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Meine persönliche Suche nach den gefundenen Kraftquellen

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Meine wichtigste identitätsstiftende Kraftquelle vor dem Mauerfall wird mir überhaupt erst durch die Beschäftigung mit dieser Suche klar: Im Gegensatz zu meinen Eltern, die ihre jungen Jahre im Nationalsozialismus und im Krieg verbracht haben, bin ich in der Freiheit aufgewachsen.

In der Freiheit, meine Meinung zu äußern, beispielsweise als Schülerin auf Demos gegen den Vietnamkrieg und die Notstandsgesetze. In der Freiheit, als Studentin meine Träume zu leben in einer Landkommune oder später dann als verbeamtete Lehrerin die Entscheidung zu fällen, diese Sicherheit aufzugeben und als Selbstständige im psychotherapeutischen Bereich zu arbeiten.

Werde ich mich schämen, über so viel Freiheit, mit der ich aufgewachsen bin, in dem Workshop zu sprechen, oder beschäme ich meine Kollegen und Kolleginnen aus dem Osten damit?

Durch die Beschäftigung mit der Ressource »Aufwachsen in Freiheit« werden in mir Erinnerungen an Familienaufstellungen wach, an denen ich in den 90er-Jahren teilgenommen habe. In diesen Aufstellungen zeigt sich immer wieder das Bild, dass ich, wie viele Menschen aus meiner Generation, versuche, das »Schicksal der Unfreiheit« meiner Eltern im Nationalsozialismus mitzutragen, um ihnen diese Last zu erleichtern. Gleichzeitig bin ich aber auch all die Jahre in einem Prozess, in dem starke Kraftquellen mich immer wieder ermutigen, mein eigenes Leben zu wagen. Und nun, im Jahr 2019, wird mir die Kraftquelle »Aufwachsen in Freiheit« bewusst – welch ein Geschenk!

Auch über eine identitätsstiftende Kraftquelle aus der Zeit nach dem Mauerfall muss ich erst mal nachdenken, sie ist mir nicht auf Anhieb bewusst.

Ich bin neun Jahre alt, als die Mauer gebaut wird, und ich erinnere mich heute noch an Fotos davon in der Zeitung – aber die Bedeutung des Mauerbaus für die Menschen und für meine Schulfreundin aus der »Ostzone« verstehe ich als Kind nicht. Als Jugendliche erfahre ich dann im Geschichtsunterricht mehr von der deutsch-deutschen Geschichte, wachse aber vom Gefühl her mit dem Glaubenssatz auf, dass es eben zwei deutsche Staaten gibt und dass das ungerecht und traurig, aber nun mal so ist.

Nach dem Mauerfall fällt auch in mir dieser Glaubenssatz.

Und es entsteht Raum für eine bis heute in mir wirkende Ressource: Eine Wirklichkeit, die ich als negativ, aber unabänderlich erlebe, kann sich ändern, sie kann geändert werden! Dass ich mir dieser Ressource bewusst werde, beschert mir ein Glücksgefühl, mich leitet diese Kraftquelle »Handlungsfähigkeit« doch täglich in meinem persönlichen Leben und in meinem Beruf als Therapeutin.

Die Erfahrungen mit meinen beiden identitätsstiftenden Ressourcen relativieren meine Zweifel an dem geplanten Workshop, und ich beschließe, mich auch zusammen mit den Teilnehmenden auf die Suche nach den gefundenen Kraftquellen zu machen.

Vom Träumen und Aufwachen

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