Читать книгу Finde die Liebe, die dir als Kind gefehlt hat - Julia Tomuschat - Страница 20

WEITERFÜHREN VON BINDUNGSMUSTERN: ICH BIN (NICHT) SICHER

Оглавление

Verhalten sich Eltern kalt, distanziert oder emotional unvorhersehbar und wechselhaft, wirkt sich dies auf die Bindungsfähigkeit im Erwachsenenalter aus. Experten schätzen, dass lediglich sechzig Prozent aller Menschen ein sicheres Bindungsmuster in sich tragen.10 Das Bindungsmuster erwerben wir im Zusammenspiel mit unseren Eltern. Zu Anfang des Lebens – hier sind insbesondere die ersten drei Lebensjahre prägend – lernen wir, ob jemand für uns da ist, wenn wir uns fürchten oder ängstigen (lies dazu auch das Kapitel zum inneren Baby ab > und zum inneren Kleinkind ab >). Tief in uns speichern wir, ob wir auf andere bauen können und ob jemand da ist, der uns schützt, versorgt und unterstützt. Diese Erfahrungen mit unseren Bindungspersonen tragen wir auch noch als Erwachsene in unserem Herzen. Wir greifen unwillkürlich auf sie zurück, wenn wir im späteren Leben mit anderen Menschen in Kontakt sind, und natürlich insbesondere dann, wenn sich romantische Beziehungen anbahnen. Man spricht hier von der Bindungsrepräsentation. Sie prägt unseren Bindungsstil bis ins Erwachsenenalter. Er kann sicher, ängstlich oder vermeidend sein.

 Menschen mit einem sicheren Bindungsstil vertrauen anderen Menschen und sie vertrauen ins Leben. Sie haben keine Bedenken, dass andere sie im Stich lassen oder dass Beziehungen zu eng werden könnten. Sie können gut mit Stress umgehen. Selbst wenn etwas Belastendes passiert, finden sie verhältnismäßig schnell zum Wohlbefinden zurück. Sie halten sich unbewusst an das folgende Skript: »Wenn ich auf Hindernisse stoße oder gestresst bin, kann ich mich an einen wichtigen Menschen wenden. Er wird höchstwahrscheinlich für mich da sein und mich unterstützen. Durch seine Nähe werde ich getröstet, kann mich beruhigen und dann kann ich mich wieder anderen Dingen zuwenden.«11 Ein psychologisches Skript ist wie eine verinnerlichte Regieanweisung für die Lebensgestaltung. Sicher Gebundene haben positive Grundüberzeugungen in ihrem Drehbuch. Ihr Lebensskript macht sie emotional stabil und hilft ihnen, enge befriedigende Beziehungen zu pflegen.

 Menschen mit einem vermeidenden Bindungsstil fühlen sich in nahen Beziehungen unwohl. Sie wollen sich lieber nicht von anderen abhängig machen. Sie behalten eine emotionale Distanz zu anderen bei und verlassen sich auf sich selbst, auch wenn sie vor großen Herausforderungen stehen oder Belastendes erleben. Ihr Skript lautet: »Wenn es schwierig wird, komme ich am besten allein klar.« Deshalb lassen sie andere Menschen erst gar nicht so nah an sich heran. Sie haben Angst vor Nähe.

 Menschen mit einem ängstlichen Bindungsstil haben ein starkes Bedürfnis nach Nähe und Schutz, aber sie vertrauen nicht darauf. Sie machen sich ständig Sorgen, ob der Partner oder die Freunde zur Verfügung stehen werden, wenn es darauf ankommt. Ob sie gemocht werden und gut, attraktiv oder intelligent genug sind. Sie bemühen sich extrem um Anerkennung, fühlen sich aber trotzdem in Beziehungen nicht sicher. Sie haben Angst um ihren Platz innerhalb der Beziehung. Belastungen begegnen sie mit ruhelosen Aktionen. Ihr Skript lautet: »Um Trost zu bekommen, muss ich mich ganz doll anstrengen.« Manchmal rücken sie anderen Menschen so sehr auf die Pelle, dass sie sie vergraulen. Sie haben auch als Erwachsene Angst vor Trennung und Distanz.12

Die Bindungsforschung weiß, dass Bindungsmuster nicht nur eine, sondern zwei Generationen weitergegeben werden, das heißt von der Großmutter zur Mutter zu dir.13 In unserer Mutter steckt ein kleines Mädchen und in unserem Vater ein kleiner Junge. Natürlich waren unsere Eltern selbst einmal Kind. Und man weiß: Ihr Erziehungsstil ist wesentlich davon beeinflusst, wie sie selbst großgezogen wurden. Empirische Studien zeigen, dass Eltern insbesondere ihren Bindungsstil weitergeben. Waren sie selbst sicher gebunden, haben sie höchstwahrscheinlich dieses Geschenk an dich weitergereicht.

Mit einem sicheren Bindungsmuster können wir Gefühle besser regulieren und sind beziehungsfähiger. Aber vielleicht hast du dich eher bei den vermeidenden oder ängstlichen Typen wiedergefunden? Dann fragst du dich womöglich, ob du dich damit abfinden musst. Das musst du nicht! Wenn du möchtest, lässt sich ein sicheres Bindungsmuster auch noch im Erwachsenenalter erwerben. Durch Reparenting kannst du dein »altes Bindungsverhalten« überformen und dir im Nachhinein eine sichere Bindung schenken. Selbstbemutterung beziehungsweise Selbstbevaterung ist heilsam und macht dich beziehungsfähiger. Auch deshalb habe ich dieses Buch geschrieben.

Finde die Liebe, die dir als Kind gefehlt hat

Подняться наверх