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7.1 Einleitung

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Vor einer Dekade wurden zwei Studien veröffentlicht, anhand derer sich gut zeigen lässt, dass Autismus-Spektrum-Störungen (ASS) mit Symptomen von frühester Kindheit bis ins Greisenalter vergesellschaftet sind. Pierce et al. (2011) konnten in einer Blickbewegungsstudie eindrücklich nachweisen, dass Kinder zwischen dem 2. und 3. Lebensjahr, die später die Diagnose einer ASS erhielten, verglichen mit Gleichaltrigen (mit und ohne Entwicklungsverzögerung) eine signifikant höhere Präferenz aufwiesen, geometrische Muster lieber als soziale Bilder zu betrachten. Andererseits konnte in einer populationsbasierten epidemiologischen Studie bei Erwachsenen methodisch recht gut belegt werden, dass autistische Störungen unabhängig vom Lebensalter bestehen, den Menschen also ein Leben lang begleiten (Brugha et al. 2011). Epidemiologische Studien der letzten 15 Jahre belegen außerdem eine deutliche Zunahme der Prävalenz autistischer Störungen im Vergleich zu vorigen Untersuchungen (Fombonne et al. 2009; Kim et al. 2011), wobei als Hauptgründe dafür veränderte Kriterien bezüglich Diagnostik und Klassifikation und eine Zunahme der Erkennungsrate angesehen werden (Fombonne 2005).

Wie ausgeprägt die diagnostische Unsicherheit bezüglich ASS selbst im Kindesalter bis vor nicht langer Zeit – zumindest im süddeutschen Raum – war, zeigte eine eigene Katamnese-Studie, bei der 78 Patienten nachuntersucht wurden, die im Zeitraum von 2000 bis 2005 in der Abteilung für Psychiatrie und Psychotherapie im Kindes- und Jugendalter am Freiburger Uniklinikum die Diagnose frühkindlicher Autismus oder Asperger-Syndrom bekommen hatten (s. auch Kap. I.2). Bei nahezu allen Kindern mit low-functioning und high-functioning frühkindlichem Autismus, aber auch bei 50% bis 60% der Kinder mit Asperger-Syndrom hatten die Eltern retrospektiv befragt typische Störungen des Spielens und der sozialen Interaktion bereits in den ersten 3 Jahren bemerkt. Diesen Frühauffälligkeiten zum Trotz hatte die erste kinder- und jugendpsychiatrische Konsultation mit einer Verzögerung von ca. 2 Jahren bei lowfunctioning Patienten und bis zu 6 Jahren bei Patienten mit normalem kognitivem Leistungsniveau stattgefunden. Die richtige Diagnose erfolgte dann erst fast weitere 3 Jahre später (Heß 2007; Reusch 2008). Die Vermutung liegt nahe, dass solche Verzögerungen erhebliche Konsequenzen für Prognose und Lebensqualität der Betroffenen gehabt haben.

Zuordnung und Gewichtung prognostischer Faktoren ist bei ASS aufgrund des frühen Auftretens, der Bandbreite der Symptomatik, der unterschiedlichen Ausprägungsgrade, der hohen Persistenz und der häufigen komorbiden Störungen schwierig und komplex: Ob ein Leben mit Autismus ein gutes Leben wird, „gelingt“ und als sinnvoll und produktiv empfunden werden kann, hängt von einer wahrscheinlich nicht überschaubaren Menge persönlicher und situationsbedingter Faktoren ab, wie z.B. Familiensituation, Unterstützung durch die Menschen der Umgebung oder institutionelle Begleitung. Auch Begabungen und Kompensationsmechanismen, die im Jugend- und vor allem Erwachsenenalter zum Tragen kommen, werden in den diagnostischen Kriterien des DSM-5 (Deutsche Version 2015) benannt. Einige dieser Faktoren stehen direkt mit der autistischen Symptomatik in Verbindung, andere nicht. Nicht zuletzt spielt hier, wie im Leben aller Menschen, die Balance zwischen Ansprüchen und Wünschen an das Leben einerseits und den Möglichkeiten und Fähigkeiten, diese umzusetzen und zu erfüllen andererseits, eine nicht unwesentliche Rolle. Trotz dieser Komplexität gibt es Möglichkeiten, einige Faktoren oder Indikatoren, die einen signifikanten Einfluss auf Verlauf und Prognose nehmen können, zu identifizieren und zu quantifizieren.

Autismus-Spektrum-Störungen im Erwachsenenalter

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