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Kapitel 3

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Marc Marson und Claude Ylian hatten den Fundort gesichert, nachdem sie die Leiche ans Ufer geholt hatten und warteten jetzt auf die Kommissare aus Quimper. Sie wussten, dass es dauern würde bis die Herren die Strecke von Quimper bis hierher zurückgelegt hätten. Sie brauchten bestimmt eine dreiviertel Stunde für den Weg. Als sie die Sirenen der Fahrzeuge der police judiciaire lauter werden hörten, stieg Marson nach oben um den Kollegen von der Mordkommission die Fundstelle zu zeigen. Von dem letzten Fall, von dem Ylian zuvor gesprochen hatte, war ihm der Kommissar aus Quimper, der jetzt aus dem Fahrzeug stieg noch gut bekannt.

Ewen Kerber ging zum Kofferraum und zog sich seine Gummistiefel an, als Marson zu ihm trat.

„Bonjour Monsieur le Commissaire!“ begrüßte er Ewen Kerber.

„Bonjour!“ antwortete Kerber und fragte dann sofort nach dem Fundort.

„Führen Sie mich bitte zur Leiche. Wer hat den Toten gefunden?“

„Hier entlang Monsieur le Commissaire, geben Sie acht, das Gras ist sehr rutschig.“ Marson ging voraus und fuhr dann fort:

„Das war ein Fischer, ein Monsieur Marc Gourin. Er hat die Leiche von seinem Boot aus gesehen und uns benachrichtigt. Er konnte nicht bleiben, er muss ja das Hochwasser ausnutzen um aufs Meer zu gelangen. Er wird sich aber bei uns melden nach der Rückkehr.“

Als Kerber bei der Leiche angekommen war, versuchte er sich einen ersten Überblick zu verschaffen. Sein Kollege, Dustin Goarant von der Spurensicherung würde jeden Augenblick hier eintreffen und er wollte auf keinen Fall etwas verändern. Dennoch wollte er sich den Leichnam schon einmal vorsichtig ansehen. Die Stichverletzung an der Halsschlagader fiel ihm sofort auf. Ein Unfall war damit ausgeschlossen. Es handelte sich um einen Mord. Damit lag der Fall bei ihm.

„Bonjour Ewen.“ begrüßte ihn Yannick Detru, der Pathologe, der mit seinem Alu-Koffer gerade den Steilhang herunter gekommen war und sich jetzt Handschuhe anzog um sich einen ersten Eindruck des Toten zu verschaffen. Dustin Goarant war ebenfalls mit seinen Assistenten eingetroffen und hatte sofort mit der Sicherung aller möglichen Spuren begonnen. Yannick Detru sah sich die Leiche genau an. Nachdem er den Körper auf den Rücken gelegt hatte, konnten er und Kommissar Kerber sofort den großen Blutfleck in der Herzgegend sehen. Die Leiche zeigte an den Handgelenken deutliche Spuren, die von einer Fesselung stammen mussten.

„Wie lange ist der Mann bereits tot?“ fragte Kerber Yannick Detru.

„Genau kann ich es noch nicht sagen, aber der Körpertemperatur nach zu urteilen, würde ich meinen, dass er sicher nicht länger als drei Stunden tot ist. Durch den Regen in der Nacht dürfte er etwas schneller abgekühlt sein, deshalb könnte es sein, dass sein Tod auch weniger als drei Stunden her ist. Genaueres erst nach der Obduktion.“

„Schau Ewen,“ Detru hatte die Ärmel des Jacketts des Toten hochgeschoben um sich die Arme genauer anzusehen “diese Spuren an den Handgelenken zeigen, dass der Mann zuvor gefesselt gewesen war und diese Brandspuren am Unterarm stammen von Zigaretten oder etwas ähnlichem. Ich würde meinen, dass man versucht hat ihn zu foltern um etwas von ihm zu erfahren.“

„Hmm, ja das sieht danach aus. Ich bekomme von dir ja so schnell wie möglich das Ergebnis der Obduktion?“

„Wie immer Ewen, du hast ja nie Zeit.“ Yannick Detru lachte als er sich auf dem Weg nach oben machte und zurück nach Quimper fuhr.

Ewen sah sich weiter an der Fundstelle um, er versuchte Spuren zu finden, die darauf hinweisen konnten, wie der Tote an diese Stelle gekommen ist. Hier war er nicht getötet worden. An keiner Stelle fand sich eine größere Blutlache. Der Stich ins Herz und der an der Halsschlagader mussten sehr stark geblutet haben.

Ewen suchte vorsichtig in den Taschen des Toten nach Papieren. Das Portemonnaie befand sich in der Innentasche des Jacketts. Ewen zog es heraus und öffnete es. Er sah den Personalausweis und las, Charles Morgat, Trégunc.

Ewen ging zu seinem Kollegen von der Spurensicherung.

„Ich habe seinen Ausweis gefunden. Der Mann heißt Morgat und ist aus Trégunc. Im Portemonnaie sind über dreihundert Euro. Ein Raubmord war dies also nicht. Dustin, hast du schon etwas Brauchbares gefunden?“

„Ja, hier vorne gibt es eine Schleifspur.“ Dustin Goarant zeigte auf eine Stelle unweit der Fundstelle der Leiche. Er war seit ewigen Zeiten bei der Spurensicherung in Quimper. Er und Ewen waren seit Jahren gute Freunde und Ewen wusste, dass er sich auf Dustin absolut verlassen konnte.

Dustin war Junggeselle und sein Leben bestand nur aus seiner Arbeit. Sein einziges Hobby war das Fischen. In seiner Freizeit ging er häufig ans Meer. Bei Mousterlin gab es auf der schmalen Landzunge, die sich parallel zum Meer erstreckte und etwa dreieinhalb Kilometer lang war und sicherlich nicht mehr als hundert Meter breit eine Stelle, die er sehr gerne aufsuchte. Der Strand hatte etwas gröberen Sand und war im Frühjahr und im Herbst oder Winter nicht sehr stark von Spaziergängern frequentiert, so dass er in Ruhe dort seine Angeln auslegen konnte. Dustin hatte stets mindestens drei Angeln dabei wenn er ans Meer fuhr.

Ewen folgte Dustin zu der Schleifspur und betrachtete sie sehr genau. Er konnte jetzt sehen was Dustin meinte. Das Gras hatte sich bereits wieder aufgerichtet, aber der Boden wies Vertiefungen auf, die von den Absätzen der Schuhe des Toten stammten. Durch den starken Regen war der Boden aufgeweicht und die Schuhe des Toten hatten eine deutliche Spur hinterlassen. Die Spur führte aber überraschenderweise nicht zur Straße sondern verlief in nördlicher Richtung, beinahe parallel zum Aven. Ewen Kerber folgte der Spur. Nach etwa einhundert Metern stand er auf einem Felsen, der an dieser Stelle etwa zehn oder zwölf Meter über den Aven ragte und den Blick auf den Fluss und das nahe Ufer freigab.

Ewen sah die zahlreichen Zerklüftungen und die Grotten, die sich hier entlang des Aven gebildet hatten. Den Touristen wurden bei den Bootsfahrten auf dem Aven diese Grotten gezeigt. Sie waren aber nicht so groß, dass man sie hätte besuchen können, wie man dies aus anderen Regionen kannte.

Wir Bretonen sind schon sehr eigenartige bodenständige Menschen, dachte er sich, als er auf die Grotten sah. Viele seiner Freunde waren noch nie aus dem Département Finistère herausgekommen, so auch sein Freund, der Sardinenfischer Claude. Er war noch nicht über Quimper hinausgekommen. Ewen kannte viele Menschen, die das Finistère noch nie verlassen hatten, geschweige denn die Bretagne. Die Menschen schienen zufrieden. Wenn man von den Ereignissen in Paris oder Lyon hörte, dann war das weit entfernt. Aus Paris, dem Sitz der Regierung kam sowieso selten etwas Vernünftiges. Wenn dann doch einmal etwas die Bretonen betraf, dann war es in der Regel etwas, das sie eher auf die Barrikaden brachte. Erst kürzlich hatten die Bauern gegen die Milchpreise demonstriert. In Quimper wurde kurzerhand ein Kreisverkehr lahmgelegt, die Bäume darauf abgesägt und ein Feuer angezündet. Der Schaden belief sich auf mehrere hunderttausend Euro und die Stadträte diskutierten darüber, wer für den Schaden aufkommen sollte.

Auch in der Urlaubszeit, wenn ganz Frankreich sich auf die Fahrt in den Süden aufmachte und der Verkehr regelmäßig zum Erliegen kam, konnte der Bretone zu Hause bleiben. Das Meer liegt vor der Haustür, so dass man seinen Urlaub auch hier verbringen kann.

Ewen Kerber widmete sich nun wieder der Umgebung. Der Felsen, auf dem er stand zeigte keine Blutspuren, auch hier, da war sich Keber sicher, war der Mann nicht ermordet worden. Ewen Kerber sah sich die nähere Umgebung des Felsen an. Wie ist der Tote hierhergekommen? Wenn man ihn nicht hier ermordet hatte, dann mussten doch weitere Spuren zu sehen sein. Er suchte den feuchten Boden rings um den Felsen ab. Nicht einmal Schuhabdrücke waren zu sehen. Über einen so feuchten Boden war es unmöglich zu gehen und keine Spuren zu hinterlassen. Für Kerber stand fest, dass der Tote nur über den Aven hier hergebracht worden sein konnte. Kerber ging zurück zu seinen Kollegen.

„Wir sollten sofort die Bewohner der Häuser in der näheren Umgebung befragen, ob ihnen in den letzten Tagen etwas aufgefallen ist. In Gebieten mit einer so geringen Bebauung fällt den Leuten sofort auf, wenn sich ein Fremder hier bewegt.“

Ewen Kerber hatte diese Worte an Marson und seinen Kollegen Ylian gerichtet.

„Vor allem sollten wir klären, ob der Tote sich mit jemandem hier getroffen hat oder treffen wollte.“

„Machen wir, Monsieur le Commissaire, soll ich nicht ein Bild von dem Toten mit meinem Handy machen, dann können wir den Leuten gleich das Bild zeigen?“

„Gute Idee!“ meinte Ewen und deutete an, dass Marson fotografieren konnte.

Danach drehte Marson sich zu Claude Ylian und winkte ihn heran. Bevor die Beiden gingen, wandte Marson sich aber nochmals zu Ewen um.

„Monsieur le Commissaire, wissen Sie, wer da oben in dem ersten Haus wohnt?“

„Natürlich nicht, aber Sie werden es mir gleich sagen, nehme ich an.“ Kerber sah Marson an.

„Da wohnt dieser berühmte Maler, Corentin Murat. Er hat erst vor einigen Jahren zu malen begonnen und jetzt ist er schon fast weltberühmt. Er verkauft seine Bilder zu horrenden Preisen in einer Galerie in Paris. Der Mann ist schwerreich, aber etwas skurril, sagen die Leute in Pont Aven. In Pont Aven hat er einige Male ausgestellt. Aber weil er für seine Bilder 100.000 € und mehr verlangt, hat niemand etwas gekauft. Das macht ihm aber nichts aus.“

„Ein berühmter Maler, ich habe noch nichts von ihm gehört!“ sagte Ewen und interessierte sich jetzt wieder mehr für die Spuren im Gras. Allerdings ging ihm das Gehörte nicht aus dem Kopf. Ein noch lebender Maler, der für seine Bilder über 100.000 € erhielt, das war selten.

Rund um Pont Aven wimmelte es nur so von Künstlern. Egal welche Kunstrichtung man suchte, hier wurde man fündig. Ob Öl, Acryl, Aquarell, ob Fotografie oder Skulptur, alles konnte man in Pont Aven erwerben. Unzählige Galerien zeugen von der Vielzahl der Künstler, die sich hier aufhalten und aufhielten, seitdem Gauguin hier gearbeitet hatte und gemeinsamen mit anderen Künstlern seiner Zeit die Schule von Pont Aven gegründet hatte. In Pont Aven und dem nahegelegenen Le Pouldu hatten sich die Künstler niedergelassen und damit der Region den Kunststempel aufgedrückt.

Ewen Kerber und Paul Chevrier machten sich auf den Weg nach oben. In seinen Gummistiefeln ging Ewen ganz gut auf dem feuchten Gras. Er dachte an den letzten Fall, da hatte er mit normalen Straßenschuhen über die Felsen an der Küste bei Rospico klettern müssen und von den anwesenden Polizisten nur ein müdes Lächeln kassiert. Als Ewen und Paul wieder auf der Straße standen sahen sie sich die Umgebung genauer an. Ewen konnte vereinzelte größere Anwesen sehen, die von wohlhabenden Leuten bewohnt schienen. Das Haus von diesem Maler, das der Polizist Marson erwähnt hatte, gehörte sicherlich zu den teuersten. Ewen schätzte, dass sich der Preis des Anwesens jenseits der Million Euro bewegte. Das Haus musste einen fantastischen Blick über den Aven und das Meer haben.

Aber jetzt war nicht die Zeit für Gedanken an Immobilien. Sie hatten einen Mord aufzuklären. An ihrem Fahrzeug zogen sie die Stiefel aus, schlüpften wieder in ihre Straßenschuhe, stiegen in den Citroën C5 und machten sich auf den Weg nach Quimper.

Auch wenn Ewen kein ganz so fanatischer Bretone war, so fuhr er doch ein «bretonisches» Auto. Der Citroën C5 wurde schließlich in der Hauptstadt der Bretagne gebaut. In Rennes befand sich seit 1961 das große Werk. Charles de Gaulle hatte es seinerzeit noch eingeweiht. Seit dieser Zeit werden die großen Fahrzeuge von Citroën hier gebaut. Auch wenn die Marke zuvor hauptsächlich rund um Paris ihre Produktion hatte, so betrachten die Bretonen dennoch die Fahrzeuge als bretonisch.

Die Fahrt nach Quimper dauerte nicht sehr lange. Über die voie express waren sie in knapp vierzig Minuten in Quimper. Gerade als sie aus dem Wagen ausstiegen, klingelte sein Handy. Ewen blieb stehen und holte es aus dem Jackett. Paul deutete nur an, dass er bereits nach oben ins Büro gehe.

„Kerber.“ meldete er sich.

„Carla hier, Ewen ich wollte nur wissen, ob wir später noch in die Crêperie du Frugy gehen können und dort zu Abend essen. Ich bin ziemlich eingespannt bei der Bank und komme nicht sehr früh nach Hause.“

Ewen hatte Carla vor wenigen Monaten geheiratet. Sie hatten sich einige Monate vor seinem letzten großen Fall kennengelernt. Ihr Mann war verstorben. Ihre Tochter war vor einigen Jahren vergewaltigt worden. Diese Vergewaltiger waren damals, einer nach dem anderen ermordet worden. Aber Carla und ihre Tochter hatten, Gott sei Dank nichts damit zu tun gehabt.

„Klar, Carla, ich freue mich sogar darauf.“

„Sagen wir, so gegen 19 Uhr?“

„Ist mir recht, ich komme dann direkt vom Kommissariat aus ins Restaurant.“

Die kleine Crêperie war von außen nicht sehr einladend. Aber war man erst einmal in Innern, dann befand man sich in einer schönen bretonischen Crêperie und wurde ausgezeichnet bedient. Carla war der Meinung, dass sie zu den besten Crêperien in Quimper gehörte.

Ewen legte auf und ging in sein Büro. Er hatte noch nichts von den beiden Polizisten gehört, die die Bewohner von dem Lieu dit Coat Melen befragen sollten. Er überlegte kurz, ob er sich über diesen Maler informieren sollte, verschob es aber auf einen späteren Zeitpunkt. Der Mann war sicherlich nicht so wichtig im Augenblick.

Blaues Netz

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