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3. Kapitel

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Friedrichshagen, Juni 1913

Elisabeth von Wernher wurde am 15. 11. 1923 als drittes Kind eines verarmten Adelsgeschlechts in Friedrichshagen bei Oranienburg geboren.

Der Großvater war als Offizier im Preußischen Garderegiment sehr spendabel gewesen und hatte gerne, aber erfolglos gespielt. Als er feststellte, dass nicht nur sein Portemonnaie leer war, sondern auch von seinem Familienbesitz wenig übrig geblieben war, quittierte er den Dienst und kehrte nach Friedrichshagen zurück, in der Hoffnung, wenigstens noch etwas retten zu können.

Den Mut, seiner Frau zu sagen, dass er nun immer hier bleiben würde und dass ihr Schicksal sehr ungewiss wäre, hatte er nicht. Stattdessen gab er bei seiner Ankunft ein opulentes Abendessen für den übernächsten Abend in Auftrag und ließ seine Nachbarn zu dem Fest seiner Rückkehr einladen.

Nachdem er die notwendigen Briefe geschrieben und Instruktionen erteilt hatte, ging er durch das weitläufige Gutshaus, das eher an ein Schloss erinnerte.

Im breiten Westflügel, der dem Spiegelsaal in Versailles nachempfunden war, blieb er stehen.

„Das war es also“, sagte er und drehte sich um. Die Vasen, die kleinen Statuen, die Leuchter – all das war nicht mehr seins.

Kameraden, die ihn an den vielen Abenden im Offizierscasino besiegt hatten, würden sie hinaustragen, unter den mitleidigen Blicken des Personals.

Und was noch schlimmer war, die Bankiers, die ihm erst ermöglich hatten, durch ihre großzügigen Kredite auch außerhalb des Offizierscasinos zu spielen, zu bedeutend höherem Einsatz, die würde man zwar nicht sehen. Aber man würde sehen, wenn sie – fernab in Berlin – mit einem Federstrich sein Schicksal und das seiner Familie besiegelten.

Achim von Wernher betrachtete sich in einem der Spiegel der Spiegelwand.

„Das war es also“, sagte er noch einmal. „Und keine Hoffnung?“

Er wusste, dass es keine Hoffnung gab. Zwar hätte er seinen Schwiegervater bitten können, ihm eine gewisse Summe zu leihen, sein Bruder hätte ihm sicher auch geholfen, aber er hätte sein erbärmliches Scheitern eingestehen müssen. Und diese Blamage wollte er sich ersparen.

An seine Familie hatte er dabei nicht gedacht. Einmal nur kurz, als er sich sagte, es wäre für sie besser, nicht mit einem Bankrotteur leben zu müssen. Aber das war, wenn er ehrlich war, nicht sein wahrer Grund für den Schritt, den er für unausweichlich hielt.

Er sah aus einem der Fenster in der langen Westfront. Die Vorhänge waren nicht zugezogen. Man hatte einfach nicht daran gedacht und auch nicht damit gerechnet, dass so spät im Sommer die Temperaturen so ansteigen könnten, und so tauchte die frühe Abendsonne den Saal in ihr goldenes Licht.

So, genau so hatte er es sich vorgestellt, als er den Bauauftrag erteilt hatte. Dieses Licht, diesen Saal – es fehlte nur die gewohnte heitere Gesellschaft. Und wenn die großen Lüster entzündet wären, die Paare, die über das Parkett schwebten.

Seine Frau saß mit den Kindern im Park unter der alten Eiche, wie immer im Sommer.

Es war der Lieblingsplatz der Familie. Dort hatte er seiner Frau den Heiratsantrag gemacht. Dort hatte sie ihm erzählt, dass sie schwanger war. Dort hatten sie viele gemeinsame Stunden verbracht, sie hatte gestickt, er hatte seine Pfeife geraucht und dabei die „Königlich Privilegierte Berlinische Zeitung“ gelesen. Später, als die Kinder da waren, hatten sie unter dem Baum gespielt. Er hatte an einem der unteren Äste eine Schaukel befestigt.

Der Baum und sein Schatten waren fast ihr Sommerzimmer gewesen all die Jahre lang.

Und jetzt sollte alles vorbei sein.

Einen Moment noch wollte er sie die Ruhe genießen lassen.

Er drehte sich um, verließ den Saal und ging in das benachbarte Arbeitszimmer.

Es war nicht weniger prächtig ausgestattet, doch daran fand er jetzt kein Interesse mehr.

Er zog die oberste Schreibtischschublade auf und entnahm ihr ein in Filz eingeschlagenes Päckchen. Vorsichtig öffnete er die Schleife, mit der es zusammengebunden war, und breitete den Filz auseinander. In seiner Hand lag seine Duellpistole. Er hatte sie von seinem Vater geschenkt bekommen, gerade als er achtzehn Jahre alt geworden war.

„Geh nicht leichtfertig mit ihr um. Gebrauche sie nur, wenn es gar nicht anders geht“, hatte sein Vater gesagt.

Achim von Wernher hatte sich immer daran gehalten.

Jetzt ging es nicht anders.

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