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Im Kreis des Dämonen

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Dauernd musste Anne an den Kakapo denken. Konnte es sein, dass der Magus ihm weh tat? Würde er den Vogel am Ende umbringen? Sie wusste zwar, dass es sich nicht um einen Vogel handelte, doch immer, wenn sie an den Dämonen dachte, sah sie die kleinen schwarzen Knopfaugen vor sich, Knopfaugen, die sie flehentlich ansahen. Sie musste etwas unternehmen. Sie musste zurück in den Buchladen und den Kakapo befreien.

Und was ist, wenn er mich dann in Stücke reißt?

Sie musste mit dem Dämonen sprechen. Von dem Gespräch hing ab, wie sie sich entschied. Am helllichten Tage konnte sie ihn allerdings nicht befreien. Merymend würde sie nicht aus den Augen lassen. Nein, sie musste bei Nacht kommen, und sie würde Hilfe brauchen. Es gab auch schon jemanden, der bereit war, sie bei dem gefährlichen Unternehmen zu unterstützen.

Anne hatte nicht lange gebraucht, um Mama zu überreden, mit ihr in den Buchladen zu gehen. Dumm nur, dass Mama Swontje mitnehmen wollte. Anne konnte ihr diese Idee nicht ausreden. Sie hoffte innständig, dass Swontje ihr keine Schwierigkeiten machte. Sie durfte nicht gestört werden, wenn sie die räumlichen Gegebenheiten des Buchladens ausspähte. Vor allem musste sie allein sein, wenn sie mit dem Dämonen Kontakt aufnahm. Der Dämon musste eingeweiht und natürlich bereit sein, sich retten zu lassen, wenn sie in der folgenden Nacht mit Zankintos Hilfe in den Laden eindrang.

Zankintos – Anne seufzte. Würde der Heinzel einen Rückzieher machen? Würde er durchhalten, wenn sie in den Buchladen einbrachen? Würde er vor Angst davonlaufen, wenn etwas Unvorhergesehenes geschah? Anne war sich darüber im Klaren, dass sie sich auf ein gefährliches Abenteuer einließen. Mit Recht war der Heinzel nicht begeistert gewesen, als sie ihn um seine Hilfe gebeten hatte.

Uijuijuijui, Anne!“, hatte er gesagt, „Dämonen gefährlich. Besser nicht zu nah an sie rangehen.“

Aber Anne hatte gefragt: „Willst du etwa, dass der Magus den Dämon absorbiert?“ Da hatte der Heinzel den Kopf geschüttelt und sie dabei ganz ängstlich angesehen. Anne war nicht glücklich Zakintos so zu sehen. Doch hatte sie eine andere Wahl? Sie brauchte Zankintos. Er würde dafür sorgen, dass sie in den Buchladen eindringen konnten. Und sie würde mit einer vorher angefertigten Skizze dafür sorgen, dass sie sich in dem Laden zurechtfanden.

War der Laden für Anne schon beim letzten Besuch ein unheimlicher Ort gewesen, so war er es nun noch viel mehr. Seitdem sie den Hexentest bestanden hatte, konnte sie Dinge wahrnehmen, die anderen verborgen blieben. Zwar hatte sie auch vorher schon geschärfte Sinne gehabt, doch seit jenem Bad im See war diese Gabe um ein Vielfaches verstärkt worden. So konnte sie den Laden jetzt riechen, bevor sie ihn sah. Zuerst dachte sie, dass sie sich das nur einbildete, doch je näher sie dem Laden kam, desto stärker und unangenehmer wurde der Geruch. Es roch metallisch und salzig. Noch nie zuvor hatte sie einen solchen Geruch wahrgenommen. Anne konnte es nicht beschreiben, doch es war durch und durch Ekel erregend. Swontje und Mama bemerkten natürlich nichts. Mama gab gerade einen Witz zum Besten, den sie am Morgen in der Zeitung gelesen hatte. Mama war die schlechteste Witze–Erzählerin, die man sich denken konnte. Häufig vergaß sie die Pointe. Diese hier hatte sie sich ausnahmsweise gemerkt, weshalb sie umso enttäuschter war, als niemand lachte.

„Habt ihr den Witz nicht verstanden?“, fragte sie verwundert.

„Doch“, antwortete Swontje. „Er ist aber nicht lustig.

„Nicht?“, fragte sie enttäuscht. „Vielleicht habe ich ihn falsch erzählt.“

„Schon möglich“, sagte Swontje vorsichtig.

„Findest du das auch Anne?“

Mama sah Anne an, und blieb stehen. „Anne, was ist denn, du bist ja ganz grün um die Nase.“

„Ach was“, sagte Anne schnell.

„Nein wirklich Schatz, ist dir schlecht?“

„Nein, Mama, mir geht’s prima.“

„Ihr ist anscheinend dein Witz auf den Magen geschlagen“, lästerte Swontje.

Mama knuffte ihn in die Seite. Swontje konterte, worauf Mama ihn spielerisch in den Schwitzkasten nahm. Anne schluckte ihre Übelkeit hinunter. Schnell betrat sie den Laden. Eigentlich hätte sie gerne noch einen Blick auf das Frauenbildnis am Eingang geworfen, doch Mama und Swontje verstellten ihr die Sicht. Kaum hatte sie den Laden betreten, war der üble Geruch verschwunden. Verwundert sog Anne die Luft ein. Sie schnüffelte hierhin und dorthin, doch der Geruch war draußen geblieben.

„Eigenartig“, murmelte Anne in Gedanken.

„Suchst du was Bestimmtes?“

Anne entfuhr ein Schreckenslaut. Merymend stand wie aus dem Boden gewachsen vor ihr. Er ahmte ihr Geschnüffel nach.

„Riechst du etwas?“

„N-nein“, stotterte Anne, „Gar nichts.“

Mama und Swontje betraten lachend den Laden. Merymend sah die beiden argwöhnisch an.

„Ah“, rief Mama erfreut, „Herr Merymend, schön, Sie wiederzusehen. Das hier ist mein Sohn Swontje.“

Anne konnte aus nächster Nähe beobachten, wie der Zauber auf ihren Bruder wirkte. Er strahlte Merymend an, als hätte er nie zuvor einen so eindrucksvollen Mann gesehen. Linkisch hielt er ihm die Hand entgegen.

„Freut mich, Sie kennen zu lernen. Der Laden ist ja wirklich großartig.“

Merymend nahm seine Hand eher widerwillig. „Ja, nicht wahr“, antwortete er mit einem verächtlichen Blick. Für Swontje allerdings schienen Merymends Augen zu strahlen.

„Mama“, sagte Anne schnell, „können Swontje und ich uns umsehen?“

„Aber sicher“, sagte Mama und hatte nur Augen für Merymend.

Dieser warf Anne einen wütenden Blick zu und wandte sich dann mit einer leichten Verbeugung an Mama.

„Gnädige Frau, erlauben Sie mir, Ihnen die Prunkstücke meiner bescheidenen Sammlung zu zeigen, exquisite Bücher, die einer Dame von Format wohl anstehen dürften.“

Er hielt Mama galant den Arm hin, und diese hakte sich kichernd wie ein junges Mädchen bei ihm unter. Swontje war bereits in Richtung Bücherleiter unterwegs. Es behagte Anne nicht, Mama in den Fängen des Magus zu wissen. Doch wollte sie die Räumlichkeiten skizzieren, musste sie sich unverzüglich an die Arbeit machen. Ohne zu zögern ging sie in den Nebenraum. Sie konnte das Licht des Dämonenkreises gleich sehen. Doch bevor sie dem Kakapo einen Besuch abstattete, nahm sie Zeichenblock und Stift aus dem Rucksack heraus und zeichnete die Wände sowie die Lage der Regale und sonstigen Einrichtungsgegenstände auf. Wenn sie heute Nacht eindrangen, mussten sie sich in der Dunkelheit zurechtfinden können. Nachdem Anne einen genauen Plan gezeichnet hatte, ging sie vorsichtig auf den leuchtenden Kreis zu. Sie konnte das leise Sirren hören, das sie bereits vom ersten Besuch kannte. Je näher sie dem Kreis kam, desto lauter wurde es. Vorsichtig lugte Anne um das Regal, hinter dem der Dämon verborgen war. Kaum sah dieser ihren Kopf, sprang er von seinem Sofa und lief so nah er konnte an Anne heran.

Hallo“, sagte Anne.

Der Vogel schabte auf dem Boden vor dem Kreis.

„Ich weiß, du willst raus“, sagte Anne mit gedämpfter Stimme, „aber jetzt geht es noch nicht. Warte ein paar Stunden. Heute Nacht werden wir dich befreien. Versprochen. “

„Der Vogel hielt mit dem Schaben inne. Seine schwarzen Knopfaugen fixierten das Mädchen.

„Ich muss dich allerdings noch etwas fragen“, sagte Anne zögerlich.

Der Vogel sah sie fragend an.

„Wirst du mich in Stücke reißen, wenn ich dich frei lasse?“

Der Vogel schüttelte heftig den Kopf. Er reckte Anne seinen Kopf entgegen. Diese traute sich näher an den Kreis heran. Vorsichtig setzte sie sich dem Dämon gegenüber.

„Alle sagen, dass Dämonen ihre Opfer in Stücke reißen. Aber das wirst du nicht tun, stimmt’s? Ich will dir doch helfen. Du kannst dich auf mich verlassen, großes Ehrenwort.“

Der Vogel nickte und sah dabei so süß und lieb aus, dass Anne ihn am liebsten an sich gedrückt hätte. Ohne nachzudenken, streckte sie die Hand nach dem grünen Gefieder aus. Als Anne die Kreisgrenze berührte, musste sie stark drücken, um ihre Hand durch die unsichtbare Barriere zu zwängen. Der Kakapo sah sie dabei unverwandt an. Als ihre Hand ihn erreichte, drückte er seinen weichen kleinen Kopf in ihren Handteller. Anne kraulte ihn behutsam.

„Halte durch bis heute Nacht. Merymend wird dich nicht absorbieren, das verspreche ich dir.“

„Mit wem sprichst du da?“

Anne riss die Hand zurück. Zu ihrer Überraschung verbrannte sie sich dabei den Handrücken. Swontje stand hinter ihr und beobachtete sie misstrauisch.

„Was denn, wieso denn sprechen“, begann sie zu stottern, wurde aber von Swontjes hämischem Gelächter unterbrochen.

„Wenn ich das Mama erzähle, die glaubt es nicht. Du gehörst doch in Kinderhort, Schwesterchen, in die Krabbelgruppe.“

Anne vergewisserte sich mit einem Blick, dass mit dem Kakapo keine Veränderung vorgegangen war. Der Vogel sah sie mitleidig an. Anne wandte sich wieder ihrem Bruder zu.

„Swontje“, sagte sie und zeigte auf den Dämon, „was siehst du da?“

Swontje lachte gehässig. „Willst du mich verarschen, du Baby? Einen ausgestopften Papagei auf einem Puppensofa.“

Anne nickte. „Verstehe“, sagte sie und erhob sich. Sie warf dem Kakapo noch einen Blick zu und flüsterte: „Mach’s gut. Bis später.“

Swontje wieherte los. Anne sah ihm tief in die Augen. Er durfte auf keinen Fall Merymend erzählen, dass seine Schwester mit dem ausgestopften Papageien sprach. Ohne zu wissen, was sie tat, zog sie ihre ganze Aufmerksamkeit auf einen Wunsch:

Er darf es nicht erzählen.

Ihr wurde plötzlich ganz warm, richtiggehend heiß. Der Schweiß lief ihr über die Stirn. Swontje lachte nicht mehr. Er starrte sie erschrocken an. Als sie die Hitze nicht mehr ertragen konnte, sagte sie zu ihrem Bruder: „Du wirst niemandem erzählen, was du hier gesehen hast, keinem Menschen. Kapiert?“

Anne erschrak. Das war nicht ihre Stimme gewesen. Unwillkürlich hielt sie die Hand vor den Mund. Wer hatte da gesprochen? Während sie darüber nachzudenken versuchte, hörte sie Swontje sagen: „Ich werde niemandem erzählen, was ich hier gesehen habe, niemandem. Ich schwöre es.“

Swontje drehte er sich um und rannte weg. Anne folgte ihm verwirrt. Sie hörte Mama lachen. Als sie näher kam, sah sie Swontje zwischen ihr und Herrn Merymend stehen.

„Annemaus“, rief Mama ihr entgegen, „Hast du was Schönes gefunden.“

Schnell nahm Anne das erstbeste Buch aus dem Regal. „Die Geschichte Kambodschas und der Khmer“ las sie und hielt das Buch der Mutter entgegen

Mama nahm das Buch lächelnd entgegen. „Puh“, sagte sie, „das ist aber schwere Lektüre. Aber du kannst ja fragen, wenn du etwas nicht verstehst.

Mama reichte den Band Herrn Merymend. Auch Swontje hatte etwas gefunden, ein Buch über berühmte Fußballspieler. Was Mama ausgewählt hatte, war nicht zu sehen. Das Buch war bereits eingeschlagen in goldfarbenes Geschenkpapier.

Merymend schien zufrieden zu sein mit dem Einkauf seiner Kunden. Er packte alles in eine Tüte und reichte sie Swontje.

„Du wirst doch deiner verehrten Frau Mutter die Tüte nach Hause tragen, nicht wahr, junger Mann?“

Mama kicherte. „Ach, Herr Merymend, Sie sind wirklich zu liebenswürdig.“

Anne verzog angewidert die Nase. Mama schlug Herrn Merymend spielerisch auf den Arm. Dieser lächelte kurz und wischte dann, als Mama sich abwandte, über die Stelle, als müsse er Fliegendreck entfernen. Auch wenn Mama das nicht sah, Anne sah es genau. Sie verabscheute diesen Magus. Sie war froh, als Mama sich endlich von ihm verabschiedete. Noch vor ihr und Swontje hatte sie den Laden verlassen. Draußen war sogleich der üble Geruch wieder da. Anne hielt sich die Nase zu, nur weg von hier. Das steinerne Frauenbildnis, das Anne keines Blickes gewürdigt hatte, warf ihr einen traurigen Blick hinterher.

Anne und die Horde

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