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Das Mädchen Isabella.

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Isabella hatte das ganze Jahr über in der Samba-Schule trainiert. Sie träumte davon, Fahnenträgerin von Sao Clemente zu werden und den Karnevalszug durch das Sambodromo anzuführen. Das war eine große Ehre und brachte derjenigen viel Anerkennung, die es gut machte. Einmal war eine Fahnenträgerin aus dem Takt geraten und hatte die Choreografie verstolpert. Alle waren sauer auf sie gewesen, bevor allmählich Gras über die Sache gewachsen war und die Sorgen des Alltags wieder die Oberhand über das tägliche Leben bekamen.

Im Oktober wurde Isabella 14 und in den 10 Monaten seit dem letzten Sommer hatte sie sich verändert. Sie war gewachsen, und zwar überall und ihre Brüste zeigten an, dass sie kein Kind mehr war.

„Unsere Isabella wird erwachsen“, hatte ihre Mutter ein ums andere Mal gesagt, wenn sie wieder eine Veränderung bemerkt hatte.

Ihre Mutter hatte sie schon frühzeitig aufgeklärt und gesagt, was es bedeutet, in die Pubertät zu kommen, und auch in der Schule sprachen die Mädchen darüber, die meisten hatten schon ihre monatlichen Blutungen. Als Isabella eines Morgens Blut bemerkte, das ihre Beine hinunterlief, dachte sie triumphierend: „Jetzt bin ich eine Frau, endlich, jetzt beginnt ein anderes Leben.“

„Mama, Mama, ich habe meine Tage“, rief sie und lief in die Küche, wo ihre Mutter gerade das Frühstück bereitete.

Ihre Mutter erfasste die Lage sofort: „Im Bad findest Du alles, was Du jetzt brauchst, Du weisst ja, wo die Tampons und Slipeinlagen liegen.“

Und dann ermahnte sie ihre Tochter, sich nicht mit jungen Männern einzulassen und sich Zeit zu lassen bis zu ihrem 16. Lebensjahr und Isabella versprach es ihr, hoch und heilig.

Je größer Isabellas Busen wurde, desto mehr veränderten die jungen Männer in ihrer Umgebung ihr Verhalten. Ihre Augen tasteten ihren Körper ab und je runder sie wurde, desto bewundernder wurden die Blicke der Männer.

Ihr Trainer fragte sie, wie alt sie denn jetzt sei, und als sie „14“ sagte, meinte er: „Im nächsten Jahr könntest Du vielleicht die Fahne der Schule tragen.“

Isabella war wie elektrisiert: Die Fahne tragen, ihr Traum, vorne weg tanzen, im Rampenlicht stehen, im Fernsehen übertragen werden, berühmt werden. Herrlich! Sie schwebte im 7. Himmel und auch ihre Eltern waren begeistert: Ihre Tochter sollte die Fahne der Schule tragen, welche Ehre!


Im nächsten Jahr trainierte sie unermüdlich die neue Choreografie und das Samba-Lied der Schule.

Jedes Jahr wurde eine neues Motto für den Tanz durch das Karnevals-Stadion „Sambodromo“ ausgesucht, und alle teilnehmenden Samba-Schulen mussten ein Lied schreiben, eine Choreografie einstudieren, 7 Karnevalswagen bauen und Tausende von Kostümen schneidern.

Es ging für die Schule um den Aufstieg in die erste Liga der Samba-Schulen und das Motto hieß: „Ein musikalisches Abenteuer“. Über 3000 Tänzer waren in der Samba-Schule Sao Clemente aktiv, und jeder musste ein Kostüm haben und die Choreografie lernen.

Eine Gruppe stellte die Figuren aus dem Musical „Phantom der Oper“ dar, eine andere die „Zauberer von Oz“. Lange überlegte Isabella, welcher Gruppe sie sich anschließen sollte und dann entschied sie sich für die „Zauberer von Oz“. Sie wollte unbedingt die Hauptdarstellerin Dorothy spielen, die von ihrem heimatlichen Bauernhof in ein Hexenland verschlagen wird und suchte im Schuhschrank ihrer Mutter nach roten Schuhen, die in der Geschichte eine magische Rolle spielen.

Sie fand ein Paar hochhackige rote Schuhe und probierte sie gleich an. Sie waren noch zwei Nummern zu groß und Isabella musste viel Watte in die Spitze stopfen. Aber laufen konnte sie darin überhaupt nicht, das war vielleicht ein komisches Gefühl, wie auf Zehenspitzen gehen und total kippelig. Das musste man echt üben.

Nachdem sie eine Stunde in der Wohnung geübt hatte, ging es besser, aber danach taten ihr die Füße weh und sie stellte die Schuhe erstmal wieder in den Schrank.

Ah, was für eine Wohltat, barfuß zu gehen!


Jeden Tag übte sie, in den roten Schuhen zu gehen, denn die waren für die Rolle sehr wichtig, sie hatten Zauberkräfte. Dann traute sie sich auf die Straße und stakste in Richtung Einkaufszentrum. Sie kam an einer Baustelle vorbei, wo Arbeiter ein Loch in die Straße gebuddelt hatten, um eine Wasserleitung zu erneuern. Sie stöckelte an der Baugrube vorbei und die jungen Männer schauten hoch, als sie das Klackern ihrer Absätze hörten. Sie sahen Isabella von unten mit den hohen Hacken vorbeigehen und pfiffen ihr anerkennend hinterher. Das war das erste Mal, das sie so etwas erlebte und sie glaubte, dass auch diese Schuhe etwas Magisches hätten, oder warum sonst zogen sie die Blicke der Männer so auf sich?


Als sie wieder vor dem Eingang des Hochhauses stand, wo sie mit ihren Eltern wohnte, kam ihre Mutter gestresst von der Arbeit zurück, sah sie mit den roten Schuhen heran stöckeln und gab ihr spontan eine Ohrfeige.

„Was machst Du mit meinen Schuhen“, schrie sie, „das sind meine besten Pumps, damit hab ich deinen Vater kennengelernt, da lässt Du gefälligst die Finger davon!“

Isabella heulte los, sie hatte doch gar nichts gemacht, was soll die Aufregung wegen ein Paar roter Schuhe? Sie schleuderte die Slippers von den Füßen, lief barfuß ins Haus, die Treppe hoch, in ihr Zimmer, knallte die Tür zu und heulte los. Dass Mama so gemein sein konnte!

Später kam ihre Mutter herein und sagte, es täte ihr leid wegen der Ohrfeige, aber die roten Schuhe würde sie trotzdem nicht bekommen.

„Aber es ist doch für mein Kostüm im Karnevalszug“, schluchzte Isabella, „ich brauche doch rote Schuhe für die Rolle der Dorothy.“

Jetzt verstand ihre Mutter und war erleichtert. Sie nahm sie in den Arm und alles war wieder gut.

Bei nächster Gelegenheit gingen Mutter und Tochter shoppen im nahe gelegenen Einkaufsparadies von Botafogo. Dort konnte man alles bekommen, was man für Geld kaufen kann. Die vielen, die kein Geld hatten, schlenderten nur durch die Einkaufspassage, schauten sich die Auslagen in den Schaufenstern an, drückten sich die Nasen platt und schwelgten in der Vorstellung, dass sie sich dies und das irgendwann einmal kaufen würden.

Bald fand Isabella nicht nur ein Paar Schuhe, das ihr gefiel, sondern gleich drei. Sie konnte sich nicht entscheiden, aber ihre Mutter bestand darauf.

„Ein Paar rote Schuhe ist genug, nimm diese mit den halbhohen Absätzen, da kannst Du gut drin laufen und die sehen trotzdem chic aus.“

Die Schuhe hatten vorne noch ein rotes Schleifchen drauf und sahen fast so aus wie bei der Dorothy im Film. Isabella fand eigentlich die hochhackigen Slippers schöner, aber ihre Mutter war strikt dagegen.

„Damit kannst Du nicht durchs Sambodromo laufen und den ganzen Abend tanzen“, sagte sie bestimmt und Isabella ließ sich widerwillig überreden.

Dann fand ihre Mutter auch noch ein Paar süße Schuhe für sich und konnte nicht widerstehen, am Ende gingen sie beide mit einem Schuhkarton nach Hause.

Im Oktober wurde Isabella 15 und von Monat zu Monat blühte sie mehr auf. Sie hatte ihr blondes Haar noch länger wachsen lassen und es bildete einen schönen Kontrast zu ihrer gebräunten Haut und ihren blauen Augen. Das blonde Haar, die blauen Augen und den kühlen Verstand hatte sie von ihrem Vater geerbt, ihr Großvater und ihre Großmutter väterlicherseits waren vor rund 80 Jahren aus Deutschland eingewandert, als eine große Wirtschaftskrise Deutschland ins Chaos gestürzt hatte. Die Eltern ihrer Mutter waren dagegen von Spanien nach Brasilien ausgewandert, als ein Bürgerkrieg das ganze Land erschütterte und General Franko die Macht ergriff. Von ihrer mütterlichen Seite hatte Isabella das südländische Temperament, die stolze Haltung und die rassige Figur geerbt.


Nach Weihnachten begann die heiße Phase der Vorbereitungen auf den Karnevalsumzug. Jetzt wurde drei Mal die Woche geprobt. Eine neue Tänzerin kam hinzu und es hieß, sie sei eine Verwandte des Chefs. Sie hieß Dandara, war fast zwei Jahre älter als Isabella und war äußerst attraktiv und üppig. Braune Haut von Natur aus, leuchtende braune Augen und wildes, dunkles Haar. Sie tanzte mit Leidenschaft und war in der gleichen Gruppe wie Isabella. Auch sie wollte die Dorothy spielen und die Fahne tragen, und mehr und mehr wurden die beiden jungen Frauen zu Rivalinnen beim Kampf um die Spitzenposition.


Isabella hatte inzwischen ihr Kostüm vollständig zusammen und sah hinreißend aus in ihrem Röckchen, mit ihren Zöpfen und den roten Schuhen.

Manchmal zog sie alles schon zu Hause an, marschierte durch die Wohnung und übte zum hundertsten Mal ihre Schritte und Drehungen. In ihrer Fantasie hatte sie die Fahne der Schule in der Hand und zog schon durchs Sambodromo. Sie hörte den Beifall der Massen und sah die Fernsehkameras auf sich gerichtet - bald schon würde sie über die Bildschirme tanzen in ihren roten Schuhen, da war sie sich ganz sicher.

In ihre Tagträume platzte plötzlich ihr Vater, der ausnahmsweise einmal früher aus dem Autohaus, das er leitete, nach Hause gekommen war.

Sie stand am Fenster und drehte ihm den Rücken zu, als er ins Wohnzimmer trat.

„Guten Tag, kann ich Ihnen helfen?“, rief ihr Vater, als er die Frau sah.

Isabella dreht sich überrascht um.

„Hi Papa, wobei willst Du mir denn helfen?“

Ihr Vater war völlig konsterniert: „Isabella, wie siehst Du denn aus?“

„Das ist mein Kostüm für den Umzug durchs Sambodromo, ich spiele die Dorothy aus dem Film „Der Zauberer von Oz“.

„Und die hat rote Schuhe an?“

„Ja, genau, rote Zauber-Schuhe, die ihr magische Kräfte verleihen“, antwortete Isabella. Erwachsene können ja so begriffsstutzig sein.

„So, so“, murmelte ihr Vater und begriff in diesem Augenblick, dass seine kleine Isabella nicht mehr seine kleine Isabella war, die ihm allein gehörte.


Auf den Schreck musste er sich erstmal setzen und einen „Glenfiddich“ trinken. Der Whiskey beruhigte seine Nerven und ließ ihn die Sache gelassener sehen.

Im vorigen Jahr war Isabella noch artig an seiner Hand gegangen, und jetzt tanzte eine junge Frau in roten Schuhen durchs Wohnzimmer, anmutig und schön wie Aphrodite, als sie dem Meer entstieg und an Land ging.

„Papa, wie findest Du mein Kostüm?“, rief sie und drehte und wendete sich vor ihm.

„Du siehst reizend aus“, sagte ihr Vater und sie fiel ihm um den Hals und gab ihm einen Kuss auf die Wange, „fast wie damals deine Mutter, als ich sie kennenlernte.“

„Wie Mama? Erzähl, wie hast Du Mama kennengelernt?“


Ihr Vater versuchte, sich zu erinnern und dann fiel es ihm wieder ein:

„Es war im Sambodromo, unsere Firma hatte eine große Loge angemietet und die ganze Belegschaft feierte dort Karneval. Ich machte damals ein Praktikum bei VW innerhalb meines Betriebswirtschaftsstudiums und war auch eingeladen. Mama war mit ihren Eltern da, ihr Vater arbeitete auch für VW do Brasil. Sie trug rote Schuhe und ist mir sofort aufgefallen. Wir haben dann die ganze Nacht getanzt und gefeiert.“

„Und wie alt ward ihr damals?“, fragte Isabella mit runden Augen.

„Ich war 22 und sie war 16“, antwortete ihr Vater sinnend, „ja, sie war gerade 16 geworden.“

„Und dann habt ihr geheiratet?“

„Nicht sofort“, lachte ihr Vater, „erst zwei Jahre später, als Du unterwegs warst.“

„Ich war unterwegs?“, fragte Isabella ungläubig, „was meinst Du damit?“

„Deine Mutter war guter Hoffnung …, in anderen Umständen“, druckste ihr Vater herum, und als er ihre verständnislosen Augen sah, sagte er schließlich: „Sie war schwanger mit dir und trug dich unter ihrem Herzen.“

Jugend unterm Zuckerhut

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