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Als ich am nächsten Morgen erwachte, wusste ich einen Augenblick lang nicht mehr, wo ich mich befand, bis mit dem Gefühl des weichen Stoffes auf meiner Haut und dem Schmerzen der darunter liegenden Muskeln meine Erinnerungen langsam wieder zurückkehrten. Blinzelnd öffnete ich die Augen. Jemand hatte die Vorhänge geöffnet oder ich hatte vergessen sie gestern Abend zu schließen. Zumindest wurde mein Gesicht von warmen Sonnenstrahlen gewärmt. Vorsichtig erhob ich mich. Als meine Füße den kühlen Holzboden berührten, fröstelte ich. Ich zog mir einen weichen Morgenmantel über, welchen ich im Badezimmer fand und trat hinaus auf die Terrasse. Die kalte Morgenluft, die mir entgegenschlug, roch sauber und frisch. Mein Blick glitt über die Stadt bis hinüber zu den Bergen und genau wie am gestrigen Tag überkam mich ein seltsames Gefühl der Geborgenheit. Als es plötzlich an der Tür klopfte, zuckte ich erschrocken zusammen und schloss die Terrassentür.

Eine ältere Dame mit schneeweißem Haar betrat das Zimmer. »Guten Morgen.«

Sie schloss die Tür hinter sich und begann geschäftig in einem der Schränke zu kramen.

»Guten Morgen.«, erwiderte ich überrascht. Die Frau musste den verwirrten Unterton in meiner Stimme gehört haben, denn sie Schloss die Schranktür und kam auf mich zu. »Wie unhöflich von mir, ich bin Mrs. Cecil«, ich ergriff ihre ausgestreckte Hand. »Tja…«, ich hielt inne. Ich war es so sehr gewöhnt mich mit anderem Namen vorzustellen, dass ich ganz vergessen hatte, dass ich mich hier nicht verstecken musste und vermutlich sowieso jeder wusste, wer ich war. »Ich bin Skyler.« Meinen Nachnamen ließ ich trotz dessen unerwähnt. So fühlte ich mich einfach sicherer. Ich wusste nicht seit wann, doch der Name Eltarsia war für mich zu etwas geworden, was nur Unglück mit sich brachte.

Mrs. Cecil unterzog mich einer gutmütigen Musterung, dann nickte sie lächelnd. »Ja, man erzählte, du sähest deiner Mutter sehr ähnlich.« Ich wusste nicht, was ich darauf erwidern sollte also lächelte ich nur freundlich.

»Komm.«, sie schob mich sanft in Richtung eines kleinen Schminktisches. »Ich bin hier, um dir beim Einkleiden zu helfen.«

Ich verkniff mir den Kommentar, dass ich dazu wohl kaum Hilfe brauchte und setzte mich auf den Holzhocker. Während ich die alte Dame im Spiegel beobachtete, machte diese sich daran mein Haar zu bürsten. Sie hatte ein gutmütiges Gesicht und etliche Lachfalten kringelten sich um ihre Augen und ihren Mund. Ihr weißes Haar trug sie ordentlich zu einem Dutt hochgesteckt, welcher mit einem dunkelbraunen Band befestigt war, welches zu ihrem schlichten, blauen Kleid passte. Auf meinen Wunsch hin steckte sie mein Haar nicht in einem komplizierten Geflecht aus Haarnadeln hoch, sondern band sie mir zu einem hohen Pferdeschwanz zusammen. Trotzdem ließ sie es sich nicht nehmen, ein Teil der Haare an meiner Kopfhaut zu flechten. Nachdem sie fertig war, versuchte sie mich zu überreden in eins der vielen, durchaus wunderschönen Kleider zu schlüpfen. »Könnte ich nicht lieber etwas Unauffälligeres und Praktischeres anziehen?«, bat ich sie zögerlich. »Eine Hose erfüllt doch auch ihren Zweck.«

Bei dem Wort Hose verzog sie das Gesicht, gab jedoch nach und zog eine schwarze Lederhose aus dem Schrank. »Deine Mutter lief auch ständig in Hosen herum.«, erzählte sie missbilligend.

Ich schmunzelte, als ich den Bademantel ablegte und in die Hose schlüpfte. Meine Mutter hatte Kleider immer schon für unpraktisch gehalten. Als kleines Mädchen hatte sie mir das Bogenschießen beigebracht und ich konnte mich noch genau an ihre Worte erinnern, als ich eines Morgens in einem Kleid vor ihr stand. »Eine Kämpferin trägt nichts, worin sich ihre Beine verfangen könnten, außer es verschafft ihr einen Vorteil gegenüber dem Gegner.«

Ich strich über den glatten Soff der Hose und wünschte, sie wäre jetzt hier bei mir.

»Hier, ich denke, das gefällt dir.« Mrs. Cecil reichte mir ein schlichtes Schwarzes Top und ein Paar dunkelbraune Fellstiefel.

»Was ist eigentlich mit meinen Sachen passiert?«

»Ich hab sie in die Waschküche gebracht, sie waren ganz verdreckt.«

»Oh, vielen Dank.«

Die alte Dame klopfte mir liebevoll auf die Schulter. »Ein Dankeschön ist nicht nötig, dafür bin ich schließlich da.«, sie strich eine Falte meines Oberteils glatt. »Komm jetzt, du hast sicher Hunger.«

»Und wie.«, stimmte ich zu und folgte ihr aus dem Zimmer.

Nun da ich ausgeruht war, konnte ich mir, als ich Mrs. Cecil durch die Gänge folgte, die prachtvollen Wände und Gemälde endlich genauer anschauen. Alle paar Meter ließen bodentiefe Fenster das Sonnenlicht herein und bei denen, die geöffnet waren, bewegten sich die blauen Vorhänge sachte im Wind. Ich bewunderte die abwechselnd goldenen, dann wieder silbernen Verzierungen. Wir kamen an der Haupttreppe vorbei und folgten dem Gang weiter geradeaus zu einer schlichten, grau-weißen Steintreppe, welche sich in eine Spirale nach oben wandte. Die Treppe führte in einen geräumigen Flur, welcher sich zu einem großen Saal öffnete. Große Säulen stützten die kuppelartige Decke, die mit hellblauen und silbernen Malereien verziert war. An den Säulen standen vereinzelnd weiße Marmorstatuen und durch die hohen Fenster fiel warmes Morgenlicht, das durch den Schnee und die helle Farbgebung des Raumes noch strahlender erschien.

In der Mitte des Raumes wurden die silbernen Töne immer mehr von goldenen Verzierungen bis hin zu dem blattgoldenen Kronleuchter abgelöst.

Ich hätte mich am liebsten weiter umgeschaut, doch an der Tafel vor uns, welche nicht mal einen kleinen Teil des Raumes einnahm und mit den unterschiedlichsten Köstlichkeiten gedeckt war, wurden wir bereits erwartet. Eine Frau kam uns entgegen, als wir uns der Tafel näherten. Sie trug genau wie ich eine schwarze Lederhose, was mir ein kleines Schmunzeln entlockte, besonders als sie sich mir als Megan Missrill, die Königin des Eises, vorstellte. Ihr hellblondes Haar viel ihr glatt bis über die Schulter. Trotz ihrer eher schlichten und pragmatischen Kleiderwahl trug sie ein silbernes Diadem mit einem eisblauen tropfenförmigen Saphir.

»Setzt euch. Man sollte den Tag niemals ohne ein gutes Frühstück beginnen.«

Ich setzte mich neben Cora, welche bei den Worten der Königin zustimmend nickte. Mrs. Cecil wollte sich verabschieden, doch die Königin des Eises hielt sie lächelnd zurück. »Leisten sie uns doch etwas Gesellschaft und essen mit uns.«

Meine anfängliche Nervosität nahm ein wenig ab. Die Königin hatte eine freundliche und ruhige Ausstrahlung, in deren Gegenwart man sich einfach wohlfühlen musste. Ich konnte kein Zeichen der Überheblichkeit in ihrem Blick erkennen und die Tatsache, dass sie praktikable Kleidung, schönen und aufwendigen Kleidern vorzog, machte sie in meinen Augen noch sympathischer. Am Tisch saßen des Weiteren noch die beiden Lichtkrieger, welche uns gestern Abend empfangen hatten, Jonathan und Lucian sowie zwei die ich nicht kannte. Eine davon war eine junge Frau. Sie reichte mir einen Korb mit Brot, den ich dankbar entgegennahm.

Eine Weile aßen wir alle schweigend. Ich war wie ausgehungert und das Essen schmeckte köstlich. Ich wusste nicht, ob es an meinem Hunger lag, oder der Tatsache, dass ich mich zwei Tage lang nur von trockenem Brot und Äpfeln ernährt hatte, doch ich hatte in meinem ganzen Leben noch nie so gut gegessen.

Als alle mehr oder wenige fertig waren, ergriff Megan, welche uns gebeten hatte, sie doch bitte nur mit ihrem Vornamen anzusprechen, das Wort.

»Wollt ihr uns erzählen, was vorgefallen ist? Euer Auftauchen kam sehr überraschend für uns. Besonders wenn ihr bedenkt, dass ihr vor einigen Tagen noch als verschollen galt und man sich nicht einmal sicher war, ob ihr überhaupt noch lebt.«

Ich warf Cora einen Blick zu, dann erzählte ich von Ayden, dem Lixh-Clan, welcher uns scheinbar dicht auf der Spur war, unserer Reise und nach kurzem Zögern auch von Soey und wie der Clan sie vergiftet hatte, da er sie für mich hielt. Als ich endete, bildete ich mir ein, einen Schatten hinter den Säulen vorbeihuschen zu sehen. Vermutlich nur eine Täuschung des Lichts.

Megan erzählte uns, dass sie nach dem Verschwinden meiner Mutter, nachdem das Reich ein Jahr ohne Führung auskommen musste, vom Elementarium in das Amt der Königin gewählt wurde. »Ich gebe zwar mein Bestes, doch an vielen Stellen sind trotzdem die Auswirkungen zu spüren, dass seit so langer Zeit keine rechtmäßige Erbin der königlichen Eismagier an der Macht war.«

Die Lichtkriegerin, welche mir das Brot gereicht hatte, nickte besorgt.

»Wie ihr bereits wisst, muss Skyler erst den Test bestehen, den jeder Wächter in jungen Jahren vollziehen muss, um eine richtige Wächterin zu werden. Und wie alt bist du? Neunzehn?«

Ich nickte.

»Gut, ich hoffe, wir sind uns alle in dem Punkt einig, dass es keinen Zweck hätte sie nach Loralliea zu schicken, da sie schon zu alt ist und die Ausbildung so keinen Sinn mehr machen würde, da die meisten Wächter mit achtzehn ihren Abschluss machen und sie viel zu viel nachzuholen hätte.«, fuhr sie fort und ließ mir keine Zeit auf ihre Frage zu antworten.

»Aber hat sie überhaupt das Wissen, um den Test bestehen zu können?«, fragte einer der Wächter, den ich nicht kannte.

»Es geht nicht darum, zu bestehen, sondern einem Element zugeordnet zu werden. Ich bin mir gar nicht sicher, ob man überhaupt durch den Test durchfallen kann.«, erwiderte Jonathan.

Megan nickte. »Der Test dient vor allem dem Zweck herauszufinden, ob Skyler tatsächlich Arabellas Erbin ist. Das Kind lebte all die Jahre versteckt von der Magie. Sie könnte genauso gut nach der Familie ihres Vaters kommen und der Naturmagie mächtig sein.«, sie blickte zu mir »Sollten wir nach diesem Test feststellen, dass du die wahre Königin und Nachfolgerin des Eises bist, werde ich natürlich meine Krone an dich weitergeben. Mir liegt einzig und allein das Wohl des Reiches am Herzen. Du sollst nicht denken, ich hätte mir die Krone unter den Nagel gerissen, sobald deine Mutter weg war.«

Ich schüttelte bestürzt den Kopf. »Nein, natürlich nicht. Das habe ich nie angenommen.«, ich verzichte darauf zu erwähnen, dass ich selber nicht im Geringsten den Wunsch hegte, die nächste Königin zu werden.

»Gut.«, sie lächelte.

»Also, sind wir uns alle einig so schnell wie möglich nach Nerehliea zu reisen?«, fragte Lucian Orage. Er spielte nervös an einem Stück Orangenschale herum.

Megan nickte. »Ich würde sagen vier Tagen müssten reichen, damit sich Cora und Skyler erholen können und wir alles für die Reise bereitmachen können.

Würdest du bitte ein Schreiben in das Gläserne Schloss schicken?«, sie wandte sich an eine junge Lichtkriegerin.

»Schon erledigt.«, diese verabschiedete sich und eilte aus dem Raum.

»Was passiert mit dem Verräter?«, fragte ich vorsichtig.

»Wir übergeben ihn dem Rat, er wird entscheiden, was mit ihm passiert.«, erklärte Megan.

»Der Junge hat bestimmt ein paar interessante Informationen.«, fügte Lucian grimmig hinzu.

»Sollten wir nicht besser auf Tom warten, bevor wir aufbrechen?«, warf Cora besorgt ein. »Er wollte uns so schnell wie möglich folgen, doch was ist wenn ihm etwas passiert ist?«

Jonathan legte ihr beschwichtigend eine Hand auf den Arm. »Ich wollte es dir gleich in aller Ruhe erzählen: Tom hat mir heute Nacht eine Nachricht zukommen lassen. Er verfolgt eine vielversprechende Spur des Clans. Du sollst dir keine Sorgen machen. Er kommt zurück, sobald er neue Informationen hat.«

Cora blinzelte angestrengt, vermutlich um ihre Tränen zurückzuhalten. »Aber das muss er doch nicht alleine machen! Wieso ist er nicht zuerst hierher gekommen? Es ist viel zu gefährlich auf eigener Faust dem Clan hinterherzujagen.«

»Vertrau mir Cora, er schafft das. Du wirrst sehen, er kommt in einem Stück zu uns zurück und bis dahin versuch dir nicht allzu viele Sorgen zu machen.«, antwortete Jonathan.

»Das sagst du so leicht.«, murmelte meine Tante.

Megan brach das Schweigen, welches darauf folgte, indem sie sich an mich wandte. »In der Zeit, in der wir alles vorbereiten, kannst du dir gerne die Stadt und das Schloss anschauen. Wenn du fragen hast, steht dir Mrs. Cecil bestimmt zu Verfügung.«

»Natürlich.« Die alte Dame nickte. »Wenn du möchtest, kann ich dir die Bibliothek zeigen, kommst du nach deinem Vater, wird sie dir mit Sicherheit gefallen.«

»Eine großartige Idee.«, stimmte Megan zu. Sie warf einen Blick in die Runde, dann erhob sie sich »Sehr schön, dann sehen wir uns heute Abend.«

Sie verabschiedete sich und verließ zusammen mit Lucian du dem anderen Lichtkrieger den Raum.

Mrs. Cecil erhob sich ebenfalls. »Wollen wir?«

Ich warf Cora einen fragenden Blick zu, diese nickte mir zu. »Geh schon, du wirst sie lieben.«

Ich schenkte ihr ein kleines Lächeln. »Ich bin gespannt.«

Wir ließen Cora und Jonathan alleine zurück und erneut folgte ich der alten Dame durch das Schloss. Anstatt die Wendeltreppe wieder nach unten zu nehmen, folgten wir dem Gang bis zu einer schweren, weißlackierten Holztür.

»Ich habe noch einiges zu erledigen, aber ich denke, hier bist du erst einmal beschäftigt.«

Ich bedankte mich bei ihr und versicherte, dass ich mich auch ohne ihre Hilfe zurechtfinden würde.

»Ich komme heute Abend und hole dich zum Abendessen ab. Falls du mich doch suchen sollest, in der Nähe des Eingangsportals findest du die Küche und dahinter den Dienstboten Trakt, dort ist immer jemand, der dir weiterhelfen kann.«

Mit diesen Worten verschwand sie in den Gängen des Schlosses und ich öffnete die Tür zur Bibliothek.

Was ich sah, verschlug mir den Atem. Ich wusste nicht, wo ich zuerst hinabschauen sollte. Man hatte einen Teil Bibliothek scheinbar in den Turm des Schlosses gebaut, denn mein Blick wanderte eine scheinbar endlose Spirale aus Büchern nach oben. Genau wie der Rest des Schlosses war alles in hellen Tönen gehalten. Bücherregale aus Birkenholz säumten die weißen Wände. Das Licht, welches durch die Fenster in die Kuppel fiel, ließ die hellen Marmorfliesen im Sonnenlicht funkeln. Ich wagte mich weiter vor und strich staunend über den Rücken einiger Bücher. Eine Wendeltreppe schlängelte sich rechts von mir hoch zu den beiden anderen Etagen. In der ersten Etage standen, fast schon willkürlich verteilt, Tische, auf denen jeweils kleine Feuerkugeln in Glasgefäßen die Arbeitsflächen erhellten. Ich atmete tief den Geruch von Pergament und alten Büchern ein. Die Sonnenstrahlen erleuchteten einzelne Staubpartikel, welche durch den Raum tanzten. Eine beruhigende Stille umgab die ganze Atmosphäre. Eine Stille, die voll von alten Erinnerungen und Geschichten zu sein schien. Ich schloss für einen Moment die Augen. In meinen geschlossenen Augen bildete sich eine Träne. Ein Ort wie dieser beinhaltete so viele Geschichten, hinter der jeweils die Seele der Person verborgen lag, die sie geschrieben hatte. Der ganze Raum hatte etwas Geheimnisvolles, aber auch gleichzeitig etwas Geborgenes an sich. Wie eine Decke, die sich schützend über all jene legt, die diesen Ort betraten.

Ein Poltern gefolgt von einem leisen Fluchen riss mich aus meinem Erstaunen und ließ mich erschrocken zusammenfahren.

Ich drehte mich um, konnte jedoch den Ursprung des Lärms nicht ausmachen.

»Du bist so ein Tollpatsch, das kann schon fast als Krankheit eingestuft werden.«, ertönte eine männliche Stimme nicht weit von mir.

»Ach sei doch still, du hast mich geschupst.«, antwortet eine weibliche.

»Natürlich, weil ich dich auch über drei Regalreihen hinweg schubsen kann.«

Ich näherte mich zögernd den Stimmen und als ich hinter einem der Regale hervorlugte, stand ich plötzlich zwei jungen Wächtern gegenüber. Beide schienen ungefähr in meinem Alter zu sein, auch wenn das Mädchen, welches auf dem Boden kniete und die Bücher aufhob, ein sehr junges Gesicht hatte und ihre Augen angriffslustig den Jungen anfunkelten, der ihr schmunzelnd dabei half die Bücher zurück in die Regale zu stellen. Als die beiden mich bemerkten, hielten sie inne und starrten mich an. Das Mädchen richtete sich auf und klopfte sich den Staub von ihrem Kleid.

»Ähm… hallo, ich wollte euch nicht stören, ich hab es nur rumpeln gehört und dachte, ich schau mal nach was passiert ist…«, verlegen hielt ich inne.

Das Mädchen hatte sich schneller als der Junge wieder gefasst und streckte mir freundlich ihre Hand entgegen. »Ach, du störst doch nicht. Ich bin Alice McRian und das hier ist Eric.«

Der Junge nickte mir zu. »Eric Clivton.«

Ich lächelte die beiden verlegen an. »Freut mich, ich bin…«

»Skyler Eltarsia. Ja, das ist kaum zu übersehen.«, beendete das Mädchen namens Alice meinen Satz.

Verdattert blickte ich die beiden an. »Wie bitte?«

Der Junge, Eric, schob Alice ein Stück zur Seite und warf ihr einen resignierten Blick zu. »Tut mir Leid, Alice kann manchmal etwas impulsiv sein.«

»Entschuldige bitte?!«, gab diese zurück und stieß dem Jungen leicht in die Seite.

Er ignorierte sie und fuhr an mich gewandt fort »Was Alice sagen wollte, ist, dass viel über dich gesprochen wird und die Nachricht das Arabellas Tochter, ihre Nachfolgerin und Königin des Eises zurückgekehrt ist, sich schnell verbreitet hat.«

»Oh…«, ich wusste nicht, was ich sagen sollte und strich mir verlegen durchs Haar.

»Du siehst deiner Mutter tatsächlich unglaublich ähnlich.«, fügte Alice hinzu und drängte sich an Eric vorbei.

»Woher kennt ihr meine Mutter?«, fragte ich verwundert. Wenn ich Recht hatte und die beiden ungefähr zwischen achtzehn und zwanzig Jahre alt waren, konnten sie meine Mutter nicht kennengelernt haben.

Alice stellte die letzten Bücher zurück in das Regal und schenkte mir ein Lächeln. »Komm mit, ich zeig dir was.«, sie griff nach meiner Hand und zog mich hinter sich her.

Eric hatte recht, sie war ein sehr impulsiver Mensch.

Ich hatte Mühe, auf der Treppe nicht zu stolpern, und stellte mit Enttäuschung fest, dass sie mich aus der Bibliothek heraus führte. Hinter mir hörte ich Eric seufzend murmeln: »Das zum Thema für die Abschlussprüfungen lernen.«

Nachdem Alice mich durch das halbe Schloss gezerrt hatte und ich nun vollkommen die Orientierung verloren hatte, betraten wir einen Saal, an dessen Wänden ältliche Gemälde hingen. Alice ließ meine Hand los und deutete in den Raum hinein. »Hier hängen Bilder von allen Königinnen und Königen des Eises, die jemals geherrscht habe.«

»Und von einigen Adelsfamilien.«, fügte Eric hinter mir hinzu.

»Komm.«, Alice winkte mich zu sich. Sie stand vor einem Porträt, auf dem eine sehr junge Frau und ein ebenso junger Mann abgebildet waren. Der Mann hatte eine Hand auf die Schulter der Frau gelegt. Sie hatte dunkles langes Haar, welches offen über ihre Brust viel und sie schien den Betrachter des Porträts mit leicht zusammengekniffenen Augen zu mustern. Ich kannte diesen Blick. Wie könnte ich ihn jemals vergessen. Doch was das Bild nicht zeigte, war das liebevolle Glitzern hinter dem starren und kritischen Blick sowie das sanfte Lächeln, welches von Zeit zu Zeit ihre Lippen umspielte. Spätestens der Bogen, den die Frau in der Hand hielt, räumte alle weiteren Zweifel, wen das Bild darstellte, aus dem Weg. Der Künstler hatte präzise jedes auch noch so kleine Detail beim Malen beachtet, sodass man vereinzelnd Runen auf dem Griff ausmachen konnte. Es waren dieselben Runen, die meinen Bogen zierten. Sehnsüchtig betrachtete ich das Porträt und unterdrückte den Impuls meine Hand nach meinen Eltern auszustrecken.

»Es ist wunderschön.«, flüsterte ich. »Vielen Dank.«

Alice schenkte mir ein trauriges Lächeln. »Ich dachte, du möchtest es vielleicht gerne sehen.«

Ich nickte. »Ja.«

Nach einer Weile brach Eric das Schweigen. »Wir hörten, ihr brecht in ein paar Tagen nach Nerehliea auf?«

Ich zog eine Augenbraue nach oben. »Wo habt ihr das denn gehört? Ich dachte, das wäre streng vertraulich wegen des Lixh-Clanes und seinen Angriffen?«

Er verzog ertappt das Gesicht. »Naja, das ist es auch eigentlich…«

Ich drehte mich zu Alice um. »Eigentlich?«

Diese strich sich mit einem Anflug von Verlegenheit eine Haarsträhne aus dem Gesicht. »Verrate uns nicht ja? Wir können nichts dafür, dass wir so neugierige Menschen sind.«

Eric nickte. Ich schüttelte den Kopf und musste schmunzeln. Das war also der Schatten gewesen, den ich im Speisesaal gesehen hatte. »War ja klar, dass ich auf die einzigen beiden Leute in diesem Schloss stoße, die nichts als Ärger bedeuten.«

Alice lachte verschmitzt. »Ein bisschen Ärger von Zeit zu Zeit kann ganz schön spaßig sein.«

Jetzt lachte auch Eric. »Apropos Spaß, wenn du noch ein paar Tage Zeit hast, bis ihr aufbrecht, solltest du dir dringend die Stadt angucken.«

»Das stimmt, wir können dir alles zeigen, wenn du magst.«, stimmte Alice ihm zu.

Ich überlegte. Ich wusste nicht, ob es eine so gute Idee war, alleine außerhalb des Schlosses herumzuwandern, wenn man die Tatsache bedenkt, dass der Lixh-Clan uns schon dicht auf den Fersen sein konnte und das Rätsel um Aydens Dämon immer noch nicht gelöst war. Doch andererseits waren überall in der Stadt Wachen postiert und Alice und Eric würden mich sicherlich nicht in irgendwelche abgelegenen, schaurigen Ecken führen - hoffte ich zumindest. Außerdem würde ich so auf andere Gedanken kommen. Es half niemandem und am wenigsten mir selber, wenn ich nur im Schloss herumwanderte und Trübsal blies. Obwohl mich der Gedanke, noch einmal die große Bibliothek zu erforschen, schon ziemlich reizte.

Nach kurzem Abwägen zuckte ich schließlich zustimmend mit den Schultern. »Ja gerne, warum nicht.«

Alice klatschte aufgeregt in die Hände. »Fantastisch!«

An der großen Treppe, welche zum Eingangsportal führte, trennten wir uns und verabredeten uns in einer halben Stunde draußen auf dem Schlosshof.

Himmelsfrost

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