Читать книгу Himmelsfrost - Linda V. Kasten - Страница 14

6

Оглавление

Am nächsten Morgen stand ich bereits vor Sonnenaufgang in der Küche. Ich hatte die ganze Nacht nicht richtig geschlafen, wie auch, nach den gestrigen Ereignissen. Cora lehnte gegenüber von mir an der Küchentheke und reichte mir einen Apfel. Normalerweise bestand sie darauf, dass man den Tag nicht ohne ein ausgewogenes Frühstück beginnen sollte, doch heute schien selbst ihr der Appetit vergangen zu sein. Aus dem Küchenfenster aus beobachtete ich, wie Tom die Pferde sattelte und aufbruchsbereit machte.

Nachdem Cora und ich ihm eine Weile gedankenverloren zugesehen hatten, reichte sie mir ein Fläschchen mit einer durchsichtigen Flüssigkeit.

»Das Nelkenextrakt für die Reise.«

Ich beäugte die leicht trübe Flüssigkeit und schwenkte sie skeptisch hin und her.

»Gib ihm nicht zu viel davon. Nur alle paar Stunden ein paar Tropfen, sodass es gerade reicht um seine Magie zu blocken.«, erklärte sie mir.

»Was passiert, wenn ich ihm zu viel gebe?«, fragte ich.

Cora zuckte mit den Schultern. »Halluzinationen, Schwächeanfälle, bis hin zu Vergiftung.«

Als sie meinen Blick sah, hob sie warnend einen Finger. »Wir sollten ihn lebend nach Dyllis bringen.«

Ich seufzte halb im Spaß. »Na schön.«

Ich füllte ein Becher mit Wasser, träufelte ein paar Tropfen des Nelkenextrakts hinein und machte mich auf den Weg zur Scheune. Es war ein klarer, kühler Morgen und ich sog begierig die frische Luft in mich ein. Der Himmel wurde von der in Kürze aufgehenden Sonne in ein sanftes Orange getaucht. Wäre die Situation eine andere, hätte ich den Morgen als schön und friedlich bezeichnet und mir einen Moment Zeit genommen, um den Sonnenaufgang zu betrachten.

An der Scheune angekommen hielt ich inne und atmete einmal tief durch. Ayden Blake saß genau wie am Tag zuvor mit den Rücken gegen den Holzpfeiler gelehnt. Als ich mich ihm näherte, hob er den Kopf und musterte mich durch zusammengekniffene Augen.

»Trink das!«, forderte ich ihn auf und hielt ihm den Becher entgegen.

»Du glaubst doch nicht allen Ernstes, dass ich nicht weiß, was du unter das Wasser gemischt hast?«

Ich stellte den Becher vor ihm ab. »Doch, aber du kannst auch einfach verdursten. Das ist mir relativ egal. Dich bewusstlos zu schlagen wäre sowieso viel einfacher und effektiver.«

Ayden warf mir einen vernichtenden Blick zu.

Draußen vor der Scheune traf ich auf Tom, der gedankenverloren den Hügel hinauf blickte. Als er mich sah, nickte ich Richtung Scheune. »Kümmerst du dich um ihn?«

Eine halbe Stunde später waren wir bereit zum Aufbruch. Tom hatte Ayden auf den Rücken einer braunen Stute gefesselt und das Pferd mit den Zügeln an Coras Hengst festgebunden.

Ich saß bereits auf meinem dunklen Rappen Gladier, während Cora Tom ein letztes Mal umarmte. Sie klammerte sich regelrecht an ihn, während er ihr beruhigend ins Ohr flüsterte.

»Ich komm in ein paar Tagen nach, versprochen.«

Ich konnte verstehen, warum sie solche Angst hatte. Sie hatte schon einmal jemanden verloren, der ihr versichert hatte in ein paar Tagen wieder zurück zu sein.

»Ihr müsst jetzt los.« Sanft löste Tom sich aus Coras Griff und hob sie mit einem Ruck in den Sattel.

Er wandte sich mir zu und drückte kurz meine Hand. »Passt gut auf euch auf.«

Ich nickte. »Wir sehen uns in ein paar Tagen.«

Ich warf einen letzten Blick auf Cora, dann gab ich Gladier die Sporen und trabte den Hügel hinauf.

Am Waldrand gab ich Cora ein Zeichen anzuhalten. »Warte hier auf mich, ich muss noch etwas erledigen, bevor wir aufbrechen.«

Cora blickte mich besorgt an. »10 Minuten.«

Ich nickte. »10 Minuten.«

Damit preschte ich los in Richtung Marktplatz. Die Straßen waren noch verlassen und dunkel als ich von meinem Pferd stieg und die Tür zur Schenke öffnete. Augenblicklich schlug mir der vertraute Geruch entgegen. Gerade als ich den Mund öffnete, um nach Evenak zu rufen, hörte ich leise Stimmen aus der Küche.

Ich lief ein paar Schritte in den Raum hinein und sah zwei Gestallten in der offenen Tür zur Küche stehen.

Evenak, der wie immer einen Lappen in der Hand hielt, als wäre er drauf und dran den Tresen zu wischen und noch ein zweiter Mann, welcher mir jedoch den Rücken zugewandt hatte. Als Evenak mich sah, blitzte für einen Augenblick Angst in seinen Augen auf. Erst da nahm ich seine angespannte Haltung wahr und die Hand, die unruhig über den Griff seines Dolches an seinem Gürtel fuhr. Ich wollte meine Klinge ziehen, doch Evenak formte etwas mit dem Mund. Und als ich nicht reagierte noch einmal: Verschwinde.

Ich zögerte ein Moment, bis ich die Tätowierung im Nacken des Fremden sah. Eine beflügelte Schlange.

»Ich habe keine Ahnung, wen sie suchen oder was sie wollen aber sollte ich etwas hören, sind sie der Erste, der es erfährt.«, hörte ich Evenak sagen. Der Spott in seiner Stimme war kaum zu überhören.

Ich zog einen Dolch aus meinem Gürtel und legte ihn auf den Tisch neben mir, dann formte ich mit den Lippen ein Lebwohl und zog mich leise aus der Schenke zurück. Draußen angekommen sprang ich auf mein Pferd und galoppierte los. Ein schlechtes Gewissen beschlich mich, als ich mir einen Weg durch die engen Straßen bahnte. Der Dolch sollte ein Abschiedsgeschenk sein, ein Zeichen meiner Dankbarkeit. Auch wenn wir all die Jahre nicht besonders viel miteinander gesprochen hatten, hatte er doch trotzdem immer auf mich achtgegeben und ich war ihm unendlich dankbar dafür.

Am Waldrand angekommen gab ich Cora aus der Ferne ein Zeichen loszureiten. Ayden hing mehr auf seinem Pferd, als dass er saß. Als Cora angaloppierte, rutschte er ein Stück nach unten und klammerte sich an den Sattel. Seine Haut war aschfahl und sein Haar klebte schweißnass in seinem Gesicht. Der Nelkenextrakt schien ihm auf Dauer nicht gut zu bekommen.

Wir ritten den ganzen Tag und hielten nur einmal an, um die Pferde aus einem Bach trinken zu lassen.

Als die Sonne immer weiter Richtung Horizont wanderte und die Bäume bedrohliche Schatten auf den Boden warfen, hielten wir die Augen nach einem Quartier für die Nacht offen. Mit dem Verschwinden der letzten Sonnenstrahlen gelangten wir an einen See. Das Ufer war felsig und vereinzelnd mit Kiefern bewachsen, welche ein gutes Versteck für die Nacht boten.

Während Cora begann Schutzzauber zu errichten, kümmerte ich mich um die Pferde und unseren Gefangenen. Ayden war kaum noch bei Bewusstsein und protestierte nicht als ich ihn vom Pferd zog und an einen Baum fesselte.

Mein schlechtes Gewissen meldete sich erneut, als ich die dunklen Schatten unter seinen Augen und den Bluterguss an seinem Wangenknochen sah.

Cora, die mit einem Arm voller Zweige aus dem Wald zurückkam, nickte in seine Richtung. »Du kannst ihn losbinden, er kommt nicht über meinen Schutzwall.«, als sie sah, dass ich zögerte, fügte sie hinzu: »Vertrau mir. In seinem Zustand würde er sowieso nicht weit kommen.«

Da hatte sie vermutlich recht. Also löste ich seine Fesseln und stieß ihn vorsichtig mit meinem Schuh an, bis er endlich die Augen öffnete und zu mir hochblickte.

»Du siehst scheiße aus.«, mit den Worten reichte ich ihm meine Wasserflasche.

Er machte keine Anstalten sie entgegen zu nehmen, sondern musterte mich nur skeptisch aus halb geschlossenen Augen.

»Es ist Wasser.«, fügte ich hinzu. »Nur Wasser.«

Ich schraubte den Verschluss ab und nahm einen kleinen Schluck aus der Feldflasche, dann hielt ich sie ihm erneut hin. Diesmal nahm er sie entgegen und trank zögerlich einen kleinen Schluck. Als er sich sicher war, dass ich ihm wirklich nur Wasser gegeben hatte, nahm er einen größeren Schluck.

Ich überließ ihm die Flasche und lief ein Stück am Rande des Sees entlang. Ein leichtes Kribbeln auf der Haut sagte mir, dass ich fast am Rand von Coras Schutzmauern war. Vorsichtig ließ ich mich auf einen Felsen am Ufer nieder. Der Nebel hatte sich verzogen und eine schmale Mondsichel bildete sich am Himmel ab. Etwas von mir entfernt hatte sich Cora in eine Decke gewickelt an das Feuer gelegt. Wir hatten ausgemacht uns kurz nach Mitternacht mit der Wache abzuwechseln. Cora und ich hielten es für klüger, wenn einer wach blieb und die Umgebung im Auge behielt. Zwar waren Coras Schutzzauber stark, doch mit einem Gefangenen des Lixh-Clans sollte man kein Risiko eingehen. Die Kälte kroch langsam unter meine Haut, doch anstatt zu Cora ans Feuer zu gehen, zog ich meinen Umhang noch fester um mich und setzte die Kapuze auf. Als ich den Schein der Flammen beobachtete, fühlte ich mich plötzlich schrecklich einsam. Das Alles fühlte sich so unglaublich falsch an. Die Tatsache, dass mich jeder belogen hatte, dass wir den Ort verlassen mussten, den ich über die Jahre als mein Zuhause akzeptiert hatte und die Tatsache, dass ich Soey an diesem einsamen Ort zurückließ. Mein Blick wanderte hinauf zu den Sternen. Ob sie mich wohl beobachtete?

Nachdem ich eine Weile gedankenverloren dagesessen hatte, hörte ich plötzlich das Rascheln von Laub hinter mir und fuhr alarmiert herum, doch es war nur Ayden, der sich ein Stück entfernt von mir ans Ufer setzte. Dieses kurze Stück hatte ihm bereits so viel Anstrengung gekostet, dass sämtliche Farbe aus seinem Gesicht gewichen war.

Er blickte zu mir herüber und unsere Augen trafen sich für einen Moment.

»Du siehst traurig aus.«, stellte er fest.

Ich wollte etwas Bissiges erwidern, doch ich war zu müde und die Tatsache, dass es ihm so schlecht ging, zeigte, dass ich meine Wut schon genug an ihm ausgelassen hatte. Wir würden ihn in Dyllis dem Rat übergeben und er würde seine Strafe erhalten.

»Lixh ist noctarialïum.«, stellte ich fest und ignorierte seine Feststellung. »Was bedeutet es?«

»Es bedeutet Chamäleon.«, beantwortete er meine Frage.

»Der Clan des Chamäleons?«

Ayden nickte. »Ein Chamäleon kann seine Hautfarbe passend zur Umgebung ändern. Genauso wie jeder Wächter sich seiner Umgebung anpassen können sollte. Ob Feuer oder Wasser, ganz egal.« Sein Blick wanderte hinaus auf den See. Und in seinen Augen blitzte so etwas wie Traurigkeit auf.

»Außerdem sind sie drachenähnlich und unser Anführer hat da so seine Schwächen.«, fuhr er fort.

»Du hast ihn noch nie gesehen? Euren Anführer meine ich.«

Ayden schüttelte den Kopf. »Niemand kriegt ihn zu sehen. Zumindest niemand mit meinem Rang. Er überlässt uns die Drecksarbeit und plant alles aus sicherer Entfernung.«

Ayden zuckte zusammen, als hätte er etwas Falsches gesagt. Neugierig blickte ich zu ihm hinüber.

»Wieso arbeitet ihr für jemanden, den Niemand zuvor gesehen hat? Wie könnt ihr sicher sein, dass er der ist, der er vorgibt zu sein. Wieso vertraut ihr - vertraust du jemandem, mit dem du noch nie geredet hast?«, fragte ich. »Ich meine wie kannst du sicher sein, dass seine Ideale auch deine sind? Wie kannst du blind jemandes Drecksarbeit machen…«, griff ich seine Wortwahl auf, »…ohne zu wissen welchen tieferen Sinn sie erfüllt?«

Er wandte sich mir zu und erwiderte meinen Blick »Weil wir alle etwas wollen und er es uns geben kann.«

Eine Gänsehaut breitet sich auf meinen Armen aus und meine Hand wanderte automatisch zu der Pfeilspitze an meinem Hals.

»Und was ist es, dass du willst, Ayden Blake?«

Er beugte sich ein Stück vor, als erwäge er, mir zu antworten, doch besann sich dann eines Besseren und schenkte mir stattdessen ein gequältes Lächeln, bevor er wieder hinaus auf den See blickte.

Eine Weile schwiegen wir, dann sagte Ayden plötzlich: »Das mit deiner Freundin tut mir leid.« Ich wollte zu einer bissigen Erwiderung ansetzen, doch er fügte hinzu. »Ich weiß wie es ist jemanden zu verlieren, den man liebt. Der Tod deiner Freundin war grausam und unnötig und so etwas hat niemand verdient.«

Ich stieß zitternd den Atem aus. »Wie kannst du so etwas sagen, wenn doch dein Clan dafür verantwortlich ist?«

»Es ist nicht mein Clan. Ich befolge lediglich Befehle. Meine Seele gehört mir allein und ich würde niemals grundlos auf Befehl töten.«

Ich schnaubte. »Das spielt doch keine Rolle. Vielleicht tötest du sie nicht durch deine eigene Hand, aber die Leute, für die du arbeitest, die du unterstützt und deren Befehle du blind befolgst, diese Leute haben tausende unschuldige Menschenleben auf dem Gewissen.«

»Ich habe meine Gründe. Du hast kein Recht, mich zu verurteilen. Du weißt rein gar nichts über mich.«, seine Augen verdunkelten sich und er wandte den Blick ab.

Ich zuckte mit den Schultern. »Mag sein, doch ich weiß, dass du für die falschen Leute, die falsche Dinge tust und das reicht mir.«

»Mag sein.«, gab er leise zurück.

Als der Mond im Zenit stand weckte ich Cora und rollte mich selber neben dem Feuer zusammen. Am nächsten Morgen schmerzten meine Glieder vor Kälte und Feuchtigkeit und ich setzte mich schwerfällig auf. Als ich mich streckte und mit einem tiefen Atemzug die kalte Morgenluft in mich einzog, nahm ich den schwachen Geruch von Schnee wahr. Es konnte also nicht mehr weit sein. Mein Magen kribbelte vor Nervosität. Ich war noch nie in einer größeren Stadt gewesen. Außerdem waren meine Eltern hier aufgewachsen.

Cora saß ein Stück von mir entfernt und stocherte in dem heruntergebrannten Feuer herum. Als ich mich umdrehte, sah ich Ayden an einem Baum gelehnt sitzen. Sein Blick war starr auf den See gerichtet.

»Ich habe ihm seine Dosis schon verabreicht.«, sagt Cora.

Plötzlich landete ein kleiner Spatz auf ihrer Schulter. Sie zuckte überrascht zusammen, dann breitete sich ein erfreutes Lächeln auf ihrem Gesicht aus. »Du hast uns gefunden!«, der Spatz kletterte auf ihre Hand und Cora streichelte liebevoll über sein helles Gefieder.

»Sky, darf ich vorstellen, das ist Ivy.«

»Dein Dämon.«, stellte ich fest und ein Lächeln stahl sich auf meine Lippen. Ich konnte mir keinen besseren Gefährten als einen kleinen, zierlichen Vogel für meine Tante vorstellen. Er passte perfekt zu ihrer sanftmütigen und liebevollen Art.

»Wieso sehe ich sie heute zum ersten Mal?«, wunderte ich mich.

Cora zuckte mit der Schulter. »Wir haben versucht diskret zu bleiben, damit du…«, sie senkte schuldbewusst den Blick. »…naja, du weißt schon, damit niemand auf falsche Gedanken kommt.«

Ich nickte. »Verstehe.«

Ich erinnerte mich, wie Cora öfters vor unserem Haus auf der Wiese saß und Vögel fütterte. Jedoch hatte ich mir nie etwas dabei gedacht, auch nicht als sie im Winter immer mal wieder Vögel in ihrem Zimmer pflegte. Damals schien mir nicht aufgefallen zu sein, dass es sich immer um den gleichen Vogel zu handeln schien. Wie auch, es war so typisch für Cora sich liebevoll um alle möglichen Lebewesen zu kümmern. Hätten Soey und ich nicht aufgepasst, wäre das ganze Haus voller Waldtiere gewesen, die Cora umsorgt hätte.

Plötzlich kam mir ein beunruhigender Gedanke. Wie hatten wir das nur vergessen können?! Ich warf einen schnellen Seitenblick auf Ayden, der immer noch auf den hinaus starrte.

»Cora, sein Dämon.«

Sie blickte mich erschrocken an. »Wie konnten wir das vergessen? Verdammt Skyler!«

Sie wandte sich Ivy zu und flüsterte irgendwas, bis der Vogel zurück in den Wald flog.

»Wir sollten schnell weiter reiten, damit wir vor Sonnenuntergang in Dyllis sind.«

Ich nickte. Wir tauschten beide noch einen besorgten Blick, dann machten wir uns daran unsere Spuren zu verwischen und die Pferde zur Weiterreise fertig zu machen.

Uns beiden war klar, wie leichtsinnig es gewesen war nicht an Aydens Dämon zu denken. Er konnte längst beim Lixh-Clan sein und sie direkt zu uns führen.

Wir ritten den ganzen Tag ohne Pause. Mein ganzer Körper schmerzte und der Hunger nagte an mir. Gegen Nachmittag begann es zu schneien. Ich zog meinen Umhang enger um mich und versuchte mich, so gut es ging, vor dem schneidenden Wind zu schützen. Schneeflocken verfingen sich in meinen Wimpern und als ich nach einer weiteren vergangenen Stunde die Landschaft in Augenschein nahm, war alles mit einer dünnen Schneedecke bedeckt. Obwohl es immer kälter wurde, konnte ich die Schönheit dieses Anblickes nicht leugnen. Je weiter wir gen Norden ritten, desto dunkler und stürmischer wurde es. Der am Morgen noch klare Himmel war nun von dicken Wolken bedeckt. Im letzten Tageslicht nahm ich in der Ferne plötzlich ein Blitzen am Horizont wahr. Ich gab Gladier die Sporen und trieb es die letzten Meter des Hügels hinauf. Oben angekommen machte ich halt und schob mir atemlos die Kapuze vom Kopf. Schneeflocken rieselten mir in den Nacken, doch ich starrte wir gebannt auf den Anblick, der sich mir bot. Eine weite verschneite Ebene mit kleinen Dörfern und Tannenwäldern und dahinter, etwas höher gelegen, im Rücken die Berge, ragten die Türme eines Schlosses in den Himmel. Weiße Steinmauern mit ihren grauen Türmen streckten sich kunstvoll in den Himmel. Der Rest des Schlosses war hinter verschneiten Tannen versteckt, welche den Hügel hinauf, zwischen vereinzelnden Felsen verteilt waren. Ehrfürchtig betrachtete ich den Anblick, der sich mit bot. Als Cora hinter mir mit Ayden auftauchte, zuckte ich erschrocken zusammen. »Wunderschön nicht wahr?«

Ich nickte. »Ja, wunderschön.«

Als wir weiter ritten, hörte ich Ayden etwas von Weißem Tod murmeln.

Erst da fiel mir ein, wie schlimm es für einen Feuerwächter, umgeben von Schnee, wohl sein musste.

Nach einer knappen halben Stunde erreichten wir die Außenbezirke. Anders als in Nebelhöhe, standen die Häuser hier eng beieinander und boten den Menschen in den Straßen so ein wenig Schutz vor dem eisigen Wind. Vor den Hütten war Feuerholz gestapelt und Menschen in dicken Pelzmänteln liefen durch die Straßen. Überall an den Häusern leuchteten Lichter und die Straßen waren von Laternen gesäumt, in denen kleine Flammenkugeln brannten. Je weiter wir ritten, umso mehr Lichter wurden es. Größere Plätze an denen wir vorbei kamen, waren von Tannen umrahmt, um den Wind abzuhalten und am Wegesrand bildeten sich Schneehaufen, in denen vereinzelnd Kinder spielten. Die Luft roch nach Schnee, Kaminfeuer und Tannennadeln und obwohl die Kälte sich langsam aber sicher einen Weg unter meinen viel zu dünne Umhang bahnte, konnte ich doch das Gefühl von Geborgenheit nicht ignorieren, welches sich in mir auszubreiten begann. Wir näherten uns den Stadtmauern Dyllis' und ich kam nicht ohnehin, die neugierigen Blicke der Menschen zu bemerken, welche uns hinterherschauten. Die Wachen am Tor hoben die Köpfe, als wir uns ihnen näherten. Sie trugen weiß goldene Uniformen mit dem Wappen der Eiswächter. Die Tore waren weit geöffnet und auch jetzt, am frühen Abend noch, herrschte ein geschäftiges Treiben. Kutschen fuhren aus und ein und vereinzelnd boten Händler am Straßenrand ihre Waren an. Cora vor mir stieg von ihrem Pferd und drückte mir die Zügel in die Hand. Sie tauschte ein paar Worte mit den Wachen am Tor. Ich ritt ein Stück näher an sie heran, um zu verstehen, was sie sagten, als die eine Wache plötzlich verschwand und kurz darauf mit einer anderen Person im Schlepptau wieder aufzutauchen. Die Augen des Mannes weiteten sich überrascht, dann machte er einen Satz auf Cora zu und schloss sie fest in seine Arme. Cora erwiderte seine Umarmung und als sie sich voneinander lösten, deute sie auf mich. »Das ist meine Nichte, Skyler. Sky das hier ist Jonathan McRupert.«

Ich stieg von meinem Ross und reichte ihm die Hand. »McRupert, wie Tom?«

Der Wächter nickte. »Thomas ist mein jüngerer Bruder.«

Als ich ihn einer genaueren Musterung unterzog, viel mir die Ähnlichkeit der beiden Brüder auf. Er hatte den gleichen gutmütigen Blick und das braune Haar wie sein Bruder. Der Unterschied war sein dunkler Bart, und dass sein Haar im Nacken zu einem kurzen Zopf zusammengebunden war. Außerdem waren die Züge um seinen Mund und um seine Augen härter, was ihm eine interessante Mischung aus Strenge, aber dennoch Freundlichkeit verlieh.

Neben Jonathan tauchte eine weitere Wache auf, welche sich als Lucian Orage vorstellte.

»Wir hatten euch so früh nicht erwartet.«, erklärte Jonathan uns. »Thomas hatte mir zwar eine Nachricht zukommen lassen, doch ich habe frühestens in zwei Tagen mit eurer Ankunft gerechnet.«

»Wir hatten es eilig.«, Cora deutet auf Ayden. Dieser saß mit düsterer Miene und blauen Lippen gefesselt auf seinem Pferd. Ich fragte mich, ob die blaue Verfärbung von der Kälte oder dem Nelkenöl kam.

Jonathan beäugte ihn skeptisch, dann bedeutete er uns mit einer Handbewegung, ihm zu folgen. »Kommt, ich bringe euch zum Schloss.«

Bis zum Schloss war es noch ein beträchtliches Stück und auch wenn ich versuchte, alles genaustens zu betrachten und in mich aufzunehmen, rauschte die Stadt zum Großteil als weißer Nebel an mir vorbei. Jetzt, da wir uns innerhalb der schützenden Stadtgrenze befanden, war sämtliche Anspannung von mir gewichen und ich hatte Mühe, die Augen vor Erschöpfung offen zu halten. Wir überquerten einen großen Platz, in dessen Mitte sich ein Brunnen mit gefrorenem Wasser befand. Dort standen außerdem vereinzelt Tannen und Laternen sowie Marktstände, die jedoch nur noch einzeln besetzt waren. Aus einer Schenke am Rande des Platzes drang fröhliche Musik. Der schwache Geruch von Zigarren und billigem Alkohol wehte in unsere Richtung, als die Tür geöffnet wurde und eine junge Frau im dicken Pelzmantel vor die Tür trat. Augenblicklich musste ich an Evenak denken. Ich hoffte, es ging ihm gut. Wir ließen den Platz hinter uns und folgten einer gut beleuchteten Straße weiter Richtung Schloss. Die Laternen, welche den ansteigenden Weg beleuchteten, bildeten eine lange Gasse, die dem Beobachter die Illusion verlieh, auf direktem Weg in den Himmel zu sein. Die Straße schien immer breiter zu werden, doch in meinem Zustand konnte ich nicht sagen, ob ich mir das Ganze nicht doch nur einbildete. Bevor wir durch das dunkle Eingangsportal des Schlosses ritten, drehte ich mich noch einmal um und bewunderte die Stadt, welche sich unter mir ausbreitete. Die dunklen Häuser bildeten zusammen mit dem Grün der Tannen einen auffallenden Kontrast zu dem Schnee und den funkelnden Lichtern, welche die ganze Stadt wie Glühwürmchen einzuhüllen schienen. Ich spürte kaum noch den kalten Wind, welcher mir Tränen in die Augen trieb, so geborgen fühlte sich der Anblick an. Plötzlich überkam mich eine Welle der Nostalgie und schnell wandte ich den Blick ab. Wir hatten das Tor passiert und ritten nun über einen überschaubaren, jedoch verschneiten Schlosshof. Während Jonathan uns zum Schloss führte, brachte Lucian unsere Pferde zu den Ställen und weitere Wachen eilten herbei, um Ayden abzuführen.

»Was passiert mit ihm?«, fragte ich Jonathan und folgte ihm und Cora die letzten Stufen hinauf in den Palast.

»Er wird fürs Erste in die Verliese gebracht. Den Rest entscheiden wir morgen.« Zwei Wachen, die am Palasteingang zum Wachdienst eingeteilt waren, nickten uns freundlich zu und öffneten die großen Türen. Im Inneren des Schlosses schlug uns der Geruch von warmem Kaminfeuer entgegen und augenblicklich lief mir ein angenehmer Schauer den Rücken hinunter. So wie das Äußere des Schlosses aus weißem und grauem Stein bestand, war die Eingangshalle mit hellem Marmor ausgelegt und die weißen Wände schmückten Gemälde sowie dunkelblaue Samtvorhänge vor bodentiefen Fenstern. Die Eingangshalle hatte eine hohe, mit weißem Holz vertäfelte Decke, an der ein silberner Kronleuchter baumelte. Das Licht, das von ihm ausging, war warm und angenehm. Man hätte annehmen können, dass der Raum durch das viele Weiß etwas Kaltes an sich hatte, doch er wirkte merkwürdigerweise angenehm weitläufig und einladend. Als Jonathan uns die Treppen hinauf und durch die Flure des Schlosses führte, betrachte ich beeindruckt die Kunstwerke an den Wänden sowie die Bordüren, die sich an den Deckenleisten entlang schlängelten. Überall waren goldene und blaue Akzente gesetzt. Ich fragte mich augenblicklich, welcher Mensch etwas so Beeindruckendes schaffen konnte.

Jonathan führte Cora und mich zu zwei gegenüberliegenden Zimmern und verabschiedete sich mit den Worten, dass wir uns die Nacht über erholen sollten und alles Weitere bis morgen warten konnte. Dankbar dafür endlich schlafen zu können, wünschte ich Cora und Jonathan eine gute Nacht und zog mich in mein mir zugewiesenes Zimmer zurück. Wäre ich nicht so erschöpft gewesen, hätte ich mir mehr Zeit genommen um das riesige Zimmer mit dem blauweißen Himmelbett zu bewundern und die Verzierungen und Bemalungen des Kamines genauer betrachtet, doch meine Energie reichte gerade eben um mich aus meinen dreckigen Sachen zu schälen, mich zu waschen und anschließend erschöpft einzuschlafen. Das Letzte, was ich wahrnahm als ich in die wohltuende Dunkelheit des Schlafes abdriftete, war der verboten-weiche Stoff der Decke, welcher sich an meine nackte Haut schmiegte. Es war die erste Nacht seit langem, die ich traumlos und fest durchschlief.

Himmelsfrost

Подняться наверх