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Lichtzeichen

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Der Arbeitstag zog sich wie Kaugummi, die Schmerzen im Knie ließen nach, die Vorfreude auf den Abend stieg. Als der Feierabend endlich in Sicht war, zeigte sich das Wetter weiterhin ungnädig. Inzwischen war aus dem dezenten Nieselregen vom Vormittag ein platternder norddeutscher Landregen geworden, der immer wieder von Sturmböen gegen die Scheibe gepeitscht wurde. Es war draußen richtig ungemütlich. Trotzdem besserte sich meine Laune mit dem Feierabend deutlich – das Wetter war da fast egal.

Als ich vor dem Kleiderschrank stand und nach einem passenden Outfit für den Abend suchte, war die Entscheidung für Jeans und einen warmen Pullover schnell gefallen. Der schwarze feine Wollpulli war leicht tailliert und hatte einen V-Ausschnitt, dazu trug ich eine schmale silberne Kette mit Seesternanhänger.

Die Bushaltestelle befand sich zum Glück direkt vor meiner Haustür. Ein Schirm war bei den Sturmböen nutzlos, ich war in schwarze Lederboots mit dicker Gummisohle geschlüpft und hatte die wetterfeste Jacke übergeworfen. Meinen schulterlangen dunkelblonden Haaren widmete ich nicht viel Aufmerksamkeit – es gibt einfach Tage in Norddeutschland, da ist der Kampf gegen Wind und Wetter frisurentechnisch aussichtslos, und man bindet sich am besten einfach einen Pferdeschwanz. Oben links auf meiner Stirn kräuselte sich dank der hohen Luftfeuchtigkeit eine nervige Locke, der ich an diesem Tag aber keine Beachtung schenkte.

Der Bus brachte mich zur S-Bahn-Station, von dort ging es weiter zum Hafen, zu den St. Pauli-Landungsbrücken. Kaum aus der Bahn gestiegen, lief ich zwei Kollegen in die Arme, deren Laune aufgrund des aktuellen Wetters eher bescheiden war.

»Mischtwetter! Müssen wir wirklich eine Schiffstour machen?«, maulte Guido aus dem Vertrieb mir zur Begrüßung entgegen. Er trug eine dieser Michelin-Männchen-Steppjacken: gut wattiert mit fluffigen Daunen, aber bei heftigen Regengüssen nicht unbedingt adäquat. Das schien Guido, der erst vor Kurzem aus dem sonnigen Breisgau in den Norden gekommen war, auch langsam aufzugehen. Immerhin trug er nicht wie sonst eine Anzughose, sondern hatte wetterbedingt zu robusten Jeans gegriffen.

»Hallo, Maike, was macht das Knie? Hast du etwa Lust, bei dem Sturm auf ein Schiff zu steigen? Da kippt uns doch der Glühwein aus der Tasse! Mir wird bestimmt schlecht.« Auch Anna machte ein eher mürrisches Gesicht. Sie war die gute Seele bei uns im Büro. Stets gut gelaunt umsorgte sie uns mit Kaffee, Kuchen und Büromaterial und übernahm die Reisekostenabrechnungen. Wie immer trug sie High Heels in beeindruckender Höhe. Ich fragte mich, wie sie sich damit überhaupt schmerzfrei fortbewegen konnte und vor allem wie man auf die Idee kam, damit auf ein Schiff zu steigen. Mit ihrem pinkfarbenen Schirm kämpfte sie tapfer gegen die tosenden Windböen. Der Begriff »Landratte« schoss mir durch den Kopf, und ich musste schmunzeln.

Mir war das Wetter egal. Ich war in Nordfriesland an der Küste aufgewachsen und somit von klein auf alle Arten von Wind, Sturm und Regen gewöhnt. Hätte ich mich daran in der Vergangenheit jedes Mal mit schlechter Laune abgearbeitet, wären viel Zeit und Energie verloren gegangen. Es war ja nicht zu ändern, also machte ich das Beste daraus. In diesem Fall überwog die Freude auf den bevorstehenden Törn – so sagt man hier im Norden umgangssprachlich zu einer Schiffstour.

Wir huschten aus der Bahnstation und suchten uns einen geschützten Warteplatz unter dem Vordach eines benachbarten Bürogebäudes. Wo genau war denn nun eigentlich der Treffpunkt für unsere Fahrt? Ich war wie meine Kollegen ratlos. »Anleger Hafentor« stand in der Beschreibung, davon hatten wir alle bisher noch nichts gehört. Es blieb also nur die Hoffnung, möglichst bald bekannte Gesichter zu treffen und auf den Orientierungssinn der anderen Kollegen zu setzen.

Die St. Pauli-Landungsbrücken kannte ich natürlich, von dort aus war ich schon mehrfach zur großen Hafenrundfahrt gestartet, meist wenn Besuch von auswärts kam. Als Hamburger machte man ja eher keine dieser Touristenrundfahrten, bei denen einem der »He lücht« seine Anekdoten auftischt. Als »He lücht«, also hochdeutsch »Er lügt«, werden lapidar die meist älteren Kapitäne betitelt, die ihr Seemannsgarn und Halbwissen über den Hamburger Hafen verbreiten. Immer die gleichen Sprüche, die man nach zwei bis drei Touren mitsprechen kann. Aktuelle Informationen gibt es dabei eher selten, einige der »Kapteine« sind aber durchaus sehr unterhaltsam. Wenn einheimische Passanten im Vorübergehen solche Anekdoten mitbekommen, werfen sie dem Kapitän gern ein »He lücht« mitten in seine Ausführungen. Das Gelächter bei den Zuhörern ist dann groß, und der Schnacker ist animiert, sein Fachwissen mit der nächsten Anekdote zu untermauern. »He lücht« ist bis heute eine entlang der Hafenkante geläufige abfällig-liebevolle Bezeichnung für alle, die vor Gästen ihre Geschichten zum Besten geben.

Ich habe immer gern Hafenrundfahrten gemacht, Hamburg ist sinnbildlich und auch in der Außendarstellung »Das Tor zur Welt«, und es ist ein einmaliges Gefühl, sich auf dem Wasser den Wind um die Nase wehen zu lassen und den großen Pötten auf der Elbe hinterherzuschauen.

Wenn man an den Landungsbrücken spazieren geht, vergehen kaum fünf Minuten, in denen man nicht von einem der Koberer, also dem Anwerber und Ticketverkäufer, mit markiger Stimme und typisch norddeutschem Slang angesprochen wird: »Hier gleich die nächste Abfahrt! Wollt ihr noch mit?« Oder auch: »Haaaafennnnrrrrrrrundfahrrrrt – alle wollen mit!«

Diese Schnacks übernimmt der Nachwuchs im Hafen ungefiltert von den alten Haudegen, auch wenn die Zeiten sich ändern und die meisten Fahrgäste heute mit online gebuchten Tickets zum Anleger kommen und gar nicht mehr gekobert werden müssen.

Die St. Pauli-Landungsbrücken sind eigentlich mal vor den Toren der Stadt angelegt worden, in Zeiten, als die ersten Dampfschiffe die Elbe hochkamen und die Hamburger großen Respekt vor Feuer hatten. Mitte des vorangegangenen Jahrhunderts war beim sogenannten Großen Feuer ein Drittel der Innenstadt zerstört worden, da hatte man nicht gerade Vertrauen in die neue Technik, bei der offene Flammen im Schiffsbauch loderten. Inzwischen ist die Stadt Hamburg stark gewachsen, und die ehemals außerhalb der Stadttore befindlichen Landungsbrücken sind ein zentraler touristischer Ort.

Der Anleger Hafentor liegt am östlichen Ende der Landungsbrücken, zwischen der Promenade und dem großen grünen Segelschiff, der Rickmer Rickmers. Dieser ehemalige Frachtsegler hat über 120 Jahre auf dem Buckel und alle Weltmeere bereist, seit 1983 liegt das schwimmende Wahrzeichen als Museums- und Restaurantschiff an den Landungsbrücken fest. Lediglich um »Klasse zu machen«, also den Schiffs-TÜV zu absolvieren und sich ihre Schwimmfähigkeit per Zertifikat absichern zu lassen, verlässt die Rickmer Rickmers alle paar Jahre ihren Liegeplatz und erhält dann auch immer gleich einen neuen Rumpfanstrich. Neuerdings kann man in den Wanten herumklettern, also den Mast erklimmen und Matrosenluft schnuppern, wenn man hoch hinaus möchte und schwindelfrei ist. Dafür war das Wetter am Abend unserer Firmenweihnachtsfeier im Dezember 2006 allerdings definitiv nicht geeignet.

Inzwischen hatte unsere orientierungslose Dreiergruppe Verstärkung bekommen. Ines aus dem Support-Team hatte einen ausgedruckten Wegeplan dabei und führte uns zum Anleger. Die Elbe schmückte sich mit kleinen weißen Gischtkronen, die schwimmenden Pontons der Landungsbrücken knarzten an den Übergängen, und nur vereinzelt trug eine Böe neben ordentlich erfrischendem Regen und tosendem Wind auch die Schreie wetterfester Möwen zu uns herüber.

Die kleine Barkasse ERNA lag fest vertäut am Anleger und kämpfte mit den Wellen. Immer wieder schlug der Rumpf mit einem dumpfen »Klong« gegen den schwimmenden Ponton. Manch einer wäre hier vermutlich schon beim Spaziergang über die Pontons seekrank geworden. Einigen Touristen soll das sogar bei schönem Wetter an den Landungsbrücken passieren. Die Landungsbrücken schwimmen mit wechselnder Tide, also dem Hoch- und Niedrigwasser der Elbe, auf und ab und bilden mit ihren gut siebenhundert Metern Länge die längste schwimmende Pontonanlage Europas.

»Es waggelt«, stellte Guido in tiefstem badischem Dialekt fest.

Mit einem großen Schritt stiegen wir auf das Schiff, der kernige Decksmann, der breitbeinig an der Reling stand, reichte uns eine Hand, griff mit der anderen kräftig unter den Arm und passte auf, dass hier niemand »koppheister«, also unfreiwillig über Bord ging. Auch Anna gelang es, trotz ihres gewagten Schuhwerks, an Bord zu steigen. Im Außenbereich war es ungemütlich, der kalte Regen kam dank des Sturmes quer von der Seite. Das Schiff schaukelte ordentlich, und alle hofften, dass wir bald ablegten. Das unregelmäßige Geschaukel bekommt nicht jedem Magen. Ich selbst bin da recht unempfindlich, allerdings kann ich es nicht ertragen, anderen zuzusehen, wenn sich ihnen der Magen umdreht. Es war unschwer zu erkennen, dass Guido von Minute zu Minute blasser wurde.

Aus den betagten Boxen schepperten Shantyklassiker, jemand sang schon zu dieser frühen Stunde lauthals nach bestem Wissen den Text von Rolling Home mit. Es waren gut dreißig Personen an Bord, neben kühlem Bier stand Glühwein an der Bar hoch im Kurs. Die durchnässten Klamotten waren schnell vergessen, in einer Ecke auf der hölzernen Seitenbank türmten sich die abgelegten dicken Jacken.

Eine Stunde lang schaukelten und schunkelten wir durch den Hafen, der Schipper war dann und wann über die knackenden Lautsprecher zu vernehmen und nuschelte schwer verständlich etwas zu den Sehenswürdigkeiten: »Un dor vorn an Backbord *knack* seht ihr *knarz* mächtigsten Pott, *knack* Hamburger Hafen *knack* …«

Gar nicht so einfach, durch die komplett beschlagenen Scheiben irgendwas zu erkennen. Wie war das noch mit Backbord und Steuerbord? Egal. Zahlreiche Wassertropfen liefen in krummen Linien innen an der Scheibe hinunter, während von außen immer wieder Gischt und Regen der Schietwetterfront den Blick trübten. Aber um die schöne Aussicht ging es auf dieser Tour ja auch nicht.

Nach gut einer Stunde legten wir wieder am Hafentor an, und es folgte ein kurzer feuchter Spaziergang ins benachbarte Portugiesenviertel.

Dieses kleine urige Viertel zwischen Michel, Baumwall und der Elbe verdankt seinen Namen portugiesischen Einwanderern, die in den 1960er-Jahren hier Quartier bezogen hatten. Als die Konjunktur im Schiffbau nachließ, verlagerten viele Bewohner ihren Tätigkeitsschwerpunkt aus dem Hafen hin zu gastronomischen Aktivitäten und bildeten so den Grundstein des heutigen Erscheinungsbildes. Die Restaurants, Cafés und Pastelarias vermitteln mediterrane Lebensfreude, man trifft sich auf der Straße. Nicht zuletzt die Mischung mit den vier skandinavischen Seemannskirchen sowie das um italienische und südamerikanische Restaurants erweiterte kulinarische Angebot runden das internationale bunte Bild des heutigen Portugiesenviertels ab.

Wir kehrten in einem der pittoresken, maritim dekorierten Lokale ein. Es wurde lecker gespeist, gelacht, getrunken, und der Abend verging wie im Flug. Schon lichteten sich die Reihen, und die ersten Kollegen verabschiedeten sich. Nach dem Essen drehten sich die Gespräche zunehmend um die Arbeit und die Firma. Bei einem Gang zur Toilette entdeckte ich am Tresen unseren Schiffsführer und den Decksmann. Beide sahen aus wie die typischen Seebären: wettergegerbte Gesichter, einer groß mit grauem Rauschebart und beeindruckendem Bauchumfang, der andere eher klein und drahtig. Beide mit einer Ausstrahlung, dass sie nichts aus der Ruhe bringen konnte. Sie hatten inzwischen das Rentenalter erreicht und den pulsierenden, lauten Hafen noch zu seiner Blüte in den Fünfziger-/Sechzigerjahren erlebt.

Damals konnten tatkräftige Arbeiter auch als ungelernte Kräfte gutes Geld verdienen. Frachtschiffe, zumeist Stückgutfrachter, hatten eine Liegezeit von gut zwei Wochen im Hafen. In dieser Zeit waren bis zu vierhundert Mann damit beschäftigt, die Ladung zu löschen, also die Ladeluken zu leeren. Säcke, Kisten, Fässer, Gebinde oder sperrige Güter – alles war so zusammengezurrt, dass immer ein oder zwei Mann anpacken und die Ladung hochhieven konnten. »Hiev op!«, klang es überall durch den Hafen. Es war ein Knochenjob. Der Container war noch nicht erfunden.

Bis in die 1980er-Jahre hörte man in Norddeutschland noch jeden Morgen im Radio die Aufrufe: »Heute ist wieder ein Schiff an Schuppen 50 angekommen. Gesucht werden dreihundert Schauerleute. Wer beim Entladen mithelfen möchte, melde sich bitte in der Admiralitätsstraße. Arbeitsschuhe und Handschuhe sind mitzubringen.« Die Schauerleute, das waren die mit dem »schaurigen« Job, die mussten anpacken können. Die Kaffeesäcke waren schließlich bis zu achtzig Kilogramm schwer.

Unsere Schipper waren tief in Fachsimpeleien über Hochprozentiges verstrickt.

»Ach watt, Rüdi, dat ist nich das richtige Zeuchs, dor mutt schon mehr binn siin.«

»Doch, Fiete, dat is good so.«

Ich nickte den beiden im Vorbeigehen zu, und als sie mich erblickten, klopfte der eine auf den leeren Barhocker zu seiner Rechten.

»Komm rüber, min Deern, sühs ja so bedröppelt ut, machst ein’ mit uns verzehrn?«

Ich war in einem nordfriesischen Dorf groß geworden und hatte als Kind in plattdeutschen Theaterstücken im Dorfkrug mitgespielt. Schon damals wurden am Tresen die skurrilsten Geschichten erzählt, also zögerte ich nicht lang und nahm Platz. Über mir hing dekorativ ein Fischernetz mit einer großen darin eingewebten runden grünen Glasflasche, links davon baumelten einige exotische Muscheln im Netz, und auch ein kleines Steuerrad hatte sich in den Maschen verfangen. Neben dem Tresen der obligatorische Leuchtturm, ein imposantes mediterranes Modell, das einem meiner Badezimmertürme sehr ähnlichsah.

Wir schnackten eine Runde über unsere Schiffstour, über Hamburg und die Welt. Fiete zog irgendwann eine kleine knubbelige, durchsichtige Flasche selbst gebrannten Schnaps aus seiner Tasche und schenkte uns allen unter den wohlmeinenden Augen des Barmannes einen Kurzen ein. Prost. Es schien nicht so ungewöhnlich, dass man hier auch Selbstversorger war.

Ich schüttelte mich, das klare Getränk brannte im Hals. Hochprozentiges war nicht so mein Fall. Es half an diesem Abend jedoch, den Alltag auszublenden, die unglückliche Arbeitssituation zu vergessen und abzuschalten. Die beiden hatten viele spannende Geschichten aus dem Hafen zu erzählen. Auch bei der zweiten Runde sagte ich nicht Nein.

Die Kollegen im Nebenraum waren schnell vergessen, die Seebären und ich schipperten auf gleicher Wellenlänge. Die Themen wurden vielseitiger, die Geschichten bunter, und ich redete mich um Kopf und Kragen. Unter anderem erzählte ich den beiden auf die Frage, warum ich denn den ganzen Abend so »bedröppelt« gewirkt hätte, dass ich mit meinem Job nicht glücklich sei, aber leider auch nicht wüsste, was ich stattdessen machen sollte. Ich berichtete von meinem gerade erst abgeschlossenen Fernstudium Tourismus-Betriebswirtschaft und dass mir das konkrete Ziel vor Augen fehlte. Die beiden hörten aufmerksam zu. Ich bemerkte, dass sie sich zunickten.

Was nun folgte, war der Beginn der besten Schnapsidee meines Lebens. Ich wusste es nur noch nicht. Alles würde sich ändern.

Fiete und Rüdi berichteten mir von einer Idee, die ihnen und dem mit ihnen befreundeten Busunternehmer Georg schon eine Zeit lang im Kopf herumspukte. Ab dem kommenden Jahr würde in Hamburg-Wilhelmsburg die Internationale Bauausstellung, kurz IBA, starten. Man konnte sich mit kreativen Projekten und Ideen um eine Förderung bewerben. Die Themenfelder reichten von Architektur über Bildung und Kultur bis zur Infrastruktur. Die beiden hatten eine Schiffstour nach Wilhelmsburg im Sinn. Sie wollten das Thema der schweren Sturmflut von 1962 in den Mittelpunkt stellen und einen Kaffee-Zwischenstopp mit Zeitzeugen auf der Insel anbieten.

Wilhelmsburg war für die meisten Hamburger, so auch für mich, zu diesem Zeitpunkt ein sozial eher schwacher und unbekannter Stadtteil zwischen Norder- und Süderelbe gelegen, mit hohem Migrationsanteil. Vor allem war er bekannt für die drei großen Verkehrsachsen Autobahn, Bahntrasse und Bundesstraße, über die man immer schnell durch den Stadtteil durch ist und kaum etwas von den Besonderheiten oder der Kultur vor Ort mitbekommt. Die meisten Menschen, die aus Richtung Süden nach Hamburg fahren, realisieren noch den Stadtteil Harburg und wachen dann erst bei den Elbbrücken wieder so richtig auf. Dass sie dabei die größte Binneninsel Europas überqueren, fällt vielen bis heute nicht auf.

Die beiden Hafenkenner brachten mir Hamburg-Wilhelmsburg erstmals im Positiven näher. Auch ich war voller Vorurteile, die durch die Medien und entsprechende Berichte über Kampfhundattacken und ähnliche Zwischenfälle gut genährt waren. Ich hatte keine Ahnung, wie es in Wilhelmsburg wirklich war. Die Beschreibungen von idyllischen Wasserwegen, die man mit der Barkasse befahren konnte, einem quirligen multikulturellen Zentrum rund um den Stübenplatz sowie weiter Gemüsefelder und großer Gewächshäuser im Südosten der Insel faszinierten mich. Mein Interesse war geweckt.

Fiete berichtete begeistert von den Projektideen, es gab da nur ein Problem. Er erzählte, dass sie am liebsten im Frühjahr loslegen wollten, aber niemanden hätten, der dieses Projekt mit ihnen umsetzen würde. Es fehlte jemand, der das Projekt leiten und sich um das Feinkonzept und die Realisierung kümmern würde.

Klick. In meinem Kopf fing es an zu rattern. Ich konnte es nicht glauben. Dieses »Klick« war nicht zu überhören, es hämmerte sich in meine Gedanken. War das die Lösung? War das meine Chance?

»Wow, das klingt total spannend, ich würde zu gern mehr erfahren.«

In mir schien sich alles in Bewegung zu setzen. Mein Herz klopfte, das Gedankenkarussell wirbelte, ich war erfüllt von der Projektidee.

»Allerbest, Maike, dat harrn wi uns all dacht, dat du genau de Richtige wärst för dat Ding. Lot uns man Anfang Januar schnacken, und denn nehmt wi di mit op een Entdeckungsreis över de Insel. Denn gifft dat Botter bi de Fisch.«

Ich strahlte. Und hörte für den Rest des Abends nicht mehr damit auf.

Wenn ich in der Vergangenheit von solchen Klick-Momenten bei anderen gehört hatte, tat ich das in der Regel mit einem »Ah ja, na klar, bestimmt« ab und hielt es für Einbildung. Jetzt weiß ich es besser. Es gibt diese Momente, in denen man ganz genau spürt, dass sich eine große Chance auftut und man nur genug Mut aufbringen muss, diese am Schopfe zu packen.

Jetzt würde sich endlich etwas ändern. Ich würde zugreifen.

Meine große Freiheit

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