … apropos mütterlich... da fällt mir’s wie der Schuppen von den Augen! Ist nicht auch schon wieder Muttertag? Ach, du grüne Neune ... „Herbert!“

Herbert, er schreckt hoch hinter den ausgebreiteten Blättern der Tageszeitung – er liest, völlig vertieft in den Sportteil, über die neuerlichen Verluste der Grünweißen, die gerade mit Ach und Krach durch zwei Auswärtssiege der Abstiegszone entronnen sind, fragt mit flehendem und wehem Unterton in der Stimme, damit sie so sein Leid erkennen möge, dass sie justament im Begriff ist, ihm zuzufügen:

„Was is los, is was angebrannt?“

Sie, Henriette, „damals“, meinte sie liebevoll, es sei kein Zufall, dass sie beide dieselben Anfangsbuchstaben in ihren Vornamen trügen, schleudert wutentbrannt das Staubtuch in die Ecke:

„Ich rede und rede … sag mal, hörst du mir denn überhaupt nicht zu?“ Herbert gesteht sich ein, ohne es verlauten zu lassen, dass Henriette wie so oft den Nagel auf den Kopf getroffen hat, aber leugnet dies im Brustton des geübten Lügenbolds:

„Aber wie, ich sollte dir nicht zuhören … habe alles gehört bis auf den letzten Satz, bei dem du so die Stimme gehoben hast. Ich war nur verwirrt.“

Er senkt jetzt ergeben die Zeitung: „Was ist also los?“

„Muttertag, das ist los! Ich wette, du hast deiner lieben“, das sagt sie spitz mit Überbetonung jeder Silbe, „Mutter wieder mal kein Geschenk besorgt … aber eins sage ich dir, ich mach das dies Jahr nicht. Sieh doch zu, wie du mit ihr klarkommst, und überhaupt, ich verreise, mir schenkt auch keiner was!“

Herbert kleinlaut:

„Aber du sagst doch, dir soll keiner was schenken, es sei albern, an einem Tag im Jahr … .“

„Ja, ja, ist ja gut.“

Herbert erkennt, dass für das Weiterlesen des Sportteils ein ungeeigneter Moment gekommen sei: Jetzt heißt es taktisch vorgehen. Er legt die Stirn in Dackelfalten und hebt von der Sofaecke ausgehend den gewissen Hundeblick zu ihr auf, der gewohnt ist, erfolgreich beschwichtigend auf sie einzuwirken:

„Henny, bitte mach das doch für mich, du kannst das besser und koch uns was Hübsches zum Muttertag, vielleicht dein berühmtes ‚pot au feu‘, dazu dein knuspriges selbstgebackenes Brot ...?!“

Aber Henriette hat doch momentan Männer mit treuherzigem Hundeblick auf Sicht und schnauzt:

„Ach ja!? Damit sie mich runterputzen und daran rummäkeln kann und mir eine Lektion erteilt, was sie an besonderen Zutaten verwendet, damit es WIRKLICH bekömmlich wird, und diesen verfeinerten würzigen Geschmack … der mein Gericht natürlich nicht vorzuweisen hat!“

Herberts Stimme wird jetzt weinerlich. Er lässt die Zeitung, ganz und gar in einer Geste demütiger Unterwerfung, auf die Knie sinken:

„Henny! Ich bitte dich … du weißt doch, grad am Muttertag bin ich aufgeschmissen ohne dich! Sie wird mir die Hölle heiß machen, wenn du nicht da bist, oder sie wird unter Tränen türekrachend das Haus verlassen … Henriette! Das kannst du mir nicht antun!“

Henriette seufzt, sie lächelt fein, nimmt das Staubtuch wieder auf und wischt den einen letzten unsichtbaren Staubfussel von der Anrichte, indem sie besänftigt antwortet:

„Ist schon gut. Herbert, reg dich nicht auf, ist nicht gut für dein Herz … Ich mach das schon.“

Herbert strahlt sie noch schnell an und murmelt ein beiläufiges „Danke“, dann ist er auch schon wieder hinter der Zeitung mit dem Sportteil verschwunden, findet auch gleich die Passage, an der er unterbrochen wurde … liest, dass der neue Trainer aus Bukowina den Spielern Feuer unterm Hintern machen will … Henriette nimmt den ihrigen Faden wieder auf, nicht ohne Herbert aus den Augenwinkeln aufs Korn zu nehmen:

„ ... also, wie ich sagte, diese Schlange von Bäckerin, die so hausbacken tut, hat sie doch letztens ... “

„HERBERT! Du hörst mir nicht zu … leg doch mal die verdammte Zeitung aus der Hand!!!“

Aus dem Leben kleiner Leute

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