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Kapitel 5

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„Ich werde Sie Bella nennen, die Schöne“, sagte Jürgen. Die Urlauberin lachte. „Wir sollten uns duzen“, schlug er vor, „bei der gegenseitigen Sympathie, die uns vom ersten Moment an verbindet.“ Davon hatte sie zwar nichts erwähnt, aber ihn musste man doch einfach hinreißend finden. Seine eigenen Gefühle beschränkten sich auf ein leichtes Interesse.

Bella griff gleich das Du auf. „Bevor du mit mir gesprochen hast und ich dein akzentfreies Deutsch hörte, hielt ich dich für einen Einheimischen, braun wie du bist.“

Na also, solch eine Aussage trug doch gleich dazu bei, den Sympathiefaktor zu steigern. Er strahlte sie an, wie er das bei jeder Frau tat, die ihn bewunderte. „Sonnencreme mit Lichtschutzfaktor, die benötige ich nicht; nur ein wenig Körpermilch, um meine Haut geschmeidig zu halten.“

„Beim Einreiben möchte ich dir auch gerne einmal behilflich sein“, flirtete sie nun ihrerseits mit ihm.

Am Abend trafen sie sich auf der Uferpromenade. „Sonnenuntergang am Meer, dazu eine gute Flasche Wein“, hatte Jürgen vorgeschlagen. Schick gekleidet wie Bella daherkam, erwartete sie wahrscheinlich den Besuch eines der teuren Restaurants mit Seeblick. Ihre Haare waren wieder sorgfältig geföhnt. Die hochhackigen Schuhe in der Hand tragend, folgte sie ihm hinunter zum menschenleeren Strand, eingehüllt in eine Wolke von Moschusparfüm. Dieser Duft, den Jürgen verabscheute, verursachte ihm Ekel, ja löste sogar leichten Brechreiz aus. Er erinnerte ihn an die Zeit vor vielen Jahren, als seine Mutter plötzlich anfing, jede Woche zum Friseur zu gehen, sich zu parfümieren. „Gefällt dir mein neuer Duft?“, hatte sie sogar scheinheilig seinen Vater gefragt, als ob das ihm zuliebe geschähe. Trotzdem schnupperte Jürgen jetzt an Bellas Haaren, hinter ihren Ohren.

„Hmm, du riechst lecker. Nach Moschus.“

„Du kennst dich gut aus.“

Sie saßen nebeneinander im Sand; er entkorkte die mitgebrachte Rotweinflasche aus dem Supermarkt, legte den linken Arm um ihre Schultern. „Ich hätte dich in ein schickes Restaurant ausführen sollen, aber allein hier am Strand ist es romantischer. Anstatt lauter Musik umschmeichelt das leise Plätschern der Wellen unsere Ohren. Nach dem Sonnenuntergang werden wir unter dem Sternenhimmel sitzen, dazu diese gute Flasche aus dem Keller meines Bruders leeren – er hat nichts dagegen, wenn ich mich bediene, im Gegenteil, er freut sich, wenn ich seine Vorräte zu würdigen weiß.“

Jürgen bot Stangenbrot und Käse an, goss Wein in die mitgebrachten Pappbecher, trank einen Schluck, Bella nippte ebenfalls. „Im Augenblick wohne ich bei meinem Bruder, der sich bereits vor fünf Jahren hier niedergelassen hat. Er ist mit einer Einheimischen verheiratet und an einem hiesigen Bauunternehmen beteiligt. Seitdem habe ich jedes Jahr mit meiner Frau und meiner kleinen Tochter bei ihm Urlaub gemacht.“

„Deine Frau und deine kleine Tochter?“, fragte Bella sichtlich schockiert. Er ging zunächst nicht darauf ein. „Mein Bruder und ich hatten zusammen in Deutschland ein selbständiges Bauunternehmen, das von mir in den letzten Jahren alleine weitergeführt wurde“, erklärte er. „Aber in meinem Beruf als Architekt habe ich genug geschuftet – auch genug verdient – und will mich jetzt zur Ruhe setzten und die Früchte meiner Arbeit genießen. Seit meiner Scheidung alleine lebend, wird das Haus, welches ich mir bauen lasse, nicht zu groß, doch komfortabel: mit Terrasse, Blick aufs Meer, Swimmingpool.“

„Du bist also geschieden?“, fragte sie, hörbar aufatmend.

„Ja, seit drei Jahren.“ Er zeigte zum Horizont. „Schau, es ist so weit, die Sonne geht unter.“ Er legte den Kopf auf ihre Schulter. „Wenn bei Capri die rote Sonne im Meer versinkt …“, sang er leise. „Bella, bella Marie …”

Eine Schar junger Leute, Einheimische und Urlauber, ließ sich lärmend und lachend auf mitgebrachten Decken im Sand nieder, unter ihnen die jungen Frauen aus dem Nachbarzelt, die Atomkraftgegnerinnen. Zum Glück hatte er sie bisher ignoriert, so unterließen die beiden es wenigstens, ihm zuzuwinken oder ihn gar zu begrüßen. Chiantiflaschen kreisten in der Runde; selbstgedrehte süßlich riechende Zigaretten – Hasch, Marihuana? – er hatte sich nie für das Zeug interessiert, stets die Finger davon gelassen, sogar von normalen Zigaretten. Das Lachen wurde immer lauter.

„Hallo, Nachbar,“ rief eine der jungen Frauen ihm zu.

„Kennst du sie?“, fragte Bella.

„Nein, sie verwechselt mich mit jemandem. Die sind doch alle besoffen oder bekifft oder beides. Komm, lass uns einen Spaziergang machen. Hier ist es zu laut. Außerdem möchte ich mit dir alleine sein.“

Sie wanderten engumschlungen zunächst über die Uferpromenade, dann durch enge Gassen. Die leicht ansteigende Straße, rechts und links von prächtigen Villen gesäumt, führte aus dem Ort hinaus. In der Bilderbuchnacht mit glänzendem Sternenhimmel, zirpten Grillen, Blumenduft wehte aus den Vorgärten. Jürgen deutete Hügel aufwärts:

„Siehst du dort oben den weißen Bungalow? Er gehört meinem Bruder, bei dem ich zur Zeit wohne. Gleich nebenan die Baustelle, das wird einmal mein Haus.“

Beim Abschiedskuss auf ihre Stirn, eine halbe Stunde später vor dem Hotel Miramare, musste Jürgen sich recken, sie war größer als er. „Träum’ was Schönes, Bella, Bellissima. Vielleicht sogar von mir? Ich werde die ganze Nacht wachliegen und an dich denken. Leider können wir uns morgen tagsüber nicht sehen, weil noch Behördenkram zu erledigen ist, bezüglich meiner endgültigen Aufenthaltsgenehmigung. Außerdem stehen Termine mit verschiedenen Handwerksbetrieben wegen des Neubaus an. Du weißt doch, mit denen hat man stets Ärger. Auf keinen von ihnen kann man sich verlassen. Weder in Deutschland und hier erst recht nicht.“

Den ganzen nächsten Tag verbrachte er an einem Strand außerhalb der Ortschaft. Man muss sich rar machen, umso erfreuter werde ich heute Abend begrüßt, dachte er. Genauso war es. Seine neue Freundin strahlte; sie lud ihn in ein schickes Lokal ein, wollte sich revanchieren.

„Gestern hast du den Wein spendiert, heute bin ich dran mit Bezahlen.“

„Auf keinen Fall“, protestierte er scheinheilig. „Ich möchte nämlich eine Kleinigkeit essen. Meine Schwägerin hat nicht zu Mittag gekocht, weil sie zum Klamotteneinkaufen in der Stadt war. Bei ihr muss es Designermode aus einer ganz bestimmten Boutique sein. Sie ist soeben erst zurückgekommen und schien ein wenig beleidigt, weil ich auf das gemeinsame Abendbrot verzichte. Aber ich konnte es kaum erwarten, dich wiederzusehen.“

„Du bist heute mein Gast.“

Die Kleinigkeit bestand aus einem Vier-Gänge-Menü; Bella trank nur ein Glas Wein, sie hatte ja schon im Hotel gegessen. „Leider kann ich dich vorläufig noch nicht in das Haus meines Bruders einladen“, redete Jürgen mit vollem Mund. „Seine Frau ist eine Einheimische, sehr religiös und schrecklich prüde. Aber wenn wir uns erst näher kennen, bei deinem nächsten Urlaub vielleicht… Bis dahin ist auch mein eigenes Heim fertiggestellt. Du wirst nicht im Hotel, sondern bei mir wohnen – vorausgesetzt, du möchtest das. Einverstanden, Bella, meine Schöne?“ Sie drückte wortlos seine Hand.

Nach dem Essen saßen sie abermals am Strand beisammen. Jürgen zog sein Hemd aus, streifte Schuhe und Strümpfe ab, entledigte sich der Jeans, trug nur noch seine Schwimmhose. Er legte wieder den Arm um sie, ließ den Kopf auf ihre Schulter sinken. „Das Leben hier ist herrlich, und mit dir zusammen sogar perfekt – bis auf einen Wermutstropen: Meine süße dreijährige Tochter, die ich leider viel zu selten sehe und sehr vermisse.“ Er dachte zwar kaum mehr an Julia oder seine Frau Dora; nur Ina spukte immer wieder in unangenehmer Weise durch seine Gedanken. In diesem Augenblick meinte er jedoch, es mache sich gut, rührselige Geschichten über die Kleine, die ihm angeblich so fehlte, zu erzählen.

Lange hielt seine sentimentale Stimmung sowieso nicht an. „Wunderbar, wunderbar“, hauchte er in ihr Ohr, während Bella ihn noch mitleidig betrachtete, „schon vor einem Jahr, ja da war mir klar, du bist wunderbar. – Dieses Lied habe ich mir ausgedacht, als ich dich sehnsüchtig von Weitem beobachtete und gehemmt zögerte, dich anzusprechen.“

Sein Atem kitzelte in ihrem Ohr. Sie kannte diesen uralten Schlager, mit dem ihre Mutter schon vor Jahren genervt hatte, sagte aber nichts, fand ihn auf einmal sogar schön. Wenig später lagen sie engumschlungen im Sand. Bella drängte sich an ihn, streichelte seinen Rücken. Ihre Hand fuhr tiefer, glitt unter den Rand seiner Schwimmhose; er schob sie sanft beiseite.

„Lass uns noch warten, wir müssen uns zunächst besser kennen lernen. Du bist mir zu schade, um gleich aufs Ganze zu gehen. Ich meine es ernst mit dir.“ Sie sah ihn fast ehrfürchtig an.

Beim Abschied weinte Bella – wie erwartet. An einer einsamen Stelle, dort wo der Sandstrand in die Felsenküste überging, kramte sie in ihrer Tasche, holte eine Visitenkarte hervor. Jürgen warf einen Blick darauf, knüllte diese dann zusammen und warf sie fort. Bella sah in überrascht, ein wenig verletzt, an.

„Lass uns unsere Liebe auf die Probe stellen“, erklärte er. Wir werden uns ein Jahr lang nicht sehen, nichts voneinander hören. Wenn du dann zurückkommst und mich immer noch willst, weiß ich, du meinst es ehrlich. Ich warte auf dich. Zwei Menschen sind es, die mir jetzt alles auf dieser Welt bedeuten: Du und meine kleine Tochter.“

Er brachte sie zum Hotel, sah ihr vor dem Eingang lange und eindringlich in die Augen, reckte sich, gab ihr einen Abschiedskuss auf die Stirn und entfernte sich, ohne noch einmal nach Bella, die ihm weinend nachblickte, zurückzusehen.

Abends ging er mit einer Taschenlampe an den Strand. Dort, zwischen den Felsbrocken fand er nach einer Weile was er suchte. Er strich das Visitenkärtchen glatt und steckte es in seine Hosentasche. Wer weiß, wofür so ein Wisch noch einmal nützlich sein konnte.

Dann lag er wieder einmal wach in seinem Zelt und dachte zurück.

Träume, die im Meer versinken

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