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Kapitel 5

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Es war bereits kurz vor 18 Uhr als im Büro von Ewen Kerber das Telefon klingelte und Robert Nourilly, der Officiers de Police Judiciaire, oder wie man kurz zu sagen pflegte der OPJ, am Apparat war.

„Monsieur Kerber, könnten Sie in mein Büro kommen, ich benötige Ihre Hilfe.“

„Ich komme sofort!“ antwortete ihm Kerber, legte den Hörer ab und stand auf. Monsieur Nourilly meldete sich äußerst selten bei ihm und um Hilfe hatte er noch nie gebeten. Er erkundigte sich schon einmal nach einem aktuellen Fall, wenn er vor einer Pressekonferenz stand oder zu einer erfolgreichen Verhaftung gratulierte. Ewen ging in die oberste Etage zum Büro von Nourilly. Er musste durch das Vorzimmer gehen, vorbei an der hübschen Sekretärin, Nolwenn Meunier. Als Ewen eintrat lächelte sie ihm zu und zeigte sofort auf die bereits offen stehende Tür zum Büro von Nourilly.

„Monsieur Kerber, treten Sie ein!“ begrüßte ihn der OPJ. Als Kerber die Tür hinter sich schloss, bemerkte er, dass sie nicht alleine waren. An dem großen Besprechungstisch, rechts neben der Tür, saß ein Mann mit elegantem Anzug, den Kerber noch nie gesehen hatte.

Nourilly ging auf Kerber zu, gab ihm die Hand und bat ihn an den Besprechungstisch. Ohne Umschweife kam er zur Sache.

„Monsieur Kerber, ich darf Ihnen zuerst Monsieur Claude Crayont vorstellen. Monsieur Crayont arbeitet für die Regierung und ist extra aus Paris hierhergekommen, weil eine Spur in einem extrem wichtigen Fall nach Concarneau führt. Aber, am besten Sie tragen es selbst vor, Monsieur Crayont.“ Nourilly wandte sich Crayont zu.

„Guten Tag, Monsieur Kerber, ich habe gehört, dass Sie der beste Commissaire in Quimper sind und wir brauchen für diesen Fall den Besten!“

Immer wenn ein Gespräch mit einer solchen Schmeichelei begann, war Ewen Kerber auf der Hut. Er gehörte nicht zu den Menschen, die sich damit Ködern ließen und ihre angeborene Skepsis aufgaben.

„Ich muss etwas weiter ausholen, erlauben Sie mir, dass ich Ihnen kurz einen Überblick über die Anfänge des Falles gebe.

Vor ungefähr drei Monaten wurde unsere Botschaft in Peking von einem hochrangigen Vertreter der chinesischen Geheimpolizei aufgesucht, der uns über einen Fund in einem Container aus Frankreich informierte. Man hatte bei der Überprüfung eines Containers ein Paket gefunden, das in einer wasserundurchlässigen Verpackung eingewickelt war. Das Paket enthielt Falschgeld im Wert von ungefähr 50.000.000 Euro. Die Scheine, es handelte sich um Geldnoten von 200 und 100 €, waren von einer exzellenten Qualität und nur bei sehr genauer Prüfung als Fälschungen zu erkennen. Sie können sich vorstellen, dass man natürlich alles versuchte um die Quelle zu finden und die Fälscher zu verhaften. Der Fund in dem Container führte die Chinesen auf eine erste Spur nach Frankreich.

Doch zurück zu dem Paket. Der Inhalt wurde sowohl von der chinesischen als auch von der französischen Polizei sehr sorgfältig untersucht. Es wurden keinerlei Fingerabdrücke gefunden, weder an der Verpackung noch an den Geldscheinen. Das einzige was die Chinesen finden konnten war eine blaue Faser. Genauere Untersuchungen führten dazu, dass man diese Faser als Spezialfaser für Fischernetze identifizieren konnte. Weitere Untersuchungen und Recherchen zeigten dann, dass es von einem Fischernetz aus Concarneau stammen könnte. Diese Tatsache führt uns nun hierher und zu Ihnen.“

Kerber hatte während des Berichtes von Monsieur Crayont kein Wort gesagt, keine Zwischenfragen gestellt. Ihm war immer noch nicht klar, warum dieser Fall bei ihm landen sollte. Er war doch bei der Mordkommission und nicht bei der Abteilung für Falschgeldangelegenheiten. Er konnte aber in dem ganzen Bericht keine Verknüpfung finden, die zu einer Übertragung an die Mordkommission führte.

„Monsieur Crayont, wieso soll die Mordkommission den von Ihnen beschriebenen Fall verfolgen? Ich denke, dass die Kollegen, die sich mit Falschgeld beschäftigen mehr Erfahrung und ein größeres Fachwissen für den Fall mitbringen. Für Morde bin ich zuständig aber in diesem Fall scheine ich nicht der Richtige zu sein.“

Crayont sah Nourilly an und das Grinsen, das Kerber auf dem Gesicht von Crayont bemerkte schien seinem OPJ sagen zu wollen: „Das haben wir doch erwartet, nicht wahr.“ Aber anstatt einer Antwort, sagte Crayont nur, „Monsieur Nourilly, wollen Sie Monsieur Kerber aufklären?“

OPJ Nourilly nickte und wandte sich an Kerber.

„Monsieur le Commissaire, es gibt noch zwei Dinge, die Sie wissen müssen und die wir bisher nicht erwähnt haben. Zum einen wurde bei den Nachforschungen unseres Geheimdienstes ein Agent der Direction Générale de la Sécurité Extérieure ermordet und diesen Fall bearbeiten Sie gerade. Darüber hinaus sind Sie doch mit einem ehemaligen Commissaire der police judiciaire von Luxemburg befreundet. Der Mann ist zwar bereits pensioniert, aber er hat sich bereit erklärt für die luxemburgische police judiciaire als verdeckter Ermittler zu arbeiten.“

Kerber sah Nourilly verdutzt an.

„Der Mord von heute Morgen hat mit ihrem Falschgeldfall zu tun?“

„Ja, so ist es, der Tote ist unser Agent hier in Concarneau. Ich war gerade dabei mit Monsieur Nourilly über den Fall zu sprechen, als uns die Nachricht erreichte, dass der Tote, den man am Aven gefunden hatte unser Mitarbeiter war. Wir waren seit gestern Abend beunruhigt gewesen, weil er sich nicht wie verabredet gemeldet hat. Jeden Abend informierte er uns über den aktuellen Stand seiner Nachforschungen. Er hat uns auch nicht gesagt, was oder wen er beobachten, überprüfen oder beschatten wollte. Seit unserem letzten Gespräch, vom Abend davor haben wir keinerlei Informationen über seine nächsten Aktionen mehr erhalten. Sie sollten diese Information aber so schnell wie möglich wieder vergessen.“

Crayont machte eine kurze Pause. Doch bevor er fortfahren konnte stellte Kerber die Frage nach seinem Freund aus Luxemburg.

„Was hat mein Freund Medernach hier als verdeckter Ermittler zu suchen? Wieso ist Luxemburg in diesen Fall verwickelt?“

„Eine berechtigte Frage, Monsieur Kerber. Ich will es Ihnen gerne erklären. Allerdings sind diese Informationen absolut geheim und sie dürfen diesen Raum niemals verlassen. Sie dürfen diese Informationen nicht einmal im entferntesten Urwald leise aussprechen, wenn Sie verstehen was ich meine?“

„Mir ist sehr wohl bekannt was geheim bedeutet, Monsieur Crayont und ich habe auch keine Absicht in den Urwald zu fahren!“ Kerber war verärgert über die Ausdrucksweise von diesem Crayont und wollte das mit seiner Bemerkung zum Ausdruck bringen.

Crayont tat so, als habe er die Bemerkung von Kerber überhört.

„Sie haben sicherlich vom EFSF und von dem Nachfolger ESM gehört.“

„Ja natürlich. Man kann diese Begriffe nicht übersehen, so oft stehen sie in den Zeitungen, wegen der Krise mit Griechenland, Spanien, Portugal und so weiter.“

„Nun, der ESM, die Brandschutzmauer der Euro-Länder wird mit einem Betrag von 800 Milliarden Euro ausgestattet. Eine riesige Summe, die aber vielleicht dennoch zu gering sein könnte, wenn große Länder wie Spanien oder Italien Probleme bekämen. Daher war man bemüht, China in die Finanzierung mit einzubeziehen. Der Leiter des ESM war persönlich nach China gereist um mit der dortigen Führung zu sprechen. Sicherlich wissen Sie auch, dass diese Gespräche von den Chinesen, sagen wir mal, eher zurückhaltend geführt wurden. Es gab jedenfalls keine Zusage für den Erwerb von Schuldscheinen des ESM.

Dem luxemburgischen Premier und Vorsitzenden der Eurogruppe war es in mehreren Geheimgesprächen gelungen, die Chinesen zu einer Beteiligung an der Finanzierung des Fonds zu bewegen. Dies darf auf keinen Fall bekannt werden, um Spekulanten abzuhalten ihre Geschäfte zu verstärken. Die Chinesen haben unter anderem, eine Bedingung mit der Zusage verknüpft, nämlich die, dass die chinesische Botschaft in Luxemburg ständig informiert wird über den Fortgang der Ermittlungen bei der Falschgeldaffäre und zwar aus erster Hand. Daraufhin hat man den pensionierten Kommissar Medernach, der wohl ein hohes Ansehen bei der luxemburgischen Polizei besitzt als Ermittler und Vermittler gewählt. Er soll in Frankreich, in Zusammenarbeit mit unserer police judiciaire verdeckt ermitteln und gleichzeitig die Chinesen auf dem Laufenden halten.“

Kerber hatte verstanden. Medernach sollte die Chinesen auf dem Laufenden halten, die Fälscherwerkstatt ausheben und er, Kerber, würde den Mord des Geheimdienstmannes untersuchen und als Kontaktperson zwischen Medernach und dem Geheimdienst fungieren. Die Vorstellung, mit jemand anderem zusammenzuarbeiten gefiel ihm überhaupt nicht. Da er seinen alten Freund und Kollegen Medernach aber gut kannte und wusste, dass dieser sich hierbei nicht aufspielen würde, konnte er dem Vorhaben ruhig zustimmen. Er würde sich um die Aufklärung des Mordes kümmern, Medernach konnte getrost nach der Fälscherwerkstatt suchen. Er hatte Medernach schon seit Jahren nicht mehr gesehen.

„Einverstanden, ich werde mit Henri Medernach zusammenarbeiten. Aber nur unter der Prämisse, dass wir uns regelmäßig austauschen können. Auch wenn er verdeckt ermitteln soll.“

„Das ist aus unserer Sicht auch zwingend notwendig.“ meinte Crayont. „Sie werden schon morgen Abend ihren Freund in Melgven begrüßen können. Sie werden sich nie mit ihm in seinem Hotel in Concarneau oder an irgendeinem anderen öffentlichen Ort treffen. Die Gefahr, dass seine Maskerade auffliegen könnte wäre zu groß. Daher haben wir für die Kontakte zwischen Ihnen und Monsieur Medernach ein Haus gemietet. Er wird als Tourist in dem Hotel «Les Sables Blancs» wohnen. Alle ihre Treffen finden aber in einem Haus, in dem Lieu dit Kermanchec bei Melgven statt. Dort ist sichergestellt, dass man ihn und seine Besucher nicht beobachten kann.“

„Ich habe noch eine Frage, Monsieur Crayont. Ich arbeite seit vielen Jahren sehr vertrauensvoll mit meinem Kollegen Paul Chevrier zusammen. Ich gehe davon aus, dass ich ihn bis zu einem gewissen Grad in den Fall und seine Hintergründe einweihen darf? Alles andere würde die Zusammenarbeit nur erschweren.“

Crayont schien angestrengt nachzudenken. Dann blickte er zu Ewen Kerber auf und meinte:

„Lassen Sie aber den Zusammenhang mit dem ESM beiseite. Ansonsten ist es in Ordnung, wenn Sie ihren Kollegen über die Zusammenarbeit mit Medernach und der Identität von Charles Morgat informieren. Aber bitte informieren Sie auch ihren Kollegen darüber, dass er Verschwiegenheit gegenüber Dritten bewahrt.“

Kerber nickte und fand dieses ganze Geheimdienst-getue für überzogen. Damit war das Gespräch beendet. Kerber erhob sich und verließ das Büro von Nourilly und machte sich auf den Weg zur Crêperie du Frugy. Er musste in die Rue Ste Therese fahren. Das kleine, von außen eher unscheinbare Restaurant war bekannt für seine exzellenten Crêpes und seine angenehme Atmosphäre. Das Restaurant lag hinter der Präfektur des Departements du Finistère, daher waren dort auch häufig die Beamten der Präfektur anzutreffen.

Sein Gespräch mit den beiden Herren hatte doch länger gedauert als er angenommen hatte, so dass Carla bereits im Restaurant weilte als er eintraf. Von der Filiale der BNP Parisbas, bei der Carla arbeitete waren es circa zweihundert Meter bis zur Crêperie.

„Ich freue mich, dich zu sehen!“ sagte Carla als Kerber an den Tisch trat. „Ich dachte schon, ich müsste alleine meine Crêpes essen.“

„Ich hatte noch eine Besprechung mit Nourilly. Du weißt ja, wenn er ruft, dann ist es immer dringend.“

„Und, war es dringend?“ Carla sah Ewen fragend an.

„Nicht wirklich.“ sagte Kerber und wechselte das Thema. Er nahm die Speisekarte zur Hand und überlegte, welche Crêpes er wohl heute essen wollte.

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