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Die reale Welt wahrnehmen

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Der erste Schritt bei der Wahrnehmung besteht darin, zu entdecken, dass dort draußen irgendetwas ist. Das menschliche Auge kann nur einen winzigen Bruchteil, nämlich weniger als 1 %, aller elektromagnetischen Wellen wahrnehmen – das ist das für uns sichtbare Spektrum. Bienen und Schmetterlinge können ultraviolette Strahlen sehen, und einige Schlangen können die abgestrahlte Wärme ihrer Beute ausreichend präzise »sehen«, um verletzliche Körperstellen zu attackieren, wenn sie zuschlagen. Was wir über die Wirklichkeit wissen, wird also durch die Fähigkeiten unserer Sinnesorgane begrenzt. Unsere Empfindlichkeit innerhalb dieser Begrenzungen ist jedoch bemerkenswert: In einer klaren, dunklen Nacht können wir theoretisch eine Kerzenflamme in 50 km Entfernung sehen. Wenn wir zum Beispiel Licht wahrnehmen, verwandeln unsere Sinnesrezeptoren eine Energieart in eine andere, so dass die Lichtinformation als ein Muster aus elektrischen Nervenimpulsen übertragen wird. Das Rohmaterial der Wahrnehmung besteht bei allen Sinnen aus Nervenimpulsen, die in verschiedene Spezialbereiche des Gehirns weitergeleitet wer[30]den. Damit die Impulse als der Schein einer Kerzenflamme interpretiert werden, müssen sie den visuellen Kortex erreichen. Das Muster und der Level, auf dem bestimmte aktivierte Zellen Energiemengen abfeuern, und das Fehlen von Reizeinwirkungen in gehemmten Zellen müssen vom Hintergrundpegel der Zellenaktivität (dem neuronalen Rauschen) unterschieden und dekodiert werden. Interessanterweise ist die Fähigkeit, ein Signal präzise festzustellen, weitaus differenzierter, als man es nach dem, was wir über die Sinnessysteme wissen, erwarten würde. Sie hängt von vielen anderen Faktoren ab: Einige Faktoren, wie die Aufmerksamkeit, sind offensichtlich, andere weniger, so unsere Erwartungen, Motivationen oder Neigungen, wie zum Beispiel die Tendenz, entweder »ja« oder »nein« zu sagen, wenn man sich unsicher ist. Wenn Sie Radio hören, während Sie auf einen wichtigen Anruf warten, glauben Sie vielleicht fälschlicherweise, das Telefon klingeln zu hören, während Sie, falls Sie völlig vertieft in das Radioprogramm sind und keinen Anruf erwarten, möglicherweise gar nicht hören, dass es klingelt. Diese Unterschiede in der Wahrnehmung von Signalen haben tiefgreifende Auswirkungen auf das praktische Leben, zum Beispiel bei der Entwicklung effektiver Warnsysteme auf Intensivstationen oder der Entwicklung von Kontrolltafeln an komplizierten Maschinen.

Theorien, die zur Erklärung dieser Erkenntnisse aufgestellt wurden, ermöglichen es Psychologen, Vorhersagen zu machen und diese dann zu überprüfen. Die Signaldetektions-Theorie geht davon aus, dass eine angemessene Wahrnehmung nicht nur von den sensorischen Fähigkeiten, sondern auch von einer Kombination aus Sinnes- und Entscheidungsprozessen bestimmt wird. Entscheidungen [31]hängen etwa von dem zu diesem Zeitpunkt erforderlichen Grad an Wachsamkeit (Reaktionsverzerrung) ab. Ein Laborant, der Objektträger nach Krebszellen absucht, reagiert auf jede Anomalie und sortiert den »falschen Alarm« anschließend aus. Ein Autofahrer, der überlegt, wann er den Wagen vor ihm überholen soll, muss sich jedes Mal richtig entscheiden, oder er riskiert einen Zusammenstoß. Der Grad der Empfindlichkeit und Wachsamkeit lässt sich aus der Anzahl der »Treffer« und »Fehltreffer« und der Anwendung relativ einfacher statistischer Modelle berechnen, um voraussagen zu können, wann ein Signal (eine Krebszelle oder ein entgegenkommender Wagen) richtig festgestellt werden wird. Diese Berechnungen finden in vielen Bereichen Anwendung, zum Beispiel bei der Ausbildung von Menschen, die die Geräte für das Gepäck-Screening am Flughafen überwachen.

Alle Sinne reagieren besser auf Veränderungen in der Umgebung als auf einen statischen Zustand. Rezeptoren schalten, wenn sich nichts ändert, vollkommen ab bzw. sie habitualisieren, d. h., wir bemerken das Geräusch des Kühlschranks nur dann, wenn er sich einschaltet, aber später fällt es uns nicht mehr auf. Man könnte annehmen, dass in unserem ziemlich hektischen Leben ein Nachlassen der Sinnesreizung zu begrüßen wäre, doch Reizentzug oder sensorische Deprivation kann bei manchen Menschen Angst auslösende und bizarre Erlebnisse wie Halluzinationen hervorrufen. Der Grad der Bedrängnis hängt davon ab, was die Menschen jeweils erwarten. Dasselbe trifft zu, wenn die Sinne für geraume Zeit überfrachtet werden wie etwa bei Popkonzerten und Fußballspielen. Diese Erfahrungen können sowohl ermüdend als auch anregend sein.

Psychologie. Eine Einführung

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