Читать книгу Himmelsfrost - Linda V. Kasten - Страница 11

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»Was ist das?«, fragte ich und berührte vorsichtig die kleine, verzierte Schatulle, die zwischen mir und Cora auf dem Boden stand.

Wir saßen auf dem Dachboden unseres kleinen Hauses. Cora hatte unter ein paar losen Dielen eine alte Schatulle hervorgeholt, die nun unheilvoll zwischen uns stand.

»Deine Eltern wollten, dass ich sie dir gebe, wenn du bereit dafür bist. Ich wollte noch ein paar Jahre warten, doch jetzt scheint mir der beste Zeitpunkt gekommen zu sein. Tom hat recht, du verdienst es die Wahrheit zu erfahren und es tut mir leid, dass ich… dass wir dich solange belogen haben. Wir wollten einfach, dass du sicher bist. Und nach dem Tod deiner Eltern… ich dachte, es sei endlich vorbei, aber jetzt da Soey und…«, ihre Stimme überschlug sich und ich nahm ihre Hand in meine. »Cora.«, meine Wut war verraucht und zurückblieb ein dumpfes Gefühl der Sorge. Noch nie hatte ich Cora so aufgewühlt erlebt. Ihre Hände zitterten und da war etwas in ihrem Blick, was ich seit langer Zeit nicht mehr gesehen hatte: Angst.

»Was bereitet dir solche Sorgen, Cora?«

Sie umklammerte meine Hand. »Ich liebe dich Skyler, das weißt du, oder?«

Überrascht blickte ich in ihre Augen. »Natürlich weiß ich das! Sag mir bitte, was los ist. Was macht dir solche Angst?«

Cora holte tief Luft. »Ich glaube, dass die, die deine Eltern getötet haben, jetzt hinter dir her sind.«

»Aber wir wissen doch gar nicht, ob sie wirklich ermordet wurden.«

Die Erwähnung des Todes meiner Eltern versetzte mir einen Stich.

Cora blickte auf die Kiste zwischen uns.

»Doch.«, flüsterte sie. »Doch Skyler, das wissen wir.«

Sie schob mir die kleine Schatulle entgegen.

»Meine Schwester hatte jemanden zum Feind, der so etwas wie Gnade nicht kennt.«

Mit zitternden Händen nahm ich sie entgegen. Der Deckel war mit Symbolen verziert, welche mir entfernt bekannt vorkamen. Langsam glitten meine Finger zu dem Verschluss. Als ich aufschaute, nickte mir Cora zu.

Ich zögerte. All die Jahre wollte ich wissen, was meinen Eltern zugestoßen war, doch plötzlich überkamen mich Zweifel. Meine Eltern waren für mich die zwei wichtigsten Menschen auf der Welt gewesen. Meine Vorbilder. Niemals würde jemand an sie heranreichen. Was war, wenn das, was sich in dieser Schatulle befand, dieses Bild von ihnen zerstören würde?

Doch nichts war schlimmer, als mit einer Lüge zu leben. Und ich wollte die Wahrheit wissen. Ich wollte wissen, wofür sie gestorben waren, wer sie ermordet hatte.

Ein dunkler Teil meiner Seele wollte nie glauben, dass sie in einen Sturm geraten waren, denn wie sollte man an einem Sturm Rache nehmen?

Ich würde es zwar niemals zugeben, doch all die Jahre hatte ich nicht nur trainiert, um eine Kriegerin zu werden. Ich wollte ihren Tod rächen. Denjenigen leiden lassen, der ihnen das angetan hatte. Der mir das angetan hatte.

Ich holte tief Luft und öffnete die Schatulle.

Ein Brief und ein silbernes Schmuckstück lagen darin.

Vorsichtig nahm ich es an mich. Es war die Kette, die meine Mutter immer bei sich getragen hatte. Außer an dem Tag, als sie und mein Vater nach Emyria aufgebrochen waren.

Vorsichtig strich ich über den Anhänger in Form einer Pfeilspitze.

»Sie hat ihn selbst gemacht.«

Ich blickte auf zu Cora.

»Sie war so stolz…«, ihre Stimme brach und sie wischte sich eine Träne von der Wange. »Sie ist aus Mondsilber gefertigt. Das härteste Material in ganz Elianya.«

»Und das Magischste.«, fügte ich hinzu.

»Ja.«, Cora schenkte mir ein kleines Lächeln. »Dein Vater hat ihn immer ihren kleinen Schutzengel genannt.«

Und er hatte sie all die Jahre beschützt, bis sie ihn ablegte, dachte ich verbittert.

»Komm her.«, Cora nahm mir die Kette aus der Hand und legte sie mir um den Hals.

»Danke.« Meine Stimme war nur noch ein Flüstern und ich blickte auf die Pfeilspitze, die so lange den Hals meiner Mutter geziert hatte.

Ich schloss für einen Moment die Augen, dann nahm ich den Brief aus der Schatulle.

Mein kleiner Vogel,

wenn Du meinen Brief liest, heißt das, dass Cora es für den richtigen Moment hielt, dir die Wahrheit über uns zu sagen.

Es tut mir so unendlich leid, dich belogen zu haben, aber glaub mir Skyler, es gab keinen anderen Ausweg. Vielleicht gab es einen, doch wir hielten diesen Weg für den Richtigen.

Du bist etwas ganz besonders, Sky, und das nicht nur, weil Du schlau und stark und wunderschön bist.

Du bist eine Wächterin. Nicht nur irgendeine: Du bist Skyler Liviana Eltarsia, meine wundervolle Tochter, die zukünftige Königin des Eises und wenn es stimmt, was die Prophezeiungen sagen, die Trägerin des Schicksals der Welten.

Seit dem Tod deiner Ur-Großmutter Liviana Eltarsia gab es keine richtig ausgebildete Königin des Eises mehr. Nach Ihr war meine Mutter an der Reihe Königin zu werden, doch Sie starb sehr früh. Da ich fliehen musste, als ich erfuhr, dass ich mit dir schwanger war, gab es seitdem keine auserwählte Königin mehr. Es ist fast wieder so wie vor tausend Jahren, als die Welten von Naturkatastrophen heimgesucht wurden. Die Natur und ihre Elemente dürfen nicht aus dem Gleichgewicht geraten. Es war egoistisch von mir wegzulaufen, das weiß ich jetzt, aber ich würde es wieder tun, Sky. Wir, dein Vater und ich, wir würden es wieder tun, nur damit Du in Sicherheit bist. Du bist das Wertvollste, das wir besitzen und diese, wie auch jede andere Welt, hat dich nicht verdient.

Es ist grausam von uns, dich so damit zu konfrontieren und es tut uns so unendlich leid, dass wir nicht mehr bei dir sein können.

Doch gleichgültig, für was du dich entscheidest, Sky, denk immer daran, du schuldest dieser Welt gar nichts. Wenn du dich dafür entschließt, einfach dein Leben weiterzuleben, wird dich niemand dafür verurteilen, weder dein Vater noch Cora und am allerwenigsten ich.

Ich bin mit dir weggelaufen, damit du ein sicheres Leben führen kannst. Ohne gejagt zu werden und jede Nacht voller Angst einschlafen zu müssen.

Du hast sicher von ihm gehört. Natürlich hast du von ihm gehört. Dem Lixh-Clan. Ein Haufen von Verrätern, die sich für etwas Besseres halten und jeden, der kein Wächter ist verachten und der Meinung sind, dass jeder Wächter alle Elemente beherrschen sollte und wir den anderen Welten nichts schuldig sind.

Aber ich sollte sie vermutlich nicht verurteilen, schließlich hab auch ich alle im Stich gelassen.

Der Grund, dass ich diesen Brief schreibe, ist, dass ich nicht weiß, wie lange ich noch zu leben habe. Dein Vater und ich haben etwas herausgefunden, dem wir auf den Grund gehen müssen.

Du musst wissen, dass du in Gefahr bist. Als ich vor vielen Jahren eine Prophezeiung an den Kristallfällen erhalten habe, dachte ich, sie beziehe sich auf mich, aber es scheint so, als hätte sie dich gemeint. Das bedeutet, dass du diejenige bist, die für das Gleichgewicht der Welten verantwortlich ist und das somit du es bist, hinter der der Lixh-Clan her sein wird.

Aber hab keine Angst, wir haben dafür gesorgt, dass sie dich niemals finden.

Du hast sicher eine Menge Fragen und Cora wird dir alles beantworten, wenn du sie darum bittest.

Gib ihr bitte nicht die Schuld daran, dass sie dir nicht die Wahrheit gesagt hat. Sie hat nur das getan, worum wir sie gebeten haben.

Wir lieben dich, Skyler! Vergiss das nicht. Wir werden immer über dich wachen, egal wo du bist und welche Entscheidungen du triffst.

Sei stark, kleiner Vogel!

Deine dich über alles liebenden Eltern,

Arabella & Geoffrey

Eine Träne tropfte auf den Brief.

Es schmerzte, die feine Handschrift meiner Mutter zu sehen und zu wissen, dass ihre Finger diesen Brief berührt hatten. Die Tatsache, dass ich mich nie von ihnen verabschieden konnte.

Ich legte den Brief beiseite und betrachtete die zweite Seite:

Jemand hatte sorgfältig die fünf Symbole der Wächter auf das zweite Blatt gezeichnet, vermutlich mein Vater.

Unter jedem Symbol stand jeweils das Element mit Übersetzung in noctarialïum.

Das erste Symbol war ein Dreizack, der an eine Welle erinnerte: Wasserwächter, Wayloc.

Unter einem Blatt, auf dem ein kleines, verschnörkeltes Symbol prangte, stand: Wächter der Natur - Naravaî.

Die Wächter der Lüfte hatten meiner Meinung nach das bemerkenswerteste Symbol:

Zwei weiße Flügel, deren Spitzen einen Kreis bildeten: Mallyc.

Fasziniert strich ich mit dem Finger über die Zeichnung. Sofort bildete ich mir ein, von einem leichten Luftzug im Nacken gekitzelt zu werden. Schnell zog ich die Hand wieder weg und schaute mir den Rest der Seite an.

Die nächste Zeichnung konnte ich nicht richtig deuten. In der Mitte war ein verschnörkeltes Symbol zu sehen. Es war schwarz wie Asche und schien an den Rändern zu lodern, als hätte jemand die Tinte in Brand gesetzt und über das Papier gekippt.

Ich streckte meine Hand aus, um es zu berühren, zog sie aber rasch wieder weg, als ich plötzliche Hitze spürte, die durch meinen Körper schoss.

Schon bevor ich die Unterschrift sah, wusste ich, dass dies das Symbol der Feuerwächter war: Fabylis

Das Symbol unter dem der Feuerwächter war das Symbol der Eiswächter, Dillian:

Das Bild zeigte eine Kugel aus Eis, die aussah, als werde sie in tausend Teile gesprengt. In der Mitte der Eissplitter befand sich ein merkwürdiger Gegenstand. Ich besah mir den Gegenstand genauer, konnte aber nicht nachvollziehen, was er darstellen sollte. Vielleicht einen Kompass?

Ich betrachtete die Symbole eine Weile, bevor ich den Brief zur Seite legte und nachdenklich in die Ferne schaute. Cora saß schweigend neben mir und schaute gedankenverloren in die Ferne. In ihren Augen spiegelte sich der Anflug eines schlechten Gewissens.

Das war alles zu viel. Ich sollte plötzlich eine Wächterin des Eises sein? Wieso hatte ich dann all die Jahre meine Magie nicht gespürt? So etwas musste man doch wissen, oder etwa nicht? Ich versuchte, in mich hinein zu horchen, doch dort war absolut gar nichts. Ich fühlte mich leer und hintergangen.

Himmelsfrost

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