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18. Verzweifelt

Yujiro erwachte, als er Schüsse und das Zischen von Pfeilen vernahm. Niedergeschlagen erinnerte er sich daran, wo er sich befand. Er rief es sich wieder ins Gedächtnis, dass es die dritte Woche seines Aufenthalts in Kashiwara sein musste.

Vor einigen Tagen war eine große Armee angekommen und hatte sich den Zehntausend, die vor der Festung lagerten, angeschlossen – genauso, wie es Chizuo vorausgesagt hatte. Danach gab es mindestens einen Angriff pro Tag, manchmal sogar mehr. Trotz der Tatsache, dass die Oda-Truppen nun viel zahlreicher waren als zuvor, hatten Tanbas geniale Pläne, sowie die der anderen Jōnin, es bis jetzt fertiggebracht, sich erfolgreich gegen diese Übermacht zu wehren.

Nichtsdestotrotz wurde es immer schwieriger, die Festung zu verteidigen, als ihre Granaten sowie die Munition für die Luntenschloss-Arkebusen langsam verbraucht wurden. Bald hätten sie nicht genügend Kugeln und Bomben und müssten sich mit dem Bogenschießen zufriedengeben, weil sie Pfeile im Überfluss hatten, da diese täglich auf sie zugeschossen kamen.

Die Verwundeten nahmen jeden Tag zu, bis sie fast ausschließlich nur von Frauen, älteren Menschen und Kindern versorgt wurden. Einige der Männer, die noch genug Energie hatten, sowie nicht wenige der Frauen, verbrachten damit viel Zeit, neue Bomben herzustellen. Alle wussten, dass ihr Überleben womöglich davon abhängen könnte.

Beinahe jede Nacht hatten sie Überfälle organisiert, doch diese wurden immer erfolgloser, weil sich die Anzahl ihrer Krieger mit jedem weiteren Tag verringerte. Viele starben wegen ihrer Wunden. Andere verschieden wegen des Fiebers, des Blutverlusts oder der Ansteckungen, die diese Verletzungen verursachten.

Hastig verwarf Yujiro diese Gedanken, um sich nicht noch mehr zu entmutigen. Er setzte sich aufrecht hin und sah sich im Zimmer um, in dem er seit seiner Ankunft in Kashiwara hatte schlafen müssen. Einige Menschen dösten noch, während andere – entweder von den Knallen geweckt oder aufgrund ihrer Sorgen außerstande zu schlafen – einfach wach dalagen und geistesabwesend ins Leere starrten.

Ein plötzliches, dumpfes Geräusch ertönte über ihm. Anscheinend hatte sich wieder ein Projektil ins Dach gebohrt. Dies war nichts Außergewöhnliches, sintemal Pfeile jeden Tag auf sie abgeschossen wurden. Wenngleich der Angriff der Oda erneut gestartet hatte, fühlte sich der Chūnin nicht verpflichtet, nach draußen zu eilen und seine Kameraden zu unterstützen, da dies von den Jōnin strengstens verboten worden war. Nur einige Dutzend Soldaten standen zu jeder Zeit an der vorderen Mauer und schossen während eines Angriffs zurück. Die anderen Krieger würden drinnen bleiben. Viel zu viele Männer waren bereits gestorben und sie konnten es sich nicht leisten, noch mehr Leute zu verlieren.

Lautlos erhob sich Yujiro und verließ das Zimmer, um nicht die anderen zu stören, die das Privileg genossen, immer noch zu schlafen. Langsam betrat er den nächsten Raum, der halb voll mit schweigenden Menschen war, mit Ausnahme von einigen von ihnen, die sich im Flüsterton unterhielten.

Kein einziges der Gesichter schien jegliche Zuversicht aufzuweisen und das kommende Verderben konnte man in den Ausdrücken von jedem sehen, Jung und Alt. Kiyonoris wandernder Blick blieb auf einer kleinen Gruppe von drei Menschen haften, die sich in der Mitte des Zimmers aufhielten. Er steuerte auf sie zu.

Einer von ihnen war Rintaro, der neben seiner Frau, Keiko, saß, die sich an seinen einzigen Arm klammerte, so als ob sie jeden Moment ihren Mann verlieren könnte. Ein kleines Mädchen von ungefähr fünf Jahren, hatte ihren Kopf in Keikos Kimono vergraben und schien sich vor den Schüssen zu fürchten.

Yujiro beobachtete, wie Rintaro seine Hand auf den Hinterkopf seiner Tochter legte und sie mit besänftigenden, zugeflüsterten Ermunterungen zu beruhigen versuchte. Der Chūnin setzte sich neben Rintaro hin, bevor er Keiko begrüßend zunickte. Sie schien zwar noch Ende Zwanzig zu sein, doch das Grauen des Krieges und dessen Sorgen hatten Spuren in ihrem Gesicht hinterlassen. Sie war eigentlich eine dünne Frau, abgesehen davon, dass ihr Bauch aufgrund ihrer Schwangerschaft jetzt runder war.

Still entgegnete sie den Gruß und ließ ihren Mann los, um ihre Aufmerksamkeit ihrer ängstlichen Tochter zuzuwenden. Kiyonori schaute zu Rintaro. Schweigend saßen sie da und sahen sich gegenseitig in die Augen. Keiner musste ein Wort sagen. Beide kannten die Gedanken des anderen, weil ihre Blicke pure Hoffnungslosigkeit ausstrahlten.

„Lass uns hoffen, dass dies alles bald vorüber ist“, wisperte Yujiro endlich.

Rintaro nickte. „Lass uns hoffen, dass wir hier lebend herauskommen.“

Seine Tochter drehte ihren Kopf, um den Chūnin neugierig anzuschauen.

„Nicht anstarren“, tadelte Keiko sie.

Das kleine Mädchen senkte vorläufig ihren Blick. Doch ihre Augen schienen ihren eigenen Willen zu haben und sahen wieder auf.

„Es ist schon in Ordnung, Tokuda-san“, sagte Kiyonori einfach zu Keiko, bevor er sich an das Mädchen wandte. „Und wie geht es dir, Kohana-chan?“

Kohana errötete vor Schüchternheit, als sie direkt angesprochen wurde, und drehte schnell den Kopf weg.

„Ich habe etwas für dich“, meinte Yujiro in einem sanften Ton, um sie nicht zu erschrecken.

Von seiner Stimme etwas beruhigt und vor allem aus Neugier, wandte sie Kiyonori leicht den Kopf zu, ohne den Kimono ihrer Mutter loszulassen. Der Chūnin tastete nach etwas in seinem Beutel und legte es sich auf die Hand, die er dann vor sich ausstreckte.

Verlegen blickte Kohana diese an. Dort lag eine kleine, verwelkte Blume. Ohne Yujiro aus den Augen zu lassen, beobachtete sie ihn aufmerksam ein paar Sekunden lang, bevor sie die Blume hastig aus seiner Hand griff und hinter ihre Mutter flüchtete.

„Kohana-chan, bedank dich!“, sagte Keiko und schüttelte den Kopf über die Manieren ihrer Tochter.

„Danke“, flüsterte Kohana schüchtern und betrachtete die Blume.

Kiyonori lächelte leicht. „Wisst ihr, ihr Name passt wirklich zu ihr. Sie ist in der Tat wie eine ‚kleine, zerbrechliche Blume‘“, kommentierte er und sprach dabei über die Bedeutung von Kohanas Namen.

Keiko schmunzelte, erfreut über das Kompliment. Währenddessen wandte sich Yujiro wieder an Rintaro, der ihm mit derselben Dankbarkeit zunickte.

„Ich wünschte nur, dass man uns auch so leicht aufmuntern könnte.“

Kiyonori bejahte. „Ich auch. Manchmal ist das Leben so schwer, dass man in die guten, alten Zeiten zurück möchte. Vor allem in die Kindheit.“

Rintaro stimmte ihm entweder zu oder zeigte einfach nicht, was er dachte. So oder so, blieb sein Gesicht ausdruckslos. Als sie erneut Schüsse vernahmen, kehrten sie wieder in die Gegenwart zurück.

„Wie gut kannst du dich eigentlich mit einem Arm verteidigen?“, erkundigte sich Yujiro, über seinen Freund beunruhigt.

Rintaro blickte nachdenklich die Decke an und überlegte. „Um ehrlich zu sein, habe ich keine Ahnung.“

„Hast du aber genug Waffen bei dir, um dich wehren zu können?“

Rintaro lächelte. „Mach dir bloß keine Sorgen über mich. Wenn du eine Familie hast, tust du alles, um die Sicherheit deiner Familie zu gewährleisten.“

Er schaute in die Richtung seiner Frau und Tochter. Ein Schrei, der aus dem Haus kam, ließ sie alle aufblicken. Rintaro und der Chūnin sahen zur Tür, wo gerade Tanba hereinkam und einen Mann stützte, in dessen Brust ein Pfeil steckte.

„Macht Platz!“, gab er einen Befehl, der sofort befolgt wurde.

Zwei Frauen eilten unverzüglich herbei, als der Verwundete mit Momochis Hilfe auf den Boden hingelegt wurde. Eine von ihnen hielt eine Schüssel mit Wasser sowie ein Tuch und kniete sich vor dem Mann hin, bevor die beiden anfingen, ihm die Wunde zu säubern. Dabei gab der Letztere ein schmerzvolles Stöhnen von sich und konnte nur mühevoll einen weiteren Schrei unterdrücken.

Yujiro blickte den Verwundeten noch einmal an und wandte dann seine Aufmerksamkeit dem Jōnin zu, der abwesend vor sich hin starrte und dessen Gesichtszüge deutlich auf Wut und Verzweiflung hinwiesen. Erst jetzt bemerkte Kiyonori, dass jegliche Förmlichkeit einfach abgelegt worden war und dass sein Vorgesetzter seine Männer so behandelte, als wären sie von gleichem sozialem Status. Manchmal pflegte er selbst die Verwundeten und hatte sogar sein eigenes Leben aufs Spiel gesetzt, um einige von ihnen zu retten. Tanba versuchte aufmunternd zu wirken, doch es war nicht schwer zu erkennen, dass auch er jegliche Hoffnung verloren hatte. Die Flamme der Entschlossenheit, die noch vor einigen Tagen in seinen Augen brannte, war erloschen.

Mit Bedauern musste sich der Chūnin an Momochis waghalsige Tat erinnern, die dieser am vorherigen Tag begangen hatte, in der Hoffnung den Oda-Clan in die Flucht zu schlagen. Ohne an sein eigenes Leben zu denken, hatte der Jōnin ganz alleine ein riskantes Manöver unternommen, um den General Tsugawa zu töten. Dies war ihm auch gelungen, indem er zwei Bomben auf den General aus Entfernung geschleudert hatte. Nun hofften die Iga bereits seit über einem ganzen Tag, dass sich die Oda vielleicht zurückziehen würden.

Tanba schaute in Yujiros Richtung, als er bemerkte, dass ihn dieser musterte, und ihre Augen trafen sich. Kiyonori spürte, wie seine Freude und Hoffnung eines potenziellen Sieges verschwanden, sobald er Momochis düsteren Blick sah. Er wusste, was dies bedeutete.

Wenn die Oda-Armee tatsächlich vorgehabt hätte, nach Tsugawas Attentat in ihre Provinzen zurückzukehren, dann hätten sie dies längst getan. Das hieß, dass sie noch genügend Generäle hatten, um ihre Invasion zu beenden, und dass diese nun noch strenger bewacht sein würden als zuvor.

Allmählich wurde dem Chūnin die wahre Situation bewusst. Ihre letzte Chance war vorbei. Sie hatten bereits so gut wie verloren.

Shinobi - Die Auslöschung

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