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Esther stand auf dem Balkon ihrer neuen Einzimmerwohnung in der Münchner Innenstadt, und genoss die Aussicht. Der sturzflutartige Regen samt Gewitter war vorbei, und sie freute sich wie ein kleines Kind über den leuchtenden Regenbogen, der wie ein Wesen aus einer anderen Welt über den nassen Straßen der dampfenden Stadt hing.

Der farbige Bogen überspannte mehrere der wunderschönen Isarbrücken, die in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts unter König Ludwig I. den Ruf Münchens als nördlichste Stadt Italiens begründet hatten.

Es kam ihr alles immer noch vor wie ein Traum. Vor zwei Tagen hatte eine frühere Bekannte von ihr und Dennis angerufen, und gefragt, ob sie nicht eine günstige Wohnung suche, sie hätte da eine Adresse.

Esther hatte sich die Wohnung sofort angesehen, und war hingerissen. Am nächsten Tag schon hatte sie den Mietvertrag unterschrieben.

Direkt unter ihr, auf der anderen Straßenseite wand sich anmutig die Isar durch ein dichtes Geflecht von steinernen Brücken, hinter denen sich kühn das Maximilianeum, der bayerische Landtag, erhob.

Unmittelbar davor ragte der Friedensengel fast hundert Meter in die Höhe, und erinnerte die Bevölkerung schon beinahe hundert Jahre lang an den Vertrag von Versailles.

Das berühmte Deutsche Museum lag rechts von ihr, und in der Nacht hörte sie das Rauschen der Isar. Und fast zu ihren Füssen begann der wohl größte städtische Park der Welt: Der Englische Garten.

Es war einfach großartig.

Vor drei Tagen erst war sie aus der Klinik entlassen worden. Sie solle versuchen, Stress zu vermeiden, und das Leben positiv betrachten, hatten die Ärzte gesagt. Nun, das tat sie gerade.

Seit der überwältigenden Erfahrung ihres neu geschenkten Lebens schien sie einen direkten Draht zum Himmel zu haben.

Was war ihr nicht alles aufgefallen, was hatte sich nicht alles verändert. Sie hatte das vergessene Buch entdeckt; und sie hatte darin gelesen.

Sie verstand es zwar kaum, doch sie würde verstehen …

Rufe mich an in der Bedrängnis, so will ich dich befreien. Das war so ein Satz, der sie mit Hoffnung erfüllte. Und so war es ja gekommen. Sie war befreit worden. Sie könnte jubeln …

Das Telefon klingelte. Die Stimme von Judith holte sie schlagartig in die Realität zurück.

»Guten Abend, Liebes«, flötete es aus dem Hörer, »wie gefällt dir deine neue Wohnung? Da ich weiß, dass du es nicht schaffen wirst, allein zu leben, werde ich dir ab heute 300 Euro monatlich für die Miete überweisen. Was sagst du dazu?«

Esther konnte gar nichts sagen, denn sie fühlte sich viel zu benommen, und in ihrem Kopf begann sich alles zu drehen. Hatte sie gerade richtig gehört?

Sie unterdrückte den Drang, zu schreien.

»Danke für das großzügige Angebot, aber ich habe mich entschieden, mein Geld selber verdienen. Ich brauche deine Hilfe nicht mehr!«, antwortete sie mit gepresster Stimme.

Für einen Moment war es still am anderen Ende.

Dann zischte eine hasserfüllte Stimme, die nicht mehr nach Judith klang: »Esther, du bist psychisch krank, du schaffst das nicht. Du wirst dich nach meinem Angebot sehnen, wenn du erst am Boden liegst!«

Ein Knacken. Sie hatte aufgelegt.


Betäubt saß Esther in der Dämmerung ihrer kleinen Dachgeschosswohnung. Sie würde es nicht schaffen.

Niemals konnte sie es schaffen.

Nichts würde anders werden.

Judith hatte recht. Sie konnte den Dingen nicht ins Gesicht sehen.

Sie fing an zu weinen. Und zu schreien. Der Schöpfer, dieses himmlische Wesen, hatte sie doch nur am Leben gelassen, um ihr ihre Unfähigkeit zu beweisen. Er war ein Sadist!

In bebender Wut riss sie das erstbeste Buch aus ihrem gerade eingeräumten Bücherregal, und warf es an Wand.

Eine Stunde lang heulte und schrie sie, vor Wut und vor Schmerz, wie ein wundes Tier, und kein lieber Gott im Himmel erhörte sie.

Nach dieser Stunde war sie so erschöpft, dass sie ins Bett gehen musste. Sie hob das Buch auf, dass sie an die Wand geschleudert hatte.

Es war das Gesangsbuch ihrer Urgroßmutter, dass diese ihr geschenkt hatte, als sie das letzte Mal bei ihr war.

Missmutig hob sie es auf, und glättete hastig die Eselsohren, die entstanden waren. Ihr Blick blieb an einem Halbsatz hängen: ... der Wolken, Luft und Winden gibt Wege, Lauf und Bahn, der wird auch Wege finden, wo dein Fuß gehen kann... Gedankenverloren starrte sie darauf, während Tränen in ihre Augen traten. Das Telefon klingelte.

Bestimmt wieder Judith, diese Schlange.

Sie wollte nicht abnehmen, besann sich aber eines Besseren.


»Guten Abend, Frau Stein, entschuldigen sie die späte Störung.

Sie hatten sich gestern bei uns vorgestellt. Wir würden Sie gerne als Pflegehelferin bei uns einstellen. Könnten Sie morgen um neun Uhr bei mir im Büro sein? Dann arbeite ich sie ein, und sie erhalten ihre Dienstkleidung.«

»Ja«, sagte sie matt, »sehr gerne«.

Als sie aufgelegt hatte, ging sie ins Bett. Morgen musste sie schließlich fit sein.

HIMMELSKRIEGER

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