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Dynamiken in der Geschichte

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Globales Ereignis

Eine auf neuesten Erkenntnissen gegründete Darstellung der Weltgeschichte wird die bisherigen Vorstellungen von der Vergangenheit der Menschheit einer grundlegenden Revision unterwerfen und im Lichte der Geschichte das gegenwärtige Bewusstsein von seinen Verstrickungen in Zwänge der Gegenwart befreien. Die Entwicklung des Menschen, seine Vorläufer sowie die frühen greifbaren Formen seiner Kultur waren bereits ein globales, weite Teile der Erde einbeziehendes Ereignis, gefolgt von einer Ausdifferenzierung und der Ausbildung erster Hochkulturen. Nicht nur Sprache und Anfänge der Schrift, sondern auch früheste künstlerische Ausdrucksformen werden ebenso beschrieben wie die Ausbildung von Techniken des Ackerbaus und der Werkzeugherstellung. Aus dem Wechselverhältnis von Abgrenzung und globalen Austauschprozessen der Vergangenheit werden Strukturen erkennbar, die heute wieder deutlicher zutage treten.

Ausbreitung der Schriftlichkeit

Die Gewichtung der Aufmerksamkeit in einer im Wesentlichen chronologisch gegliederten Weltgeschichte orientiert sich an markanten Zäsuren. Diese in mehreren Kulturen durch besondere Merkmale gekennzeichneten ähnlichen Entwicklungsschübe verlaufen allerdings charakteristischerweise nicht zeitgleich, sondern zeitversetzt. Die Mitte des 1. Jahrtausends v. Chr. war eine solche Zäsur, in der sich eine neue Form reflexiver Zivilisationen herausbildet, die zu neuen Reichsbildungen führte. In den folgenden Jahrhunderten wird die monotheistische Wende und die damit verknüpfte neue Begründung von Staatlichkeit für Europa und Kleinasien ebenso prägend wie die Ausbreitung der Lehre des Buddha die Kulturen Ostasiens nachhaltig bestimmt. In der Mitte des 1. Jahrtausends n. Chr. beginnt der Islam seinen Siegeszug, vor allem wird von jener Zeit an eine Verbreitung von Schriftlichkeit und einer erweiterten Bürokratie in den verschiedenen Kultursphären bestimmend. Dabei beginnen sich Weltdeutungen von ihrer Bindung an religiöse Rituale zu lösen und Gegenstand eigener Auslegungs- und Kommentierungsformen zu werden. Hier wie auch sonst sind solche „Fortschritte“ zugleich auch mit Verlusten verbunden, mit neuen Ausdifferenzierungen, Grenzziehungen und Alteritätserfahrungen und infolge dessen mit neuen Problemlagen und Konfliktpotentialen verknüpft. So entstehen in Ostasien mit China, Korea und Japan und in Südostasien, neben Indien und dem Nahen Osten, in Europa und Mittelamerika eigene Kulturen mit ganz spezifischer Selbstauslegung.

Strukturverschibungen

Bei einem Rückblick werden auch Strukturverschiebungen deutlich, unterschiedliche Entwicklungsgeschwindigkeiten und Urbanisierungsgrade, bei denen sich im 20. Jahrhundert die Rollen vertauscht zu haben scheinen, so dass inzwischen die großen Metropolen nicht mehr in Europa oder Nordamerika, sondern in Asien zu finden sind, wo sich bereits vor 1400 Jahren einmal mit Chang’an die damals größte Stadt der Welt befand, die dann zum Vorbild für viele Metropolen in Ostasien werden sollte.

Ausbildung neuer Wissenschaftskonzepte

Eine weitere Zäsur ist die Überschreitung der Grenzen dieser Kulturen, angestoßen durch klimatische Veränderungen und die ganz Europa und Asien erschütternden Mongolenstürme im 13. und 14. Jahrhundert. Die Folge sind nicht nur politische Verwerfungen, sondern auch Neuorientierungen in der Deutung der Welt bis hin zur Ausbildung gänzlich neuer Wissenschaftskonzepte. Dabei ist der Spezifik der europäischen Renaissance eine Neubesinnung auf das Altertum in der chinesischen Kultur an die Seite zu stellen. Trotz ganz unterschiedlicher Ausformungen der Lebenswelten in den einzelnen Kulturen sind doch in der überschaubaren Geschichte die Gemeinsamkeiten vielfältig. Umso mehr stechen dann die Verschiedenheiten ins Auge, und es ist gar keine Frage, dass der Siegeszug der europäischen Kulturen seit dem ausgehenden 15. Jahrhundert unabwendbar erscheint, wodurch die Dynamiken anderer Kulturen in der Vergangenheit allerdings etwas aus dem Auge verloren wurden, eine Wahrnehmungsverschiebung, um deren Korrektur es in der vorliegenden Weltgeschichte auch geht.

„Aufbruch in die Moderne“

Während diese Zeit der Renaissance in Europa und parallele Entwicklungen in anderen Weltteilen noch als Vorgeschichte der Moderne gesehen werden, beginnt der „Aufbruch in die Moderne“ mit einem weiteren Globalisierungsschub im ausgehenden 16. Jahrhundert, der im Inneren Europas durch eine Adjustierung von Konfessionalität und Staatlichkeit und nach außen durch eine Expansion Europas gekennzeichnet ist, die erst im 20. Jahrhundert zu einem Stillstand kommt. Dieses 20. Jahrhundert leitet eine Phase der Menschheitsverdichtung und des beschleunigten Austausches von Gütern und Informationen ein, deren Konsequenzen so bedrohlich wie vielversprechend erscheinen und im Einzelnen noch gar nicht absehbar sind.

Inzwischen ist die Selbstverortung der Welt im Weltall in eine neue Phase getreten. Die Menschheit hat begonnen, sich als Gattung zu verstehen und wird möglicherweise einige ihrer Überlebensbedingungen durch kontrollierte Nutzung der Sonnenenergie optimieren.

wbg Weltgeschichte Bd. I

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