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1. Lesbare Schöpfung und bedeutungsvolle Geschichten

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Dass der Mensch gemeinsam mit der übrigen Welt von Gott herkommt und auf ihn bezogen ist, erweist sich für den Koran in der Zeichenhaftigkeit aller Dinge und Ereignisse, der naturalen wie der geschichtlichen.2 Sie bilden einen gewaltigen Text, dessen Elemente von Gott sprechen und zu Gott hinrufen, wenn man sie nur recht zu lesen versteht. Ihn als den Schöpfer zu erkennen, ist für den Koran unabweisbar. Wer nur aufgeschlossen hinschaut, müsste überzeugt sein und auch die Konsequenzen absehen, die sich daraus für sein Leben ergeben. In ständig wiederkehrenden Variationen schärft der Koran ein:

Wir haben die Zeichen genau dargelegt für Leute, die Bescheid wissen.

… für Leute, die begreifen. … für Leute, die glauben. (6,97–99) … für Leute, die sich mahnen lassen. (6,126)

Eindrucksvoll durchsetzt die 30. Sure ihre Aufzählung einer Reihe konkreter Sachverhalte der Welt mit entsprechenden responsorischen Bekenntnisformeln:

Zu seinen Zeichen gehört, dass er euch aus Staub erschaffen hat … Und zu seinen Zeichen gehört, dass er euch aus euch selbst Ehefrauen erschaffen hat, damit ihr bei ihnen ruht. Er hat Liebe und Barmherzigkeit zwischen euch geschaffen.

Darin sind Zeichen für Leute, die nachdenken.

Und zu seinen Zeichen gehören die Erschaffung der Himmel und der Erde, die Verschiedenheit eurer Sprachen und Farben.

Darin sind Zeichen für die Wissenden.

Und zu seinen Zeichen gehören in der Nacht und am Tag euer Schlaf und euer Trachten nach einigem aus seiner Gabenfülle.

Darin sind Zeichen für Leute, die hören.

Und zu seinen Zeichen gehört, dass er euch den Blitz sehen lässt zu Furcht und Begehren, dass er Wasser vom Himmel herabsendet und damit der Erde Leben schenkt nach ihrem Tod.

Darin sind Zeichen für Leute, die verstehen.

Und zu seinen Zeichen gehört, dass der Himmel und die Erde durch seine Verfügung bestehen. (30,20–25)

Zur Bestärkung dieser Rede über Gott und die Schöpfung – die formal vom Propheten wie von der Gemeinde gesprochen sein kann – wendet sich im Folgenden der sprachlichen Form nach Gott selbst an die Menschen:

So legen wir die Zeichen genau dar für Leute, die verstehen. (30,28)

Unter dieser Voraussetzung müssten die Gegebenheiten der Welt, wie sie von je her jedem sichtbar sind, für die rechte Orientierung des Lebens hinreichen, nicht aufgrund einer autonomen menschlichen Vernunft, sondern kraft der Kunde, die Gott den Dingen eingestiftet und für alle vernehmbar gemacht hat:

Wisst: Gott schenkt der Erde Leben nach ihrem Tod!

Wir haben euch die Zeichen klargemacht. Vielleicht versteht ihr! (57,17)

Zu diesem Blick in die äußere Natur kommt der in die eigenen menschlichen Verhältnisse, vielleicht sogar in die Innerlichkeit des Denkens und Fühlens:

Für die Überzeugten gibt es auf der Erde Zeichen

und bei euch selbst (oder: in euch selbst).

Seht ihr denn nicht? (51,20f3)

Vor allem lässt der Koran an geschichtliche Erfahrungen denken, an Rettungen und Verwerfungen, die zeichenhaft gegenwärtig sein sollten:

Und Mose sandten wir mit unseren Zeichen und deutlicher Ermächtigung zu Pharao und seinen Ratsleuten. …

So packt dein Herr zu, wenn er die Städte packt, da sie Unrecht tun.

Sein Zupacken ist schmerzhaft und kräftig.

Darin ist ein Zeichen für den, der die jenseitig-letzte Strafe fürchtet. (11,96f.102f)4

Wer also nur offenen Auges in die Welt schaut und seine eigene Lage wahrnimmt, müsste auch glauben, also der Sprache des Koran entsprechend „Muslim“ sein, d.h. „sich (Gott) zuwenden“, „sich anheimstellen“, „sich überlassen“, „sich ergeben“ – alle Zeiten hindurch und in allen kulturellen Regionen der Welt. „Islām“ ist in diesem Sinn die vertrauensvolle „Hinwendung“ zu Gott.5 Doch faktisch genügen den Menschen diese Zeichen nicht: Sie verfallen immer wieder in ihr eigenes kurzsichtiges und selbstherrliches Denken, in „Unverstand“ (3,154).

Die Aussage, dass Gott „die Zeichen klargemacht“ hat, ist hier in ihrer Gewissheit unberührt von allen Bedenken, die aus den zwiespältigen Erfahrungen unserer Welt erwachsen können. Das Bewusstsein, dass derartige „Zeichen“ nicht von sich her schon eindeutig sind, liegt fern. Diese Einsicht setzte sich aber in der Neuzeit massiv durch. Die hermeneutische Situation hat sich für religiöse Überzeugungen erheblich verändert. Wer sich dessen bewusst ist, dessen Lektüre des Koran (und der Bibel) wird davon betroffen sein.

Der Koran

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