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Ein Hochzeitsfoto

Inspiriert von Botho Strauß’ Gedichtband: Diese Erinnerung an einen, der nur einen Tag zu Gast war.

Dieses Seufzen war ihr zur Gewohnheit geworden. Sie starrte auf die Tischplatte. Sie wies ein paar dunkle braune Flecken auf. Rechter Hand stand die Teetasse ihr im Weg, sie unterdrückte rechtzeitig den Impuls, sie mit einer Handbewegung zu Boden zu räumen.

Als sie sich vom Stuhl hochwand, sah sie ihr Gesicht in der Spiegelung des Hängeschranks, hässlich, einfach hässlich diese Resopalküchenschränke, Kalkweiß oder Graublass hätten zur Auswahl gestanden, sie hatten sich für Graublass entschieden, genauer genommen, er hatte sich entschieden, und ihr war nichts anderes übrig geblieben, als ergeben mit dem Kopf zu nicken. Während der Verkäufer anwesend war, gab er sich als emanzipierter Ehemann, der ohne mit seiner Frau Rücksprache zu nehmen keine Entscheidung herbeiführte. Schließlich wusste er doch, wie ihre Meinung umgangen werde konnte. Sie hatte einen liebevollen Blick auf den eierschalenfarbenen Schrank im klassischen Stil geworfen mit Schubladen und Türen mit gedrechselten Knöpfen, der ein ganzes Stück teurer gewesen wäre.

Das Spiegelbild warf ihre missmutige Miene zurück, zwischen den Augenbrauen die steilen Falten, die, wenn sie es sich zur Gewohnheit werden ließe, sich als Dauerzustand der inneren Unzufriedenheit in die Stirn einprägen und nach außen Zeugnis davon ablegen würden. Noch war ihr Gesicht fast ebenmäßig, nur ein paar feine Krähenfüße umrahmten die Augen.

Sie schlurfte durch den Flur ins Wohnzimmer, warf sich aufs Sofa, knipste die in Reichweite liegende Fernbedienung an, wie immer auf dem Ersten so ein Trivialscheiß, verlogener Mist von Liebe, Lust und Leidenschaft, jedenfalls deuteten die Titel darauf hin, wie „Schenk mir noch einmal rote Rosen“ oder „Im Sturm der Leidenschaft“, sie schaltete eilig weiter. Soko, immer Soko auf dem Zweiten. Sie entschuldigte ihren nach-mittäglichen Müßiggang mit dem Erschöpfungszustand eines nachklingenden grippalen Infekts.

Er würde es ihr nachsehen: Mach’ einfach nichts, lass dich hängen, dann wird’s bald wieder besser.

An dem Flimmern des Bildschirms vorbei verfing sich ihr Blick in dem aufgestellten Foto auf dem altmodischen Büfett, das eigentlich nutzlos war, aber gegen ihren Widerstand nicht abgeschafft wurde. Sie liebte antike Möbel, Geschirr, und manchmal fand sie im nahegelegenen Recycling-Center ein paar schöne alte Raritäten, Sammeltassen, Wein- und Aperitifgläser, die sie wie eine kostbare Beute nach Hause trug und ihnen einen würdigen Platz in oder auf dem Büfett einräumte.

Es war ihr Hochzeitsfoto. Sie wusste nicht genau, was sie bewog aufzustehen, es in die Hand zu nehmen und genauer zu betrachten. Sie, im weißen Kostüm mit einer blauen Blüte am Kragen, ernstblickend, er, im dunklen Anzug, offenem Hemd, Schlips kam damals nicht in Frage, und dem obligatorischen grün-weißen Blütenanstecker am Revers, lächelnd, sich ihr mit der rechten Wange zärtlich zuneigend.

Sie nahm das Foto aus dem Rahmen, drehte es um. Auf der Rückseite standen ein paar verblichene Zeilen, jedoch leserlich: Für immer und ewig, nichts kann uns trennen.

Ihr Herz machte einen Sprung.

Was war nur mit ihnen in all den Jahren geschehen? Sie erinnerte sich an die erste Zeit ihrer Ehe. Sie hatten es nicht schwer gehabt. Seine Eltern waren großzügig und, außer-gewöhnlich genug, mischten sich nicht in ihre Angelegenheiten. Sie wollte keine Kinder, und ihm war es recht. Die Erinnerung an ihre gemeinsamen Urlaube in Italien, Bildungsreisen und dolce far niente am Mittelmeer, Campari am Nachmittag, oder Weißwein, Pinot grigio, Chardonnay, ihr Lieblingswein, in malerischen Restaurants, auf Holzstegen, die ins Meer hineinreichten. das sanfte Gluckern der Adria, eine gedämpfte Stimmung, ein Ineinanderfließen von Horizont und Meer. Nur Stille und eine Zweisamkeit ohne Worte.

Der tägliche Kleinkram hatte sie aufgefressen. Sie tatenlos, er bestand darauf, dass sie es gut haben und immer für ihn da sein sollte: Mach dir einen schönen Tag. Endlose schöne Tage, die sie mit Nichtstun verbrachte, bis dann die Depression kam. Sie wusste, sie hatte etwas versäumt in ihrem Leben, sie hatte es sich aus der Hand nehmen lassen, so wie sie es von zu Hause gewohnt gewesen war.

Eindringlich betrachtete sie die beiden jungen Menschen auf der Fotografie.

Es war noch nicht zu spät, noch einmal an die gute Zeit am Beginn ihrer Beziehung, nein, dummes, bedeutungsloses Wort, Liebe anzuknüpfen.

Im Schrank wühlte sie die in die hinterste Ecke gerückten Kleidungsstücke durch. Da war das mit gelben Blüten bestickte blaue Kleid, das er immer so gerne an ihr gesehen hatte. Es passte noch. Sie deckte den Kaffeetisch, zwei ihrer wie Schätze gehüteten Sammeltassen mit Goldrand, stellte Kaffeewasser auf, da war er eigen, bloß keinen Kaffee aus der Maschine, pflegte er zu sagen, und schnitt aus dem Garten ein paar weiße Hortensien, die sie in die chinesische Vase stellte, die ihnen seine Mutter geschenkt hatte.

bruchstück

steinchen für steinchen zusammgesetzte

erinnerungsstücke wieder heile gemachte

kaffeekannen zerrieben zwischen liebe und

angst sauerbraten und kartoffelklöße ein

gemacht und eingestampft dauerrennen

um die ecke einem rockzipfel unversehrt

sein hinterher

Aus dem Leben kleiner Leute

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