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Das Chalcedonense – Das personale Bestimmtwerden durch Anderes

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Theologische Realenzyklopädie Bd.7; Berlin, New York 1981, 671f.

Das Chalcedonense ist eine Kompromissformel aus vorangegangenen Streitigkeiten und gibt daher zentrale Ausdrücke wieder, die von den Kontrahenten dieser Streitigkeiten verwendet wurden. Historisch hat diese Kompromissformel den Streit nicht anhaltend schlichten können, weil sie kein Modell wagte, die Einheit Christi darzustellen, wenn zugleich Christus wahrer Gott und wahrer Mensch ist. Der alexandrinischen Schule war das Bekenntnis von 451 nicht deutlich genug. Cyrill war bereits elf Jahre tot. Sein Der Theologe Eutyches, der der alexandrinischen Schule nahe stand, arbeitete die Formel aus, wonach Christus eine Natur (mia physis) habe – eine Formel, die bei Cyrill noch nicht konzeptionell vorkam. In den Folgejahrhunderten wurden diese sogenannten Monophysiten die Hauptgegner orthodoxen Denkens.

Der nestorianischen Position wurde dadurch entgegengekommen, dass das Bekenntnis die Option offen hält, die Einigung auf die phänomenale Ebene zu konzentrieren: Christus ist „unvermischt, unverwandelt, ungetrennt, ungesondert erkennbar.“ Der Prosoponbegriff, den beide Kontrahenten im nestorianischen Streit prominent verwendet hatten, wird neben den Hypostasenbegriff gestellt. Diese Formulierung gibt das alexandrinische Interesse wieder, Christus nicht als zwei Personen oder Hypostasen zu verstehen und stattdessen die Einheit der zweiten Hypostase der Trinität zuzuordnen. Ebenso wurde der alexandrinische Begriff übernommen, wonach Maria „Gottesgebärerin“ genannt wird. Auf das Drängen Papst Leos wurde jedoch die Gefahr einer alexandrinischen Mia Physis-Lehre dadurch abgewehrt, dass Christus keine Einheit „aus“ zwei Naturen bildet, sondern „in“ zwei Naturen. Obwohl das Konzil kein eigenes Modell für die Einheit Christi vorstellte, übernahm es die Heuristik Cyrills der Einigung der beiden Naturen durch eine hypostatische Union.

Ebenso greift das Bekenntnis einen Begriff auf, der auch in den Streitigkeiten verwendet wurde, aber vor allem aus dem Bekenntnis über die Trinität aus den Jahren 325 (Nicäa) und 381 (Konstantinopel) stammt. Das sogenannte Nicaeno-Konstantinopolitanum beschrieb die Einheit von Vater und Sohn durch ihr Wesen: Sie sind „wesensgleich“ (homousios). Im Chalcedonense wird nun die Wesensgleichheit (Homousia) Christi mit Gott dem Vater verknüpft mit dem Denken, dass sich Christus anscheinend vom Vater in der Hypostase unterscheidet. Der Ausdruck „Hypostase“ fehlt noch im Nicaeno-Konstantinopolitanum. Und auch im nestorianischen Streit spürt man den Kontrahenten eine terminologische Unsicherheit ab, was zeigt, dass das Verhältnis von Wesensgleichheit und der hypostatischen Unterschiedenheit der Trinität ontologisch noch nicht fest fixiert war. Chalcedon geht also hier einen großen Schritt, indem es bei seiner Kompromissformel zur Christologie zugleich das trinitätstheologische Denken begrifflich schärft.

Allerdings führt diese Verhältnissetzung ontologisch in erhebliche Probleme: Es wird von Christus ausgesagt, dass er wesensgleich mit dem Vater sei. Nicht vom ewigen Logos ist die Rede, mit dem Christus erst am Ende des Bekenntnistextes identifiziert wird, sondern bereits vom menschgewordenen Sohn Gottes. Der Menschgewordene ist also wesensgleich mit dem Vater „der Gottheit nach“. Der Begriff homousios wird demnach auf die göttliche Natur bezogen, an der die menschliche Natur keinen Anteil hat, wohl aber der Menschgewordene. Steht damit die Person Christi innerhalb oder außerhalb des homousios? Steht sie innerhalb, so kann sich Christus nicht der Person nach vom Vater unterscheiden. Die Einigung der Naturen würde sich vielmehr „der Gottheit nach“ vollziehen. Dann wäre der Hypostasenbegriff noch nicht dazu verwendet worden, Vater und Sohn zu unterscheiden. Worin allerdings der Unterschied zwischen beiden ontologisch besteht und was es dann bedeuten kann, dass Christus „der Gottheit nach“ vom Vater vor den Zeiten geboren wurde, wenn doch die ontologische Differenz zwischen Vater und Sohn auf der Ebene des Wesens und der Gottheit nicht angegeben werden kann, bleibt dann im Dunkeln.

Steht die Person dagegen außerhalb des homousios, kann nicht Christus mit dem Vater wesensgleich sein, wie es aber im Chalcedon behauptet wird. Nicht die Person Christi wäre mit dem Vater wesensgleich, sondern nur seine göttliche Natur wäre mit der göttlichen Natur des Vaters wesensgleich. In diesem Fall deutet das Chalcedonense eine hypostatische Differenz zwischen Vater und Sohn an: Beide sind zwar in ihrem Wesen gleich, aber in ihrer Person verschieden. Außerdem würde daraus folgen, dass die hypostatische Union der göttlichen und der menschlichen Natur – pointiert ausgedrückt – keine natürliche Einheit ist. Sie ergibt sich weder aus der göttlichen noch aus der menschlichen Natur. Sie ist nicht einmal eine für Gott wesentliche Einheit, weil sie sich außerhalb seiner Gottheit vollzieht. Verkürzt gesagt: Die Einheit der Naturen in Christus ist für seine Person wesentlich, aber für Gott unwesentlich. In diesem Fall droht Christus sogar zu einem Dritten zu werden, das weder Gott noch Mensch ist: Er ist entweder eine unwesentliche Entität, die nicht für sich selbst steht, oder sein Wesen ist verschieden vom Wesen eines Menschen oder vom Wesen Gottes.

Es droht also ein Dilemma, das darin besteht, dass die Einigung der beiden Naturen in Christus entweder nicht göttlich ist oder so zum göttlichen Wesen gehört, dass man ebenso gut vom Vater sagen könnte, dass er von Maria geboren und gekreuzigt wurde, gestorben ist usw. Gerade weil das Chalcedonense das christologische Problem mit der innertrinitarischen Struktur Gottes verbindet, nämlich über den Begriff „homousios“, werden auch beide Dogmen aneinander geknüpft. Allerdings erweitern sich auch die offenen Flanken für sie beide.

Beide Optionen, ob die Hypostase Christi innerhalb oder außerhalb der Gottheit steht, wollen dennoch daran festhalten, dass sich der Sohn vom Vater in einem präzisen Sinn unterscheidet. Nun gehört aber zum Wesensbegriff, zur Ousia, dass sie zumindest das Selbstsein eines Gegenstandes wiedergibt: Das Wesen gibt an, dass ein Gegenstand er selbst ist. So schreibt etwa Aristoteles: „Denn selbständige Abtrennbarkeit und Bestimmtheit (das Dies-da) wird am meisten dem Wesen zugeschrieben.“[32] Wenn aber Vater und Sohn der Gottheit nach wesensgleich sind, so sind sie darin ununterscheidbar. Sie sind dann in ihrer Unterschiedlichkeit der Gottheit nach nicht wesentlich bestimmt. Was sie unterscheidet, ist unwesentlich. Ein wesentlicher Unterschied besteht nur im Hinblick auf ihr Selbstsein. Denn das „Dies-da“ des Sohnes ist vom „Dies-da“ des Vaters abgetrennt und bestimmt. Aber diese Unterscheidung steht jenseits der innergöttlichen Indifferenz und ist daher der Gottheit nach unwesentlich.

Wenn daher Christus die Einigung der beiden Naturen vollzieht, so ist diese Einheit der Gottheit nach unwesentlich. Das gilt sowohl für die Option, dass die Personalität und Hypostase es ist, die Christus vom Vater unterscheidet, als auch für die Option, dass beide durch irgendetwas anderes unterschieden sind: Die Unterscheidung wäre unerheblich der Gottheit nach. Es wäre folglich auch unwesentlich der Gottheit nach, dass Christus „wahrer Gott“ ist, denn der Gottheit nach bestünde eine Indifferenz der Homousia, die es nicht erlaubt, Christus vom Vater zu unterscheiden.

Das Bekenntnis von 451 scheint also den Kompromiss darin finden zu wollen, dass die Einigung der zwei Naturen in Christus für die Gottheit unwesentlich ist. Die Gottheit wird deshalb nicht durch die Menschwerdung verändert, weil die Einigung unwesentlich ist. Dieses Ergebnis lässt sich auch nicht dadurch korrigieren, dass man den Begriff „homousios“ mit „wesensgleich“ übersetzt und dann annimmt, dass Vater und Sohn zwar das gleiche Wesen haben, aber numerisch unterschieden sind. Es ist also keine Lösung vorzuschlagen, dass Vater und Sohn beide für sich das Wesen Gottes haben und dass das Wesen Gottes damit zweimal vorkommt.[33] Denn die numerische Unterschiedenheit kommt in der Ousia nicht vor. Zum Vergleich: Frauen und Männer sind wesensgleich, weil sie beide Menschen sind. Dass das Wesen des Menschen mehrfach realisiert ist, heißt aber nicht, dass zum Wesensbegriff des Menschen die numerische Differenz dazugehört. Denn sonst wäre das Wesen Mensch nicht erst bereits bei einem Menschen realisiert, sondern erst bei mehreren Menschen. Das Wesen des Menschen wären dann mehrere Menschen, Frauen und Männer. Keine Frau und kein Mann wäre für sich genommen ein Mensch.

Wie konnte Gott Mensch werden?

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