Читать книгу Anne und die Horde - Ines Langel - Страница 13

Ein Buchhändler bei Nacht

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Der so genannte obere Hügel war die Zentrale des Baus. Von seinem Inneren aus konnte die Horde den Golfplatz fast vollständig überblicken, ohne selber gesehen zu werden. Viele Heinzel waren anwesend, grob überschlagen mussten es 20 Stück sein.

„Wo sind wir hier“, fragte Anne.

„Zwischen dem 17. und dem 18. Loch“, sagte Zicke.

„Ist der größte Hügel des Golfplatzes“, erklärte Zantana.

„Habt ihr ihn ausgehöhlt?“, fragte Anne und betrachtete ehrfürchtig das Gewölbe über sich.

„Nein“, antwortete Zantana, „ Menschen haben den Hügel künstlich erschaffen.

Fiberglashülle, mit Erde bedeckt und bepflanzt. Verstehst du?“

„Aber Gucklöcher rundherum sind von uns“, sagte Zicke stolz.

„Sieht man denn die Löcher von außen nicht?“

„Nein, zu viele Pflanzen, Blumen, Büsche“, sagte Zicke.

„Bringt das Mädchen zu mir“, befahl eine Stimme.

Anne erkannte Zucker. Er stand an einem Ausguck und beobachtete nervös, was draußen vor sich ging. Anne ging auf ihn zu, noch bevor eines der Heinzel sie darum bitten musste. Sie war neugierig und wollte wissen, was da vor sich ging.

„Hallo“, sagte sie etwas verlegen.

Zucker besah sie sich genau. „Hallo“, erwiderte er. Er trat einen Schritt zur Seite und wies auf den Ausguck.

„Bitte sieh hinaus und sag mir wer das ist.“

Anne runzelte die Stirn. Wie sollte sie wissen, wer da draußen war. Aber als sie hinaussah, traute sie ihren Augen nicht. Das konnte doch nicht sein.

„Was macht der denn hier?“, entfuhr es ihr.

Die anwesenden Heinzel hatten sich um Anne versammelt. Sie gaben einen Laut der Überraschung von sich.

„Du kennst ihn also?“, fragte Zucker.

„Na ja“, sagte Anne ausweichend, während sie fortfuhr, die Gestalt auf dem nachtdunklen Golfplatz zu beobachten. „Kennen ist zuviel gesagt. Ich weiß aber, wer der Mann ist.“

„Sag es uns“, forderte sie Zucker auf.

„Rasmund Merymend“.

Anne wandte sich Zucker zu, als sie weiter sprach. „Er hat einen Buchladen nicht weit von hier. Meine Mutter hat mich einmal dorthin mitgenommen. Er ist ein komischer Kauz. Ehrlich gesagt, ich mochte ihn nicht. In seinem Hinterzimmer sitzt ein Kakapo in einem aufgemalten Kreis.“

Als Anne das sagte, begannen die Heinzel aufgeregt durcheinander zu sprechen.

„Leise“, ermahnte sie Zucker. „Wir wollen doch nicht, dass der Magus uns hört.“

Anna blickte überrascht. „Magus?“

„Ja“, sagte Zucker, „sieh ihn dir an. Sieh genau hin.“

Anne wandte ihren Blick wieder nach draußen. Merymend war näher gekommen. Vor sich hielt er einen gegabelten Ast. Er bewegte sich sehr langsam, den Blick starr auf den Boden gerichtet. Hin und wieder schlug die Astgabel aus, woraufhin Merymend die Richtung wechselte.

„Was macht er da?“, fragte Anne.

„Wünscheln“, antwortete Zucker.

„Was?“

„In seinen Händen, siehst du? Nicht Ast, sondern Wünschelrute. Damit Dinge finden können, verborgene Dinge“, sagte Zantana.

„Was für Dinge?“

„Wasseradern. Oder Magie. Wünschelrute gut, um Magie aufzuspüren. Verstehst du? Magie.“

Anne war fassungslos. „Was bedeutet das?“

„Ich fürchte, dieser Merymend sucht nach uns“, sprach jetzt wieder Zucker.

„Warum?“

„Ein Magus ist ein Sucher. Er hat keine eigene Magie, nur die Fähigkeit, sie aufzuspüren, und zu absorbieren.“

Stirnrunzelnd sah Anne Zucker an. „Absorbieren? Was bedeutet das nun wieder?“

„Das bedeutet“, sagte Zucker, „dass Merymend magischen Wesen die Magie entzieht und sie in den eigenen Körper aufnimmt. Nur deshalb kann ein Magus zaubern. Das Tückische daran ist, dass so gewonnene Magie immer wieder aufgeladen werden muss.“

„Wie ein Akku?“

„Ja genau, so heißt das bei euch Menschen“. Zucker nickte. „Allerdings braucht Merymend dazu nicht eure Steckdose, sondern das Leben magischer Wesen. Unser Leben zum Beispiel.“

„Was heißt das?“, fragte Anne entsetzt. „Soll das bedeuten, er würde euch umbringen?“

Zucker sah Anne traurig in die Augen. „Ich kenne niemanden, der lebend einen Magus verlassen hat.“

„Oh nein!“, rief Anne aus. „Das darf er nicht. Er darf euch nichts antun. Und auch den Kakapo darf er nicht töten.“

Zucker schüttelte den Kopf. „Ein Kakapo ist kein magisches Lebewesen. Um den brauchst du dir keine Sorgen zu machen.“

Da meldete sich Zankintos zu Wort. „Anne hat aber gesagt, wo er sitzt, der Kakapo, sitzt im Kreis, sitzt im aufgemalten Kreis.“

Zucker schlug sich mit der Pfote vor die Stirn. „Dass ich darauf nicht von selbst gekommen bin. Anne, wie hat der Kreis ausgesehen?“

„Er war ziemlich groß. Es passten ein kleines rotes Sofa und der Kakapo hinein. Er bestand aus drei Ringen. Der innere Ring bestand aus aufgemalten Fratzen. Ich kann nicht mehr genau sagen, wie sie aussahen. Dann kam ein einfacher schwarzer Kreis. Der äußere Ring wurde von lauter komischen Zeichen gebildet.“

„Ein Bannkreis“, sagte Zantana.

„Richtig“, bestätigte Zucker. „Es handelt sich um einen Dämonenkreis.“

„Was ist ein Dämonenkreis?“, fragte Anne, die in ihrem Leben noch nie von solcherlei Dingen gehört hatte.

„Dämonenkreise“, erklärte Zucker, „werden auf dem Boden aufgemalt, um Geistwesen einzusperren. Dein Kakapo ist kein Vogel, er ist ein Dämon, der die Gestalt eines Vogels angenommen hat. Er kann den Kreis nicht übertreten, es sei denn, jemand wäre so dumm, den Kreis zu öffnen.“

„Das hat der Kakapo gewollt,“ warf Anne ein. „Er wollte, dass ich den Kreis öffne und ihn freilasse. Jetzt verstehe ich das. Der arme Kakapo, wir müssen ihm helfen.“

Zankintos nahm Annes Hand. „Nein, Anne. Geht nicht, wirklich nicht.“

„Warum nicht?“

„Anne“, sagte Zucker, „Dämonen sind gefährlich. Sollte der Magus die Kontrolle über den Vogel verlieren, wird er von ihm in Stücke gerissen. Und genau so wird es jedem anderen ergehen, der den Kreis durchbricht.“

„Und wenn es nicht stimmt?“, fragte Anne ungläubig.

„Glaub mir, es stimmt“, sagte Zucker traurig. „Es gibt uralte Geschichten, in denen dieses Wissen überliefert ist.“

„Aber du selbst hast noch keinen Dämonen gesehen?“

„Ich selbst, nein“, sagte Zucker verunsichert, „aber das heißt nicht…“

Anne fiel Zucker ins Wort. „Dann weißt du gar nicht, ob er gefährlich ist. Vielleicht muss man nur mit ihm reden. Ja, wir müssen mit dem Kakapo reden. Er kann uns verstehen. Er braucht unsere Hilfe. “

„Anne, bitte.“ Zucker hatte ihre Hand ergriffen. „Dämonen lügen. Sie betrügen die Menschen, versprechen ihnen, Wünsche zu erfüllen, um sie dann ins Verderben zu stürzen. Du kannst ihnen nicht vertrauen. Sie würden alles sagen, verstehst du, alles, um dich zu täuschen.“

Anne runzelte die Stirn. Zuckers Warnungen machten ihr Angst. Dennoch sagte ihr ein Gefühl, dass sie dem angeblichen Dämon helfen musste.

„Vielleicht dieser Magus sucht was ganz anderes“, sagte Zantana. „Sucht gar nicht nach uns.“

„Kann sein, kann nicht sein“, sagte Zicke gereizt. „Hilft uns bestimmt weiter.“

„Besser den Feind kennen, als rennen wie Blinde ins Verderben“, verteidigte Zantana ihre Überlegung.

Zucker nickte. „Du hast Recht, Zantana. Wir müssen den Magus beobachten.“

„Klar, abwarten, Ruhe bewahren“, sagte Zicke patzig. „Glotzen durch’s Guckloch und Däumchen drehen.“

„Ich könnte doch helfen“, meldete sich unerwartet Anne.

Die Horde sah sie überrascht an. Das verunsicherte Anne. „Na ja“, stotterte sie, „ich meine ja nur, falls ihr das wollt “.

„Helfen, klingt gut“, sagte Zicke. „Weißt du auch, wie?“

„Na ja, ich hab doch erzählt, dass ich da schon mal war. In dem Buchladen mein’ ich. Mit meiner Mutter. Ich könnte da ein bisschen rumschnüffeln, während sich meine Mutter Handküsse geben lässt. Von diesem Merymend.“

„Handküsse?“ Zicke tat, als müsse sie sich übergeben.

„Ja, Handküsse. Wie ein geschniegelter Affe führt Merymend sich auf. Und meine Mutter findet das toll. Für sie ist Merymend der tollste Mann auf der Welt. Sie sieht nicht, wie er wirklich ist, wie hässlich und gemein. Sie sieht das einfach nicht, als hätte sie Tomaten auf den Augen.“

„Das hat nichts mit deiner Mutter zu tun“, erklärte Zucker. „Das hat was mit Magie zu tun.“

„Magie?“ Anne sah Zucker ungläubig an.

„Ja, es gibt Wesen, die sich schöner machen können als sie sind. Sie legen eine Art Tarnschild an, den kein Mensch durchschauen kann. Starke magische Wesen können diesen Tarnschild auch auf ihre nächste Umgebung legen, so dass diese ganz anders wirkt als sie in Wahrheit ist.“

„Genau“, rief Anne. Die Heinzel sahen förmlich, wie ihr ein Licht aufging. „Genauso hat meine Mutter den Laden gesehen, wie einen Palast, obwohl er eine Bruchbude ist.“

„Jetzt wird mir alles klar“, sagte Zucker bekümmert, „nur eins nicht. Warum wirkt der Zauber auf deine Mutter, aber nicht auf dich?“

Anne und die Horde

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