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Vorwort

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Mehr als 100 Jahre nach ihrer Gründung geht von der Weimarer Republik immer noch eine große Faszination aus. Das ist kaum verwunderlich. In der verhältnismäßig kurzen Zeitspanne von 1918 bis 1933 verdichteten sich hier in aller Schärfe die Aufbrüche und Abgründe der deutschen und europäischen Geschichte des 20. Jahrhunderts. Diese Epoche hat einprägsame Bilder geschaffen, die uns ansprechen und berühren. Die Weimarer Republik ist uns auch heute noch nahe, weil sie moderner und damit näher an unseren eigenen Lebenswelten erscheint als andere Epochen wie das Kaiserreich, aber auch die 1950er Jahre der Adenauerzeit. Zugleich ist „Weimar“ eine Chiffre für die Gefährdungen der Demokratie, die von populistischen Bewegungen und Parteien ausgehen.

Wir teilen dieses Interesse an der Weimarer Republik, sehen aber die Notwendigkeit, historisch interessierten Leserinnen und Lesern ein komplexeres Bild dieser Zeit zu vermitteln. Weimar war viel mehr als das ekstatische Nachtleben, das in „Babylon Berlin“ stilisiert wird, als bedrohlich wirkende Naziaufmärsche, funktionale Bauhaus-Architektur oder modische Bubikopf-Frisuren. Gerade um die Widersprüche der ersten deutschen Demokratie zu verstehen, müssen wir über die bekannten Klischees und Formeln hinausgehen. Trotz des großen Interesses an der Weimarer Republik sowie zahlreichen Büchern und Sammelbänden zu wichtigen Spezialthemen fehlt bisher ein aktuelles und thematisch breit aufgestelltes Überblickswerk. Diese Lücke füllt unser Handbuch mit einer umfassenden Themenpalette, zu der neben klassischen Feldern wie Wirtschaft, Außenpolitik und den politischen Parteien auch Aspekte gehören, die nicht zur „Großen Politik“ zählten. Unser Handbuch lädt dazu ein, sich auf oft vergessene, aber wichtige Themen einzulassen, die nur scheinbar am Rande liegen. Dazu gehören beispielsweise die ländliche Gesellschaft und religiöse Lebenswelten, die Massen- und Jugendkultur, die Sozialstruktur und Kultur der jüdischen Deutschen und die transnationalen Aspekte der Modernität Weimars.

Unser Handbuch erlaubt es den Leserinnen und Lesern, ihren Interessen zu folgen und jeweils in sich abgeschlossene Kapitel auszuwählen. Das Handbuch richtet sich an jene, die eine breite Palette von Themen in klar strukturierter und kompakter Form erkunden wollen. Zugleich soll es als zuverlässiges, innovatives und breit aufgestelltes Referenzwerk dienen, das im universitären Unterricht, in der Weiterbildung, im schulischen Alltag und für die Arbeit in Gedenkstätten, Medien und Archiven benutzt werden kann.

Das Handbuch bringt ein internationales und interdisziplinäres Autorenteam zusammen. Historiker, Germanisten, Judaisten und Kulturwissenschaftler aus Deutschland und der Schweiz, den Niederlanden, Großbritannien, Kanada und den USA, jeweils international führende Expertinnen und Experten auf ihrem Gebiet, bieten in konzisen Beiträgen eine reflektierte Zusammenfassung ihres Themas. Der internationale Blick, der auch von jeweils unterschiedlichen nationalen Forschungstraditionen geprägt ist, eröffnet neue Perspektiven auf ein nur scheinbar gut bekanntes Thema. In den letzten 20 Jahren haben gerade Historikerinnen und Historiker aus den USA und Großbritannien der Geschichtsschreibung zur Weimarer Republik entscheidende Impulse verliehen, andere Fragen gestellt und damit einen neuen Zugang zu vielen Themenfeldern eröffnet.

Unser Handbuch will Wissen bündeln, zusammenfassen und zugänglich machen. Dafür orientieren sich die Autorinnen und Autoren dieses Handbuchs an den aktuellen Forschungsperspektiven zur Weimarer Republik, die sie oft selbst mitgeprägt haben. Wir sehen es nicht als die Aufgabe dieses Handbuchs an, eine neue, übergreifende Deutung der Weimarer Republik und ihres Untergangs vorzulegen. Uns kommt es vielmehr darauf an zu zeigen, dass die Geschichte der Weimarer Republik in vielen Kontinuitätslinien steht, von denen keineswegs alle auf 1933 hinführen. Zugleich wünschen wir uns, dass dieses Handbuch dazu beiträgt, die Widersprüche der Weimarer Zeit und die Lebenswelten der Weimarer Zeitgenossen verständlicher zu machen. Das Erleben dramatischer Aufbrüche gehörte genauso zu den Erfahrungswelten der Bürgerinnen und Bürger der Weimarer Republik wie langfristige Kontinuitätslinien und kurzfristige Entwicklungen, die Deutschland in den Zivilisationsbruch der NS-Diktatur führten.

Nadine Rossol und Benjamin Ziemann

Aufbruch und Abgründe

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