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VIER

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Falk Wegener bewohnte eine alte Einliegerwohnung in einem Fünfhundertmeter entferntem Haus der Schule. Eine überschaubare zweckmäßig eingerichtete Küche, Schlaf- und Wohnzimmer in einem Raum, Bad mit winziger Dusche, mehr Komfort brauchte er nicht. Obwohl die Bleibe recht bescheiden und begrenzt war, lebte er gern an diesem Ort. Eine Ehefrau sowie eigene Kinder spielten in seinem Leben keine Rolle. Sicherlich hatte er Frauenbekanntschaften, aber eben nichts Festes. Für solche ausgesuchten Treffen fuhr er lieber in die Kreisstadt. Auf Klatsch und Tratsch im Ort oder gar unter seinen Schülern, was sein Liebesleben betraf, hatte er absolut keine Lust.

Es gab Momente, da sehnte er sich nach einer festen Bindung. Heim kommen, sich über den Tag austauschen, Probleme des Alltags teilen, mit jemandem der einem zuhörte, all das konnte er sich mühelos vorstellen. Das Ritual des gemeinsamen Beisammenseins zum Beispiel beim Abendessen, kannte er aus seinem Elternhaus. Obwohl man nicht nur positive, sondern auch unschöne Ereignisse in jener abendlichen Runde besprochen hatte, erinnerte er sich sehr gern an diese Augenblicke. Zeitweise vermisste er das Gefühl der Geborgenheit.

Die Arbeit in seinem Heim wie er es nannte, war sein Lebensinhalt. Aufgrund der räumlichen Nähe war er im Notfall schnellstens vor Ort. Dennoch kam er nicht drum herum sich ein Telefon anzuschaffen, ob er wollte oder nicht. Eigentlich hatte er nicht vor, sich einen Apparat ins Haus zu holen. Er brachte ausreichende Argumente, wer im Ort viel dringender einen benötigte. Aber das fand bei niemandem Beachtung. Ihm als Heimleiter, verantwortlich für einhundertfünfzig Kinder, stand nun mal so ein Telefonapparat zu. Trotz endloser Diskussionen mit den bevollmächtigten Funktionären, gelang es Falk nicht, sich gegen die Anschaffung des Telefons für seine Privaträume zu wehren. Er haste es zu telefonieren. Lästige Anrufe über Problembeschreibungen waren anstrengender, wie mal eben flink im Kinderheim vorbeizuschauen. Wenn nötig auch nach Feierabend. Bei den anderen Mitarbeitern des Heimes stieg er durch seine ständige Anwesenheit, und die damit verbundenen Kontrollen nicht gerade in der Beliebtheitsskala auf. Aber das war ihm egal. Wer meinte ein Problem mit ihm zu haben, der hatte es ihm gefälligst zu sagen. Diese Einstellung versuchte er auch seinen Schülern mit auf den Weg zu geben. An dem Eintritt der Kinder in die Massenorganisationen der DDR, einmal die Pionierorganisation „Ernst Thälmann“ zum anderen der kommunistische Jugendverband der Freien Deutschen Jugend (FDJ), führte kein Weg vorbei. Beide Vereinigungen fungierten schließlich wie ein Teil eines Erziehungssystems zeitgleich zum Schulalltag. Das SED Regime sah vor, Kinder und Jugendliche dieser Organisationen zu klassenbewussten Sozialisten zu erziehen. Davon hielt er überhaupt nichts. Wegeners Antrieb war es, seine Schützlinge darin zu bestärken, dass sie offen, ehrlich, mit Selbstvertrauen und eigener Meinung auftraten. Diese Einstellung eines Pädagogen, sahen manche Funktionäre des Rates des Stadtkreises nicht so gern. Denen war es lieber, wenn sich alle Kinder gleichermaßen zu sozialistischen Persönlichkeiten entwickelten. Falk legte keinen gesteigerten Wert auf deren Meinung und hielt an den eigenen Erziehungsmethoden fest. Ihm lag nur das Wohlbefinden seiner Schüler am Herzen, auch wenn diese das durch sein oft schroffes Benehmen, nicht zu schätzen wussten.

Heute war es ab dem frühen Abend, wie an fast jedem Samstag, recht friedlich in dem Gebäude, denn ein Großteil der Heimkinder war auf dem Weg in den ortsansässigen Jugendklub. Er gönnte den Heranwachsenden ihren Spaß. Ihm war klar, dass Jörg, den er die Tage vor seinem Bürofenster erwischt hatte, in dem mitgeschleppten Rucksack weder Limo mit sich trug und erst recht keine Bücher, wie er behauptet hatte. Durch sein bewusst aufbrausendes Verhalten hoffte er, dem Jungen gegenüber klarzumachen, dass ihm aufgefallen war, was er da tatsächlich ins Heim geschmuggelt hatte. Mit Sicherheit war das Signal bei Jörg angekommen und sein Auftritt würde sich ruck zuck unter den Jugendlichen rumsprechen. Da es noch nie ernsthafte Probleme mit Alkohol bei diesen gegeben hat, drückte er in den meisten Fällen ein Auge zu. Schließlich war er auch mal in dem Alter und hatte gemeinsam mit seinen Freunden vor den wöchentlichen Tanzveranstaltungen ein paar Biere gezischt. Er trat ans Fenster und schaute gedankenverloren hinaus. In Erinnerung an diese Abende huschte ein verklärtes Lächeln über sein Gesicht.

In dem Moment erblickte er Hanna und Conny. Die beiden Freundinnen hätten von ihrem Äußeren unterschiedlicher nicht sein können. Hanna trug eine rote Steghose aus Cord, welche ihrer Figur nicht sonderlich schmeichelte. Abgestimmt auf die Farbe ihrer Hose zeigte sich ihr Lippenstift, der kräftig aufgetragen war und ihren Mund, wie den von Clown Ferdinand erstrahlen ließ. Conny hingegen war ganz in schwarz gekleidet. Auch an diesem Abend trug sie ihr Haar zum Pferdeschwanz, zusammengebunden mit einem glitzernden Samtband. Ihr Make-up war dezent gehalten und auf den zarten Lippen schimmerte ein Hauch von rosafarbenem Lippenbalsam. Hanna tobte vorneweg und redete mit den Händen wedelnd, ohne Punkt und Komma auf ihre Freundin ein. Es sah aus, wie wenn sie einen Schwarm Mücken verscheuchte. Conny schmunzelte über das Gesagte und schritt leichtfüßig mit wippendem Gang hinter ihr her.

Falks Augen klebten an ihrer Erscheinung wie eine Fliege an einem Klettband. Sie sah hinreißend aus. So unschuldig und zugleich reizvoll. Sicherlich würde sie sich vor Verehren nicht retten können. Der Gedanke daran versetzte ihm einen kurzen Stich, der ihn bis ins Innere schmerzlich zusammenzucken, ließ. Natürlich träumte er schon mal davon, wie es wäre, mit diesem zauberhaften Wesen zusammen zu sein. Allerdings hatte er nicht das Recht dazu, irgendwelchen Hoffnungsschimmer aufkommen zu lassen. Conny war nur eine Schülerin und daran würde sich nichts ändern. Seufzend wendete er sich vom Fenster ab. Er kam nicht umhin, diese Gefühle endgültig zu verdrängen.

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Vor dem Eingang des Jugendklub „Scheune“ drängelten sich seit einer Ewigkeit ein Haufen Jugendlicher, um endlich hineingelassen zu werden. Wie so oft waren es mehr Tanzwütige, wie in den Räumlichkeiten Platz fanden. Irgendjemand würde mal wieder das Nachsehen haben. Genau aus dem Grund standen Hartgesottene bereits bis zu zwei Stunden vor Beginn der Veranstaltung am Einlass an.

Jetzt im Sommer war das nicht das Problem. Im Winter hingegen, kam einem diese Warterei unendlich vor. Hände und Füße waren taub von der Kälte, die Nase tropfte unaufhaltsam. Die Mädchen hatten das Gefühl, dass ihr Gesicht samt Make-up starr und eingefroren war wie eine Faschingsmaske. Aber sobald sie einen der begehrten Plätze im Inneren des Klubs ergattert hatten, war der Unmut über die vorherigen Widrigkeiten schlagartig verflogen.

Wie Conny und Hanna vor dem Jugendklub eintrafen, erwarteten sie bereits winkend Jörg und Andreas. Die beiden hatten einen Platz in der Menge erobert und die Mädchen drängelten sich zu ihnen durch. Das Gemaule der anderen Gäste ignorierten sie geflissentlich. Conny nieste einmal kräftig, nachdem sie sich neben Andreas geschoben hatte.

„Bist du erkältet oder was?“, fragte er und schaute sie argwöhnisch an, da sie gleich noch ein Niesen hinterher setzte.

„Nee, nicht das ich wüste. Äh, dein Duft reizt wohl meine Nasenschleimhäute. Du hast dir geschnüffelt eine halbe Flasche Rasierwasser an den Hals gekippt. Vorhin in eurem Zimmer habe ich das noch nicht gerochen.“

„Kein Wunder. Du warst ja auch abgelenkt durch Puffbrause und Salzstangenwettessen.“

„Du bist ja bloß neidisch, dass ich flotter im Knabbern bin als du. Aber egal. Viel prickelnder ist der Punkt wann und wie dir das mit dem Eintauchen in das unsagbare Duftwasser gelungen ist?“

Andreas ignorierte Connys Frage. Statt zu antworten, reckte er ihr wie ein Kater, der auf Streicheleinheiten hoffte, seinen Kopf entgegen. „Gefällt´s dir? Hab ich neu. Gestern erst in der Drogerie ergattert. Bückware“, verkündete er mit stolzgeschwellter Brust. „Also das Rasierwasser hat nicht jeder, gibt´s nur unterm Ladentisch.“ Gespannt und mit zustimmungsheischendem Blick schaute er Conny aus seinen fast schwarzen Augen an. Diese nickte. Sie kannte den Begriff Bückware. Aber spärlich vorhanden und kostspielig hieß nicht gleich Qualität. Sie hatte nicht vor ihren Freund zu verletzen und versuchte Zeit zu schinden, für eine diplomatische Antwort. Andreas dauerten ihre Überlegungen zu lange und er fing an, aufgeregt hin und her zu zappeln.

„Meinst du, den anderen Mädels gefällt das auch?“, fragte er mit Ungeduld in der Stimme, da Connys Reaktion auf seine Frage ausblieb.

Auch hat mir gefallen, dachte Conny. Ich finde es absolut furchtbar. Der Duft hat etwas Aufdringlich und riecht gewöhnungsbedürftig. Aber Geschmäcker waren nun mal verschieden. Sie holte tief Luft, bevor sie ihm antwortete.

„Also der Geruch deines Rasierwassers ist nicht wirklich meine Richtung. Ich finde ihn irgendwie bissel streng. Aber das heißt ja nichts. Sicherlich gibt es andere weibliche Fans dafür. Ein Tipp von mir als Freundin. Weniger ist manchmal mehr.“ Den letzten Satz sagte sie in verschwörerischem Ton und knuffte ihn dabei vertraulich in den Oberarm.

Andreas sah Conny etwas frustriert an und brummte nur ein: „Wenn du meinst.“

Aber so leicht verdarb ihm keiner die Stimmung. Er war ein sehr positiv denkender Mensch und sah solch eine

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