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Ich saß vor unserem kleinen Kamin im Wohnzimmer und nippte an einem heißen Becher Kräutertee.

»Ich versteh immer noch nicht, was das Ganze mit Soey zu tun hat.«

Tom starrte gedankenverloren aus dem Fenster. Er saß ein Stück von uns entfernt, sodass er sich möglichst weit weg vom Kaminfeuer aufhielt. Mir war früher schon aufgefallen, dass er sich, so gut es ging, von offenem Feuer fernhielt.

Vermutlich eine Gewohnheit aus der Zeit, als er noch ein Wächter des Eises war.

»Wir sind uns nicht ganz sicher, aber es könnte eine Verbindung mit dem Lixh-Clan bestehen.«, antworte Cora, die in eine Decke gehüllt neben mir saß.

»Inwiefern? Warum sollte der Lixh-Clan Interesse daran haben Soey zu ermorden?«

Cora schüttelte den Kopf. »Ich weiß es nicht. Ich weiß nur, dass sie keines natürlichen Todes gestorben sein kann. Da war noch etwas anderes im Spiel.«

»Wir glauben, dass der Lixh-Clan sie für dich gehalten haben könnte.«, fügte Tom hinzu.

Ich fuhr mir aufgewühlt durchs Haar.

»Ich brauche ein wenig frische Luft.«

»Bleib nicht zu lange weg und entferne dich nicht von der Stadt.«, rief mir Cora hinterher, als ich mich erhob und Richtung Tür ging.

»Und nimm dein Schwert mit.«, fügte Tom hinzu.

Ich hüllte mich in meinen Mantel und trat vor die Tür. Kurz prüfte ich, ob meine Messer alle an ihrem Platz waren und machte mich auf den Weg ins Dorf.

Seit dem Tag, an dem Cora mit mir untergetaucht war, trug ich immer eine Waffe bei mir. Ein Messer steckte in meinem Stiefel, ein anderes an meinem Gürtel und ein drittes, kaum sichtbar und gerade groß genug, um jemanden damit die Kehle aufzuschlitzen, war unter dem Lederarmband an meinem Handgelenk befestigt.

Ich legte es nie ab. Niemals. Es war ein Geschenk von Soey. Sie hatte es, ein Jahr nachdem wir sie aufgenommen hatten, in einer Gasse hinter der Schenke gefunden. Es sollte mich beschützen. Und das tat es auch. Als ich dreizehn war, schlitzte ich einem Mann den Arm auf. Er war betrunken und versuchte, mich an den Haaren zu packen. Damals putzte ich in der Schenke, um Cora zu helfen, ein bisschen Geld zu verdienen. Eine Woche später kam er wieder. Er war erneut betrunken, packte meinen Kopf und schlug ihn auf den Tresen. Ich ließ die kleine Klinge hervorschnellen und holte aus. Drei Finger verlor der Mann an diesem Tag. Ich habe ihn seither nie wieder gesehen. Das war der Moment, an dem ich anfing jeden Tag zu trainieren. Ich übte an allem, was ich finden konnte, ging jagen in den Wäldern und kletterte stundenlang Dächer und Bäume hinauf. Den Blick des Mannes an jenem Tag hatte ich nie vergessen. Überraschung mit einer Spur von Bewunderung.

Als ich die alte Schenke erreichte, ließ ich meine Kapuze vom Kopf gleiten und trat ein. Draußen war die Sonne bereits untergegangen und es strömten immer mehr Menschen in den kleinen Laden. Ich kannte nur die wenigsten Leute. Nebelhöhe war ein Ort, an den man kam, wenn man etwas zu verbergen oder genug vom Rest der Welt hatte. Es wurden keine Fragen gestellt und die meisten Menschen hier waren nur auf der Durchreise. Die Hälfte der Männer in der Bar waren in lange Umhänge gehüllt und verbargen ihr Gesicht hinter Bierkrügen und Kapuzen.

Als ich an den Tresen trat, blickte der Wirt erfreut auf.

Er war ein stämmiger Mann mittleren Alters. Die meiste Zeit war er grummelig und nicht besonders nett zu seinen Gästen, doch mich schien er zu mögen. Er war einer der wenigen Leute aus Nebelhöhe, die ich tatsächlich kannte und auch mochte. Unsere Beziehung war einfach und ungefährlich. Er stellte keine persönlichen Fragen über mein Leben und ich keine über seins. Wenn ich mit einer neuen Verletzung oder geröteten Augen in die Bar kam, tat er so, als würde er es nicht bemerken und stellte mir irgendein Gebräu vor die Nase. Durch ihn erfuhr ich die neusten Gerüchte, dafür brachte ich ihm regelmäßig Wild mit, welches ich ihm Wald schoss. Nach Soeys Tod ließ ich mich zwei Wochen lang nicht blicken und als ich eines Abends plötzlich wieder an seinem Tresen saß, klopfte er mir zweimal fest auf die Schulter und stellte zwei Krüge Bier vor mir ab, die wir beide schweigend austranken. Dann widmete er sich wieder seiner Arbeit und tat so, als wäre nichts gewesen und dafür war ich ihm unendlich dankbar.

Der einzige Hinweis, dass so etwas wie Zuneigung zwischen uns existierte, war, dass er mich seit dem Tag, an dem ich dem Mann vor vier Jahren seine Finger genommen hatte, Katayga nannte. Als ich ihn fragte, was dies bedeutete, schmunzelte er und erwiderte, es hieß kleine Kriegerin und wäre aus einer Sprache, die schon lange vergessen sei.

»Taris, schön dich zu sehen mein Mädchen!«, begrüßte er mich nun. Taris. So hieß ich für alle aus Nebelhöhe. Nur die wenigsten kannten meinen richtigen Namen.

»Ein Met bitte, Evenak.«, begrüßte ich den Wirt meinerseits.

»Kommt sofort.«

Ich blickte mich unauffällig in der Schenke um. Als Evenak einen Krug mit einer bernsteinfarbenen Flüssigkeit vor mir abstelle, fragte ich ihn, ob es irgendwelche Neuigkeiten in der Stadt gab.

Der Wirt schüttelte den Kopf. »Alles ruhig wie immer.«

»Niemand Neues in der Stadt?«, hackte ich weiter nach.

»Vor drei Tagen war hier ein Pärchen auf Durchreise. Wollten zu den Kristallfällen oder so. Schreckliche Leute. Haben ständig von Glück und Kindern und so 'nem Scheiß geschwafelt.«

»Fürchterlich.«, stimmte ich ihm zu und nahm einen Schluck Met.

»Sonst nichts?«

Evenak schüttelte langsam den Kopf und lehnte sich über den Tresen, um einen nicht vorhandenen Fleck wegzuputzen. Ich hob wenig hilfreich mein Glas. »Rechts von dir sitzt ein Mann, er beobachtet dich, seit du die Bar betreten hast. Soweit ich weiß, ist er seit gestern in der Stadt.«, raunte er mir zu.

Ich unterdrückte den Drang, mich umzudrehen und hob fragend eine Augenbraue.

Evenak schüttelte den Kopf. »Hab den Kerl noch nie gesehen.«

Nachdenklich trank ich einen Schluck. »Ich hör mich für dich um, wenn du willst.«

Ich nickte. »Danke.«

Vorsichtig ließ ich die Klinge unter meinem Lederband hervorgleiten und versuchte in der Spiegelung einen Blick auf den Mann zu erhaschen, jedoch sah ich nichts als einen verschwommenen dunklen Fleck mit Kapuze. Was währe, wenn der Typ etwas mit Soeys Tod zu tun hatte? Vielleicht gehörte er zum Lixh-Clan?

Aber wieso war er dann seit gestern in der Stadt und ich bemerkte ihn erst jetzt? Wenn er wirklich hier war, um mich zu töten, hätte er es nicht schon längst getan?

Vielleicht war ich auch nur, nach allem, was Cora mir offenbart hatte, viel zu paranoid.

Meine Gedanken begannen sich immer weiter im Kreis zu drehen, bis ich zu dem Schluss kam, dass erstens der Honigwein nicht besonders hilfreich dabei war einen klaren Gedanken zu fassen und ich zweitens meine Antworten nur von einer Person bekommen konnte.

Also ließ ich ein paar Münzen neben meinem leeren Glas auf den Tressen liegen und verließ die Schenke.

Auf dem Weg hinaus erhaschte ich einen kurzen Blick auf den Mann. Er hatte sich die Kapuzen des Umhangs tief ins Gesicht gezogen, weshalb ich nur die Konturen eines markanten Kinns und aufeinandergepresste Lippen erkennen konnte.

Kurz bevor sich die schwere Holztür hinter mir schloss, sah ich in der Spiegelung meiner Klinge, wie der Mann sich eilig erhob.

Evenak hatte also Recht, er hatte mich beobachtet und jetzt folgte er mir. Verdammt!

Schnell schaute ich mich um. Rechts von mir stapelten sich ein paar Kisten, die jedoch nicht hoch genug waren, um sich dahinter zu verstecken, jedoch …

Mit einem Satz sprang ich auf die Kisten, drückte mich ab und bekam die Dachkante zu fassen. Die Ziegel waren locker und noch nass vom letzten Regenschauer und ich krallte meine Hände fest in die Lücke zwischen den Ziegeln, um nicht abzurutschen. Während ich mich so unsichtbar wie möglich machte, öffnete sich die Tür der Schenke und eine Gestalt in einem langen schwarzen Umhang trat ins Freie.

Im Stillen verfluchte ich Nebelhöhe dafür, dass es keine Strohdächer besaß. Na schön, ich musste zugeben, dass dies bei den Wetterbedingungen vermutlich eine schlechte Idee war, jedoch machte es einem das Springen von Dach zu Dach erheblich einfacher.

Die Gestalt blickte sich kurz um und verschwand dann in eine Gasse neben dem Gebäude. Ich schlich die Dachkante entlang und folgte ihr leise. Der Mann war nun genau unter mir. Ohne zu zögern, zückte ich meinen Dolch und sprang. Ich wäre genau auf seinen Schultern gelandet, wenn er nicht im letzten Moment ausgewichen und mich mit einer schnellen und geschickten Bewegung gepackt und gegen die Hausmauer gepresst hätte.

Er musste gewusst haben, dass ich ihn beobachtete. Ich verpasste ihm einen Schlag gegen den Kehlkopf und duckte mich unter seinem Arm hervor. Ich holte mit einem Dolch aus, doch er war schneller und umfasste mein Handgelenk. Durch eine neunzig Grad Drehung entkam ich seinem Griff wieder. Durch eine schnelle Bewegung stand ich nun hinter ihm und verpasste ihm einen Tritt in die Kniekehlen, der ihn zu Boden gehen ließ, doch er reagierte genauso schnell und zog mich mit sich. Das Ganze endete damit, dass er schließlich auf mir lag und meine Hand mit dem Dolch auf den Boden drückte, während ich ihm die Fingernägel meiner anderen Hand in die Pulsschlagader bohrte.

Während des Kampfes war seine Kapuze heruntergerutscht und ich blickte in zwei eisblaue Augen und ein Gesicht nicht viel älter als mein eigenes. Sein Kiefer zuckte vor Anstrengung und Strähnen seines blonden Haars fielen ihm ins Gesicht.

»Das war gar nicht mal so schlecht.«, keuchte der Fremde.

Mein Blick wanderte zu seinem Handgelenk, das ich noch immer umklammert hielt. Die Klinge war unter meinem Lederarmband hervorgeschnellt und lag nun knapp über seiner Plusschlagader. »Wenn du nicht willst, dass ich dich aufschlitze, solltest du lieber von mir runter gehen.«, fauchte ich und drückte die Klinge gerade so fest gegen seine Haut, dass sich ein kleines Blutrinnsal bildete.

Langsam richtete sich der Fremde auf und gab mich frei. Mit einem Satz sprang ich auf die Füße und hielt meinen Dolch schützend vor mich.

Abwehrend hielt er die Hände hoch. Gerade als er den Mund öffnen wollte, um etwas zu sagen, trat eine Gestalt hinter ihm aus dem Schatten.

Ihm war mein Blick nicht entgangen, weshalb er sich alarmiert umdrehte, doch zu spät. Evenak knallte ihm genau in diesem Moment einen Bierkrug gegen den Kopf und der Fremde sackte wie ein nasser Sack Mehl in sich zusammen.

Ein wenig verdattert schaute ich zu Evenak hoch.

»Alles okay, Mädchen?«, fragte er und musterte mich einmal von oben bis unten.

»Ja.«, ich ließ meinen Dolch zurück in meinen Stiefel gleiten. »Aber das hätte ich auch alleine hinbekommen.«

Evenaks Mundwinkel zuckten. »Ich weiß. Ihr habt mit eurem Lärm nur meine ganze Kundschaft nervös gemacht.«

Vorsichtig trat ich näher und kniete mich neben ihn auf den Boden. Ich drehte ihn mit einem Ruck auf den Rücken und besah mir sein Gesicht genauer.

»Kennst du ihn?«, fragte Evenak.

Ich schüttle stumm den Kopf. Als ich ihn fragend anblickte, nickte er stumm und verschwand in der Dunkelheit der Gasse. Er wusste, was ich dachte. Das war schon immer so gewesen. Jedes Mal wenn ich einen Auftrag als Söldnerin annahm, der mich in Schwierigkeiten brachte, half Evenak mir und ohne fragen zu stellen.

Ich nutze die Zeit indem ich den Jungen vor mir mit ein paar alten Seilen aus der Gasse fesselte und ihn auf weitere Waffen durchsuchte. Ich fand einen Dolch und ein Schwert, neben einem Kompass und etwas Gold.

Das Schwert war fein gearbeitet und mit kleinen Symbolen verziert. Das Heft war aus schwarzem Stahl gefertigt.

Hufgetrappel kündigte Evenaks Rückkehr an.

Er drückte mir die Zügel einer braunen Stute in die Hand und hob mit einem Stöhnen den Fremden in den Sattel. Dort hing er wie ein lebloser Sack Mehl und lief Gefahr, wieder hinunter zu stürzen, was jedoch werde mich noch Evenak besonders kümmerte.

Der Wirt stand kopfschüttelnd vor mir. »So ein junges Mädchen und so viel Ärger am Hals. Wenn er wirklich einer von ihnen ist, sind die anderen nicht weit.«

Ich schaute ihn überrascht an.

»Das Zeichen auf seinem Dolch.«, er deute auf meinen Gürtel, wo ich den Dolch des Fremden notdürftig befestigt hatte.

»Ein Schlange mit Flügeln.«

»Sieht aus wie ein Drache.«, stellte ich fest.

»Die meisten Drachen sind friedliche Wesen, doch dieser Clan …«, er schnaubte. »Alles Abschaum.«

Wir blickten uns eine Weile stumm an und da wurde mir klar, dass er mehr wusste, als er zugab.

Ich wollte mich von ihm abwenden, doch er fasste mich am Arm.

»Sie hat das nicht verdient.«

Ich konnte nur den Kopf schütteln und versuchte, den Kloß in meinem Hals zu ignorieren.

»Pass auf dich auf, Mädchen. Diese Leute sind nicht zu unterschätzen.«

Ich nickte und stieg auf Evenaks Pferd. »Danke.«

Himmelsfrost

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