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Robertos Chance.

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Zu seinem Geburtstag im Juni hatte Robertos Vater seinem Sohn ein modernes Surfbrett geschenkt mit Gummirand und drei flexiblen Finnen unter dem Board, alles top und nach den neusten Sicherheitserkenntnissen. Roberto hatte sich sehr gefreut und war seitdem noch besser geworden auf dem Surfbrett. Paulo meinte, er könne doch bei den nächsten Stadtmeisterschaften mitmachen und meldete ihn an in der Jugendklasse bis 16 Jahre. „Dieses Mal können die ganzen Cracks (Spitzensportler) vom Vorjahr nicht mehr in dieser Altersklasse starten, das ist deine Chance Roberto“, hatte er gesagt und den Daumen hoch gereckt. Und tatsächlich, Roberto hatte das Glück des Tüchtigen, wurde Jugend-Meister von Rio de Janeiro und kam sogar mit Foto in die Zeitung. Stolz hielt er seinen Siegerpokal in die Höhe, auch um größer zu wirken, denn der Zweit-Platzierte war zwar einen Kopf größer als er, hatte aber nur eine Medaille vorzuzeigen. Das sah witzig aus, fast wie David und Goliath aus der Bibel, wo ja auch der Kleinere den Riesen bezwungen hatte. Vielleicht kam das Foto deshalb ganz nach oben auf die Sportseite und wurde vier Spalten breit gedruckt mit der Schlagzeile: „Der Kleinste ist der Beste. Roberto Marrom gewinnt die Jugend-Surf-Meisterschaft von Rio de Janeiro.“ Ein Klassenkamerad schnitt den Artikel aus der Zeitung aus, brachte ihn mit in die Schule und gab ihn dem Sportlehrer. Der heftete den Fotoartikel in den Schaukasten der Schule und so wurden alle darauf aufmerksam und Roberto zum Gesprächsstoff der Schule. „Hast Du schon gehört, einer aus unserer Schule ist Surf-Meister von Rio geworden“, schwirrte es durch die Gänge der Schule und in der Pause bildete sich eine dichte Schülertraube vor dem Schaukasten mit dem Artikel. „Da ist er“, rief eine Zwölfjährige, als Roberto zufällig vorbeikam, „kann ich ein Autogramm von Dir haben?“

Roberto wusste gar nicht, wie ihm geschah, plötzlich standen vier Mädchen um ihn herum und hielten ihm ihre Schulblöcke hin, damit er was drauf schreiben konnte und so schrieb er:

„Roberto“, „Roberto“, „Roberto“ und „Von Roberto für Eva“, als die vierte Schülerin das verlangte. Da wollten die anderen auch eine persönliche Widmung und hielten ihm ihre Blöcke erneut hin, aber dann schellte die Schulglocke und alle mussten zurück in die Klassen.


Roberto hatte zum ersten Mal den süßen Geschmack des Ruhms gekostet und war glückselig in die Klasse gegangen.

Dort stand der größte und stärkste Junge der Klasse schon an seinem Platz und wartete auf ihn.

„Der Kleinste ist der Beste“, höhnte er und stieß Roberto vor die Brust. „Der Kleinste bist Du auf jeden Fall“, rief er in die Klasse, „aber bist Du auch der Beste?“

Alle lachten und Roberto ballte die Fäuste, Tränen der Wut stiegen ihm in die Augen.

„Die beste Heulsuse bist Du wahrscheinlich“, verspottete ihn der Muskelprotz und Roberto war kurz davor, sich in einen aussichtslosen Zweikampf zu stürzen, aber da kam zum Glück der Lehrer herein und alle gingen auf ihre Plätze.

Der Englisch-Lehrer hatte wohl mitbekommen, dass da ein Konflikt im Raum stand und fragte den Muskelprotz: „What´s up Pedro?“

Pedro war nicht gerade gut in Englisch und wusste nicht, was er sagen sollte, schließlich quetschte er ein „Nothing“ heraus, und der Lehrer stellte die gleiche Frage Roberto.

„I won the surf competition from Rio and I am in the newspaper with a picture and Pedro couldn´t stand that and tried to tease me, because he is not in the news“ („Ich habe den Surf-Wettbewerb von Rio gewonnen und bin mit Bild in der Zeitung. Pedro konnte das nicht aushalten und hat mich provoziert, weil er nicht in der Zeitung ist“), sagte Roberto langsam und mit jedem Wort wurde er ruhiger. Sein Verstand arbeitete glasklar und das „because he is not in the news“ war wie der Schlag zum Kinn beim Boxkampf. Volltreffer! Die Klasse kicherte und Pedro wurde rot im Gesicht. Seine Hände zitterten vor unterdrückter Wut, er stand kurz vor der Explosion.

Der Lehrer merkte, dass die Sache außer Kontrolle zu geraten drohte und sagte schnell:

„Okay, thank you Roberto, and Pedro, don´t worry, next time you will be in the newspaper, when you shoot a goal for Flamengo. Now, let´s return to Hemmingway and his book „The old man and the sea.“ („In Ordnung, danke Roberto, und Du Pedro, mach dir keine Sorgen, nächstes Mal wirst Du in der Zeitung stehen, wenn Du ein Tor für Flamengo schießt. Jetzt lasst uns zu Hemmingway zurückkehren und seinem Buch: „Der alte Mann und das Meer.“)

Pedro war nämlich der hoffnungsvolle Mittelstürmer der Jugendmannschaft von Flamengo und auch beim Fußball standen die Stadtmeisterschaften an. Robertos Vater trainierte die Mannschaft und Pedro war seine große Hoffnung. Ein Grund mehr, ihn zu hassen, für Roberto.

An diesem Tag lernte Roberto die beiden Seiten des Ruhms kennen, die Bewunderung durch die einen und den Neid der Konkurrenten, die nicht gönnen konnten.

Und die Macht der Rede, die stärker sein kann, als ein Faustschlag.


„Ich sollte noch mehr Capoeira machen“, dachte Roberto auf dem Heimweg, „dann kann ich mich verteidigen, wenn Worte nicht mehr reichen.“ Am Strand gab es auch eine Gruppe von Capoeira-Kämpfern, bei denen er schon öfter mitgemacht hatte. Der Kampftanz, den die Sklaven einst erfunden hatten, weil sie keine Waffen tragen durften, hatte ihn schon immer fasziniert. Diese geschmeidigen Bewegungen, das Schlagen mit den Füßen nach dem Kopf des Gegners und die Saltos nach vorne und rückwärts verlangten eine enorme Körperbeherrschung, gute Augen und blitzschnelle Reflexe.

Er bog um eine Ecke und plötzlich stand Pedro vor ihm, groß und bedrohlich, und wollte ihn beim Kragen packen. Blitzschnell wich ihm Roberto seitlich aus und er griff ins Leere. Wenn er ihm jetzt noch einen Schubs gegeben und ein Bein gestellt hätte, dann wäre Pedro unweigerlich gestürzt, aber das hatte Roberto nicht geübt und vielleicht wollte er es auch gar nicht, denn immerhin kannten sie sich schon von Kindesbeinen an und waren im selben Verein. Schon früh hatte sich eine gewisse Rivalität zwischen ihnen entwickelt, aber bis vor einem Jahr war es ein ganz normales Kräfte messen gewesen und keine Feindschaft.

Jetzt aber standen sie sich gegenüber und Wut blitzte in Pedros Augen, blinde Wut.

„Du kleine Kröte“, schrie Pedro, „ich zertrete dich!“

Und er trat in Richtung Bauch, aber Roberto tänzelte etwas zurück und der Tritt ging ins Leere.

„He, King Kong, geh zurück in den Dschungel, wo du hingehörst“, rief Roberto und war selbst erstaunt über seine blitzschnelle Reaktion.

„Ich bin schnell“, dachte er, „und wenn ich außer Reichweite bleibe, dann kann er mir nichts anhaben.“

Pedro hatte sich die Sache anders vorgestellt, denn er hatte große Kräfte vom Hanteltraining, das er seit einiger Zeit betrieb, seine Oberschenkel waren dick wie junge Baumstämme, aber seine Schnelligkeit hatte darunter gelitten, da er viel Muskelmasse bewegen musste.

Er schlug in Richtung Roberto, aber der wich mühelos aus und verhöhnte ihn:

„He Gorilla, Du bist zu langsam, Du kriegst mich nicht!“

Pedro trat nach ihm, aber wieder ging der Tritt ins Leere.

Schließlich verloren beide die Lust an dem Kampf und Roberto drehte sich einfach um und ging davon. Pedro blieb keuchend zurück.

„Wir sehen uns wieder, wenn ich dich zu packen kriege, dann gnade dir Gott“, rief er Roberto hinterher und der drehte sich noch ein Mal um.

„Wenn, ja wenn das kleine Wörtchen wenn nicht wär´, dann gäb es viele Millionär“, rief er zurück und ging seines Weges.

Jugend unterm Zuckerhut

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