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1. Die frühesten christlichen Stellungnahmen zur Beschneidungsfrage

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Es kann zunächst eine gewisse Eingrenzung getroffen werden. Die Frage der Beschneidung ist kein Thema der Verkündigung Jesu. Dieser Befund verdient Beachtung, weil Aussagen zu anderen sog. jüdischen ‚identity markersidentity markers‘, etwa das Verhalten am Sabbat, die Fastenpraxis, der Umgang mit Sündern, durchaus auf die Verkündigung Jesu zurückgehen und von der palästinischen Gemeinde in Apophthegmata aufgenommen worden sind. Allerdings ist sogleich zu sagen: die rechte Auslegung des Sabbatgebotes oder der Fastenpraxis stellt zur Zeit Jesu ein innerjüdisches Problem dar, in das Jesus eingreift. Die Beschneidung hingegen ist im palästinischen Judentum nahezu außerhalb jeder Diskussion.1 Dies bedeutet positiv: Wir müssen davon ausgehen, dass Jesus die Beschneidung selbstverständlich voraussetzt, gerade weil er sie nicht thematisiert.2

Die Abgrenzung – sozusagen nach hinten – ist andererseits mit dem ApostelkonventApostelkonvent gegeben, über den Gal 2,1–10$Gal 2,1–10 und Apg 15$Apg 15 berichten. Nach beiden Berichten war das Thema des Konvents allgemein die Heidenmission (Gal 2,2.9; Apg 15,12). Auf dem Konvent allerdings tritt eine Gruppierung – Lk nennt sie „einige von der Partei der Pharisäer, die gläubig geworden waren“ (Apg 15,5); Paulus sagt rückblickend „die falschen Brüder“ (Gal 2,4) – mit der Forderung der Beschneidung der bekehrten Heidenchristen auf (Apg 15,5b).3 Dies bedeutet: die Frage der Beschneidung allein war wohl nicht der direkte Anlass des Apostelkonvents, wurde aber zu einem zentralen Diskussionspunkt durch das Auftreten der „falschen Brüder“.4 Sind die „falschen Brüder“ erst durch das Auftreten des unbeschnittenen Heidenchristen Titus auf das Problem aufmerksam gemacht worden?5 Wohl kaum. Da der Kontakt zwischen der Jerusalemer Gemeinde und der Gemeinde Antiochias, als deren Delegaten Barnabas, Paulus und Titus nach Jerusalem ziehen, eng war, ist vielmehr anzunehmen, dass die „falschen Brüder“ auf dem Konvent bewusst Informationen aus Antiochia in die Diskussion bringen.6 Die präzise Identifizierung der ialschen Brüder fällt nicht leicht.7 Sie stehen in einer Linie mit den Leuten des Jakobus, die bald in Antiochia auftauchen (Gal 2,12), sind aber nicht mit ihnen zu identifizieren. Dies alles besagt nun für unsere Fragestellung: Die Person des Titus (Gal 2,3) und die Erwähnung (weiterer) unbeschnittener Delegaten aus Antiochia (Apg 15,5) zum Konvent sind ein klarer Hinweis, dass hier in Antiochia – einer hellenistischen Großstadt mit einem Anteil von ca. 50000 Juden und zusätzlichen Phoboumenoi (Jos.Bell 7,46) – eine Gemeinde aus unbeschnittenen und beschnittenen Christen existiert. Dies ist freilich nur möglich, wenn die trennenden Faktoren des jüdischen Zeremonialgesetzes missachtet werden. Der sog. Antiochenische Streit Antiochenischer Streit, der nach dem ApostelkonventApostelkonvent stattfand8 und über den Paulus in Gal 2,11–14$Gal 2,11–14 berichtet, zeigt am Beispiel der Speisefragen recht deutlich, dass in AntiochiaAntiochia ehemalige Heiden und Juden, die sich jetzt gemeinsam zu Christus bekennen, Speisegemeinschaft haben. Deutlicher aus der Perspektive des Zeremonialgesetzes gesagt: Reine und unreine Menschen essen Speisen, die zu verzehren einem Juden untersagt sind.9 Nicht nur in der Frage der Beschneidung, ebenso in Speisefragen wird die bislang verbindliche Vorgabe der jüdischen Tora ignoriert.

Was ist in Antiochia dadurch eigentlich geschehen? Die Beschneidung der männlichen Juden war im babylonischen Exil zu einem wesentlichen Unterscheidungsmerkmal von der umgebenden babylonischen Bevölkerung geworden, unter der die Beschneidung nicht üblich war. Die Beschneidung war gleichsam das äußerliche Zeichen der Zugehörigkeit zum Gott Israels. Die Priesterschrift hat diesem Brauch eine heilsgeschichtliche Verankerung gegeben, war doch nach Gen 17,11 die Beschneidung das „Zeichen des Bundes“. Hieran schließt sich der im Judentum gebräuchlich gewordene Ausdruck „Beschneidungsbund“ (berit mila) an. Es handelt sich also um mehr als nur um ein Abgrenzungszeichen in fremder Umwelt. Die Beschneidung erfuhr im Verlauf des Frühjudentums eine enorme theologische Aufwertung. Versuche, sie zurückzudrängen – so etwa durch die hellenistischen Reformer der Makkabäerzeit (1 Makk 1,15) oder aber das Verbot der Beschneidung durch den römischen Kaiser Hadrian10 – bewirkten letztlich eher das Gegenteil. Dass männliche Kinder einer jüdischen Mutter am achten Tag beschnitten werden, war – auch wenn positive Zeugnisse rar sind – wohl selbstverständliche Praxis in der Zeit des zweiten Tempels. Wenn männliche Heiden den Zugang zum Gott Jahwe und zum Volk Israel suchten, so haben sie als Proselyten u.a. die Bescheidung zu übernehmen. Und genau hier liegt der Punkt, wo die christliche Gemeinde in Antiochia sich abweichend verhalten hat. Dass Kinder aus jüdischen Familien, die Christen geworden waren, weiterhin mehrheitlich beschnitten wurden, ist wahrscheinlich. Allein die Heidenchristen, wie das Beispiel des Titus zeigt, haben diesem Brauch nicht mehr entsprochen. Ihr Zugang zur Heilsgemeinde verlief – drastisch gesprochen – nicht mehr über den Umweg einer vorgängigen Konversion zum Judentum. Ohne Beschneidung erfüllten sie nicht die an einen Proselyten gestellten Bedingungen. So aber befanden sich Beschnittene und Unbeschnittene in einer Heilsgemeinde, die nun nicht mehr durch die traditionellen „identity markers“ bestimmt war.

Wir besitzen keine direkten literarischen Zeugnisse aus der antiochenischen Gemeinde. Wenige wichtige Hinweise bietet wiederum die Apg. Hiernach sind die christlichen Hellenisten der Jerusalemer Urgemeinde nach der Verfolgung des Stephanus nach Phönizien, Zypern und AntiochiaAntiochia gezogen (11,19). Ein Teil dieser Hellenisten nimmt in Antiochia Predigttätigkeit gegenüber den Heiden auf (11,20). Der Jerusalemer Judenchrist BarnabasBarnabas kommt nach Antiochia (11,22). Er ist verantwortlich für die Übersiedlung des Paulus aus Tarsus, wohin er nach der Bekehrung zurückgegangen war, nach Antiochia (11,26). Beide bleiben ein Jahr (11,26) in Antiochia und werden sodann (13,1) von der Gemeinde förmlich zu einer Missionsreise ausgesandt (13–14), die sie bis in die Provinzen Pamphylien, Pisidien und Lykaonien führt. Aus dem Bericht der Apg, der in den Grundzügen historisch korrekt sein dürfte,11 wird deutlich, dass die antiochenische Gemeinde der eigentliche geistige Nährboden für die paulinische Theologie gewesen sein dürfte. Wenn die Paulusbriefe Formeln, Traditionsgut wiedergeben, dann wird unter den Texten Etliches mit gutem Grund als Erbe der antiochenischen Zeit zu verstehen sein. Die Gesprächslage auf dem Apostelkonvent setzt voraus, dass man nicht allein in Antiochia in einer Gemeinschaft von beschnittenen und unbeschnittenen Christen lebte, sondern diese Praxis auch auf der ersten Missionsreise zur Anwendung brachte. Hierbei werden Barnabas und Paulus die Anknüpfung an die SynagogeSynagoge gesucht,12 diejenigen aber, die sich zum christlichen Glauben, zu dem Gott Israels, der Jesus von den Toten auferweckt hat, bekehrten, nicht mehr als Proselyten mit der Beschneidung konfrontiert haben. Es ist denkbar, dass auch andere Hellenisten in ihrer Mission ähnlich verfahren sind.13

Diese Annahme wird belegt durch zwei unterschiedliche Aussagenreihen in den paulinischen Briefen, die zumindest in der Substanz nicht anders denn als Traditionen der antiochenischen Gemeinde zu verstehen sind. Die erste Reihe stellt zugleich die älteste christliche Aussage zur Beschneidungsfrage dar.

Die erste Reihe findet sich in 1 Kor 7,19; Gal 5,6; 6,15:

 1 Kor 7,19: $1Kor 7,19ἡ περιτομὴ οὐδέν ἐστιν καὶ ἡ ἀκροβυστία οὐδὲν, ἀλλὰ τήρησις ἐντολῶν θεοῦ

 Gal 5,6: $Gal 5,6ἐν γὰρ Χριστῷ Ἰησοῦ οὔτε περιτομή τι ἰσχύει οὔτε ἀκροβυστία ἀλλὰ πίστις δι ᾽ ἀγάπης ἐνεργουμένη

 Gal 6,15: $Gal 6,15οὔτε γὰρ περιτομή τί ἐστιν οὔτε ἀκροβυστία ἀλλὰ καινὴ κτίσις

Diese drei Formeln stellen jeweils in gleichem dreigliedrigem Aufbau und in weitgehend gleicher Sprache (abstrakt-kollektive Redeweise) den Zustand des Beschnittenseins bzw. den Zustand des Unbeschnittenseins als wertlos (1 Kor 7,19),14 als bedeutungslos (Gal 5,6),15 als „nichts“ (Gal 6,15) dar. Eingeleitet mit ἀλλά ist dem jeweils entgegengesetzt das Halten der Gebote Gottes (1 Kor 7,19), der Glaube, der durch die Liebe tätig ist (Gal 5,6), die neue Schöpfung (Gal 6,15). Es ist deutlich, dass diese Formeln in der Ablehnung jeglicher Relevanz des Zustandes der Beschnittenheit bzw. der Unbeschnittenheit eindeutig sind. Heiden müssen nicht darauf hingewiesen werden, dass ihr Zustand des Unbeschnittenseins wertlos ist. Also wenden diese Reihen sich an diejenigen, die diesem Unterscheidungsmerkmal einen Wert beimessen bzw. an diejenigen, die vor der Entscheidung stehen, sich dem Beschneidungsritual zu unterwerfen. Grundsätzlich schließen diese Formeln nicht den Weg der Beschneidung der heidnischen Konvertiten aus, allein kommt der Sache keinerlei Bedeutung mehr zu. Es würde sich gleichsam um einen profanen Akt handeln. Anders als Paulus in der galatischen Krise vertritt diese Reihe eine adiaphoristische Position. Da sie, wie die Nachsätze eindeutig zeigen, argumentativ im Rahmen jüdischen Denkens bleibt und keinesfalls mit der Nivellierung der Beschneidungsfrage die Tora insgesamt zur Diskussion stellt (vgl. nur 1 Kor 7,19: […] sondern das Halten der Gebote Gottes), so sprechen in ihr Judenchristen (und Heidenchristen, die diese Form von Toraobservanz akzeptieren) im Gegenüber zur Synagoge.16 In dieser Reihe werden sehr wahrscheinlich Grundsätze der antiochenischen Mission sichtbar.17

Die zweite Reihe findet sich in 1 Kor 12,13$1Kor 12,13; Gal 3,28$Gal 3,28; Kol 3,11. Hier allerdings kommt die Aufhebung des Gegensatzes von Beschnittenheit und Unbeschnittenheit in dem Paar „nicht Jude und nicht Grieche“18 zum Ausdruck, und er ist darüber hinaus bereits zugeordnet der Aufhebung des Gegensatzes von Sklave und Freiem (1 Kor 12,13; Gal 3,28; Kol 3,11$Kol 3,11), von Mann und Frau (Gal 3,28). Schließlich ist diese Aufhebung deutlich einem spezifischen Ort zugewiesen worden, nämlich der Taufe in den Christus hinein (1 Kor 12,13; Gal 3,27). In alledem muss diese Reihe deutlich einem sekundären Interpretationsstadium zugewiesen werden. Diese Tauftheologie ist bei Paulus erst ab der Korintherkorrespondenz nachzuweisen, und es ist problematisch, sie bereits in früheste Zeit zurückzuführen. Allerdings bezeugen diese Tauftraditionen zugleich noch die ältere Formel der Aufhebung des Gegensatzes von Beschnittensein und Unbeschnittenheit, ja in Kol 3,11 ist περιτομὴ καὶ ἀκροβυστία neben Ἕλλην καὶ Ἰουδαῖος gleichsam verstärkend zusätzlich genannt.

Paulus ist mithin kaum der Begründer der beschneidungsfreien Mission, wohl aber wird er derjenige, der sie im heidenchristlichen Raum durchsetzt. Bleiben wir aber noch bei dem Paulus vor der galatischen Krise, die ihn zu beißender Polemik gegen jeglichen Versuch, die Beschneidung in den christlichen Gemeinden einzuführen, treibt – bei dem Paulus, der in der antiochenischen Mission mitwirkt. Die hier gültigen Grundsätze bestimmen auch seine eigene Position auf der zweiten Missionsreise. In Korinth reklamiert er den jeweiligen Stand zu einem Adiaphoron: jeder soll in dem Stand seiner Berufung bleiben, sei er beschnitten oder unbeschnitten. Niemand soll versuchen, eine Änderung herbeizuführen. Dies ist die grundsätzliche Sicht, die Paulus in allen seinen Gemeinden bislang anordnet (1 Kor 7,17). Ist es ein rhetorischer oder theoretischer Zusatz, wenn Paulus hinzufügt (1 Kor 7,18): Der als Beschnittener Berufene soll diesen Stand nicht operativ zu verändern suchen, der als Unbeschnittener Berufene soll sich nicht nachträglich beschneiden lassen? Der Satz ist kaum durch spezifisch korinthische Erfahrungen begründet. Eher will es scheinen, als wolle Paulus eben die zwei Möglichkeiten ausschließen, die den Grundsatz, dass der Stand des Beschnittenseins bzw. der Unbeschnittenheit nichts wert sei, ignorieren.19

Dieser Grundsatz scheint nun aber durch die paulinische Praxis selbst in Frage gestellt zu sein. Denn nach Apg 16,1–5$Apg 16,1–5 hat Paulus zu Beginn der zweiten Missionsreise den Christ gewordenen TimotheusTimotheus, der Sohn einer Judenchristin und eines Heiden war, selbst beschnitten. Legt man den Maßstab des Galaterbriefs zugrunde, dann hätte Paulus – um mit seinen eigenen Worten zu sprechen (Gal 5,11) – das Ärgernis des Kreuzes aufgehoben. Daher wird die Notiz der Apg in der Literatur häufig als redaktionell dem lukanischen Anknüpfungsschema angelastet.20 Andererseits hat man erneut die Frage gestellt, ob Paulus den Verzicht auf Bestimmungen der Tora nur gegenüber Heidenchristen erwähnt hat, nicht aber gegenüber Judenchristen.21 Schließlich gibt es Überlegungen, die Beschneidung des Timotheus in die Zeit vor den Apostelkonvent zu verlagern, sodass Paulus hier in einer noch weitaus offeneren Haltung zur Beschneidungsfrage agiert hätte.22 Timotheus ist das Kind einer Mischehe. Das rabbinische Recht hat mit Blick auf Dtn 7,3–4 die Mischehe verboten und sie für ungültig erklärt (Qid 68b; Υεν 45a).23 Die Kinder aus einer MischeheMischehe folgen der jüdischen Mutter und gelten somit als Israeliten (Υεν 78a).24 Die nachträglich erfolgte Beschneidung entspricht demnach jüdischem Recht.25 Hat aber Paulus sich in diesem Fall dem jüdischen Recht unterworfen? Die Begründung, die Lukas in Apg 16,3 gibt – er beschnitt ihn wegen der Juden, die in jener Gegend waren – erscheint aus der missionarischen Perspektive des Lukas einsichtig. Da Paulus in seiner Mission nach Lukas immer an die örtliche Synagoge anknüpft, würde die Mitnahme eines Mitarbeiters, der noch in gewissem Maße jüdisch lebt, aber unbeschnitten ist, Unverständnis und Misstrauen erzeugen. Ein anderes Argument als dieses ist aber auch für Paulus nicht vorstellbar.26 Denn die Beschneidung des Timotheus widerspricht dem Grundsatz, den Paulus wenige Zeit später in Korinth geltend macht, dass Unbeschnittene und Beschnittene, wenn sie Christ geworden sind, in dem jeweiligen Stand bleiben sollen (1 Kor 7,18–19$1Kor 7,18–19). Die Existenz eines „unbeschnittenen Juden“ ist ein Sonderfall, der nicht auszugleichen ist mit der Bestimmung, dass Heidenchristen nicht die Beschneidung, Judenchristen nicht den Epispasmos wählen sollen (1 Kor 7,17–19). Der Charakter einer missionsstrategischen Maßnahme27 aber lässt deutlich werden, dass damit keinesfalls die christliche Taufe relativiert noch die Beschneidung als Forderung an Christen anerkannt ist. Der Stand der Berufung wird durch die Beschneidung auch für Timotheus nicht verändert.28 Nur wer von der scharfen Polemik des Galaterbriefs her argumentiert und sie zur Grundlage der gesamten paulinischen Theologie erklärt, muss die Historizität der Beschneidung des Timotheus in Frage stellen. Wer aber in Rechnung stellt, dass diese Auseinandersetzung und diejenige in Philippi noch vor Paulus liegen29 und dass der Sonderfall des TimotheusTimotheus mit dem Versuch, Heidenchristen nachträglich in den Abrahambund zu überführen, nicht verrechenbar ist, der wird die Historizität der Beschneidung des Timotheus für möglich halten.30

Hat die Beschneidung des Timotheus ein für Paulus abträgliches Nachspiel gehabt? Immerhin scheint der Sachverhalt nicht völlig peripher gewesen zu sein, da noch Lukas Jahrzehnte später Zugang zu einer diesbezüglichen Tradition hat. In Gal 5,11$Gal 5,11 setzt Paulus sich mit einer Aussage auseinander, die ihm scheinbar angehängt wird: er predige noch die Beschneidung. Die rechte Auslegung dieses Verses ist außerordentlich schwierig.31 Gehen wir davon aus, dass die in den galatischen Gemeinden aufgetretenen Gegner des Paulus zusätzlich zum Glauben die Beschneidung der Heidenchristen fordern, so hätte man dies auch für Paulus reklamiert. Hierbei würde das ἔτι in einem Sinne von dem, was zu Vorhandenem noch hinzukommt, verstanden. Die temporale Übersetzung, die einen Zustand, der immer noch andauert, beschreibt,32 hätte auf einen Sachverhalt im Leben des Paulus vor der galatischen Mission Bezug genommen. Hier könnte man an die vorchristliche Zeit des Paulus, in der er als Pharisäer in der Diaspora für die Beschneidung eingetreten ist, denken.33 Auch wird erwogen, die erste Mission in Syrien und Cilicien hätte hinsichtlich der Beschneidung noch nicht die vollen Konsequenzen gezogen.34 Aber es findet sich in der Literatur immer wieder der Hinweis, die Gegner in den galatischen Gemeinden hätten die Beschneidung des Timotheus durch Paulus für sich als Argument ausgenutzt und gegen Paulus gewendet.35 Nun geht eine Bezugnahme auf Timotheus aus der kurzen Aussage in Gal 5,11 keineswegs hervor. Die Kargheit der Notiz empfiehlt, sie nicht mit mehr zu befrachten, als sie im Kontext sagen will. Die Gegner in Galatien verfolgen mit ihrer Beschneidungspredigt auch persönliche Interessen: sie wollen, weil sie die Beschneidung predigen, möglichen Verfolgungen entgehen. Haben sie dabei auf Paulus als Bürgen der Beschneidung verwiesen, so hält Paulus dem entgegen: ich werde verfolgt, also kann ich kein Prediger der Beschneidung sein. Ob und gegebenenfalls welches eigene zurückliegende Verhalten er damit revozieren will, muss offen bleiben.

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