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2.

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Als sie auf der Insel den Zug verlassen konnten, waren sie steif und müde.

Dann endlich, nach langem Fußmarsch, den von Anna gepackten Rucksack geschultert, stand der Junge vor dem Meer. Sekundenlang war er wie geblendet. In diesem Augenblick schien sich alles, was eben noch in unzähligen Teilen durcheinanderwirbelte, vereinigt zu haben. Er ballte die Hände gegen dieses Sausen und Schwirren in ihm. Wieder im Gleichgewicht, riss er die Augen auf und trank gierig die Weite, das Grün und das Blau. Das alles hatte er so noch nie gesehen. Sein Blick reichte bis zum fernen Horizont. Nur ein in Grautönen fein überlagerter Strich, den wohl kein Mensch so zeichnen konnte, trennte Meer und Himmel voneinander.

Die Jungen, die selbst in den abseits gelegenen „Lehmlachen“ im heimatlichen Auenwald nie nackt badeten, rissen sich die Sachen vom Leib, rannten mit Geschrei ins Wasser und sprangen kopfüber in die rhythmisch heranrollenden Wellen. Die Mädchen zierten sich, sie beratschlagten kichernd. Als das erste schließlich im Badeanzug ins Wasser rannte, schlüpften auch die anderen flink in ihre Badeanzüge und Bikinis und rannten kreischend hinterher.

Die Lehrer und Betreuer sahen amüsiert dem Badevergnügen zu. Sie hätten wohl gern mitgetan, doch sie waren einander noch wenig bekannt und warteten erst einmal ab.

Der Pionierleiter kam lachend heran und blieb neben Boris stehen, der, noch immer fasziniert vom Anblick der See, zurückgeblieben war. Lothar Womacka war Mitte zwanzig, ein ehemaliger Spitzensportler, der im Amateurboxen zum Olympiakader gehört hatte. Die Schüler nannten ihn „Ali“, nach dem schwarzen Boxgenie Muhammad Ali, was er sich gern gefallen ließ.

„Beeindruckend, was?“

Ali schattete mit einer Hand seine Augen ab und schaute aufs Meer. Durch seine gerade und straffe Haltung wirkte er geradezu übermächtig. Wenn Boris neben ihm stand, bemerkte er überrascht, dass Ali nicht so groß war, wie er ihn immer vor Augen hatte. Der Junge machte sich unwillkürlich kleiner.

„Dein erstes Mal, stimmt.“

Ali stellte den Koffer ab, der mit Abziehbildern von Ländern Osteuropas beklebt war, und nach kurzem Zögern auch den großen Vogelkäfig. In ihm hüpfte „Sandra“, ein selten gewordener Kolkrabe, schwerfällig von Stange zu Stange und krächzte, dass es wie sattes Rülpsen klang.

Nun setzte auch Boris seinen Rucksack ab. Er drehte sein Gesicht weg und wischte mit dem Jackenärmel darüber. Gern hätte er mal losgeheult. Das Gespött der Jungen fürchtete er nicht. Aber Alis Verachtung hätte er nicht ertragen. Er nickte eifrig, als Ali verschwörerisch sagte: „Kriegen wir hin, versprochen.“

„Ja“, sagte Boris. „Ja, klar.“

Ali lachte, da lachte auch Boris, der Pionierleiter ging in Boxerstellung und schlug eine linke und rechte Gerade am Kopf des Jungen vorbei.

„Wie wir das hinkriegen, immer!“

„Ja, Ali! Ja!“

Die Gewalt des Sommers

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