Читать книгу Aus dem Leben kleiner Leute - Dagmar Herrmann - Страница 4

Оглавление

Am Straßenrand

Unschlüssig stehe ich am Fenster, sehe, wie der Wind über den Marktplatz fegt die braun und rotorange eingefärbten Blätter, schon trocken, sich am Rande kräuselnd, fliegen eilig über den Boden und erzeugen ein Geräusch wie prasselnder Regen. Ich verfolge das Blattgestöber, das von dem Bauzaun auf der Straße aufgehalten wird und sich dort staut.

Mein Blick geht hinüber zur anderen Straßenseite. Auf dem Bürgersteig steht ein Mann, ich vermute türkischer oder vielleicht auch bulgarischer Herkunft. Er steht mit verschränkten Armen, seine Lederjacke ist leicht geöffnet, krawattenlos, auch das Hemd am Hals weit offen, es ist noch mild für die Jahreszeit. Mit gespreizten Beinen, die Füße fest am Boden, verharrt und beobachtet er mit großem Interesse die Arbeit eines Straßenarbeiters, der Pflastersteine legt, der sich nicht eine Sekunde von seiner Tätigkeit abbringen lässt durch jenen Zuschauer, dem er in seiner gebeugten Haltung auf die Schuhspitzen sehen kann.

Der Mann am Straßenrand verfolgt jeden Handgriff des Arbeiters beinahe andächtig, als wolle er von ihm lernen, wie kunstvoll ein Kopfsteinpflaster zusammengefügt wird. Gleichgültig mit stoischer Ruhe setzt der Straßenarbeiter Stein für Stein, er hebt nicht ein einziges Mal den Kopf, um dem beharrlichen Zeugen seiner Arbeit ins Gesicht zu sehen, vielleicht mit ihm ein Wort zu wechseln. Er arbeitet beständig weiter, pflichtbewusst, verlässlich, das Bild eines urwüchsigen deutschen Arbeiters abgebend, einer wie er im Buche steht, unerschütterlich, zuverlässig, pflichtgemäß seine Arbeit verrichtend, geradezu wie die Demonstration des Fleißes gegenüber dem Müßiggänger, der Maulaffen feilhält.

Mag sein, das denkt so in seinem Kopf, unter seinem blonden, kurzgeschnittenen Haar, hinter seiner glatten Stirn, während er mit seinen starken sehnigen, braungebrannten Händen Stein um Stein setzt, Fuge um Fuge füllt.

Jetzt nimmt er den Hammer und klopft die Pflastersteine fest und fester, nachdrücklich hämmert es, laut, der wuchtige Klang des Hammers hat etwas Beunruhigendes. Der Zuschauer rührt sich nicht vom Fleck, die Haltung unverändert. Mir ist seltsam zumute, ich wende mich ab, trete zurück ins Zimmer.

Windböen wirbeln

leergefegt der Bürgersteig

ein Mann irrt umher.

(Ein Haibun, das sein Format überschritten hat.)

Aus dem Leben kleiner Leute

Подняться наверх