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In der Schule begannen diese Woche die ersten größeren Prüfungen und uns rauchten die Köpfe. Celia hatte natürlich einen Heimvorteil, da ihr die italienischen Bezeichnungen alle viel geläufiger waren. In den Pausen saßen wir mit unseren Banknachbarinnen Josie aus Südafrika und Jaya, deren Eltern ein indisches Restaurant in Rom hatten, zusammen, lernten und diskutierten.

An den Nachmittagen war ich weiter in der Krypta beschäftigt. Meine Skelette waren mir inzwischen so vertraut geworden, dass ich sie ganz automatisch begrüßte, wenn ich kam. Pino hatte angefangen, mich öfter wieder allein zu lassen. Es war nicht angenehm, ohne ihn dort zu arbeiten, aber es war in Ordnung. Es war nichts Seltsames mehr vorgefallen und meine Gefühle den Katakomben gegenüber hatten sich etwas beruhigt.

Und dann kam ich eines Abends nach Hause. Staubig von der Arbeit, müde, ganz in Gedanken und einen Plastiksack mit Einkäufen im Arm trat ich zur Haustür hinein. Rizzi sprang mir entgegen, verrückt wedelnd wie immer. Ich hörte einen Pfiff — und mir stockte fast das Herz. Wie angewurzelt blieb ich stehen, an meine Einkäufe geklammert, während Rizzi mich umtanzte.

Die Eingangstür zur Erdgeschosswohnung stand offen. „Rizzi!“ In der Stimme schwang eine Spur von Ungeduld. Eine Kameratasche in der Hand trat Justin heraus. „Scusi! Der Hund …“ Dann erkannte er mich und verstummte abrupt. Achtlos ließ er seine Tasche zu Boden rutschen. „Selina!“ Allein seine Stimme wieder zu hören …

Alles was mir unverständlich gewesen war, jeder Vorsatz ihn zu vergessen, aus meinem Leben zu streichen, all das fiel in dem Moment in sich zusammen. Ich spürte nur noch Freude: Justin war wieder da! Ohne zu überlegen, trat ich einen raschen Schritt auf ihn zu.

Er wich zurück, als hätte ich ihn mit einer glühenden Zange attackiert. „Was willst du?“ Seine Stimme klang plötzlich flach.

Was ich … wollte? Mein Herz hatte gerade fast stillgestanden, so hatte ich mich gefreut ihn zu treffen! Nur eine Bewegung von ihm, ein Lächeln, und ich wäre ihm in die Arme geflogen, ohne daran zu denken, dass er sich einfach nicht mehr gemeldet hatte, verschwunden war, ohne zu sagen: Horch mal, ich hab hier dieses und jenes Problem, tut mir leid! - Nein! Ohne ein Wort war er abgetaucht, nachdem er erst so getan hatte, als … als …

Eine Welle von Zorn schoss mir so heiß in die Brust, dass es mir die Luft abschnürte. „Was ich …will?“, keuchte ich, und dann eine Oktav höher noch einmal: „Was ich …will?“ Rizzi legte bei meinem Ton die Ohren an und verschwand wie der Blitz hinter Justin in der Wohnung. „Glaubst du etwa, ich wollte etwas von dir? Ich wohne zufällig hier. Schon vergessen?“

„Nein, natürlich … ich dachte nur, weil du hier … vor der Tür …“ Er zuckte die Achseln.

Sein kalter, arroganter Blick gab mir den Rest. „Es ist mir völlig egal, was du dachtest!“, schrie ich ihn an. „Okay? Komplett egal! Und wenn du keine Lust hast, mich zu treffen, dann ist das einzig dein Problem! Mich geht das nichts mehr an! Niente! Capisci? Und jetzt lass mich in Ruhe! Ich brauch so einen… so einen Scheiß nicht!“ Mit einem letzten hysterischen Kreischen schleuderte ich ihm meine Einkäufe vor die Füße, stampfte die Stiegen hinauf und knallte die Wohnungstür hinter mir zu. Schwer atmend ließ ich mich mit dem Rücken dagegen sinken und schloss die Augen. Mein Zorn war genauso schnell verraucht, wie er gekommen war. Du liebe Güte, warum hatte ich so geschrien? Verdammt, verdammt, verdammt! Warum war ich denn nicht einfach mit einem kühlen Lächeln und einem lässigen ‚Ciao, Justin!’, vorbeigegangen, statt so einen Zirkus aufzuführen.

Weil deine Oma genau das getan hätte, flüsterte eine kleine Stimme in meinem Kopf. Auf einmal musste ich lachen. Wie Luftblasen in Sodawasser stieg das Lachen auf, vereinzelte Perlen, die an die Oberfläche blubberten, und dann immer mehr. Ich lachte und lachte.

Lia stand plötzlich vor mir. Sie betrachtete mich mit hochgezogenen Augenbrauen. „War da was im Gang?“ Ich zuckte die Achseln, schüttelte den Kopf und wischte mir die Augen. „Nichts Besonderes. Ich habe nur Justin getroffen.“

„Justin. Aha.“ Sie starrte mich fragend an, aber ich hatte jetzt keine Lust, ihr das alles zu erklären. „Und die Einkäufe?“, fragte sie dann. Ach du Elend! „Tut mir leid … Ich fürchte, die … die … habe ich Justin vor die Füße geworfen.“

Lias Augenbrauen wanderten noch ein Stück höher. „Den Parmesan?“ Sie schien für einen Moment aus der Fassung gebracht. Ich nickte zerknirscht. „Und den Schinken“, fuhr sie fort. „Den Mozzarella, die Petersilie, die Tomaten und ... und … die Trauben? Alles?“

„Alles“, flüsterte ich. Plötzlich grinste sie. „Dann müssen wir unsere Spaghetti wohl ohne was essen! Wird uns nichts anderes übrigbleiben. Ich wusste gar nicht, dass ihr euch so gut kennt, du und Justin.“ Sie warf mir noch einen funkelnden Blick zu, bevor sie wieder in der Küche verschwand. Im gleichen Moment klingelte es an der Tür. Ich erschrak so, dass ich einen kleinen Satz machte, dann huschte ich in mein Zimmer und zog leise die Tür hinter mir zu. Ich war mir irgendwie ganz sicher, dass es Justin war, der vor der Tür stand. Allein bei dem Gedanken wurde mir heiß vor Scham. In meinem ganzen Leben hatte ich noch nicht so herumgeschrien wie eben.

Ich hörte Stimmen im Gang. Sie kamen näher. Himmel! Warum hatte Lia ihn nicht abgewimmelt? Ich raste zum Spiegel und begann hektisch, mit der Bürste durch mein Haar zu fahren. Dann hielt ich inne. Was tat ich hier eigentlich? Ich warf die Bürste zurück auf den Tisch, zerwühlte mein Haar wieder und straffte die Schultern.

Justin saß am Küchentisch und schnitt Tomaten. Als ich hereinkam, sprang er so abrupt auf, dass sein Messer klappernd zu Boden fiel. Er murmelte etwas und verschwand unter dem Tisch.

Mein Ärger war mit einem Mal vollständig verflogen.

Als Justins Gesicht wieder auftauchte, war es eine Schattierung dunkler. Er blickte hoch, mir gerade ins Gesicht und ich konnte so viel Sehnsucht in seinen Augen aufblitzen sehen, dass mir das Herz in die Kehle rutschte. Ich stand einfach da und sah ihn an.

Später, als alles vorbei war, dachte ich noch oft an diesen Moment, an Justins Blick und die Unausweichlichkeit, mit der er mich traf. Ich überlegte mir oft, was gewesen wäre, wenn ich irgendetwas anders gemacht, anders entschieden hätte, wenn ich unsere Geschichte an irgendeinem Punkt abgebrochen hätte oder an welchem Punkt ich noch zurückgekonnt hätte. Ich stellte immer wieder fest, dass es schon im Augenblick dieses Blicks für ein Zurück zu spät war.

„Ich, also …“, begann er im gleichen Moment in dem ich sagte: „Also, vorhin …“ Wir verstummten beide.

„Was wolltest du …“ – „Es war …“, begannen wir noch einmal fast gleichzeitig. Zum Glück rief Lia vom Herd aus dazwischen: „So, die Spaghetti sind gleich fertig!“

Justin sprang auf. „Mir fällt gerade ein, ich habe Valentina versprochen ... Danke für die Einladung, aber leider …“

„Schon gut, Justin, nächstes Mal “, lächelte Lia und ich hätte sie dafür umarmen können, dass sie es jedem immer so leicht machte und den Dingen alles Komplizierte nahm.

„Aber wenn du danach Zeit hättest, Selina? Später?“ Seine Stimme klang rau. Nie gleich ja sagen, wenn ein Junge dich fragt, ob du mit ihm ausgehen willst, klang von irgendwoher das Näseln meiner Großmutter. Jungen mögen Mädchen, die sich rar machen, Selina.

„Gern“, hörte ich mich sagen, „später“, und musste lächeln.

*

Er: Es war die größte Qual gewesen, von ihr fort zu sein. Er hatte gedacht, es wäre gut, nach Mailand zu fahren, dann könnte er vergessen … Stattdessen hatte er jede wache Minute an sie gedacht. Was geschah hier? Vielleicht sollte er besser mit Valentina sprechen, aber er war sich nicht sicher, ob er Worte für das Ganze fand. Dazu hätte er es erst einmal verstehen müssen.

Und dann heute … Plötzlich hatte sie vor ihm gestanden und er war … hilflos gewesen. Er kannte das nicht, er war nie hilflos, war immer in Kontrolle. Sonst.

Er hatte sich benommen wie ein kompletter Idiot. Oder? Er war sich nicht sicher, ob sie … Doch! Eigentlich war er sich sicher. Sie wäre sonst nicht so ausgerastet. Beeindruckend. Sie hatte Feuer gesprüht. Und er hätte sie am liebsten einfach in seine Arme gezogen. Er hatte dann nicht mehr gewagt, sie anzusehen. Dachte, sie könnte das bestimmt alles in seinem Blick lesen. Musste das lesen. Und plötzlich dachte er: Wenn ich ihr jetzt in die Augen sehe, dann bin ich verloren, für den Rest meines Lebens verloren.

Und dann hatte er ihr doch in die Augen geblickt und, ja …

Sie wollte es verbergen, aber er hatte die Sehnsucht in ihrer Stimme gehört - wie eine Resonanz seiner eigenen.

Nachher trafen sie sich. Wie hatte er das nur tun können? Sie einfach zu fragen! Er wusste doch, dass es gefährlich für sie war. Aber er hatte nicht anders gekonnt. Eigentlich sollte er jetzt seine Taschen nehmen, die sowieso noch gepackt waren, und verschwinden. Für lange. Er sollte sie nicht treffen – und trotzdem würde er es tun. Es ging nicht anders. Was immer daraus wurde.

*

Ich probierte meinen gesamten Bestand an Kleidern durch, um dann doch wieder in meiner üblichen Jeans zu landen. Mit den Haaren ging es mir ähnlich und Lias Lippenstift wischte ich mir schließlich auch wieder ab. Ich war froh, dass sie nach dem Essen ins Atelier gegangen war und das alles nicht mitbekam. Zusammen mit den Schmetterlingen in meinem Bauch flatterte ich durch die Räume.

Endlich läutete es an der Tür. Ich atmete tief durch, bevor ich öffnete. Justin. Er strahlte. Er sah unbesiegbar aus. Und er nahm mich bei der Hand, als wäre es das Selbstverständlichste der Welt.

Rizzi rannte im Garten Kreise um uns. Wir gingen los, ziellos durch die Straßen.

Irgendwann waren wir bei der Spanischen Treppe, erklommen die Stufen. Über eine Mauer war schwarz ein Graffiti gesprüht: La notte è nostra! Die Nacht gehört uns!

Oben angekommen stützten wir uns auf die Brüstung, blickten über die Lichter der Stadt. Mich fröstelte und Justin legte mir einen Arm um die Schultern, zog mich an sich und lehnte ganz leicht seine Wange an mein Haar. Ich spürte seine Wärme, seinen Duft nach frischem Laub, harziger Baumrinde und Sonne.

Die Straßen leerten sich und wir konnten das Poltern hören, mit denen unten am Platz das Gitter zum U-Bahn Eingang zurasselte. Wir schlenderten weiter durch kleine Gassen, vorbei an vereinzelten Bars, aber wir gingen nicht hinein in die künstliche Helligkeit. Wir blieben in der Nacht, als gäbe es nichts und niemanden auf der Welt als uns.

Dunkle Seele Liebe

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