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Kapitel 10 Wie man eine Artischocke isst

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Italien besaß keinen wichtigeren patriotischen Feiertag als den 20. September, dem Tag, als italienische Truppen im Jahr 1870 Rom einnahmen. Während Patrioten den Tag feierten, hielten Vatikantreue besondere Trauermessen ab. Anfang September 1929 schickte der Papst seinen Nuntius zu Mussolini. Er wollte den Feiertag abschaffen und durch einen ersetzen lassen, der an die Unterzeichnung der Lateranverträge am 11. Februar erinnerte.1

Mussolini war nicht begeistert. „Ich muss Ihnen ganz offen sagen, dass die Italiener die Feiern am 20. September nicht aufgeben können“, erwiderte er. Im Konkordat stehe nichts über eine Abschaffung. Das Ereignis, an das erinnert werde, habe sich als gut für alle erwiesen, auch für die Kirche. Alles sei ein Teil von Gottes Plan.2

Pius XI. war verärgert über Mussolinis Anmaßung, ihn über Gottes Wünsche belehren zu wollen, und ließ ein paar Tage später durch seinen Nuntius antworten, das Konkordat erwähne die Abschaffung des Feiertags nur deshalb nicht ausdrücklich, weil sie „so offensichtlich“ sei.3

Die Verhandlungen gingen bis zur letzten Minute weiter, aber der Feiertag wurde in diesem Jahr begangen, wenn auch mit wenig Aufwand. Trotzdem konnte der Papst einen Erfolg verbuchen. Um ihn zu besänftigen, hatte der Duce ihm versprochen, den Tag nie wieder zu feiern.

Sieben Jahre lang hatte Mussolini Rachele und die Kinder davon abgehalten, nach Rom zu ziehen, doch im November 1929 kam seine Frau mit allen fünf Kindern, einschließlich der zwei Monate alten Anna Maria. Sie zogen in die prächtige Villa Torlonia, einen Palazzo aus dem frühen 19. Jahrhundert mit großem Park, gleich vor der alten Stadtmauer.4

Mussolinis Familienleben wurde verkompliziert durch seine anhaltende Bindung zu Margherita Sarfatti, deren Wohnung in Rom zum Salon geworden war, wo sich Künstler, Schriftsteller und prominente Faschisten trafen. Für Margherita war Rachele eine ungebildete Bäuerin. Sie trug weder Lippenstift noch Rouge und besuchte keinen Schönheitssalon. Sie besaß nur zwei bescheidene Mäntel, die sie abwechselnd trug: einen kurzen Sealmantel und einen Silberfuchs, laut einem Beobachter „das höchste, was sie an weiblicher Extravaganz gewagt hat.“ Sie bestand darauf, das Geschirr nach dem Essen selbst zu spülen, und weigerte sich, zu staatlichen Empfängen zu gehen, zweifellos zur Erleichterung ihres Ehemanns. In einer Ecke der eleganten Gärten des Anwesens ließ sie einen Ofen bauen, damit sie Brot backen konnte, außerdem einen Hühnerstall und einen Koben, wo sie zwei Schweine hielt.

Rachele war zwar häuslich, aber gegenüber ihrem Ehemann und den Kindern keineswegs zurückhaltend. Edda nannte sie „den wahren Diktator in der Familie.“ Wenn sie als Kind etwas anstellte, versteckte sie sich vor ihrer Mutter aus Angst vor Ohrfeigen. Die Rettung nahte, wenn ihr Vater nach Hause kam. Edda vergötterte ihren Vater, den sie für poetisch, nachgiebig und zärtlich hielt, im Gegensatz zu ihrer Mutter. „Selbst in meinen frühsten Erinnerungen sehe ich sie als stur und unbeweglich“, erinnerte sich Edda. Rachele verzieh auch nicht leicht. Viele Jahrzehnte weigerte sie sich, mit ihrer Schwester zu sprechen, die versucht hatte, ihre Verbindung zu dem Diktator auszunutzen. Danach durfte keines der Mussolini-Kinder den Namen der Tante in Gegenwart ihrer Mutter aussprechen.

Nach der nur halb scherzhaften Aussage seiner ältesten Tochter war Mussolini in die Politik gegangen, um so wenig Zeit wie möglich mit seiner Frau zu verbringen. Als junger Mann „zog er die Knüppelschläge der Polizei und seiner Gegner den bitteren Vorwürfen seiner Frau vor.“ Mussolini bewohnte einen eigenen Flügel der Villa Torlonia. Obwohl er dort gelegentlich eine Geliebte empfing, fand er es im Allgemeinen sicherer, solche Treffen in seinem Büro abzuhalten.5

Im Dezember 1929 besuchten König Vittorio Emanuele III. und Königin Elena mit großem Pomp den Vatikan, um dem Papst ihre Aufwartung zu machen. 68 Jahre nach der Gründung des Königreichs Italien sollte endlich ein Papst den Monarchen begrüßen. Soldaten säumten die Straßen, um die Massen zurückzuhalten. Schweizergardisten in mittelalterlichem Harnisch und mit federgeschmücktem Silberhelm bildeten eine Doppelreihe, die das Königspaar durchschritt. Als die Gesellschaft den Vatikanstaat betrat, spielte die Kapelle der Palatingarde den königlichen Marsch. Der König in Uniform und die Königin im weißen Spitzenkleid wurden die päpstliche Treppe hinauf in den Apostolischen Palast geführt. Sie durchschritten eine Folge von prunkvoll geschmückten Empfangsräumen und gelangten schließlich zum kleinen Thronsaal, wo Pius XI. sie unter einem Samtbaldachin sitzend erwartete.

Nach einem zwanzigminütigen Gespräch und dem Austausch von Geschenken besuchte das Königspaar Kardinal Gasparri in seiner Wohnung. Dort wurden Gruppenaufnahmen gemacht. Der Papst hielt es für würdelos, mit Besuchern fotografiert zu werden, ob königlich oder nicht. Ebenso wenig beugte er sich dem Druck der italienischen Regierung, einen Gegenbesuch im Quirinalspalast zu machen. Herrscher kamen zu ihm. Nach den Gruppenfotos begleitete der Kardinalstaatssekretär das Königspaar zum Petersdom, wo es am Petrusgrab niederkniete.6 Dass der Tag für den kirchenfeindlichen König eine Prüfung war, wurde von Mussolinis Schwester Edvige festgehalten, die den König wenig schätzte. Sie beschrieb seine Miene als „noch grimmiger und boshafter als sonst.“7

Es war eine ereignisreiche Zeit für Pius XI., der noch im selben Monat zum ersten Mal seit seiner Wahl vor acht Jahren weiter als bis zum Petersplatz vorstieß. Am 20. Dezember fuhr kurz nach sechs Uhr morgens eine Wagenkolonne ohne jede öffentliche Ankündigung vom Vatikan zur Lateranbasilika auf der anderen Seite Roms. Der Papst wollte eine Messe in der Kirche abhalten, in der er 50 Jahre zuvor zum Priester geweiht worden war. Seit Pius IX. sich 1870 zum Gefangenen im Vatikan erklärt hatte, betrat damit zum ersten Mal ein Bischof von Rom wieder seinen Bischofssitz.8

Ein französischer Bischof bemerkte, Pius XI. sei „der geheimnisvollste aller Menschen. Er vertraut sich niemandem an, nicht einmal seinen engsten Ratgebern. Er ist sehr sensibel und sogar gefühlvoll, kontrolliert sich aber durch seinen starken Willen und gibt niemandem nach. Seine Entscheidungen sind unmöglich vorherzusehen.“9

Wenige Monate später heiratete Mussolinis Lieblingskind Edda. Er erhoffte sich davon etwas Erholung. Obwohl er sie anbetete, schien sie es zu genießen, ihn zu quälen. Von all seinen Kindern ähnelte sie ihm am meisten: eigensinnig, impulsiv, launisch, abenteuerlustig, übernervös und rechthaberisch, immer zum Spott oder einem vernichtenden Blick fähig, eine leidenschaftliche Reiterin und Schwimmerin. Ohne sich um Konventionen zu scheren, trug sie Hosen, fuhr schnelle Autos und rauchte. Das scharfe, gemeißelte Gesicht und die athletische Figur standen im Gegensatz zu ihren dicklicheren Brüdern, die mehr der Mutter ähnelten.10


Bild 17: König Vittorio Emanuele III. und Königin Elena besuchen den Papst im Dezember 1929.


Bild 18: Mussolini und Rachele mit ihren Kindern, 1930.

Obwohl sie erst 19 war, hatte Edda schon eine Reihe romantischer Affären gehabt, was ihren Vater sehr aufbrachte. Im Juli 1929 versetzte sie ihm einen Schock, als sie erklärte, sie liebe einen Juden. Dass seine Tochter nur wenige Monate, nachdem er den Beifall der katholischen Welt für die Versöhnung mit der Kirche gewonnen hatte, einen Juden heiraten könnte, war eine zu schreckliche Vorstellung. Da er sah, dass die Tiraden seiner Frau gegen das Verhältnis nichts nützten, bat Mussolini seine Schwester Edvige, mit Edda zu reden. Edda sagte später, am stärksten habe sie beeindruckt, dass ihr Vater ihr den Wagen wegnahm, um sie zu bestrafen. Er hätte sich aber keine Sorgen zu machen brauchen, denn die starrköpfige Edda trennte sich bald von ihrem jüdischen Freund und begann eine Affäre mit einem zügellosen und syphilitischen jungen Kokainabhängigen, dem Sohn eines reichen Fabrikanten.11 Ein paar Monate später kam „das verrückte Fohlen“, wie ihre Familie sie heimlich nannte, auf den rechten Weg und verkündete die Verlobung mit dem 27 Jahre alten Galeazzo Ciano.12

Galeazzos Vater Costanzo war Minister für Post und Telegraphie und gehörte zu Mussolinis innerem Kreis. Er war im Ersten Weltkrieg Kapitän gewesen, und 1925 machte der König ihn zum Grafen und erfüllte damit den Wunsch Mussolinis nach der Schaffung eines neuen, faschistischen Adels. Costanzo Ciano, den man weithin verdächtigte, bei der Vergabe von Großaufträgen Schmiergelder zu nehmen, wurde reich, und sein Sohn Galeazzo wuchs im Luxus auf. Der weltmännische Frauenliebling – so sah er sich zumindest selbst – hatte gepflegtes, pomadisiertes schwarzes Haar. „Ich mag ihn nicht“, murmelte Rachele, „er ist keiner von uns. Er ist ein signore.“

Galeazzo kam zu Mussolinis Residenz, um formell um Eddas Hand anzuhalten, worauf dieser ihn aus dem Arbeitszimmer begleitete und der Familie die Neuigkeit verkündete. Rachele tat, was sie konnte, um Galeazzo davon abzubringen. „Sie müssen wissen, Edda kann gar nichts. Sie kann nicht nähen, weiß nicht einmal, wie man ein Ei kocht oder einen Haushalt führt. Von ihrem Charakter will ich gar nicht erst reden. Aber ich bin ihre Mutter und wollte sie gewarnt haben.“13

Die Hochzeit im April 1930 fand in einer nahegelegenen Kirche statt. Hinterher versammelten sich Hunderte von Gästen – die Frauen in Mänteln mit Pelzkragen, die Männer in dunklen Anzügen – zum Empfang im Park der Villa Torlonia. Vor einer breiten, langen Treppe, die zu den hohen Säulen der weißen Villa emporführte, hielt eine Wochenschau den päpstlichen Nuntius Borgongini im Gespräch mit dem faschistischen Minister Dino Grandi fest. Beim Essen im Garten hatte der Nuntius später die Ehre, mit dem kahl werdenden Mussolini an einem kleinen runden Tisch zu sitzen. Römische Schulmädchen in langen weißen Kleidern, jede mit einem großen weißen Bogen auf dem Rücken, sangen im Chor. Eddas kleine Brüder waren auch da und trugen kurze schwarze Hosen und weiße Hemden mit offenem Kragen und hatten das Haar glatt zurückgekämmt. Nach dem Gesang paradierten die Schulmädchen am Brautpaar vorbei. Während Edda den Arm zum faschistischen Gruß erhob, hatte Galeazzo die Hände auf dem Rücken gefaltet und hielt seinen schwarzen Zylinder.

Dann fuhr das junge Paar mit Eltern und Schwiegereltern zum Petersdom. Galeazzo und Edda in ihrem weißen Brautkleid und der weißen Spitzenhaube, die an einen „Flapper“ der 1920er Jahre erinnerte, stiegen die imposante Treppe zum Dom empor, während zwei kleine Kinder die lange Schleppe trugen. Mussolini trug wie sein neuer Schwiegersohn Frack und Zylinder. Eine begeisterte Menge hob den Arm zum Gruß. Im Dom segnete Borgongini das Paar im Namen Pius XI. und überreichte Edda ein Geschenk des Papstes, einen prächtigen Rosenkranz aus Gold und Malachit.14 Die Jungvermählten zogen zu Galeazzos Eltern, aber nur kurz, denn die unabhängige Edda mochte ihre füllige Schwiegermutter nicht und gab ihr den Spitznamen la bertuccia (Äffin oder alte Schachtel).15

Als der Herbst 1930 näher rückte, erinnerte der Papst Mussolini durch seinen Nuntius mehrfach an das Versprechen, den italienischen Nationalfeiertag abzuschaffen. Der Duce hatte aber Skrupel, weil er fürchtete, dies könnte ihn schwach erscheinen lassen. Pius XI. gab nicht nach. Sollte der 20. September noch einmal gefeiert werden, dann würde er öffentlich protestieren.16

Diese Drohung weckte Mussolini auf. Er bestellte den Nuntius in den Palazzo Venezia, in den er ein Jahr zuvor seinen Amtssitz verlegt hatte. Der wuchtige mittelalterliche Palast war im 15. Jahrhundert von Papst Paul II. erbaut worden und stand an einem großen Platz schräg gegenüber dem Nationaldenkmal für Vittorio Emanuele II. (das Kritiker als monströse weiße Hochzeitstorte verspotteten). 1924 hatte Mussolini sein Programm einer Wiederherstellung des antiken Roms begonnen, indem er Häuser und Kirchen abreißen ließ – manche aus der Renaissance –, die über den nahegelegenen Trajansmärkten und dem Forum Romanum standen. Bald würde er noch mehr Häuser abreißen lassen, um eine monumentale 30 Meter breite Straße von der Piazza Venezia an den antiken Ruinen vorbei zum Kolosseum zu bauen.17

Als der bebrillte Nuntius, dessen Bauch ein wenig die Soutane spannte, am 1. September Mussolinis Büro betrat, begrüßte ihn der Duce auf seine übliche ruppig-wohlwollende Art. Er hatte als neues Büro den höhlenartigen „Saal der Weltkarte“ gewählt, 20 Meter lang und 15 Meter breit mit einer 13 Meter hohen Freskendecke. Das riesige Mosaik einer Weltkarte nahm die gesamte Westwand ein. Mussolini war gutgelaunt und sah erholt aus, die Sonnenbräune stach vom weißen Wollanzug ab.

Auf die Frage nach seiner Bräune sagte er, er sei täglich an den Strand gegangen, um zu schwimmen und seine cura dell’uva (Traubenkur) zu machen. „Die Traube ist die Medizin, die die Natur dem Menschen gegeben hat, der ihre Kraft aber nicht kennt“, erklärte Mussolini dem verblüfften Nuntius. „Eine Handvoll Trauben auf leeren Magen regen die Leber an, haben eine leicht abführende Wirkung und machen einen den ganzen Tag satt.“

Der Diktator litt an einem nervösen Magen. In Augenblicken von großem Stress krümmte er sich vor heftigen Schmerzen und musste sich ins Bett legen. Bei einem solchen Anfall vor mehreren Jahren, gleich nach der Verkündung der Diktatur, spuckte er Blut. Obwohl Spezialisten hinzugezogen wurden, konnte keiner eine klare Diagnose liefern. Darum war der Mann, der früher gern doppelten Espresso getrunken hatte, zu einer Diät mit Kamillentee, Obst und Gemüse gekommen. Wenn bei späten Sitzungen des Großrats dessen Mitglieder einen Espresso nach dem anderen tranken, um wach zu bleiben, trank der Duce frisch gepressten Orangensaft. Kaffee und Alkohol mied er ganz.18

„Sie wissen, warum ich hier bin“, sagte Borgongini. Darauf zog Mussolini den jüngsten Brief des Nuntius mit der päpstlichen Drohung hervor und deutete auf die Passagen, die er mit seinem blauen Stift unterstrichen hatte. Mussolini kritzelte unermüdlich Anmerkungen mit einem dicken roten oder blauen Buntstift an den Rand der Dokumente, die er las, und ersetzte ihn erst, wenn er ein kleiner Stummel war.19

Der Duce schüttelte den Kopf. Der 20. September sei ein gesetzlicher Feiertag und nur durch Parlamentsbeschluss abzuschaffen. „Also schränken wir die Feiern für dieses Jahr noch mehr ein“, schlug er als Kompromiss vor. „Wir lassen alle Lichter und Flaggen weg – außer an Regierungsgebäuden. Bei der nächsten Kabinettsitzung beschließen wir, den Feiertag abzuschaffen, und ich unterstütze es im Parlament.“20

„Nein, Eure Exzellenz“, antwortete der zähe Borgongini, „das sind keine Lösungen. Der Feiertag muss abgeschafft werden, und zwar vor dem 20. September, sonst wird das Gewissen des Heiligen Vaters ihn zu einem öffentlichen Protest zwingen. … Und die ganze Welt wird über uns lachen und sagen: ‚Das ist ja eine großartige Versöhnung!‘“ Artikel 6 des Lateranvertrags hebe alle früheren Regierungsbeschlüsse auf, die ihm zuwiderliefen, darum könne der Duce einfach verkünden, der Feiertag werde als Teil seiner Umsetzung abgeschafft.

Mussolini dachte kurz nach und stimmte dann zu, dass dies ein Ausweg sein könne. Er werde mit seinen Rechtsberatern sprechen und dem Nuntius bald Bescheid geben.

Als Borgongini sich erhob, um zu gehen, sprach er Mussolini sein Beileid zum Tod seines jungen Neffen, des Sohnes von Arnaldo aus. Das machte den Duce nachdenklich, als er an die letzten Lebenstage des leidenden Jungen dachte und an den tiefen katholischen Glauben seines Bruders.

„Auch ich bin ein Gläubiger“, versicherte er dem Nuntius. „Ganz gewiss!“ Dann fügte er hinzu: „Aber die Menschen haben mich böse gemacht.“21

Bald bestellte der Duce den Nuntius wieder zu sich. Man brauche zwar ein Gesetz, um den 20. September als Feiertag abzuschaffen, aber er würde es auf die Tagesordnung der nächsten Kabinettsitzung setzen. Er sollte durch einen neuen Feiertag am 28. Oktober, dem Jahrestag des Marsches auf Rom, ersetzt werden.

Der Papst würde den Kompromiss vielleicht annehmbar finden, sagte Borgongini, aber er würde sich nicht über den Vorschlag freuen, den alten Feiertag durch den 28. Oktober zu ersetzen, statt durch den 11. Februar, den Tag der Versöhnung.

„Belassen wir es dabei“, sagte Mussolini mit lauter werdender Stimme. „Sie wollten, dass ich den 20. September als Feiertag abschaffe, begnügen wir uns damit. Genug! Fangen Sie nicht an, mich zu bitten, ich soll den Namen der Via 20 Settembre ändern, oder sich zu beschweren, weil die Schulbücher den Einzug der Italiener in Rom am 20. September erwähnen.“

Mussolini stand auf. „Ich habe wichtigeres zu tun, als mir Sorgen um einen Feiertag zu machen“, sagte er beim Abschied zum Nuntius.22

Der Papst ließ sich jedoch nicht einschüchtern und bohrte weiter. Obwohl er von Borgongini wusste, was Mussolini über den Straßennamen gesagt hatte, bestand er darauf, die Via 20 Settembre, eine der Hauptstraßen von Rom, müsse umbenannt werden. Er schlug vor, sie zu Ehren der Lateranverträge Via 11 Febbraio zu nennen.

Als Mussolini von der neusten Forderung des Papstes erfuhr, bestellte er den Nuntius zu sich. „Sie wollen anscheinend einen kirchenfeindlichen Sturm entfesseln“, sagte der zornige Duce zu ihm. „Ich bedaure, was ich mit dem 20. September getan habe. … Kaum habe ich ein Zugeständnis gemacht, fordern Sie das nächste, noch bevor das Kabinett zusammentritt, noch bevor das Gesetz verabschiedet werden konnte, und obwohl ich Ihnen gesagt habe, dass der Straßenname nicht zur Debatte steht.“

Es gebe einen Grund, warum er den Straßennamen beim letzten Treffen erwähnt habe, sagte der Duce. „Ich kenne Sie, und ich habe erwartet, dass Sie mich nach der Abschaffung des Feiertags bitten würden, die Straße abzuschaffen, und nach der Straße, wer weiß, was noch alles?“ Was werde als nächstes kommen?, fragte er. Italien habe 9000 Städte, und wer wisse denn, wie viele Straßennamen dem Papst missfielen?

Als er den Nuntius hinausbegleitete, beruhigte Mussolini sich wieder. „Wir machen Politik, wie man eine Artischocke isst, ein Blatt nach dem anderen“, erklärte er. „Denn das ist meine Stärke. Ich tue die Dinge auf meine Art, ohne unnötige Schritte. Ich muss den Buchstaben des Gesetzes respektieren. Ich will kein Elefant im Porzellanladen sein.“23

Mit dem Abschluss der Lateranverträge begann nach dem Urteil der Historiker eine Periode des Konsenses für Mussolini. Er brauchte keine spürbare Opposition mehr zu fürchten, und sein Hunger nach Schmeichelei wuchs.24 Er wies die Zeitungen nicht nur an, ihn stets als Duce zu bezeichnen, sie mussten DUCE auch großschreiben.25 Sein Bild war überall, in öffentlichen Gebäuden, Privatwohnungen und Geschäften. Zeitungen und Zeitschriften druckten heroische Fotos, die er vor der Veröffentlichung sorgfältig begutachtete. Alle, die ihn mit Nonnen, Mönchen oder Priestern zeigten, sortierte er aus, denn er war überzeugt, das bringe Unglück.26

Auch auf der Leinwand kultivierte Mussolini sein Image. Rom war voller Kinos – eines besaß sogar ein Dach, das man zum Lüften öffnen konnte –, und die Menschen sahen begierig die neusten Filme.27 Der Duce arbeitete eng mit der neuen nationalen Filmbehörde zusammen, und ein Gesetz von 1927 legte fest, dass ihre Wochenschauen in jedem italienischen Kino laufen mussten.

Ein endloser Strom von Filmen hielt fest, wie der Diktator neue Projekte einweihte, vor faschistischen Jugendgruppen sprach, Kränze am Grab faschistischer Märtyrer niederlegte und bunt gekleideten Bäuerinnen Medaillen verlieh. Andere zeigten, wie er im weißen Anzug öffentliche Bauvorhaben inspizierte oder im Hemd mit offenem Kragen auf einem braunen Pferd über rasch aufgestellte Hindernisse im Park der Villa Torlonia ritt. Manche Wochenschauen boten leichtere Kost, einen Blick auf das Volksleben, oder hielten den Triumph italienischer Boxer und Radfahrer fest. Ein Film zeigte ein Volksfest im römischen Viertel Trastevere, nicht weit vom Vatikan. Die Zuschauer sahen Männer beim Sackhüpfen und beim Eierlauf (eine Frau war nicht darunter). Eine spielerische Filmszene zeigte das eierbeschmierte Kopfsteinpflaster nach dem Rennen, denn nicht alle hatten es ins Ziel geschafft. Das Lachen im Saal legte sich rasch, sobald Mussolini zu sehen war – alle standen auf.

Nicht jeder war mit dieser erzwungenen Hommage an den Diktator glücklich. Eine Geschichte machte die Runde, nach der Mussolini eines Tages verkleidet ins Kino ging. Als sein Bild erschien und alle aufstanden, blieb er sitzen. Ein Mann, der im dunklen Saal hinter ihm stand, tippte ihm auf die Schulter und sagte: „Signore, ich denke genau wie Sie, aber ich rate Ihnen aufzustehen, sonst schlägt Ihnen noch einer von diesen Idioten den Schädel ein.“28

Bei öffentlichen Auftritten stellten die Untergebenen des Duce sicher, dass er von einer begeisterten Menge umgeben war, auch wenn sie dafür Polizisten in zivile Kleidung stecken mussten. Mussolinis persönlicher Assistent Navarra erinnerte sich, dass über einen Wochenschaufilm das Gerücht umging, die Bäuerin, mit der Mussolini tanzte, sei ein verkleideter Polizist.

Manchmal vergaß Mussolini, dass die Arbeiter, Bauern und Handwerker, mit denen er gefilmt wurde, seine eigenen Polizisten waren. Bei der Einweihung eines Neubaus dachte er aber daran. Er wandte sich an den „Maurer“ neben ihm und fragte flüsternd, ob er ein Polizist sei.

„Nein, Duce!“, antwortete der Mann.

„Ah, bravo!“, sagte Mussolini erfreut. „Und wer sind Sie, der Polier?“

„Nein, Duce. Ich bin Feldwebel.“29

Der erste Stellvertreter

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