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TRANSGENERATIONALE WEITERGABE VON PROBLEMEN: ICH TRAGE DEINE LAST

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Bei der Schilderung der Bindungsmuster habe ich es schon angedeutet: Probleme, die wir als emotionales Päckchen mit uns herumschleppen, werden manchmal über Generationen hinweg vererbt. Dass wir in einer Generationsfolge stehen, in der eine Generation Verhaltensweisen an die nächste Generation weitergibt, ist kein Geheimnis. Jedes Mal, wenn ich eine sauber gebliebene Tischdecke wieder zusammenlege, um sie in den Schrank zu räumen, denke ich an meine Oma. »Benutze stets die alten Falten, die das Tischtuch frisch erhalten.« Sie hat diesen Spruch von ihrer Mutter, meiner Urgroßmutter, gehört, an meine Mutter weitergereicht und jetzt spukt er in meinem Kopf herum. Das ist ein harmloser Merksatz, der inzwischen über vier Generationen das Verhalten prägt. Mir sind seine Wurzeln bewusst und ich denke gerne daran, dass er von meiner Uroma bis zu mir gewandert ist.

Anders ist es bei der transgenerationalen Weitergabe von Traumata. Hier geschieht die Übertragung meist unbewusst und ungewollt und auf verschlungenen Wegen. Unter einem Trauma versteht man eine schwere Verletzung der Psyche, die durch Erlebnisse von Gewalt und Schutzlosigkeit verursacht wird. Die Betroffenen fühlen sich bedroht und erleben Todesangst. Damit wir nach einer solchen extrem schmerzlichen Erfahrung weiterleben können, spalten wir sie ab. Am ehesten kann man sich das so vorstellen, als würden die schmerzlichen Gefühle in eine abgeschlossene Kiste verbannt. Dadurch ist das Trauma aber nicht verschwunden. Die abgeschotteten Gefühle bleiben indirekt wirksam. Es hat seinen Preis, wenn ein Teil des Selbst eingefroren ist. Die Betroffenen leiden unter posttraumatischen Belastungssymptomen. Vereinfacht dargestellt reagieren Traumatisierte hyperaktiv oder hypoaktiv. Es ist zu viel oder zu wenig Energie im System. Entweder sie sind angespannt, unruhig und besonders empfindlich. Oder sie erstarren und büßen ihre Lebendigkeit ein, fühlen sich passiv, desinteressiert, unmotiviert und innerlich taub.14 (Die Auswirkungen von Kindheitstraumata sind ab > beschrieben). Die nächste Generation öffnet diese Kiste ein kleines bisschen und erneut entfaltet das weggesperrte Trauma seine unheilvolle Wirkung.15

In den letzten Jahren wurde der Begriff »Kriegsenkel« geprägt, um zu verdeutlichen, dass die Traumatisierung durch den Zweiten Weltkrieg zwei Generationen später Schaden in der Psyche verursacht. Die Weitergabe von Kriegstraumata und Schuldverstrickung ist ein komplexes Geschehen und kann hier nur vereinfacht dargestellt werden. Ich hoffe, dass am Beispiel der Kriegskinder, Kriegsenkel und Kriegsurenkel deutlich wird, wie einflussreich die Transmission von Traumata ist.

Die Kriegs- und Nachkriegskinder haben die schlimmen Erlebnisse von Verfolgung, Vertreibung, Bombennächten und Hunger in ihrem Schattenkind abgespeichert. Die meisten haben schon als Kind gelernt, nicht darüber zu reden, und sind mit ihrer Not alleingelassen worden. In den Aufbaujahren war der Blick zurück verpönt.

Die Kriegskinder waren als Eltern für ihre Kinder, die Kriegsenkel, oft unnahbar.16 Andererseits spürten die Kinder der Kriegs- und Nachkriegskinder, dass hinter der distanzierten Fassade im Schattenkind der Kriegskinder eine große Verletzlichkeit (ein Trauma) verborgen war. Kriegskinder haben Furchtbares gesehen und gehört. Sie bangten in Bombennächten um ihr Leben und hungerten auf der Flucht. Manche mussten miterleben, wie ihre Mutter vergewaltigt wurde. Sie litten darunter, dass der Vater traumatisiert aus dem Krieg zurückkam. Und die allermeisten durften nicht darüber sprechen. In den 50er- und 60er-Jahren waren der Krieg und seine Folgen ein Tabu-Thema. Es wurde in der Kiste verbarrikadiert.

Deshalb haben die Kriegsenkel, die Generation der zwischen 1960 und 1975 geborenen, ihre Eltern häufig vorsichtig und schonend behandelt und Glaubenssätze ausgeprägt wie »Ich bin zu viel.« Oder: »Ich bin eine Zumutung.« Kriegsenkel berichten über innere Unsicherheit. Sie können sich schwer verorten. Wissen nicht, wer sie sind. Mir sind keine Forschungen dazu bekannt, ob und wie dieses Trauma an die nächste Generation, die »Kriegsurenkel«, weitergereicht wird. Ich vermute aber, dass Kriegsenkel ihre Kinder sehr eng an sich binden, um die Unnahbarkeit ihrer Eltern auszugleichen. Vielleicht ist das »Helikoptern« mancher Eltern auf die transgenrerationale Weitergabe des Kriegstraumas zurückzuführen. Transgenerationale Themen zeichnen sich dadurch aus, dass die damit einhergehenden Gefühle diffus bleiben. Sie lassen sich nicht so leicht greifen. Sollte in dir eine Ahnung aufsteigen, dass deine aktuellen Probleme »vererbt« wurden, wende dich an einen erfahrenen Therapeuten oder an eine erfahrene Therapeutin.

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