Читать книгу Shinobi - Die Auslöschung - Danny Seel - Страница 14

Оглавление

8. Ryuzaki

Froh darüber seinen Neffen lebend wiederzusehen, ergriff Kiyonori den genauso erfreuten Ryuzaki an den Schultern. Zutiefst erleichtert musterte er ihn von oben bis unten, wobei er ihn nach Wunden absuchte.

„Du lebst ja!“, flüsterte er fassungslos, unfähig zu begreifen, wie sein Neffe überlebt haben konnte. „Bist du verletzt?“

Ryuzaki lächelte und schien zugleich zufrieden und vergnügt über Yujiros Besorgnis zu sein. „Ich bin schon in Ordnung. Ayato hat mir das Leben gerettet.“

Der Chūnin ließ ihn wieder los, als sein Blick auf einen Riss in Ryuzakis leichten Brustharnisch fiel, aus dem frisches Blut heraussickerte. Beunruhigt weitete er die Augen.

„Schnell, folg mir. Wir müssen deine Verwundung sofort behandeln!“

Hastig legte er seine Hand auf den Rücken seines Neffen und schob ihn Richtung Fluss.

„Onkel, es geht mir gut, wirklich“, versuchte ihm Ryuzaki zu erklären.

Doch Yujiro schien ihn nicht zu hören.

„Setz’ dich hin, schnall deinen Harnisch ab und öffne deinen Kimono“, befahl er, sobald sie am Ufer des kleinen Flusses angekommen waren.

„Onkel, ich habe sie bereits gereinigt“, wandte Ryuzaki erneut ein, gehorchte jedoch trotzdem Kiyonori.

„Ja, aber da kommt immer noch Blut raus. Wir müssen sie verbinden“, widersprach der Chūnin und setzte sich neben seinem Neffen hin.

Er wartete, bis der Letztere seinen Oberkörper entblößt hatte, bevor er die Wunde untersuchte. Ganz seitlich hatte die Speerspitze Ryuzaki die Seite sowie den Bauch knapp über der Hüfte aufgeschlitzt. Yujiro fiel ein Stein vom Herzen, als er sah, dass die Verwundung nicht so schlimm war, wie er befürchtet hatte.

„Zum Glück ist es bloß eine Fleischwunde“, murmelte er und wusch sich schnell die Hände im Fluss, bevor er sich wieder seinem Neffen zuwandte.

Vorsichtig berührte er die Wunde, als er plötzlich spürte, wie sich Ryuzaki verspannte und zusammenzuckte. Rücksichtsvoll blickte er dem jungen Mann ins schmerzverzerrte Gesicht.

„Tut es sehr weh?“

Ryuzaki schmunzelte schief. „Es wird schon gehen.“

„Es wird sowieso nicht lange dauern“, versuchte ihn Yujiro zu ermutigen.

Sorgfältig begann er die Wunde zu waschen und mit Saké zu bearbeiten. Während er diese säuberte, bemerkte er, wie sich Ryuzaki auf die Lippen biss, um keine Schmerzenslaute von sich zu geben. Mitleidig bemühte er sich, dies so schnell wie möglich hinter sich zu bringen.

Einige Minuten später hatte er die Wunde komplett gesäubert und begutachtete sie nachdenklich. Weil sie offen war, sah sie schlimmer aus, als sie eigentlich war. Würde man das hängende Fleisch an beiden Seiten aneinanderdrücken, könnte die Verwundung nicht länger sein als der kleine Finger.

„So … Jetzt müsste ich sie nur noch verbinden.“ Bevor Ryuzaki etwas erwidern konnte, drehte sich Kiyonori suchend um, bis er seine Augen auf einen sitzenden Mann hängen blieben. „Entschuldigen Sie, könnte ich den Verband haben, wenn Sie ihn nicht mehr brauchen?“

Der Mann, den er angesprochen hatte, gab ihm eine positive Antwort und reichte ihm diesen, den Yujiro dann um die Wunde seines Neffen wickelte.

„Danke“, flüsterte Ryuzaki ernstgemeint.

Der Chūnin nickte einfach. Dabei wandte er den Blick von seinem Neffen ab und ließ ihn über den Fluss wandern. Müder als er sich noch davor fühlte, nahm er tief Luft und schloss kurz die Augen, um seine Gedanken zu sammeln. Langsam ausatmend öffnete er sie wieder. Einen Moment lang herrschte Schweigen zwischen ihnen, bis Kiyonori seinem Neffen einen Blick zuwarf.

Ryuzaki starrte ins Leere und sein Onkel erkannte sofort die verschiedenen Gefühle in seinen Augen. Eine Mischung aus Abscheu, Grauen und Furcht war kristallklar in ihnen zu sehen. Er schien erneut das zu durchleben, was auf dem Schlachtfeld geschehen war, denn seine Atmung war äußerst unregelmäßig geworden und deutete auf seine innere Unruhe. Sobald Ryuzaki den Blick seines Onkels auf sich spürte, schaute er ihn aus Reflex an.

„Geht’s dir auch wirklich gut?“, fragte ihn Yujiro. „Ich meine innerlich. Du siehst aufgewühlt aus.“

„Ich äh …“ Ryuzaki öffnete den Mund, konnte jedoch keine Worte herausbekommen und senkte deshalb den Blick, wobei er aufs Wasser starrte.

Über seinen Neffen besorgt, versuchte ihn der Chūnin nochmals zum Reden zu bringen: „Ryuzaki-kun, ich weiß, dass es schwer ist, das zu verarbeiten, was du auf dem Schlachtfeld gesehen und … getan hast …“

Ryuzaki stieß einen langen Seufzer aus, bevor er sagte, was ihm auf dem Herzen lag: „Ich verstehe einfach nicht, wie sich Menschen so etwas antun können. Ich verstehe nicht, wie … wie ich … so etwas tun konnte.“

Er setzte eine Pause ein und starrte wieder abwesend vor sich hin. Als er weitersprach, nahm er einen so monotonen Ton an, dass Yujiro beinahe den Anschein bekam, dass er zu sich selbst redete.

„Noch nie habe ich etwas Schlimmeres erlebt. Ich habe zwar schon ein- oder zweimal jemandem das Leben genommen, doch heute war es etwas ganz anderes. Wir sind wie ein Haufen Bestien aufeinander gestürzt. Auf dem Schlachtfeld hieß es, töte oder werde getötet. Es gibt nichts Ruhmreiches, nichts Glanzvolles am Krieg. Es war die Hölle auf Erden.“

Kiyonori antwortete nicht sofort.

„Du hast vollkommen Recht“, erwiderte er schließlich, als Ryuzaki zu ihm aufschaute. „Doch trotz dieser Gräuel können wir jetzt nicht aufgeben. Es gibt kein Zurück. Lord Nobunaga ist dafür berüchtigt, einfach alle zu töten, die sich ihm in den Weg stellen. Ohne Rücksicht aufs Alter oder Geschlecht.

Yujiro hielt kurz inne und blickte seinem Neffen direkt in die Augen. „Wenn wir ihn nicht aufhalten, sind wir möglicherweise die letzte Generation des Iga-Clans. Wir müssen bis zum letzten Bluttropfen kämpfen, ohne jene Rücksicht auf sich selbst zu nehmen, denn nur so können wir den kleinen Funken Hoffnung des Triumphes am Leben erhalten.“

Entschlossen kniff Ryuzaki die Augen zusammen und schaute zu seinem Onkel. „Und das werden wir auch tun.“

Die Gesichtszüge des Chūnin erweichten leicht, als er sah, dass sein Neffe bereit war, das zu tun, was er hasste und wovon er sogar jetzt immer noch traumatisiert war, um eventuell den Sieg zu erlangen. Er schien auch nicht vor dem Tod zurückzuschrecken.

Doch auf einmal nahm Kiyonori Ryuzakis Jugend wahr. Er war wirklich zu jung, um zu Sterben. Obwohl Yujiro froh über die Entschlossenheit seines Neffen war, befürchtete er, dass sie zu seinem Tod führen könnte.

Unsicher, ob er ihn noch weiter ermutigen oder ihn stattdessen vom Gegenteil überzeugen sollte, überschattete wieder die Sorge sein Gesicht. Schweigend tauschten die beiden einen Blick aus, bis Ryuzaki schließlich seinen Onkel leicht anlächelte.

„Es freut mich sehr, Euch lebend wiederzusehen“, sagte er rückhaltlos. „Ich war mir nämlich nicht sicher, ob Sie … überlebt hätten, nachdem ich Sie aus den Augen verloren hatte.“

Kiyonori schmunzelte zurück. „Gleichfalls. Ich dachte auch, du wärst tot …“

Er verstummte, als er an Izuya denken musste und bemühte sich sehr seine starke Trauer und seinen innerlichen Schmerz zu verbergen, die erneut in ihm hochstiegen.

„Onkel Yujiro …“, begann Ryuzaki unruhig, „Haben Sie eigentlich meinen Vater gesehen? Ich habe hier nach ihm gesucht, konnte ihn aber nirgends finden.“

Zögernd öffnete der Chūnin den Mund, schloss ihn jedoch wieder, nach passenden Worten suchend. Seine Augen wurden feucht und seine Kehle schnürte sich zusammen.

„Ryuzaki-kun“, begann er schließlich, „es tut mir wirklich sehr leid … er–“

„Nein!“, zischte sein Neffe und riss schockiert die Augen auf. „Das kann nicht wahr sein! Oh, bitte nicht! Nein!“

Gramerfüllt fing er an, heftig zu zittern und senkte den Kopf, wobei er vergeblich versuchte seinen Atem zu kontrollieren. Yujiro konnte nicht anders, als das tiefste Mitleid für ihn zu empfinden und sah sich selbst in seinem Neffen, denn er selber hatte seinen Vater im Alter von fünfzehn Jahren verloren. Innerlich fühlte er mit ihm und erinnerte sich daran, wie sehr er damals Trost gebraucht hatte, ihn jedoch nie bekommen hatte.

In einem Versuch, ihn zu trösten, legte er seinem Neffen eine Hand auf die Schulter. Kummervoll hielt es Ryuzaki nicht mehr aus und einige Tränen liefen über seine Wangen. Durch Betrübnis erschüttert, zitterte er heftig, nun als ihm bewusst wurde, dass er seinen Vater nie mehr sehen würde.

Yujiro konnte nur mit Mühe seine eigenen aufsteigenden Tränen zurückhalten, als er an Izuyas heldenhafte Selbstaufopferung dachte … und an die Grausamkeit des Krieges, der den Menschen Verwandte, Väter und Brüder wegnahm.

Shinobi - Die Auslöschung

Подняться наверх