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3. Jüdische und judenchristliche Reaktionen

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Die erste deutliche Reaktion auf den von Antiochia eingeschlagenen und sodann vor allem durch Paulus durchgesetzten Weg findet sich in dem Einwand der „falschen Brüder“ auf dem ApostelkonventApostelkonvent. Sie klagen die Beschneidung der anwesenden Heidenchristen ein. Auch wenn Paulus es so darstellt, als habe man sich – in Anwesenheit dieser falschen Brüder – durch Handschlag mit dem Leitungsgremium der Urgemeinde (Gal 2,9) auf einen gemeinsamen Weg im Sinne der Zulassung der beschneidungsfreien Heidenmission verständigt, so zeigt die Folgezeit doch eine andere Entwicklung auf.

Dass der antiochenische Weg für das palästinische Judentum unannehmbar war, bedarf keiner Begründung. In der rabbinischen Literatur wird der heidenchristliche Weg nicht thematisiert. „Jedenfalls ergibt keiner der in der Forschung bisher angeführten rabbinischen Texte […] eine klare Bezugnahme auf christliche Standpunkte […]“1 Der halachische Status eines unbeschnittenen Christen glich demjenigen eines Nicht-Juden.2 Christliche Kritik an der Beschneidung stand in einer Tradition mit der paganen Kritik an der Beschneidung, bedurfte also keiner eigenständigen rabbinischen Reaktion. Inwieweit zelotischer Eifer, der die Beschneidung erzwingen wollte, bis in den heidenchristlichen Raum ausgestrahlt hat, ist ungewiss.3 Die Zwangsbeschneidungen der Makkabäer- und der auf sie folgenden Zeit (1 Makk 2,45–46, Jos. Ant 13,257–258: 318–319) mögen zu pauschalisierenden Urteilen über jüdischen Missionseifer geführt haben (vgl. Hippolyt. Elenchos 9,26). Über vereinzelte ähnliche Vorkommnisse berichtet Josephus (Vita 113; Ant 20,38ff.), allerdings nicht im Zusammenhang mit Christen. Natürlich ist bei der paulinischen Korrespondenz mit den Gemeinden in Galatien, in Korinth und Philippi zu fragen: Sind die hier auftretenden Gegner, für die ja in zwei Fällen eine Beziehung zur Beschneidungsfrage konstitutiv ist, Juden oder sind es Judenchristen? Meines Erachtens handelt es sich in jedem Fall um Judenchristen. Die eigentliche Reaktion des Judentums besteht in der umfassenden, positiven Darlegung der Beschneidung im rabbinischen Schrifttum, auch wenn es nie zur Ausbildung eines eigenen Traktats in der Mischna kam. Aber sie ist nicht allein durch den Weg des Heidenchristentums initiiert, ebenso als Antwort auf das römische Beschneidungsverbot und als Selbstdefinition nach den jüdischen Kriegen.

Unbeschadet der Beschlüsse des Apostelkonvents hat es ein JudenchristentumJudenchristentum gegeben, das die Forderungen der Tora inklusive Sabbatobservanz und Beschneidung einhielt und gleichzeitig Heidenmission betrieb.4 U. Luz hat in seinem großen Kommentar diese Sicht für die matthäische Gemeinde vorausgesetzt.5 Sodann ist aus nachpaulinischer Zeit auf die Judenchristen zu verweisen, die andere Christen zu Sabbat und Beschneidung überreden wollen (Justin. Dial 47,2–3).6 Im synkretistischen Judenchristentum der Ebioniten wird die Beschneidung dadurch begründet, dass ja auch Christus beschnitten war (Epiphanius Haer 30, 26,1–2).7 Auch für Elkesai ist neben dem Sabbatgebot und dem Gebet in Richtung Jerusalem die Beschneidung bezeugt (Hippolyt. Ref 9,14,1; Epiphanius Pan 19,3,5–6). Die Quelle AJ II (in R I 33–71) der Grundschrift der Pseudoklementinen ist durchaus kultkritisch, aber sie bewertet die Beschneidung und die Reinheitsgesetze positiv (R I 33,5).8 Die zu Beginn des 3. Jh. geschriebene syrische Didaskalia erwähnt Judenchristen, die an Reinheitsvorschriften, Waschungen, Sabbat und Beschneidung festhalten (121–122, 136ff.). Freilich scheint es daneben bereits im 1. Jh. schon eine metaphorische Interpretation gegeben zu haben, die den Begriff der Beschneidung, wie etwa für die „kolossische Häresie“ zu vermuten, in einen mysterienhaften InitiationsritusInitiationsritus einordnet.9

Deutliche Spuren eines Judenchristentums, das für die Beschneidung der Heidenchristen eintritt, finden wir nach dem Apostelkonvent erstmals durch die Beschneidungsforderung der Paulusgegner in den galatischen Gemeinden (6,12–13$Gal 6,12–13).10 Welche Absichten diese Gegner insgesamt leiteten, ist nicht leicht zu entscheiden. Immerhin steht die Einhaltung von Speisegeboten nicht zur Debatte. Das von Paulus im Galaterbrief erstmals ins Gespräch gebrachte Abrahambeispiel lässt fragen, ob der Abrahambund/Beschneidungsbund in der Argumentation der Gegner eine wesentliche Rolle gespielt hat.11 Jedenfalls sind die Vorgänge in den galatischen Gemeinden nicht anders denn als judenchristliche Reaktion auf die beschneidungsfreie Heidenmission zu erklären. Eine genauere Verortung dieser Gegnerschaft ist ungewiss. Paulus stellt sie in eine Perspektive mit den Falschbrüdern des Apostelkonvents, eventuell auch mit den Jakobusleuten, die in Antiochia auftreten.12 Im Philipperbrief ist die Gegnerschaft, die noch nicht Fuß in der Gemeinde gefasst hat, nahezu ganz auf die Beschneidungsfrage reduziert. Der sog. Kampfbrief, der ab 3,2$Phil 3,2 vorzuliegen scheint, ist sozusagen eine präventive, wohl auch von den galatischen Vorgängen geleitete Maßnahme des Paulus im Gegenüber zu den judenchristlichen Missionaren. Paulus kämpft ihnen gegenüber im Galater- und Philipperbrief polemisch für die Grundsätze der antiochenischen, beschneidungsfreien Heidenmission. In seiner Polemik bedient er sich u.a. des paganen Vorwurfs, Beschneidung stehe mit Kastration bzw. Verstümmelung auf einer Stufe (Gal 5,12; Phil 3,213).

Wenn irgendwo, dann muss hier gefragt werden, ob die Begrifflichkeit „Gegner, Irrlehrer“ nicht abwegig ist. Man sollte versuchen, die Absichten dieser judenchristlichen Missionare von dem sie noch prägenden jüdischen Hintergrund her zu verstehen und sie nicht sogleich an dem Maßstab heidenchristlicher Theologie paulinischer Prägung zu messen. Predigen sie einen „Rückfall in ein an das Gesetz gebundenes Judenchristentum“?14 Wie sollten Heidenchristen zurückfallen in einen Zustand, in dem sie noch nie waren? Es muss diese judenchristliche Mission ernstgenommen werden als ein Versuch der Heidenmission, der unter Beibehaltung des jüdischen Rahmens und des Christusbekenntnisses Heiden in den Beschneidungsbund eingliedert.

In seinem wohl letzten Schreiben, dem Römerbrief, gibt Paulus in 3,1–8$Röm 3,1–8 die polemische Dialogsituation, in der er sich gegenüber dem Judentum (und Judenchristentum) befindet, wieder, indem er jüdische Einwände gegen seine Theologie zur Sprache kommen lässt. „Was ist der Nutzen der Beschneidung?“ (3,1b). Diese Frage ist nach den polemischen Ausführungen des Galaterbriefs verständlich, aber sie wird auch Paulus selbst bewegt haben.15 Paulus gibt im Wesentlichen zwei Antworten: a) In Röm 2,25–29$Röm 2,25–29 geht er von dem jüdischen Grundsatz aus, dass die Übernahme der Beschneidung verpflichtet, die Tora insgesamt zu erfüllen (Apg 15,5; Gal 5,3; Υεν 47b). Röm 2,1–24 hat aber gerade dem Juden vorgehalten, dass seine Missachtung der Tora den Namen Gottes entehrt. Insofern befindet sich der beschnittene Jude mit dem unbeschnittenen Heiden auf einer Stufe, da beide unter der Anklage Gottes, die Tora nicht zu beachten, stehen. Eine Beschneidung, die vor Gott gilt, kann mithin nur eine Beschneidung des Herzens sein, die vom Geist Gottes vollzogen wird – ein innerer, kein äußerer Akt. Paulus knüpft hier an die in der jüdischen Überlieferung angekündigte Beschneidung des Herzens und Ausstattung mit dem Geist an.16 b) In der positiven Inanspruchnahme des Abrahambeispieles in Gal 3,1–29$Gal 3,1–29 hat Paulus jeglichen Bezug auf die Beschneidung in Gen 17 vermieden, wohl aber Abraham als Beispiel für Glaubensgerechtigkeit (Gen 15,6 in Gal 3,6) hingestellt. Nach Gal 3,3 gehört die Beschneidung auf die Seite der σάρξ; wie sollte sie auch eine positive Bedeutung haben? Bezeugt Röm 4 demgegenüber ein „bemerkenswertes theologisches Umdenken“?17 Die Beschneidung, die Abraham (Gen 17) nach der Zurechnung der Glaubensgerechtigkeit empfing (Gen 15), wird positiv erklärt als σφραγὶς τῆς δικαιοσύνης τῆς πίστεως (Röm 4,11).18 Hierbei ist der Charakter der Beschneidung als Erkennungszeichen aufgenommen, aber als nachträgliches Zeichen der vorgängigen Glaubensgerechtigkeit zugewiesen. Da die Glaubensgerechtigkeit aber Abraham als Unbeschnittenem zugesprochen wurde, damit von der Beschneidung gelöst worden ist, kommt der Beschneidung in der Zeit nach der universalen Offenbarung der Glaubensgerechtigkeit keine entsprechende Funktion als Zeichen oder Siegel mehr zu.19 Die Beziehung zu Abraham ist jetzt ausschließlich über die πίστις gegeben. Von einem eigentlichen Umdenken kann also keine Rede sein, wenn auch die Beschneidung jetzt, wie bereits in Phil 3,3, nicht mehr der σάρξ zugeordnet wird. Somit hat Paulus die Frage der Bedeutung der Beschneidung auf der Ebene der Schriftauslegung so erklärt, dass seine beschneidungsfreie Mission unter der Heidenwelt nicht gegen, sondern mit Abraham leben kann.

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