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Höllensturz Kapitel 4

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Unruhig mit den Füßen wippend saß Lucifer neben dem Herrn und lauschte nur mit einem Ohr der üblichen Konferenz, auf der bürokratische Angelegenheiten geklärt werden sollten, die den Himmel direkt betrafen. Als Gottes Stellvertreter im Himmel hätte er eigentlich aufmerksamer zuhören sollen, doch seine Gedanken drehten sich um Michael, der gestern so schnell verschwunden und auch heute nicht zur Versammlung aufgetaucht war.

Lucifer merkte, dass er auf seiner Unterlippe zu kauen begonnen hatte. Er hätte Michael nicht nachts alleine durch das Viertel der Seraphim ziehen lassen sollen! Schuldgefühle mischten sich zu seiner Sorge um den kleinen Erzengel.

Immer wieder schielte er zum Herrn, der mit monotoner Stimme Seine Aufzeichnungen verlas und sich anschließend von den Engeln auf den neuesten Stand bringen ließ. Schon seit Monaten spürte Lucifer den Hass auf diesen Mann in sich schwelen, auf Seine Ignoranz und Sein übermäßiges Interesse an der Erde und ihren missglückten Bewohnern.

„Lucifer“, wandte sich der Herr in diesem Moment an den schmollenden Engel. „Wie denkst du darüber?“

Aus seinen Gedanken gerissen setzte der Angesprochene sich aufrecht hin.

„Verzeihung?“

„Das Aufrüsten der Truppen gegen die steigende Anzahl an Dämonen auf der Erde. Ich erklärte grade, dass diese seelenfressenden Bestien eine Gefahr auch für die dort stationierten Schutz- und Erzengel darstellen“, wiederholte ein weiblicher Engel, dessen Namen Lucifer sich nicht hatte merken können, mit einer gewissen Ungeduld.

„Dämonen sind Engeln an Körperkraft und Schnelligkeit überlegen, außerdem kennen sie keine Moral“, entgegnete Lucifer. „Es braucht mindestens drei, wenn nicht mehr ausgebildete Engel, um es auch nur mit einem einzigen Dämon aufnehmen zu können. Selbst wenn wir die Anzahl der Engel in der Menschenwelt erhöhen, ist das keine Garantie dafür, dass wir der Dämonenplage deswegen besser Herr werden können. Mehr Truppen sind ein Anfang, können aber ohne weitere Vorgehen keine Lösung sein. Ich würde mir gut überlegen, ob ich das Leben der Engel auf diese Weise in Gefahr bringe.“

Herausfordernd blickte er nach links zu Gott, der den Blick auf Seine Notizen gesenkt hatte, den Blick nach innen gekehrt, als ginge Ihn all das nichts an. Voller Enttäuschung und Abscheu wandte Lucifer sich ab.

In diesem Moment wurde die Tür zum Saal geöffnet und sämtliche Augen richteten sich auf den kleinen, zusammengesunkenen Erzengel. Ein stummer Wutschrei kroch Lucifers Kehle hinauf, als er Michaels blaues, angeschwollenes Gesicht erblickte. Er wollte aufspringen und seinen geschundenen Partner in die Arme schließen, ihn vor allem Übel der Welt beschützen, doch Michael sah ihn nur an und schüttelte dann leicht den Kopf. Schweigend tapste er zu seinem Platz ganz am Ende der Tafel, wo er sich noch immer wortlos niederließ.

Ein kurzer Blick zur Seite verriet Lucifer, dass Gott Michael die ganze Zeit über beobachtet hatte, doch auch er äußerte sich mit keiner Silbe zu dessen Verunstaltung. Kaum dass sich die ersten fragenden, verunsicherten Blicke wieder von dem Erzengel abgewandt hatten, fuhr Er fort, als sei nichts gewesen.

Einige Sekunden lang starrte der höchste Seraphim seinen Herrn ungläubig an, dann erhob er sich mit einem Ruck von seinem Platz, sodass der Stuhl nach hinten umkippte. Zitternd vor Wut ballte er die Hände zu Fäusten und ihm wurde schlecht ob seiner eigenen Enttäuschung.

Mit einem kaum hörbaren Seufzen drehte Gott den Kopf zur Seite, um ihn anzusehen. Ihre Blicke trafen sich.

Nur für einen Moment spielte Lucifer mit dem Gedanken, sich wieder hinzusetzen und die Konferenz fortzusetzen, dann gewann sein Zorn wieder die Oberhand.

„Herr!“, setzte er an. „Einer Eurer Engel ist verletzt worden und das, obwohl er den Himmel nicht verlassen hat. Interessiert Euch nicht, wie das passieren konnte?“

„Lucifer.“ Der Herr klang müde. „Setz dich wieder hin.“

„Nein! Nein, das werde ich nicht! Wann immer ich dieses Thema zur Sprache bringe, weist Ihr mich an, still zu sein und in meine Hundehütte zu trotten.“ Mit ausgebreiteten Schwingen bezog Lucifer vor Gott Stellung, die Blicke sämtlicher anwesender Engel auf sich wissend. „Ihr wisst nicht wirklich, was im Himmel vor sich geht, worunter die Engel leiden! Und warum? Weil Ihr nicht! Zuhört!“ Die letzten beiden Worte schrie er fast.

Im nächsten Moment stand er dem Herrn gegenüber, ohne sich daran erinnern zu können, Diesen aufstehen zu sehen.

„Du hast noch etwas Wichtiges zu erledigen, Morgenstern.“ Die Ruhe in Seiner Stimme war beeindruckend, doch der unterdrückte Zorn klang deutlich heraus, als Er fortfuhr: „Wir reden später darüber. Für heute bist du entlassen.“

Lucifer wünschte seine Schwerter herbei, doch er hatte sie wie üblich zu friedlichen Konferenzen nicht dabei, da sie seine Bewegungen behinderten. Hilflos sah er zu Michael hinüber, der ihn aus großen Augen anstarrte. Besorgt, beinahe ängstlich. Es brach Lucifer das Herz.

Ohne ein weiteres Wort wandte er sich zum Gehen.


Es gelang ihm nicht, an diesem Tag mit Michael zu sprechen. Kaum dass die Konferenz beendet worden war, flüchtete der verunstaltete Erzengel aus dem Tempel und ließ sich nicht mehr blicken. Lucifer wartete lange bei sich zuhause, ging dann hinüber ins Distrikt der unteren Triade, doch niemand öffnete ihm, als er an Michaels Wohnungstür klopfte.

Er lebte mit seinen beiden älteren Brüdern, dem kriegerischen Gabriel und dem sanften Heiler Raphael, zusammen. Als Lucifer davon erfahren hatte, hatte er erst nicht glauben können, dass der liebe, gute Michael einen solch kämpferischen Bruder haben sollte. Obwohl Gabriel nicht mit der Beziehung seines Bruders zu einem Seraphim einverstanden zu sein schien, verkniff er sich in Lucifers Gegenwart mahnende Kommentare.

Mit zwei Schwertern bewaffnet machte sich Gottes Lieblingsengel in der Abenddämmerung auf den Weg zum Tempel, den Blick gesenkt. Wie üblich grüßten ihn die Engel verhalten, mit größtem Respekt. Vermutlich hatte sich sein Benehmen heute auf der Konferenz schon herumgesprochen.

Lucifer wusste nicht, ob man ein Wesen wie Gott töten konnte. Dass er wie Engel über ewiges Leben verfügte, zeigte sich zwar deutlich, doch auch Engel und sogar Dämonen ließ sich unter bestimmten Umständen beikommen. Gott war lediglich ein größeres Kaliber.

Mit diesen Gedanken beruhigte er sich selbst, als er den Tempel betrat. Er würde noch einmal versuchen, mit Gott zu reden, und wenn das nicht half, würde er zu härteren Maßnahmen greifen müssen. Diese Bereitschaft zu Gewalt gegenüber seinem Schöpfer kam nicht plötzlich und rang Lucifer inzwischen auch keinerlei Schuldgefühle mehr ab. Oft hatte er sich in den vergangenen Wochen vorgestellt, wie er die zur Revolution bereiten Engel aufpeitschen würde, bis sie ebenfalls einsahen, dass die Verhandlungen gescheitert waren, um gemeinsam einen Putsch gegen den Herrn zu unternehmen.

Mit Michael an seiner Seite hätte er sich zwar sicherer gefühlt, doch letztendlich war der Starke am stärksten allein. Immer wieder tauchte sein blau geschlagenes Gesicht vor seinem inneren Auge auf, dazu Gottes gleichgültige Reaktion und schließlich Sein mahnender Verweis.

Lucifer betrat den Tempel.

Er dachte an die Geschichten, die Engel aller Chöre ihm erzählt hatten, über Ungleichheit, Ignoranz und Furcht. Über einen Gott, der sie verlassen hatte. Ein Schöpfer, der keine Verantwortung übernehmen wollte.

Lucifer nahm drei Treppenstufen auf einmal hinauf in den ersten Stock, wo er beinahe zwei Wachposten in die Arme stolperte. Da er hier ein und aus ging, nickten sie ihm nur kurz zu und ließen ihn dann ohne weitere Kontrolle passieren. Für eine Sekunde meldeten sich erneute Zweifel in Lucifer, ob er das Vertrauen des Herrn einfach so missbrauchen sollte. Dann war die Sekunde vorbei.

Im Arbeitszimmer war es dunkel, als er eintrat. Wie so oft zeichnete sich Gottes schlafende Gestalt gegen in der Finsternis ab. Offenbar waren die Kerzen lange heruntergebrannt. Es lief Lucifer kalt den Rücken herunter, als er nach seinem Schwert griff. Der Plan hatte sich kurzfristig geändert. Nach einem Hieb durch den Schädel würde er weitersehen.

Von einer merkwürdigen Ruhe erfasst trat der Engel näher, die Klinge in der rechten Hand. Zwei Schritte bis zum Schreibtisch. Einer. Leise schnaufender Atem des Schlafenden. Lucifer hob die Klinge bereit zum Zuschlagen.

Ein spitzer Gegenstand drückte von hinten an die empfindliche Stelle genau zwischen den beiden Flügelansätzen. Lucifer erstarrte, dann ließ er das Schwert fallen und seine Hände wurden nach hinten gebogen. Er hatte einen Fehler gemacht.


LUCIFER

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