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9. Kapitel

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Dollien, 1916

Lange schien der Krieg die Menschen in der Schorfheide vergessen zu haben. Zwar wurden auch hier Männer jeden Alters einberufen oder hatten sich im ersten Kriegsjahr freiwillig gemeldet. Aber sie waren ja nur vorübergehend weg, würden bald zurückkehren. Wie von einer längeren Reise.

Jetzt, im dritten Kriegsjahr, kamen immer weniger auf Heimaturlaub. Statt ihrer kamen die Verwundeten, die unbrauchbar geworden waren für den Krieg. Die ein Bein verloren hatten oder einen Arm, vielleicht auch beides. Man fing an, sich an ihren Anblick zu gewöhnen.

Es war Krieg. Und der forderte eben seine Opfer. Da konnte man nichts machen.

Schon lange hatte der Baron seine Zuversicht verloren. Stundenlang saß er abends in seinem Zimmer über den Kriegskarten, zeichnete die Fronten neu ein, markierte die Erfolge; aber auch die Niederlagen. Und stellte fest, dass die Front im günstigsten Fall gehalten wurde, meistens aber zurückwich.

Er traf sich nicht mehr mit dem Lehrer, dem Apotheker, dem Arzt und seinen Nachbarn. Er fand nicht mehr den Weg zum Vaterländischen Verein, in dem sie immer noch von dem Sieg träumten, in dem sie jede Niederlage als Beweis für den Durchhaltewillen der Soldaten feierten.

Die Verblendeten!

Stattdessen fand er immer öfter den Weg in die benachbarten Dörfer.

„Na, Petermann, wie geht’s denn so?“, fragte er, als er den einarmigen Bauern traf, den er bei der Ernte immer besonders geschätzt hatte.

„Wie soll’s schon gehen, Herr Baron. Der Arm fehlt eben. Nur Schmerzen macht das Aas. Als wär’s noch dran.“

Er wischte sich den Schweiß von der Stirn.

„Das werden Sie noch lange haben, haben die im Lazarett gesagt. Daran werden Sie sich gewöhnen. Bei dem einen gehts schneller, bei dem andern dauerts länger. Ist leicht gesagt, finden Sie nicht auch? Aber schlimmer ist der fehlende Arm. Man braucht ihn doch verdammt oft.“

Petermann verzog das Gesicht vor Schmerzen und griff nach seinem Stumpf.

„Jetzt haben sie mir gerade mit dem Bajonett in den Arm gestochen.“

„Ich will sehen, was ich machen kann. Den Arm kann ich Ihnen nicht geben. Und auch die Schmerzen nicht nehmen. Aber vielleicht fällt mir etwas ein“, sagte der Baron und ritt nachdenklich weiter.

Der Sattler hatte die zündende Idee, als der Baron ihm das Problem schilderte.

Mit einer Handbewegung räumte er eine Ecke seines Arbeitstisches frei, griff nach einem Blatt Papier und suchte einen Bleistift.

Als er alles zusammen hatte, zeichnete er einen Pflug und einen Mann, der ihn führte, beide Hände an den Sterzen.

Erstaunt sah der Baron ihn an.

„Der Mann hat nur einen Arm“, wandte er ein.

Ohne etwas zu sagen, radierte der Sattler den linken Arm aus.

„So“, sagte er, „ist das so richtig?“

Wie man sich an den Blick der Kriegsinvaliden gewöhnte, so gewöhnte man sich auch an die Hilfsmittel, die ihnen ermöglichten, ihrem Beruf nachzugehen. Es entwickelte sich in den Dörfern rund um das Gut eine gewisse Solidarität zwischen denen, die der Krieg bisher verschont hatte, und denen, die zu den Verlierern gehörten. Das war nicht selbstverständlich, auch nicht hier in der Uckermark. Aber das Verhalten, man könnte fast sagen: die Fürsorge, des Barons trug sicher dazu bei.

Kaum waren die ersten drei Gurte für Armamputierte fertig gestellt und an die Bauern verteilt, da hatte der Baron eine neue Idee.

Was, so fragte er sich, macht ein einbeiniger Bauer, wenn er pflügen muss? Mit seinem Holzbein kann er nicht hinter dem Pflug herlaufen. Mit einer Krücke schon gar nicht.

Tage und Nächte vergrub er sich in seinem Zimmer, zeichnete und rechnete.

Als er endlich eine Lösung gefunden hatte, eine Art Fuß- oder Beinstütze, die an dem hinteren Ende des Pfluges befestigt wurde und an die der Stumpf geschnallt wurde, gab er es beim Schmied in Auftrag.

Aber es erwies sich als totaler Flop. Der Benutzer konnte mit dem Tempo, das das Pferd vorlegte, nicht schritthalten und drohte zu stürzen und mitgeschleift zu werden.

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