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Geschichtlicher Hintergrund

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Obwohl seit Jahrhunderten psychologisch relevante Fragen diskutiert werden, werden sie doch erst seit dem 19. Jahrhundert wissenschaftlich untersucht. Psychologen verließen sich vor dieser Zeit auf Introspektion, d. h. die Beobachtung des eigenen bewussten Erlebens, um Antworten auf psychologisch motivierte Fragen zu finden. Diese frühen Untersuchungen waren darauf ausgerichtet, psychische Strukturen zu erkennen. Doch nach dem Erscheinen von Charles Darwins Die Entstehung der Arten 1859 erweiterte sich das Spektrum der Psychologie und schloss Fragen nach den Funktionen, nicht nur den Strukturen des Bewusstseins ein. Für Psychologen sind auch heute noch die psychischen Funktionen und Strukturen von zentralem Interesse, doch haben sie die unüberschreitbaren Grenzen der Introspektion als Untersuchungsmethode erkannt. Laut Sir Francis Galton macht sie uns »zum hilflosen Zuschauer eines winzigen Bruchteils automatischer Hirnaktivitäten«. Der Versuch, die Bewusstseinsprozesse durch Introspektion verstehen zu wollen, sei, so William James, »als drehe man das Gaslicht [13]schnell hoch, um zu sehen, wie die Dunkelheit aussieht«. Statt auf Reflexionen über das eigene Erleben stützen heutige Psychologen ihre Theorien darauf, die für sie interessanten Phänomene wie zum Beispiel das Verhalten anderer sowie die Tätigkeiten ihrer Gehirne sorgfältig zu beobachten.

1913 veröffentlichte John Watson ein allgemeines behavioristisches Manifest für die Psychologie: Falls die Psychologie als Wissenschaft gelten wolle, müssten die Daten, auf die sie sich stützt, überprüfbar sein. Diese Konzentration auf beobachtbares Verhalten anstelle von inneren (nicht beobachtbaren) geistig-seelischen Vorgängen war verknüpft mit einer Theorie des Lernens und einer Betonung zuverlässiger Beobachtungs- und Versuchsmethoden, die auch heute noch Einfluss auf die Psychologie haben. Der behavioristische Ansatz etwa legt nahe, dass sämtliche Verhaltensweisen auf Konditionierung zurückzuführen sind. Diese Konditionierung lässt sich untersuchen, indem man einen bestimmten Reiz (Stimulus) herausgreift und die Reaktion auf diesen (Response) beobachtet (Reiz-Reaktions-Psychologie). Das, was zwischen Reiz und dazugehöriger Reaktion geschieht, die Intervenierende Variable, wurde von den frühen Verhaltensforschern für unwichtig gehalten, ist inzwischen jedoch eine Hauptquelle für experimentelle Hypothesen. Die Überprüfung von Hypothesen über diese Dinge hat es Psychologen ermöglicht, zunehmend komplexe Theorien über psychische Strukturen, Funktionen und Vorgänge zu entwickeln.

Zu Anfang des 20. Jahrhunderts beeinflussten besonders die Gestaltpsychologie und die Psychoanalyse die Entwicklung der Psychologie. In Deutschland arbeitende Gestaltpsychologen machten einige interessante Entdeckungen [14]darüber, wie psychische Prozesse organisiert sind. Sie zeigten, dass unsere Erfahrung nicht lediglich auf den physikalischen Eigenschaften äußerer Reize aufbaut, und schlossen daraus, dass »das Ganze größer ist als die Summe seiner Bestandteile«. Wenn zum Beispiel zwei nah beieinanderliegende Lichtquellen abwechselnd aufblinken, dann sehen wir nur ein Licht, das sich zwischen zwei Positionen hin- und herbewegt (auf diesem Prinzip beruht etwa der Film). Die Erkenntnis, dass innere Vorgänge derart zum Wie des Erlebens beitragen, leistete die Vorarbeit für heutige Entwicklungen in den Zweigen der Psychologie, die sich ausschließlich mit diesen inneren Prozessen befassen.

Sigmund Freuds Theorie von dem fortgesetzten Einfluss früher Kindheitserlebnisse und von den abstrakten psychischen Strukturen, die er Ich, Es und Über-Ich nannte, lenkte die Aufmerksamkeit auf unbewusste Prozesse. Diese Vorgänge, zu denen unbewusste und verdrängte Wünsche und Bedürfnisse zählen, lassen sich zum Beispiel aus Träumen, Versprechern und seltsamen Angewohnheiten ableiten und scheinen das Verhalten zu beeinflussen. Man nimmt an, dass unbewusste Konflikte der Hauptgrund für psychische Leiden sind. Psychoanalytiker versuchen, zu deren Linderung beizutragen, indem sie dazu anregen, diese Konflikte in Worte zu fassen, und indem sie auf ihren Theorien aufbauende Interpretationen anbieten. Die Theorien zu psychischen Vorgängen, die nicht beobachtbar sind, führten jedoch nicht zu überprüfbaren Vorhersagen und sind dafür möglicherweise nicht präzise oder spezifisch genug: Die naturwissenschaftlichen und die interpretativen Zweige der Psychologie entwickelten sich in der Folge völlig unabhängig voneinander.

[15]Die Psychologie befindet sich heute in einer aufregenden Phase, nicht zuletzt deshalb, weil diese Unterteilungen an vielen Stellen zusammenbrechen. Wir wissen inzwischen viel darüber, was in unserem Inneren »außerhalb des Bewusstseins« vor sich geht, doch verwenden wir andere Theorien, um diese Erkenntnisse zu erklären. Die Psychologie ist nicht die einzige Disziplin, die sich mit Fragen befassen muss, bei denen es um Dinge geht, die wir nicht direkt beobachten können – man denke nur an Physik und Biochemie. Technologische Fortschritte und Fortschritte in der Theoriebildung haben diesen Vorgang beschleunigt, und solche Entwicklungen haben die Psychologie als Wissenschaft verändert und verändern sie weiterhin. Durch den Einsatz von komplexen Messinstrumenten, elektronischen Geräten und verbesserten statistischen Methoden können Psychologen heute verschiedenste Variablen und riesige Mengen an Daten analysieren. Beobachtungen des Gehirns bei der Arbeit, wie zum Beispiel durch die Verwendung eines fMRI-Scanners, und die Erforschung des Bewusstseins als ein Informationsverarbeitungssystem hat es den Psychologen ermöglicht, mehr über die Dinge herauszufinden, die man zuvor nicht beobachten konnte, und dadurch näher zu bestimmen, was zwischen einem bestimmten Reiz und der Reaktion auf ihn passiert, wenn wir z. B. etwas wahrnehmen, auf etwas unsere Aufmerksamkeit richten, über etwas nachdenken oder etwas entscheiden. Heute sind sie in der Lage, ihre Hypothesen auf Daten, die mit zuverlässigen und stichhaltigen Beobachtungs- und exakten Messmethoden gewonnen wurden, zu stützen. Diese Entwicklungen haben zu einer Revolution in der Psychologie als der »Wissenschaft vom Seelenleben« geführt und es Psychologen [16]ermöglicht, mit Wissenschaftlern in den unterschiedlichsten Disziplinen wie etwa der Chemie oder der Computerwissenschaft zusammenzuarbeiten.

Psychologie. Eine Einführung

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