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Kapitel 3

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Zwei Monate nach seiner Ankunft schlenderte Jürgen am Strand entlang, Bauch eingezogen, Brust raus. In der Badehose mache ich doch die beste Figur, dachte er, braungebrannt, schlank, durchtrainiert vom Schwimmen und Kajak fahren. Es gibt nichts hässlicheres als einen nackten Mann, pflegte seine Mutter zu sagen. Wenn er daheim im Garten hinterm Haus spärlich bekleidet in der Sonne lag, hatte sie sogar schon einmal die Bemerkung fallen lassen: Schämst du dich nicht, dich so vor deiner kleinen Tochter zu zeigen? Nein, zum Schämen bestand kein Anlass, im Gegenteil, er fand sich toll. Dass seine Haut an Oberschenkeln und unter den Oberarmen erschlaffte, wurde von ihm einfach ignoriert.

Da lag die Urlauberin im Sand, die Jürgen vor drei Tagen zum erstenmal entdeckt hatte; nach ihrem frischen Sonnenbrand zu urteilen erst kürzlich angereist. Sie entsprach genau dem, was er suchte: Alleinreisend, nicht mehr die Jüngste, sichtlich Anschluss suchend, denn obwohl lesend, schaute sie immer wieder auf und hinterher, wenn ein Mann vorbeiging. Am Abend folgte Jürgen ihr vom Strand aus eine Weile auf der Uferpromenade. Er beobachtete, wie sie die Fahrbahn überquerte, an den Geschäften entlang bummelte, vor einem Schaufenster stehen blieb und die Bademoden eingehend betrachtete: Schwimmanzüge, Bikinis, Strandlaken, Frotteekleidchen. Als die Urlauberin auf die Villa Linda zusteuerte, wandte er sich enttäuscht ab. Obwohl nahe beim Strand gelegen, verfügte das Hotel nur über zwei Sterne. Wer hier abstieg, wollte preiswert Ferien machen, sich mit einfacher Küche begnügen, Zimmer mit wenig Komfort in Anspruch nehmen. Aber nein, die Fremde schaute nur die Straße rauf und runter, ging weiter, drehte den Ansichtskartenständer vor einem Laden, suchte ein Foto aus, steckte es wieder weg, interessierte sich nun für die Taschenbücher. Ob sie Italienisch sprach? Aber vermutlich gab es dort auch deutschsprachige Ausgaben für Urlauber. Anscheinend fand die Frau nichts, was ihr zusagte oder beabsichtigte gar keinen Kauf, hatte nur aus Neugier die Titel gelesen, oder aus Langeweile, um die Zeit totzuschlagen, die – so stellte Jürgen es sich zumindest vor – einer Alleinreisenden zwischen Strandaufenthalt und Abendessen lang wurde. Jetzt wandte sie sich wieder den Postkarten zu, drehte erneut den quietschenden Ständer. Diesmal nahm sie drei Karten heraus, verschwand, in ihrer Handtasche nach dem Portemonnaie kramend, im Laden.

Jürgen setzte sich wartend auf eine Bank, ließ die Urlauberin nach dem Herauskommen fünfzehn, zwanzig Schritte gehen, ehe er sich erhob und ihr auf seiner Straßenseite langsam schlendernd folgte. Grandhotel Miramare, das teuerste Hotel im Ort, tatsächlich, die Fremde betrat das Gebäude. Die prächtige Fassade zeigte einen Balkon vor jedem Riesenfenster mit Aussicht auf Strandpromenade, Palmen und Meer. Aber leider auch auf die Straße. Der Durchreiseverkehr wurde zwar um den Ort herumgeleitet, trotzdem ging es hier lebhaft zu, vor allem abends, wenn die einheimischen jugendlichen Vespafahrer auf und ab knatterten, mit laufendem Motor in Gruppen beisammen standen, aufheulend wieder abbrausten, quietschend bremsten, wendeten, zurückfuhren, bei einer anderen Clique anhielten. Dieses Spiel ging bis spät in die Nacht, das wusste er von seinen Abendspaziergängen, bei denen ihn Lärm und Abgase ärgerten. Trotzdem, das Grandhotel Miramare war die richtige Adresse. Vier Sterne. Sie musste Geld haben, war keine von den Billig-Urlaub-Macherinnen. Er hatte zwar keine Ahnung, wie das Innere aussah, konnte es sich aber von Fernsehfilmen her lebhaft vorstellen: Luxuriös ausgestatteter Speiseraum, stilvolle Bar, in Vitrinen ausgestellte elegante Bademode, Seidenschals mit dem Namensaufdruck bekannter Designer, edler, erlesener Schmuck, renommierte Parfümmarken, Souvenirs, dreimal so teuer wie in den Geschäften der Altstadt, aber wahrscheinlich auch geschmackvoller. Hinten raus Gartenanlage, Sonnenterrasse, Liegewiese, Swimmingpool. Komfortable Zimmer mit Klimaanlage, Minibar, Telefon und Fernsehgerät.

Die Urlauberin kam nicht wieder zum Vorschein, obwohl er zwei Stunden auf einer Bank wartete. Das Abendessen musste doch längst vorbei sein. Wahrscheinlich saß sie mit einem Buch in ihrem Zimmer oder auf einem dieser Balkone, die, durch Markisen hinter den schmiedeeisernen Geländern geschützt, keinen Einblick zuließen. Jürgen ging zum Campingplatz, kroch als es dunkel wurde in sein Zelt, legte sich auf die Luftmatratze. Hier in Italien ging es besser mit dem Schlafen, jedenfalls viel besser als zu Hause; das Schwimmen, Bootfahren, den ganzen Tag Aufenthalt an der frischen Luft, machten ihn üblicher Weise müde. Heute jedoch konnte er nicht schlafen, wegen der Hitze, der stickigen Luft. Zudem störten die beiden Mädchen im Zelt nebenan, die sich viel zu laut unterhielten und viel zu ausdauernd kicherten. Der Aufkleber Atomkraft, nein danke auf ihrer alten Schrottkiste mit deutschem Kennzeichen erinnerte ihn an Dora; nach seiner Schätzung waren sie auch etwa gleichaltrig. Mit ihnen anzubändeln kam nicht in Frage; er bevorzugte Frauen, die nach Geld aussahen. Das Lachen und Reden der Atomkraftgegnerinnen ging ihm auf die Nerven. Er steckte die Stöpsel seines Walkmans in die Ohren und hörte Schlagermusik. Zwölf Kassetten mit alten deutschen Hits, nach Jahrgängen geordnet, waren in seinem Gepäck. Vor dem Einschlafen spielte er jeweils eine, manchmal zwei, bis ihn der Schlaf überkam. Ab und zu bis Mitternacht wach zu liegen machte ihm allerdings auch nichts aus. Er stand zwar früh auf, spätestens um acht, trank eine Tasse Pulverkaffee, hatte keine Ruhe mehr, wollte hinunter zum Strand, zum Wasser, in der Sonne, bevor jemand seinen Platz belegte. Aber dort konnte er, war das mitgenommene Frühstück, bestehend aus Brot und Käse, verspeist, weiter schlafen.

Am nächsten Morgen, nach dem Markieren seines Stammplatzes mit einem Handtuch, saß Jürgen gegen neun Uhr auf einer Bank der Uferpromenade und beobachtete den Eingang des Miramare durch die Oleanderbüsche. Ein Urlauber, den dicken Bauch in Shorts gequetscht, T-Shirt, Sandalen an den Füßen, weiße Socken, Schirmmütze, mit Frau, deren gewaltiger Po ebenfalls in Shorts steckte, dem gleichen T-Shirt im Partnerlook, kam heraus. Er ist wahrscheinlich in meinem Alter, sieht aber zehn Jahre älter aus; das kommt davon, wenn man keinen Sport treibt, den ganzen Tag im Büro und abends vor dem Fernseher sitzt, dachte Jürgen verächtlich. Die Pärchen, die danach das Hotel verließen, ähnelten ihnen. In Freizeitkleidung, mit umgehängtem Fotoapparat, Badetasche in der Hand, strebten sie zum Strand, alles ältere Semester, die Jüngeren, Hübschen, Schlanken konnten sich diesen Luxusschuppen wahrscheinlich nicht leisten. Doch, eine langhaarige Blondine, ihren beleibten grauhaarigen Begleiter kokett anlächelnd, kam heraus. Den hat sie sich wahrscheinlich nur seines Geldbeutels wegen geködert, vermutete Jürgen. Damals, beim Kennenlernen, zählte Dora mit ihren achtundzwanzig zwar gerade mal halb so viele Lebensjahre wie er, aber das war natürlich etwas ganz anderes, dabei handelte es sich um Liebe. Am Geld konnte es ihrerseits kaum gelegen haben, denn er besaß nicht viel. Sie hingegen nannte ein Haus ihr eigen und verfügte seiner Meinung nach über ein dickes Bankkonto, was bei ihm eine große Rolle gespielt hatte.

Endlich kam die Erwartete. Noch ohne Badetasche strebte sie dem nächsten Briefkasten zu und warf etwas ein. Aha, die drei gestern gekauften Ansichtskarten. Eine für die Kollegen und Kolleginnen im Büro, eine für ihre Eltern und die dritte für die Nachbarin, welche zu Hause ihre Blumen begoss, den Briefkasten leerte und den Kanarienvogel, die Katze oder den Goldfisch versorgte.

Nun schlenderte die Urlauberin weiter, blieb an einem Obst- und Gemüseladen stehen, nahm eine Melone in die Hand, klopfte darauf, legte die Frucht wieder zurück. Sie hat gar nicht vor einzukaufen, will wieder nur die Zeit totschlagen, dachte Jürgen, der ihr folgte. Allmählich muss ich mir einen Namen ausdenken. Bella, die Schöne, das würde gut ankommen. Es war zwar etwas übertrieben, aber für ihr Alter, er schätzte sie auf Mitte vierzig, sah sie noch recht gut aus. „Bella“, sagte er probehalber schon einmal halblaut vor sich hin.

Da saß diese unsympathische Bettlerin mit ihrem Hund schon wieder, die abends auf dem Weg in ihre Stammkneipe beschwingt durch die engen Gassen eilte. Almosen heischend auf dem Bürgersteig hockend, zusammengekrümmt, unterwürfig, wirkte die Frau alt und gebrechlich. „Haben Sie vielleicht etwas Kleingeld für mich? Ich bin gescheitert“, sprach sie die deutschen Touristen in ihrer Muttersprache an. Jürgens Antipathie wurde von ihr erwidert: Die Bettlerin warf ihm jedes Mal giftige Blicke zu und selbst der Hund knurrte, wenn er vorbeiging. Manchmal holte die Frau eine Mundharmonika aus der Tasche ihrer unglaublich schmutzigen Strickweste und spielte darauf immer wieder die gleiche Melodie: „Das machen nur die Beine von Dolores.“ Jürgen verachtete sie und ihresgleichen. Bella hingegen fiel auf die Mitleid heischende Gestalt herein und warf ein paar Geldstücke in das dafür bereitstehende Tamburin. Dann machte sie kehrt. Jürgen lehnte sich an eine Palme. Bella ging vorbei, kaufte am Kiosk eine Zeitung, setzte sich auf eine Bank, faltete die Blätter auseinander und fing an zu lesen. Sollte er sich neben sie setzen, mit ihr reden? Nein, noch war es zu früh. Erst musste die Urlauberin sich so richtig langweilen und einsam fühlen, dann war sie die richtige Beute für ihn. Wenn ihm nur keiner zuvorkam! Aber das Risiko musste er eingehen. Außerdem, selbst wenn sich einer an sie heranmachte, sobald er Interesse zeigte, würde jeder andere den Laufpass erhalten, das war doch klar. Den Nachmittag verbrachte Jürgen mit Schwimmen, Sonnenbaden.

Am folgenden Tag schlenderte er am Strand immer wieder an ihr vorbei, dabei absichtlich in eine andere Richtung schauend. Inzwischen würde ihr das Alleinsein auf die Nerven gehen, bald konnte ein Annährungsversuch gewagt werden. Zwei Stunden rührte Bella sich nicht vom Fleck, lag im Liegestuhl, dann bäuchlings auf einem Badetuch im Sand, sonnte sich und las dabei ein Taschenbuch. Endlich stand sie auf, sagte etwas zu ihrer Strandnachbarin – wahrscheinlich bat sie diese, auf ihre Sachen Acht zu geben – lief ins Meer, bis die Wellen ihre Oberschenkel umspülten. Bella ging in die Knie, schnappte hörbar nach Luft, als das Wasser ihr bis zum Kinn reichte und schwamm hinaus, den Kopf sorgsam hochhaltend, wahrscheinlich damit die Haare nicht nass wurden. Jürgen ließ ihr einen Vorsprung, dann kraulte er hinterher, holte sie – für ihn keine Kunst – schnell ein.

„Ihnen beim Schwimmen zuzuschauen ist eine wahre Augenweide“, versuchte er ins Gespräch zu kommen. Bella erwiderte nichts, legte sich auf den Rücken, paddelte auf den Wellen treibend nur noch leicht mit den Händen und blinzelte zum strahlendblauen Himmel hinauf. Jetzt war es ihr anscheinend gleichgültig, wenn die Frisur ruiniert wurde.

Na, dann eben nicht, dachte Jürgen, wandte sich ab und kraulte hinaus, weit hinaus, mit langen, gleichmäßigen Zügen. Sie schaute ihm hinterdrein, davon war er überzeugt, und bewunderte seinen eleganten Schwimmstil. Als er aus dem Wasser kam, hatte sie ihren roten gegen einen schwarzen Bikini vertauscht. Über dem Höschenbund wölbte sich ein Speckröllchen. Du bist zu mollig; ein einteiliger Schwimmanzug wäre vorteilhafter, dachte Jürgen. Bikinis stehen nur jungen Mädchen gut – noch besser gefielen sie ihm oben ohne, nur mit einem spärlichen Tanga bekleidet. Auf dem Bauch im Sand liegend, um sich von der Sonne trocknen zu lassen, beobachtete er Bella, die nach einer Weile mit ihrer Tasche zur Strandbar hinüber schlenderte und auf einem der Hocker Platz nahm. Jürgen stand auf, ging zwischen den Umkleidekabinen hindurch zu der kleinen Feriensiedlung, deren Häuschen hufeisenförmig am Strand angeordnet lagen. Carlo, ein Angestellter der Vermietungsgesellschaft, bewässerte mit dem Gartenschlauch die Blumenbeete. Jürgen klopfte ihm auf die Schulter. Carlo erschrak, weil er ihn wegen des Plätscherns nicht hatte näher kommen hören.

„Darf ich?“, fragte Jürgen und bückte sich, um eine Rose zu pflücken. Der junge Italiener grinste. „Amore?“

Bella hockte noch immer vor der Strandbar und unterhielt sich angeregt, dabei heftig gestikulierend, mit einem Mann, dem Aussehen nach ein Einheimischer, braungebrannt, schwarzgelockt, mit Goldkette und Ohrring. Zwischendurch löffelte sie einen Eisbecher. Das würdest du besser bleiben lassen, dachte Jürgen, deine Hüften sind ganz schön füllig. Er legte die Rose auf ihren Liegestuhl und nahm etwa einen Meter davor im Sand Platz. Aus den Augenwinkeln beobachtete er, wie Bella aufstand, sich lachend verabschiedete. Doch anstatt zurückzukommen, ging sie zur Uferpromenade. War es schon Zeit zum Mittagessen? Jetzt gleich auf den Eisbecher ein üppiges Mahl mit mehreren Gängen? Weiter so, in zehn Jahren wirst du richtig fett und kurzatmig sein! Die Uhr über der Bademeisterkabine zeigte halb eins. Jürgen blieb fast alleine am Strand zurück. So gefiel es ihm hier eigentlich am besten. Im Sand ausgestreckt schlief er ein. Als ihn der Ball am Bein traf, schreckte er hoch, warf den spielenden Kindern giftige Blicke zu.

Bella saß, wie erwartet, mit der Rose in der Hand da und schaute aufs Meer. Ihre morgens sorgfältig frisierten Haare ringelten sich nach dem Schwimmen zu einer starken Krause, die ihr gar nicht gut stand.

„Du bist wunderbar“, sang Jürgen nun leise vor sich hin, „schon vor einem Jahr, ja da war mir klar, du bist wunderbar.“ Er rückte näher. „Sie sind mir bereits im vergangenen Sommer aufgefallen.“

Bella nickte überrascht: „Ja, ich war schon einmal hier. Im letzten Juli.“

Volltreffer! Die meister Urlauber kamen nicht zum ersten Mal. Doch schon ignorierte sie ihn wieder, legte die Rose neben den Liegestuhl, angelte in ihrer Tasche herum und holte eine Flasche Sonnenöl hervor. Kokosnussduft wehte zu ihm herüber. Arme, Dekolleté, Bauch wurden sorgfältig eingekremt. Jetzt verrenkte sie sich, um so weit wie möglich den Rücken zu erreichen.

„Lassen Sie mich das machen.“ Jürgen griff nach der Flasche. Schutzfaktor sechs, ging es ihm durch den Kopf; hättest du mit deiner blassen Haut gleich zwanzig genommen, wärst du jetzt nicht so verbrannt. Langsam, zärtlich streichelnd, rieb er das Sonnenöl ein. Beim rechten Bein beginnend, fuhr er sanft über den Oberschenkel, widmete sich dann ihrer Wade, glitt hinunter zu den Zehen, kremte jeden einzelnen mit Hingabe ein. Bella kicherte; sie war kitzelig.

„Sie haben wunderschöne Zehen“, sagte er. Seit Frau Blaufußnagel schaute er tatsächlich häufiger auf die Zehen einer Frau. Ihre sahen wirklich nicht übel aus; keine Hühneraugen, keine Hornhaut, wahrscheinlich ging sie regelmäßig zur Fußpflege, wie seine Mutter, die sich nach ihrer Rückenoperation nicht mehr gut bücken konnte.

Bella lachte. „Das hat mir noch niemand gesagt.“

Aha, dieser Spruch kam gut an; dann nur weiter so. „Kann ich mir vorstellen. Jeder bewundert ihre leuchtenden Augen, den schöngeschwungenen Mund, das süße Kinn. Wahrscheinlich können sie diese Komplimente schon nicht mehr hören. Wenn man genau hinsieht, entdeckt man noch unendlich viele liebenswürdige Stellen, wie zum Beispiel ihre Zehen, von denen ich am liebsten jeden einzelnen küssen möchte. Alle Ihre Vorzüge zusammen ergeben ein harmonisches, perfektes Ganzes.“

Bella antworte nicht, hielt ihre Augen geschlossen. Hatte er mit diesem Wortschatz aus Fernseh-Seifenopern zu dick aufgetragen, zu viel Süßholz geraspelt? Aber sie genoss sichtlich das sanfte Streicheln, als er sich nach dem linken Bein und Fuß ihren Armen widmete. Bella zuckte zusammen, als er die arg verbrannten Stellen an ihren Schultern berührte. Die zahlreichen Muttermale auf ihrer Haut – Altersflecken oder Sonnenschäden? – fand er nicht gerade appetitlich. Aber es gefiel ihm, Eindruck zu machen. Seine Hand glitt langsam tiefer, die Wirbelsäule entlang, streichelte ihre Taille – oder die Stelle, wo anstatt der Fettpölsterchen eigentlich eine Taille hingehörte. Er schob seine Finger vorsichtig weiter abwärts, unter den Rand ihres Bikinihöschens, aber nur bis dort, wo der Spalt der Pobacken begann. Ein Schauder lief über ihren Rücken. Jürgen zog seine Hand zurück. „Fertig“, sagte er und verschloss die Flasche. Bella setzte sich auf; man sah ihr deutlich den Wunsch nach weiteren Streicheleinheiten an. Eine Weile schwieg sie verwirrt und verlegen.

„Letztes Jahr war ich mit meinem Mann hier“, begann sie zu erzählen.

„Ich weiß“, entgegnete er. „Wie gesagt, Sie sind mir damals bereits aufgefallen. Ich hätte Sie gerne angesprochen – das ging natürlich nicht. Ich habe den Mann an Ihrer Seite gehasst und beneidet. Wo befindet er sich jetzt?“

„Er ist tot.“

„Oh, das tut mir leid für Sie. So ein Verlust! Fällt Ihnen das Alleinsein sehr schwer?“

„Es war wahrscheinlich keine gute Idee, an den Ort zurückzukommen, wo mich alles an unsere letzten gemeinsam verbrachten Ferien erinnert.“

„Das Schicksal hat Sie hierher geführt. Zu mir!“ Er versuchte einen bedeutungsvollen Blick aufzusetzen. „Vielleicht bin ich dazu bestimmt, Ihnen beim Überwinden Ihres Kummers zu helfen. Jedenfalls bewundere ich Ihren Mut, ohne Begleitung zu verreisen.“

„Die ersten Tage waren schlimm. Ich schien das einzige alleinstehende Wesen zu sein. Alle anderen traten, wie an Deck der Arche Noah, nur paarweise auf.“

„Das kann sich ab sofort ändern – wenn Sie nur wollen. Ich heiße übrigens Jürgen.“

„Mein Name ist …“

„Halt, nein, ich will es nicht wissen. Sie müssten nach einer Göttin benannt sein, Aphrodite zum Beispiel.“ Er hörte im Geiste seine Mutter, eine begeisterte Kreuzworträtsellöserin, sagen: Griechische Göttin mit neun Buchstaben … „So heißt allerdings heute niemand mehr, zumindest nicht bei uns. Vielleicht Helena, wie die schöne Helena aus den griechischen Sagen? Nein, das passt nicht in dieses Land. Hier in Italien werde ich Sie Bella nennen.“ Insgeheim amüsierte er sich. Bella, so hatte die von ihm gehasste Hundedame seiner Mutter geheißen, die den Einzug in seine Wohnung nur wenige Monate überlebt hatte.

Träume, die im Meer versinken

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