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14. Kapitel

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Friedrichshagen, 1930

Die schönste Zeit verlebte Elisabeth in der Schule. Sie war still, aber aufmerksam und fleißig. Ihren Lehrer vergötterte sie, und als sie einmal besonders geschunden in die Schule kam, tröstete er sie und sagte: „Das wird nicht mehr lange dauern. Halte nur ein wenig durch. Du bist doch ein starkes Mädchen.“

Er zeigte ihr dann ein Bild von einem Mann mit einem komischen Bart, der auch sehr streng guckte. Als sie erschrak, beruhigte er sie.

„Der tut dir nichts. Der hilft dir. Der hilft uns allen. Ganz bestimmt.“

Und er schenkte ihr einen Apfel.

Das musste wohl so sein, denn ihr Vater hörte auf einmal auf zu trinken. Er kümmerte sich sogar ab und zu um den Hof, ging selbst aufs Feld oder in den Stall. Abends war er meistens bei irgendwelchen Versammlungen. Und wenn er spät nach Hause kam, war er nicht betrunken, aber begeistert. Was er sagte, verstand Elisabeth nicht. Aber dass alles besser werden würde, das spürte sie jetzt schon.

Eines Abends blieb er tatsächlich nach dem Abendbrot zu Hause.

Er ging ins Schlafzimmer, zog die unterste Schublade der Kommode auf und kam mit dem Familienstammbuch in die Küche zurück.

Er schob mit der Hand das Geschirr zur Seite, breitete ein großes Blatt Papier aus, beschwerte die Ecken und begann mit der Arbeit.

Sie schien schwierig zu sein. Immer wieder sah er im Familienstammbuch nach, blätterte einzelne Seiten um, übertrug Namen und Geburtsdaten auf das Papier, überprüfte, radierte und begann von neuem.

„Sag mal, hast du noch Unterlagen über deinen Ur-Urgroßvater?“, wandte er sich an seine Frau, die ihm verständnislos über die Schultern sah.

„Mir fehlen noch zwanzig Jahre“, ergänzte er.

„Zwanzig Jahre? Woran fehlen dir zwanzig Jahre?“, wollte Friederike wissen,

öffnete die kleine Truhe neben dem Herd, entnahm ihr das Strickzeug und setze sich auf die Bank.

„Alles, was ich hab’, steht in dem Buch“, sagte sie und wandte sich ihrer Handarbeit zu. Nachdem sie die Maschen gezählt hatte, hörte man nur noch das gleichmäßige Klappern der Stricknadeln.

Plötzlich hielt sie inne.

„Ist das wichtig?“, unterbrach sie ihre Tätigkeit.

Ludwig von Wernher verstand nicht.

„Na, das mit den zwanzig Jahren?“

„Ich weiß nicht. Es wäre aber besser. Bei mir bin ich bis 1737 gekommen. Bei dir nur bis 1770. Zwanzig Jahre fehlen bis 1750. Aber vielleicht wollen sie es nicht unbedingt wissen.“

Wieder vertiefte er sich in seine Zeichnung.

Er bemerkte gar nicht, dass Elisabeth die Küche betreten hatte und ihm zusah. Erst als sie fragte: „Darf ich?“, sah er auf.

Zum ersten Male sah er seine Tochter freundlich an.

„Komm, setz dich zu mir. Da kannst du gleich was lernen. Für das Leben, nicht nur so’n Quatsch für die Schule.“

Eigentlich hätte er seine Tochter jetzt in die Geheimnisse der Genealogie einweihen können, aber dazu hatte er nicht die Zeit. Jetzt jedenfalls nicht.

„Sieh hier, das sind deine Mutter und ich. Und die da, die sind deine Großeltern, die väterlicherseits und die mütterlicherseits. Und so verzweigt sich das immer weiter.

Von all diesen Ahnen stammst du ab.“

Elisabeth staunte.

„Und warum machst du das?“

Einen Augenblick zögerte ihr Vater. Eigentlich wollte er die Familie erst unterrichten, wenn sein Antrag angenommen war. Doch jetzt, als seine Tochter ihn fragte und seine Frau ihn erwartungsvoll ansah, hielt er es doch nicht aus. Er musste sein Geheimnis offenbaren. Er wäre daran erstickt.

„Ich geh zur SA“, sagte er.

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