Читать книгу Katastrophen im Spätmittelalter - Gerhard Fouquet - Страница 12

Welche Wahrnehmungen und Vorstellungen leiten Augenzeugen?

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Das Birsig-Hochwasser war für die Zeitgenossen offenbar ein völlig überraschendes Schadensereignis. Niemand, behauptet Konrad Schnitt, hätte mit einem solchen Wasser gerechnet, denn davon sei vorher niemals etwas gehört worden. Und Andreas Lettsch sekundiert in seiner Chronik: kain sollich gewesser sei in ihr gesehen worden, seit die Stadt Basel bestehe.44 Doch der Birsig war auch zuvor kein ruhiger Wasserlauf: Hochwasser hatte es 1339 gegeben, als der Fluss den Franziskaner-Kirchhof aufwühlte und die Toten aus ihren Gräbern riss. Überschwemmungen ereigneten sich 1374, 1446, 1491 und 1519, doch keines von jenen Ereignissen war offenbar so verheerend gewesen.45 Für den Autor der Ryffschen Chronik war das Schadensereignis denn auch erbermglich und grusamlich und erschrockenlich, Bezeichnungen für ein Geschehen, das eigentlich nur als Vorzeichen für das Ende der Zeiten gedeutet werden konnte. Jedermann, sagt denn auch der Anonymus, meint, die welt wolt undergegangen sin. In den Aufzeichnungen eines durch die Reformation gebeutelten Basler Kartäusers von ca. 153246 wird die Katastrophe von 1529 und die im Jahr darauf, am 4. Juli 1530, erneut über Basel hereinbrechende Flut in einem Bild als Gottesurteil wider den neuen Glauben gedeutet. Er benennt damit, indem er von der uralten pauschalierenden Verbindung von Unglück und Sündenstrafe abweicht, eine für ihn sehr konkrete Sünde: Nach dem ersten Hochwasser, schreibt der Kartäuser, habe man eine vor den Toren liegende Kapelle abgebrochen, um mit ihren Formsteinen das Gewölbe und die Brücke beim Barfüßerkloster wieder zu errichten. Und als man gerade die letzten Steine in das Gewölbe eingesetzt habe, sei in der Nacht darauf die zweite Birsigflut gekommen, habe das Gewölbe zerrissen und die Steine in den Rhein geschwemmt.47

Das Birsighochwasser war nicht das einzige Vorzeichen vom Ende der Zeiten in jenem Jahr 1529, von dem die Chronisten berichten: Da herrschte eine große Teuerung in ganz Süd- und Südwestdeutschland, die bis 1534 anhalten sollte. Sie traf besonders die vielen Armen und führte trotz städtischer Interventionen zu einer Hungersnot: „da weinten die Leute (selbst) wegen Hafer vor Hunger“, schreibt Hans Stoltz in Gebweiler – Hafer war in der Hierarchie der Getreidenahrung eine der geringsten Sorten.48 Da erschütterte am späten Nachmittag des 11. Septembers ein Erdbeben Basel und die Region. Da kam gleichfalls im Spätsommer und Frühherbst von den Niederlanden her und das Rheintal hinauf bis ins obere Elsass eine den europäischen Kontinent bis ins 19. Jahrhundert in Schrecken setzende Epidemie, Englischer Schweiß genannt, an der 1529 viele Menschen, u. a. auch der Speyerer Bischof Pfalzgraf Georg, den ‚jähen Tod‘ fanden. Da folgten dieser Seuche die Diphtherie, von Zeitgenossen wie Hans Stoltz brüne (Bräune) genannt, und die vom Mutterkornbrand (Ergotismus) verursachte schwere neurologische Störung des Veitstanzes, der daubsucht. Und endlich – da belagerten, auch in Basel beobachtet, vom 27. September bis zum 14. Oktober die Osmanen unter Sultan Süleyman I. dem Prächtigen die Stadt Wien.49 Bei all dem, bei Teuerung und Hunger, bei Epidemien und Naturkatastrophen, hielt Hans Stoltz darauf, dass es kein Wunder gewesen wäre, wenn Gott hett die weldt laßen undergehen. 50

Katastrophen im Spätmittelalter

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