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Der Jet hatte seine Flughöhe erreicht und zog ungestört von Turbulenzen über den strahlend blauen Himmel.

Daniel griff auf der Suche nach Ablenkung in die Tasche an der Sitzlehne vor ihm und zog ein kleines Heft heraus. Auf der Vorderseite war das gleiche Logo abgebildet wie auf dem Heck der Maschine. Darunter stand in weißen Buchstaben auf dem roten Umschlag Unternehmensgeschichte - Konzernbild.

Daniel öffnete das recht umfangreich geratene Heft. Einen besseren Zeitvertreib würde er für die Dauer des Fluges wohl nicht finden. Er wusste zwar grundsätzlich, was DesertEnergy machte und hatte auch einiges zu den von dem Unternehmen zur hocheffizienten Reife entwickelten Technologien gelesen, aber die Geschichte des Unternehmens selbst war ihm so gut wie überhaupt nicht bekannt. Kurz darauf war er bereits in die Geschichte des Energiekonzerns vertieft.

DesertEnergy war 2023 in Europa gegründet worden. Gegenstand des Geschäfts sollte die regenerative Energieerzeugung aus Solarenergie sein. Maßgeblich für die finanzielle Ausstattung des Unternehmens war der Kapitalfonds ProtectCapital. Das Unternehmen setzte auf den Grundlagen auf, die das DesertTec-Konzept nach Beginn des einundzwanzigsten Jahrhundert geschaffen hatte.

2009 war die DesertTec Foundation gegründet worden, zum Zweck der Förderung des Aufbaus einer nachhaltigen, ausreichenden und kostengünstigen Energieversorgung durch Gewinnung regenerativer Energien in sonnenreichen Wüstengebieten und ihre Übertragung in die Bedarfsregionen mittels Hochspannungs-Gleichstrom-Übertragung (HGÜ). Das DesertTec-Konzept wollte eine Antwort auf die Frage nach einer nachhaltigen Energieversorgung der Erde geben. Die endliche Verfügbarkeit fossiler Brennstoffe und die Auswirkungen der Förderung und Verwendung dieser Brennstoffe auf die Natur waren die maßgeblichen Faktoren zur Umsetzung dieses Konzepts. Die DesertTec-Foundation ging davon aus, dass es möglich sei, mehr als neunzig Prozent der Weltbevölkerung mit Strom aus den Wüsten zu versorgen.

Das Ziel war, die Rahmenbedingungen für nachhaltige und klimafreundliche Energieerzeugung in den Wüsten Nordafrikas und des Nahen Ostens zu schaffen und den Weg zu einer revolutionären Umstellung der Energieversorgung Europas zu bereiten. In Referenzprojekten sollten solarthermische, photovoltaische und Windanlagen in diesen Regionen Afrikas errichtet werden.

In Marokko wurden aufgrund guter Voraussetzungen für Windanlagen mehrere Windparks errichtet und in Betrieb genommen. Um den Strom nicht nur an den Orten der Entstehung selbst nutzen zu können und ihn auch an die Bedarfsorte in Europa zu befördern, wurden bereits 1997 durch die Straße von Gibraltar nach Spanien gelegte Stromleitungen genutzt. Die existierenden Leitungen reichten jedoch absehbar nicht aus. Eine dritte Leitung folgte schon vor der DesertEnergy Gründung.

Marokko bot aufgrund seiner geografischen Gegebenheiten hervorragende Voraussetzungen. Jedoch war die Umsetzungsgeschwindigkeit der einzelnen Projekte in Bezug auf das genannte langfristige Ziel einer kontinentalüberschreitenden Stromversorgung zu gering. Die Planungen gingen von Anlagen aus, die bis 2020 den Strombedarf Marokkos zu knapp zwanzig Prozent aus Solaranlagen decken und eine vergleichbare Leistung aus Windparks erzeugen sollten, viel zu wenig, um dem europäischen Energiehunger in absehbarer Zeit eine nennenswerte Menge an Energie bereitstellen zu können. Die verfügbaren Investitionsmittel waren zu gering, weitere Kapitalgeber schwierig zu bekommen.

Aber auch politische Schwierigkeiten hemmten nennenswerte Fortschritte in Nordafrika. Der Arabische Frühling beseitigte zwar die alten Regime in Ägypten, Libyen und anderen Ländern in der Region, fiel jedoch eher kurz aus. Die Dramatik der Machtwechsel war sehr unterschiedlich. Und nicht überall etablierten sich Regierungen, die vorwärts gerichtete Visionen hatten, eigentlich waren die meisten Visionen sogar eher nur auf Erhalt eines Status quo ausgerichtet. Das entstehende Machtvakuum in vielen Ländern des afrikanischen und arabischen Raumes bot sehr viel Platz für nachrückende Kräfte, die wenig Interesse an einer Zusammenarbeit mit den europäischen Staaten hatten. Eine Reihe neuer Machthaber oder machtbewusster politischer Gruppen verfolgten eine radikale Linie und versuchten ihren Einfluss in den übrigen afrikanischen Staaten geltend zu machen.

Mitten in die politischen Umwälzungen löste sich die DesertTec Industrial Initiative wegen gravierender Meinungsverschiedenheiten zwischen den beteiligten Parteien auf, ausgelöst von den an Stärkung ihrer Macht interessierten beteiligten Konzerne.

Dazu veränderten sich in den Folgejahren die Rahmenbedingungen für Marokko, denn spanische Stromerzeuger lieferten ihre Überproduktionen günstig dorthin, was den Sinn eines schnellen Ausbaus der teuren Solarparks in Marokko infrage stellte. Der Ausbau eines entsprechenden Stromnetzes innerhalb Europas und Regelungen über den europaweiten Import von Strom aus Afrika wurden ebenso politisch nachrangig behandelt.

Terroristische Aktivitäten, die in den Folgejahren immer weiter aus dem algerischen Süden und Mali in den umliegenden Staaten um sich griffen, erschwerten die Weiterentwicklung der Projekte ebenso. Es sah sehr danach aus, dass sich die Ideen und Bestrebungen von DesertTec in Nichts auflösen würden.

Doch manchmal fügen sich zumindest einige Dinge wie von selbst zum gewünschten Bild zusammen. Was immer auf dem Bild auch abgebildet sein sollte.

Hauptsächlich in Folge ihrer Überschuldung und einer langwierigen Weltwirtschaftskrise erklärten mehrere europäische Staaten ihre Zahlungsunfähigkeit. Ein spürbares Erdbeben für alle, das drohte, globalen Schaden in Form von Billionenverlusten anzurichten.

Nicht nur die Wirtschaft war von schweren Erschütterungen bedroht, auch die Vision einer nachhaltigen ökologischen Energieversorgung schien endgültig nicht mehr realisierbar, angesichts der kaum fassbaren absehbaren Kapitalvernichtung.

Banken kollabierten, Unternehmen waren von gewaltigen Zahlungsausfällen bedroht, Massenarbeitslosigkeit die zwangsläufige Folge. Westeuropa erlebte ein wirtschaftliches Albtraumszenario und reagierte in bekannter Weise.

Die Zauberworte lauteten Gläubigerverzicht und Zwangsfinanzierung des Rettungsplans durch Unternehmen und Bürger. Die Reaktion darauf kam von den Kapitalmärkten.

Der in Europa gegründete Sammelfonds ProtectCapital, der einen beträchtlichen Teil der Kreditforderungen gegen die Bankrottstaaten gesammelt hatte, präsentierte der Europäischen Union einen Entschuldungsplan, der Wachstumsmärkte in Europa in den Fokus nahm. Dazu gehörte auch der Bereich der erneuerbaren Energien.

Der Sammelfonds forderte für alle ins Visier genommenen Märkte Mitbestimmung bei Regierungsentscheidungen, dazu insbesondere für den Energiemarkt schnelle Freigaben für den Ausbau von Stromtrassen in Westeuropa, politische Unterstützung für den kontinentalübergreifenden Ausbau, dazu Steuervorteile für entsprechende Projekte und Abnahmegarantien.

Im Gegenzug sicherte der Kapitalfond weitere Investitionen zu, gewährte einen zehnprozentigen Schuldenschnitt und neue Rückzahlungsbedingungen für die Restschulden, durch Übereignung von Staatsflächen für den Bau von Stromtrassen und Speicherwerken.

Die Regierungen Deutschlands, Spaniens und Frankreichs stimmten dem vorgeschlagenen Lösungsweg in gerade übertriebener Hektik zu. Eine Wahl hatten sie im Grunde nicht. Die andere Option wäre ein massiver Kapitalabfluss aus Europa gewesen, der die wirtschaftliche Zukunft der beteiligten Länder infrage gestellt hätte, in denen die Arbeitslosenquoten konsequent stiegen. Damit war der Grundstein für die Gründung von DesertEnergy gelegt, einem rein privatwirtschaftlichen Unternehmen, dessen erklärtes Ziel es war, das DesertTec-Konzept schnellstmöglich so weiter zu entwickeln, dass nachhaltige Stromerzeugung in Nordafrika mehr als fünfzig Prozent des Strombedarfs in den genannten europäischen Ländern binnen dreißig Jahren decken sollte, ein extrem ambitioniertes Ziel, gemessen an den damaligen Rahmenbedingungen.

ProtectCapital lieferte damit die Initialzündung für eine maßgebliche Veränderung auf dem europäischen und dem afrikanischen Kontinent. Zur Umsetzung der Strategie wurde weitere Unternehmen in den beteiligten Ländern gegründet, dazu Tochterunternehmen in Marokko und Algerien, den beiden Ländern, in denen die Stromerzeugung im entsprechenden Umfang installiert werden musste. Dort waren die Regierungen ebenso begeistert über die sich neu eröffnenden Möglichkeiten. Sonnenenergie und Windenergie waren wie Ölquellen. Einfach auszubeuten, weil man nur die Fördergebiete an Unternehmen verpachten musste, die den technischen Kraftakt der Förderung bewerkstelligten. Relativ billige erneuerbare Energie benötigte große Flächen auf dem Festland, in einem politisch stabilen Umfeld, mit der Garantie auf viele Sonnen- und Windstunden. Diese idealen Rahmenbedingungen, abgesehen vom stabilen politischen Umfeld, boten beide Länder.

Das Kooperationsabkommen sah vor, dass die Erzeugerstaaten eine zugesicherte Quote des erzeugten Stroms kostenlos für den Eigenverbrauch bekamen und kein eigenes Kapital für das Projekt einbrachten, stattdessen aber geeignete Flächen im geforderten Maße bereitstellen mussten und dem Projekt mehr oder wenige völlig freie Hand ließen.

Die Dimensionen, in denen DesertEnergy plante, waren gewaltig. Binnen weniger Jahre wurde ohne lästige bürokratische Zwänge auf zwei Kontinenten ein dreistelliger Milliardenbetrag in Energieparks, Speicherwerken und Stromtrassen verbaut.

Das Unternehmen konnte damit von sich behaupten, maßgeblich für das erneute Wirtschaftswachstum in Europa verantwortlich zu sein. Energie war das Blut der Wirtschaft. Und DesertEnergy besaß viel davon, sehr viel. Und mehrte seinen flüchtigen Besitz ständig.

Zehn Jahre später hatte DesertEnergy einen bemerkenswerten Fortschritt erzielt. Die installierte Leistung der insgesamt sechzig Energieparks in Marokko und Algerien reicht bereits aus, fünfzig Prozent des Strombedarfs in den Erzeugerländern bereitzustellen. Zusammen mit Anlagen, die erneuerbare Energien in Deutschland, Frankreich und Spanien erzeugten, konnten bereits fast dreißig Prozent des Strombedarfs in den Bezugsländern über regenerative Quellen bereitgestellt werden.

Der Strom wurde über bipolare Hochspannungs-Gleichstrom-Übertragungsleitungen, HGÜ-Leitungen, aus Afrika nach Europa geliefert, die nördlich der Hafenanlage TangerMed in Marokko und westlich von Oran in Algerien ins Mittelmeer führten.

Binnen einer Dekade war ein gigantischer Konzern entstanden, der für die zukünftige Energiesicherheit dreier großer europäischer Staaten verantwortlich war.

Die Energiewende, das ambitionierte Ziel des Ausstiegs aus der nicht regenerativen Energieerzeugung, in Deutschland durch den Ausstieg aus Atomenergie und dem Beschluss zum Ausstieg aus der Kohleverstromung im Inland begonnen, quälend langsam und teuer durchgeführt, hatte damit endlich eine wirtschaftlich tragfähige Grundlage.

Der Fluch der Flüchtigkeit, die mangelnde Lagerfähigkeit von Strom, wurde durch gewaltige Speichersysteme bekämpft, in denen mit Hilfe von Stromüberschuss erzeugtes Methangas oder Wasserstoff gelagert wurde. In Zeiten ausbleibender Winde und fehlender Sonneneinstrahlung wurden diese Energieträger in Stromkraftwerken für die Stromerzeugung eingesetzt.

Konsequente Investitionen in Forschung und Entwicklung hatten DesertEnergy damit in die Lage versetzt, die Effizienz von Windrädern, Solarzellen und Brennstoffzellen maßgeblich zu steigern, moderne Stromnetze zu errichten und durch Speichersysteme für Versorgungssicherheit des eigenen Anteils am Gesamtbedarf zu sorgen.

Zum zehnjährigen Firmenjubiläum würdigte Frederic Jacobs, Anteilseigner und CEO, Vorstandsvorsitzender, der DesertEnergy, die erreichten Ziele des gesamten Konzerns und gab einen Ausblick auf die nächsten zehn Jahre. Das angestrebte Ziel der nächsten Dekade war die Bereitstellung der Hälfte des benötigten Stroms für die drei Abnehmerländer und die Vollversorgung der Erzeugerländer. Darüber hinaus wird die Expansion in weitere Länder Europas angestrebt. Neue Energieparks und weitere HGÜ-Leitungen sind im Ausbau.

Daniel legte das Heft zur Seite und schaute aus dem Fenster hinaus. Der Lesestoff war nicht so schwer verdaulich gewesen wie erwartet. Für die üblichen Wie gut kennen Sie uns? Nachfragen im Vorstellungsgespräch fühlte er sich vorbereitet.

Gleißende Helligkeit stach in seine Augen. Das Flugzeug zog völlig ruhig über einer geschlossenen Wolkendecke dahin, in der sich das Licht der Sonne in fantastischer Helligkeit brach. Er genoss den Anblick der Wolkendecke, die sich wie eine beinahe völlig ebene Schneelandschaft bis zum Horizont dahinzog, bis seine Augen von dem hellen Licht tränten.

Sein Magen meldete sich sehr eindringlich mit Knurren und einem leichten Kneifen. Das Bier hatte seinen Appetit angeregt. Er öffnete die Box neben seinem Sitz und fand mehrere gekühlte Sandwiches in durchsichtigen Plastikschachteln sowie eine Thermoskanne mit Kaffee, vermutlich das Standardfrühstück für die Gäste der Economy-Class, extra für ihn bereitgestellt, statt Lachskanapees, Butterhörnchen mit französischem Honig und arabischem Mokka für die üblichen Fluggäste.

Nachdem er seinen Hunger gestillt und alle potenziellen verbliebenen Flugobjekte in der Box verstaut hatte, öffnete sich die Tür des Cockpits und der Co-Pilot steckte seinen Kopf in die Öffnung.

>>Herr Neumann, wir sind mit der Flugzeit im Plan. In zehn Minuten werden wir zur Landung ansetzen. Ich habe mich bereits per Funk mit unserer Servicestation am Brandenburger Flughafen in Verbindung gesetzt. Ein Fahrer wird Sie dort erwarten und zu Ihrem Termin bringen.<<

Das brachte Daniel mit seinen Gedanken wieder zum Grund seiner Reise zurück. Der Suchauftrag, die Personalagentur, Berlin, ein noch anonymer Auftraggeber! Bisher war er von dem Aufwand, den dieser Auftraggeber betrieb, um den Detektiv seiner Wahl kennenzulernen, beeindruckt.

Daniel gönnte sich beim Landeanflug einen ausgiebigen Blick auf die Hauptstadt. Aus der Vogelperspektive konnte er im Anflug das Reichstagsgebäude erkennen, den Sitz der Regierung. Daniel war vorher noch nie in Berlin gewesen und hatte nur wenige der historischen Attraktionen im Kopf. Ansonsten musste er sich eingestehen, dass er nicht wirklich viel über diese Stadt wusste. Vielleicht würde aber noch die Gelegenheit bekommen, ein wenig Sightseeing zu machen, wenn der Auftrag ihn in diese Stadt führen würde.

Die Maschine setzte kurze Zeit später auf dem Berliner Flughafen auf und rollte in eine Parkposition.

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